Von außen betrachtet, verläuft mein Tag ganz normal.
Nachdem ich aufstehe, trainiere ich dreimal in der Woche. An den anderen Tagen fahre ich direkt ins Büro. Dort arbeite ich den ganzen Tag und bewundere dabei den schönen Ausblick auf das Meer. Abends fahre ich wieder nach Hause. Dann setze ich mich mit meiner Frau vor den Fernseher.
Nicht viel anders als bei Ihnen oder? Einfach ein normaler Tag.
Doch der Schein trügt, nichts ist bei uns normal.
Wenn ich morgens aufstehe, schaue ich sofort auf den Schirm meines Mobiltelefons. Ich muss mich vergewissern, dass keinem meiner Familienangehörigen etwas zugestoßen ist. Denn wie die meisten israelischen Familien haben wir Kinder sowie Nichten/Neffen im Militärdienst. Einige von ihnen sind an der vordersten Front.
Die Nachrichten durchforste ich nach neuen Informationen über die Geiseln und den Krieg. Der Schmerz und das Trauma begleiten mich seit dem 7. Oktober.
Seit diesem schrecklichen Samstag ist auch mein Sicherheitsgefühl verloren gegangen. Es ist, als ob sich ein Fremdkörper um mein Herz und meinen Kopf gelegt hätte. Eine Schwere, die man einfach nicht ablegen kann.
Und dann kommen die Nachrichten im Fernsehen: Blitzlichter auf die Geiseln, die Verletzten, die Terroropfer und die gefallenen Soldaten. Jeden Abend zwinge ich mich, in diese Bilder einzutauchen. Sie führen mir immer wieder vor Augen, dass es Menschen sind, die Familie und Freunde zurückgelassen haben. Ihre Angehörigen werden von nun an mit diesem schrecklichen Verlust leben müssen. Für uns sind diese Schicksale nicht abstrakt.
Bei allen Kontakten mit Verkäufern und Kunden - eigentlich mit jeder israelischen Person - bin ich in meiner Wortwahl sehr vorsichtig. Denn ich kann nicht wissen, wer ein Familienmitglied beim Massaker oder im Krieg verloren hat. Der Neffe unseres Grafikers ist im Krieg gefallen. Alle vier Söhne eines Kollegen kämpfen an der Front – da kann jeden Moment etwas Schreckliches passieren.
Meine ausländischen Freundinnen und Freunde bitte ich, mir Fotos aus ihrem Alltag zu schicken. Denn ich will mich vergewissern, dass es dort - irgendwo - noch eine normale und heile Welt gibt. Und wenn ich dann Bilder vom ersten Schnee, von Weihnachtsmärkten, von Kollegen in der Kneipe erhalte, verspüre ich einen Stich im Herz.
Doch ich brauche diese Bilder. Denn ich brauche die Hoffnung, dass das Leben irgendwann wieder normal wird.
Und ich brauche die Bestätigung, dass unser jetziges Leben in Israel nicht normal ist. Sonst macht es keinen Sinn, morgens überhaupt aufzustehen.