Vivian kannte ich in erster Linie als Großmutter. Eines ihrer Enkelkinder besuchte denselben Kindergarten wie unsere Tochter. Die beiden freundeten sich an. Daraus entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen unseren Familien. So sehr, dass wir unsere Kinder fünf Jahre lang gemeinsam großgezogen haben.
Vivian fuhr oft von ihrem Zuhause im Kibbuz Be'eri bis nach Haifa. Dort erfreute sie sich an ihren Enkelkindern. Sie war eine unternehmungslustige Oma. Meine Kinder nahm sie dabei auch manchmal mit. Das erste Mal im Kino waren sie mit ihr. Seitdem verbinden sie Vivian immer mit dieser ersten aufregenden Erfahrung.
Die Nachricht von Vivians Ermordung erhielten wir etwa 40 Tage nach dem brutalen Anschlag vom 7. Oktober. Die letzte Nachricht an ihren Sohn verfasste sie am Samstag um 10:50 Uhr. Sie schrieb: „Terroristen sind in mein Haus eingedrungen. Ich verstecke mich in einem Schrank und zittere vor Angst.“ Da ihre Leiche nicht gefunden wurde, gingen alle davon aus, dass die Terroristen sie nach Gaza entführt hatten. Diese Annahme gab uns die Hoffnung, dass sie noch lebte.
Ihr sonst sehr öffentlichkeitsscheuer Sohn Yonathan begann eine Kampagne für ihre Befreiung. Er gab internationalen und israelischen Medien Interviews. Ich schrieb ihm: „Ich weiß, wie schwer das für Dich ist. Deine Stärke bewundere ich.“
Vivian war eine Führungspersönlichkeit. Sie war Friedensaktivistin, Feministin und Gründerin der Organisation „Women Wage Peace“.
Bei ihren öffentlichen Leitungspositionen bestand sie immer darauf, eine arabische Co-Managerin zu haben. Nach diesem Modell rief sie auch AJEEC-NISPED, das Arab-Jewish Center for Empowerment, Equality, and Cooperation in der Negev-Wüste ins Leben.
Vivian ist aus Kanada nach Israel eingewandert. Sie war Mitglied einer Gruppe, die den Kibbuz Gezer gründete. Dort war sie die erste Frau, die die Aufgabe einer Baukoordinatorin übernahm. In den 1970er-Jahren verfasste sie eine Broschüre zum Thema Gender-Mainstreaming. So brachte sie dieses Thema wegweisend in die Kibbuz-Bewegung ein. Sie kämpfte auch für die praktische Umsetzung der Gleichstellung von Frauen.
Angesichts ihres Engagements war es nicht verwunderlich, dass zu Vivians Beerdigung zahlreiche soziale Aktivistinnen und Aktivisten aus ganz Israel kamen. Sie repräsentierten das gesamte gesellschaftliche Spektrum des Landes. Die Trauernden kamen aus der jüdischen, der arabisch-palästinensischen und aus der beduinischen Gesellschaft. Viele von ihnen waren mit der Ermordeten persönlich befreundet. Vivian wusste, wie man Nähe zwischen Menschen und auch innerhalb von Gemeinschaften schafft. Paradoxerweise hat mich ihre Beerdigung aufgebaut. Auf Vivians Begräbnis traf ich plötzlich viele gleichgesinnte und geliebte Menschen wieder. Das Wiedersehen mit Freunden verlieh mir Energie, doch nicht für lange. Als ich nach Hause zurückkehrte, fühlte ich mich vollkommen ausgelaugt. Ich fiel mit meinen Kleidern ins Bett, dann schlief ich bis zum nächsten Morgen.
Viele Menschen, die ich kannte – langjährige Freunde, Arbeitskollegen – wurden am schwarzen Samstag des 7. Oktober ermordet, entführt und brutal verletzt. Doch erst als es um Vivian ging, ließ ich meinen Tränen freien Lauf.
Vivian war eine lustige und quirlige Oma. Wie konnte solch ein wunderbarer Mensch massakriert werden? Es war, als ob die Terroristen der Hamas eine gute Fee ermordet hätten. Dieses Verbrechen veranschaulichte mir am deutlichsten das Gesicht des Bösen in der Welt, die Dichotomie zwischen Gut und Böse.
Und dennoch würde Vivian sagen: „Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.“ Ich bin im Hinblick auf meine politische Identität verwirrt. Seitdem stellt sich mir die Frage: „Mit wem kann man überhaupt Frieden schließen?“ Doch Vivians Vermächtnis bleibt bestehen. Es fällt mir schwer, aber ich weiß, dass es keinen anderen Weg gibt. Danke, dass du uns weiterhin den Weg zeigst. Möge deine Seele im Bund des Lebens eingebunden sein.