Nur wenige Tage vor den schrecklichen Ereignissen des 7. Oktober 2023, dem barbarischen „Schwarzen Sabbat“, kehrte ich von einem Besuch in Großbritannien nach Israel zurück, wo ich seit 55 Jahren lebe. Während meines fast einmonatigen Aufenthalts im Vereinigten Königreich verbrachte ich Zeit mit meiner Familie und engen Freunden vor allem in London (südlich der Themse in Putney), im Süden in Dorset und im Norden in Manchester und an vielen schönen Orten in Yorkshire und Lancashire.
Fast überall, wo ich hinkam, wurde ich, wie schon bei früheren Besuchen in den letzten zehn Jahren, gefragt, ob ich keine Angst hätte, meine Halskette mit dem Davidstern offen zu tragen. Einmal wurde ich sogar gefragt, ob es ratsam sei, meine israelische Heimatadresse offen am Gepäckanhängermeines Koffers zu zeigen, wenn ich mit der Londoner U-Bahn oder mit Intercity-Zügen reiste.
Allerdings hatte ich, ob beim letzten Besuch oder auch auf vielen früheren Reisen in anderen Teilen der Welt, die interessantesten und oft auch herausforderndsten Gespräche, gerade wegen meiner Davidstern-Kette oder meines Gepäckanhängers, oder wie in einem Fall, nachdem ich zufällig – und wie ich dachte – sehr leise auf Hebräisch am Telefon gesprochen hatte.
Wie tausende von Menschen aus der ganzen Welt, die mich in den letzten vier Jahrzehnten auf geführten Bildungsreisen in israelisch-arabische und palästinensische Dörfer im Westjordanland begleitet haben, wissen, habe ich in dieser Zeit nie versucht zu verbergen, wer ich bin oder was ich in Bezug auf eine konstruktive Entwicklung der jüdisch-arabischen Beziehungen glaube. Ich habe auch nie versteckt, dass ich sehr stolz darauf bin, Jüdin zu sein, und – obwohl ich die ersten 23 Jahre meines Lebens in Großbritannien verbracht habe – auch stolze Israeli und Mitglied eines 101 Jahre alten, erfolgreichen und immer noch sozialistisch geführten Kibbuz im Jesreeltal.
Als das älteste meiner fünf Kinder ein Kleinkind war, besuchte uns eine liebe Tante aus Großbritannien im Kibbuz. Als mein Sohn Boaz fröhlich mit einem neuen Spielzeug spielte, das sie mitgebracht hatte, fragte sie mich, wie ich – „eine Hippie-Pazifistin der 1960er Jahre“ – (ihre Worte, nicht meine) damit umgehen würde, dass Boaz mit 18 Jahren zur israelischen Armee müsste. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich lachend und leichtfertig antwortete, dass wir dann wahrscheinlich keine kämpfende Armee mehr brauchen würden, sondern nur noch eine Armee von Friedenswächtern.
Zum Glück hatte ich das Wort „wahrscheinlich“ verwendet, denn meine Tante erinnerte mich in den letzten Jahren mehrmals an meine bissige Antwort auf ihre Frage – die ich nur wenige Monate vor dem Ausbruch des Jom-Kippur-Krieges von 1973 gegeben hatte, wie ich hinzufügen möchte.
Mein Sohn ist jetzt 53 Jahre alt, ein Invalide und vom israelischen Verteidigungsministerium gut versorgt. Als er im Alter von 20 Jahren fast drei Monate lang im Koma lag, habe ich lange nachgedacht und natürlich gebetet… und Versprechungen gemacht. Zum Beispiel, dass ich, wenn er wieder gesund wird, niemals aufgeben würde, mich dafür einzusetzen und darüber zu schreiben, Menschen zusammenzubringen, um Brücken zu bauen und nicht die Vorstellung zu zerstören, dass es eine bessere Zukunft für alle geben könnte.
Boaz ist heute Vater eines 15-jährigen Sohnes und einer 17-jährigen Tochter, die nächstes Jahr um diese Zeit mit den anderen Gleichaltrigen in die Armee eintreten wird. Beide sind vor kurzem von einem erfolgreichen Schüleraustausch aus Deutschland zurückgekehrt. Ihre deutschen Mitschüler hatten vor einigen Monaten eine ebenso erfolgreiche Woche in Israel verbracht. Bis zu diesem Sabbat glaubte ich noch immer daran, dass es zu meinen Lebzeiten eine friedlichere Existenz sowohl für Israelis als auch für Palästinenser angestrebt und besiegelt werden könnte. ABER, da ich mich meinem 78. Geburtstag nähere, möchte ich nicht mehr darauf wetten, dass dies wirklich geschehen wird.
Nachdem ich im Fernsehen gesehen habe, wie über 100.000 Anhänger der Schlächter der Hamas durch die Straßen von London und anderswo in Europa marschieren, wie sie in der Londoner U-Bahn Slogans skandieren oder wie sie, in den Universitäten in den USA randalieren; und angesichts einer Sintflut der widerlichsten, abscheulichsten antisemitischen und israelfeindlichen Propaganda, die aus den bodenlosen Abgründen des Hasses kommt, bin ich mir nicht sicher, dass ich, falls ich wieder einmal ins Ausland reise, meinen Davidstern so offen über meinem T-Shirt tragen werde oder den Gepäckanhänger nicht von meinem Koffer entfernen werde.
Ich bin am Boden zerstört, habe ein gebrochenes Herz und Angst vor dem, was die Zukunft für uns alle bereithält.
Übersetzung aus dem Englischen: bpb.de