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„Im Notfall – Scheibe einschlagen"

Uriel Kashi

/ 3 Minuten zu lesen

Ein Blick in den Schutzraum. (© Uriel Kashi)

Am 7. Oktober war unser Luftschutzbunker noch abgeschlossen. Als gegen 08.00 Uhr morgens der erste Raketen-Alarm in Jerusalem ertönte, suchten wir daher Zuflucht in unserem Treppenhaus. Im Falle eines Einschlags wäre dies erstmal der sicherste Ort. Treppenhäuser sind solide gebaut, um das Gewicht des Gebäudes zu tragen, was im Falle eines Raketeneinschlags vor Zusammenbrüchen schützen kann. Das Fehlen von Fenstern reduziert das Risiko von Glassplittern, die bei einer Explosion durch die Luft fliegen. Und im Treppenhaus gibt es weniger brennbare Materialien als in anderen Räumen.

Als wir anschließend den Gebäudebunker im Keller aufschlossen und gemeinsam inspizierten, zeigte sich, dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur unser Hausmeister den Bunker als Abstellkammer genutzt hat. „Das Zeug muss alles raus!" meinte die Nachbarin von unten links, und wir verabredeten uns für den nächsten Morgen, um gemeinsam den Bunker auszumisten.

Das Ausräumen entwickelte sich dann zu einer Zeitreise in die Vergangenheit unseres Hauses. Eine Photowand mit jugendlichen Gesichtern, ein Kassettenrekorder und zahlreiche Musikkassetten zeugten von einer Zeit, in der Jugendliche in den 1980ern den Bunker als Treffpunkt nutzten. Die große Sammlung von Glühbirnen (keine Energiesparlampen) stammt wohl aus der Zeit, als Energieeffizienz noch kein Thema war und die alte Weinfalsche aus den 70er Jahren machte uns zwar Hoffnung auf einen guten Tropfen zu richtigen Stunde. Beim Öffnen der Falsche zeigte sich jedoch, dass die Flüssigkeit selbst als Essig keine Zukunft in unserer Küche finden würde. Ein gynäkologischer Stuhl, der in einer Ecke stand, sorgte für Diskussionen. Er gehörte vermutlich einem Frauenarzt, der vor Jahrzehnten im Haus praktizierte. Könnte er uns im Ernstfall nützlich sein? Die Nachbarin von unten links war jedoch eindeutig: „ALLES muss raus" rief sie und begann schon, das historische Stück Richtung Ausgang zu ziehen.

Erhalten geblieben ist uns nur ein Bilderrahmen an der Wand mit der Aufschrift: „Im Notfall – Scheibe einschlagen" Im Rahmen: Eine Zigarette, ein Streichholz, die Reibefläche der Streicholzschachtel und… ein Kondom! Beim genaueren Hinsehen stellten wir fest, dass das Verfallsdatum in den 90er Jahren lag. Der Rahmen stammt wohl aus der Zeit des Zweiten Golfkriegs, als Saddam Hussein Israel mit Raketen beschoss und viele Israelis mit Gasmasken in ihren Bunkern Schutz suchten.

Mittlerweile ist unser Bunker voll ausgestattet. Neben Wasser, Lebensmitteln und einem Erste-Hilfe-Set hängt der gerahmte Bilderrahmen immer noch prominent an der Wand. Bei Raketenalarm in den Bunker zu rennen, löst jedes Mal erneut Angst aus. Man gewöhnt sich nie daran. Immer wieder schlagen diese Raketen in Wohnhäuser ein und töten Unschuldige. Wir in Jerusalem sind verhältnismäßig selten von Raketenangriffen betroffen, doch die Menschen in der Nähe des Gazastreifens hatten nie die Gelegenheit, ihre Luftschutzbunker zuzumüllen. Sie erleben diesen Horror seit vielen Jahren regelmäßig. Das Abschießen von Raketen auf zivile Gebiete ist eines von vielen schrecklichen Kriegsverbrechen der Hamas.

Mich erinnert der Bilderrahmen daran, stets auf das Unvorhersehbare vorbereitet zu sein. Aber er zeigt mir auch, wie uns schwarzer Humor hilft, selbst in Krisenzeiten durchzuhalten. Das nächste Mal, wenn der Alarm ertönt, werden wir bereit sein.

Fussnoten

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stammt aus Jaffa, ist in Stuttgart aufgewachsen und lebt heute in Jerusalem. Nach dem Studium der Erziehungswissenschaft und Judaistik an der Freien Universität zu Berlin und an der Hebrew University Jerusalem war er von 2007–2010 Mitarbeiter an der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem/Jerusalem. Seit 2010 ist freiberuflicher Reiseleiter, seit vielen Jahren auch Externer Link: Begleiter der bpb-Studienreisen