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Revolution in den Kanälen | bpb.de

Revolution in den Kanälen Siegeszug der Neuen Medien

Carola Richter

/ 7 Minuten zu lesen

Massenmedien und ihre Nutzung in den arabischen Ländern haben keine politische Revolution ausgelöst, sondern erleben selbst eine Umwälzung. Internet und Mobiltelefone bieten den Bürgern die Möglichkeit, zu sehen, zu lesen und selbst zu produzieren.

Umständlich kramt die alte Dame auf Kairos Straßen ein vibrierendes kleines Handy aus den Tiefen ihrer Galabiya hervor, während der schicke Mittzwanziger neben ihr über sein iPhone wischt. Aus der kleinen Saftbar gegenüber dröhnt ohrenbetäubende Popmusik, davor hat ein Händler auf dem Gehweg Zeitungen und Zeitschriften zum Kauf ausgebreitet. Ein Stück weiter im Café sitzen drei Männer um ihre Wasserpfeifen und schauen gebannt auf den Fernsehschirm, auf dem ein Fußballspiel läuft: Auch in der arabischen Welt gibt es kaum einen Ort, an dem Medien nicht präsent wären.

Das war jedoch nicht immer so. Die Massenmedien wurden in Europa und Nordamerika erfunden und hielten erst mit den Kolonialmächten Einzug in die arabischen Länder – zuerst die Presse im 19. Jahrhundert, später das Radio in den 1920er und 1930er Jahren. Dies verlieh ihnen den Anstrich exotischer Modernität, die die einen als Zeitverschwendung oder Religionslästerung ablehnten, gebildete Schichten sich jedoch sehr schnell zu Eigen machten. Politische Gruppen entdeckten diese Medien als Vehikel, um gegen Missstände zu demonstrieren. So hat allein die ägyptische Muslimbruderschaft zwischen ihrer Gründung 1928 und ihrem Verbot 1954 nicht weniger als 14 verschiedene Printmedien herausgebracht.

Anfangs wurden Zeitungen laut in Cafés oder Lesekreisen vorgelesen. Dennoch ist die Presse angesichts des lange verbreiteten Analphabetismus und trotz staatlicher Subventionen bis heute ein wenig genutztes Elitemedium geblieben. In Printmedien wird, anders als in dem eher auf Unterhaltung ausgerichteten Rundfunk, vorrangig Nachrichtenjournalismus betrieben, für den die freie Presse einen hohen symbolischen Wert hat. So schossen in Libyen nach dem Sturz Gaddafis unzählige Zeitungen aus dem Boden, wurden aber nach kurzer Zeit als idealistische Zuschussgeschäfte schon wieder eingestellt, weil das Publikum und die Anzeigenmärkte zu klein waren. Die Regierung hat deshalb eigens ein Komitee zur Presseunterstützung eingerichtet, das unter anderem die Tageszeitung Febrayer herausgibt und finanziell absichert.

Der Siegeszug der Bilder

Das Fernsehen hat dagegen einen ganz anderen Stellenwert in arabischen Ländern. Man kann mittlerweile von einer Abdeckung von nahezu 100 Prozent ausgehen – ein Haushalt ohne Fernseher ist selbst in ländlichen Regionen, wo der Strom aus dem Generator kommt, schwer vorstellbar. Das Fernsehen kam mit der Unabhängigkeit der meisten arabischen Staaten auf. Machthaber wie der charismatische ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser erkannten schnell die Wirkmächtigkeit der audiovisuellen Massenmedien und setzten sie als politische Erziehungs- und Mobilisierungsinstrumente ein. Auch heftige Proteste konservativer Kräfte im Saudi- Arabien der 1960er gegen die ihrer Meinung nach blasphemische Einführung von menschlichen Bewegtbildern konnten den Siegeszug des Fernsehens nicht aufhalten; die autoritären Regierungen zogen es schließlich vor, durch Zugriff auf die Fernsehkanäle die Inhalte zu kontrollieren.

Mit dem Aufkommen des Satellitenfernsehens Mitte der 1990er Jahre wurde die Medienlandschaft in den arabischen Ländern komplett umgekrempelt. Weil plötzlich eine Vielzahl von Fernsehsendern und Inhalten zugänglich wurde, änderten sich die Nutzungsgewohnheiten massiv. Reiche Investoren aus den Golfstaaten wollten das Marktpotenzial nutzen, das das riesige arabischsprachige Publikum von Marokko bis Irak darstellt. Das saudische MBC-Konsortium oder die Al Jazeera-Familie aus Katar sind nur zwei Player unter den mittlerweile mehreren Hundert arabischsprachigen Sendern. Al Jazeera sendet seit 1996 und wurde aufgrund seines professionellen Auftretens und der kontroversen Inhalte zum populärsten Nachrichtenkanal, insbesondere in Ländern mit weitgehend gleichgeschalteten Nachrichtenmedien wie Syrien und Libyen.

Anders als Al Jazeera setzten die meisten anderen Kanäle auf Unterhaltung mit selbst produzierten Serien, importierten Programmen, Filmen oder Musikvideos – und vor allem Sportprogrammen. Unterhaltungsprogramme sind äußerst populär, da das Fernsehen in den arabischen Haushalten zumeist dauerhaft im Hintergrund präsent ist. Im Ramadan versammelt sich häufig die ganze Familie zum Fastenbrechen vor dem Fernseher, Serien und Comedy-Programme werden eigens für die hohen Einschaltquoten dieses Monats produziert. Eine besonders hohe Reichweite haben auch Musik-Talentshows wie "Arab Idol", in der Talente aus verschiedenen arabischen Ländern um die Krone ringen.

Sowohl klassische arabische Musik als auch Pop genießen hohes Ansehen. Bereits seit den 1940er Jahren baut die Medienindustrie Stars auf, die in der gesamten arabischen Welt hohes Ansehen genießen – von Umm Kulthoum bis Nancy Ajram. Früher klebten die Menschen für Liveübertragungen an den Radios, heute werden Radioprogramme im Vergleich zum Fernsehen weniger stark genutzt. Musik tritt immer mehr in Gestalt spielfilmartiger Musikvideos auf, die im Fernsehen und im Internet konsumiert werden. Das Radio bleibt in den meisten arabischen Ländern häufig älteren Nutzern überlassen, die vor allem islamische Sender mit Koranrezitationen einschalten.

Während das Radiohören abnimmt, legt die Internetnutzung stetig zu. Angesichts mangelnder Infrastruktur, repressiver Regime und hohem Analphabetismus gingen seriöse Prognosen noch Anfang der 2000er davon aus, dass mittelfristig maximal 15 Prozent der Bevölkerung im arabischen Raum das Internet nutzen würden. Damit lagen sie völlig falsch: Bereits 2010, kurz vor den politischen Umbrüchen, war laut UN-Statistiken fast ein Viertel der Bevölkerung der arabischen Welt online. Dabei dürften diese Zahlen noch zu gering angesetzt sein, da die gemeinsame Nutzung einer Leitung und die Rolle von Internetcafés meist unterschätzt werden. Schaut man sich aber die einzelnen arabischen Länder an, so offenbart sich eine tiefe digitale Kluft, die sich vor allem an den jeweiligen ökonomischen Möglichkeiten festmacht. Während im reichen Katar 88 Prozent der Bevölkerung einen Internetzugang haben, sind es im armen Mauretanien nur etwa fünf Prozent.

Allerdings können Regierungsprogramme auch bei relativer Armut zur Verbreitung der digitalen Medien beitragen: In den Ländern, in denen das Internet als Symbol für Modernität und Bildung propagiert wurde, waren besonders schnell wachsende Nutzerzahlen zu verzeichnen. So haben Mitte der 2000er Jahre die Regime in Ägypten, Marokko und Tunesien die DSL-Infrastruktur ausgebaut und mit Kampagnen wie "Jedem Haushalt einen Computer" die Zugangsmöglichkeiten enorm erweitert. Dabei legten sie aber durchaus unterschiedliche politische Maßstäbe an. Ägypten ließ unter Hosni Mubarak lange eine Laissez-faire-Politik gegenüber politischem Aktivismus im Internet walten, in Ben Alis Tunesien sperrte dagegen ein zentraler Provider den Zugang zu etlichen Internetseiten, außerdem wurden politisch aktive Nutzer verhaftet.

Nach wie vor ist es vor allem die junge Generation, die das Internet nutzt. Laut einer Studie der Northwestern University in Katar von 2015 sind 91 Prozent der unter 25-Jährigen online, während es nur 66 Prozent der über 45-Jährigen sind. Untersucht wurde das Nutzungsverhalten in acht Staaten, neben den Golfstaaten waren der Libanon, Tunesien und Ägypten.

Selbstermächtigung per Telefon

Auch die Mobiltelefonnutzung steigt. Handys ersetzen heute eine über Jahrzehnte vernachlässigte Festnetz-Infrastruktur. Im Bemühen, flächendeckenden Zugang zu Telefonanschlüssen zu schaffen, boten die leicht aufzustellenden Funkmasten eine einfache Abhilfe. Meist gibt es zwei bis vier lizenzierte Telekommunikationsfirmen pro Land, die in moderatem Wettbewerb miteinander stehen dürfen und so preiswerte Tarife anbieten können. Entsprechend sind Mobiltelefone quer durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten unersetzliche Begleiter geworden. Von 2006 bis 2011 stieg die Zahl der Mobilfunkverträge von 126 auf mehr als 300 Millionen. Statistisch besitzt jeder Araber mindestens ein Handy, am niedrigsten ist die Quote mit 58 Prozent im Jemen, dem ärmsten Land der Arabischen Halbinsel, in den reichen Golfstaaten besitzen dagegen viele mehr als ein Mobiltelefon.

Telefonieren wird wie in vielen anderen Ländern der Welt mittlerweile nur noch als eine von mehreren Möglichkeiten der Handynutzung gesehen. Drei Viertel aller Nutzer, so die Studie der Northwestern University, gehen mit drahtlosen Geräten online, insbesondere mit Smartphones, und dies vor allem, um soziale Netzwerke oder Videoplattformen aufzurufen.

Die Zusammenführung verschiedener Medienformate wie Film, Text und Ton in einem für alle nutzbaren mobilen Gerät hat gerade in den Protestwellen in Tunesien, Ägypten, Libyen und nach wie vor in Syrien dazu geführt, dass mit Handys gedrehte Videos von Demonstrationen, Angriffen oder Opfern auf Portale wie Youtube hochgeladen werden können. Die früher eng definierten Grenzen zwischen Produzenten und Nutzern lösen sich dadurch zunehmend auf. Bürgerjournalistische Formate gewinnen deshalb auch immer mehr an Relevanz, etwa das aus einer ägyptischen Graswurzelbewegung entstandene Rassd News Network. Über sechs Millionen Facebook-Fans machen RNN zu einer der beliebtesten Nachrichtenseiten.

Gleichzeitig haben seit den Anfängen der iranischen Grünen Bewegung 2009 und im Zuge der Umbrüche 2011 die arabischen wie internationalen TV-Stationen bessere Methoden entwickelt, Bilder und Filme auch im Internet verfügbar zu machen und Material aus sozialen Medien zu sichten und zu prüfen. Denn die von den neuen Usern eingestellten Bilder und Filme mögen zwar Authentizität vermitteln – journalistischen Kriterien von Wahrhaftigkeit und Relevanz halten sie oft nicht stand. Um einer Gerüchtekultur im Internet vorzubeugen, entwickelt sich derzeit eine arabische Netz-Ethik.

Internet und Mobilfunk haben der arabischen Welt den aktuellen Höhepunkt in der Medienrevolution beschert. Den Arabischen Frühling jedoch als Facebook-Revolution sehen zu wollen ist eine Erfindung internationaler Medien. Die Medienrevolution ist für den Wandel der Kommunikation und Informationsmöglichkeiten zuständig. Der Wandel der politischen Systeme hängt jedoch allein von den Menschen ab.

Dieser Artikel ist erschienen in: Gerlach, Daniel et al.: Atlas des Arabischen Frühlings. Eine Weltregion im Umbruch, Zeitbild, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2016, S. 88-89.

Fussnoten