Der Bürgerkrieg im Libanon hat in der Hauptstadt Beirut die schwersten Zerstörungen hinterlassen. Ausgangspunkt des Konflikts war die Unfähigkeit der libanesischen Regierung, konfessionelle, ethnische, kulturelle, regionale und ökonomische Gegensätze zu bewältigen. Die ausgewogene Berücksichtigung der ethnisch-religiösen Bevölkerungsgruppen in Politik und Administration schien gefährdet: durch die palästinensischen Flüchtlingsströme, aber auch von der prekären politischen Situation, die das Kairoer Abkommen für den Libanon bedeutete. Es legitimierte PLO-Aktionen gegen Israel von libanesischem Territorium aus und führte zur Errichtung einer Pufferzone gegen Israel im Süden Libanons. Ein Attentat christlicher Milizen auf einen mit palästinensischen Flüchtlingen voll besetzten Bus in Beirut wurde im bereits schwelenden lokalen Konflikt geschickt instrumentalisiert. Die Eskalation war vorprogrammiert, das Land spaltete sich. Was als innenpolitische Debatte begonnen hatte, entwickelte sich zu einem Bürgerkrieg zwischen ethnischen und politischen Gruppierungen. Der Konflikt wurde partiell zum Stellvertreterkrieg im Nahen Osten, Beirut zum Stellvertreter-Schauplatz komplexer, interner und auch externer Konflikte.
Nachhaltige Zerstörung von Raum und Gemeinschaft
Vor 1975 war die Innenstadt Beiruts Handels- und Vergnügungszentrum: eine Plattform für das Zusammentreffen aller Konfessionen. Das lebhafte Treiben in der Innenstadt stand im Gegensatz zu den restlichen, mehrheitlich konfessionell bestimmten Stadtteilen. Die Innenstadt von Beirut war ein Ort der Begegnung, der Überschneidungen und friedlichen Koexistenz, für die die Stadt jahrzehntelang Symbol gewesen war. Bereits in den ersten Kriegswochen wurde ausgerechnet dieser Ort von zermürbenden Straßenkämpfen so systematisch zerstört, dass der Bevölkerung die Grundlage für einen gemeinsamen Raum entzogen worden war. Die Innenstadt verfiel im Laufe der Jahre und Kampfhandlungen zu einer Brachfläche, zu einem unpassierbaren Niemandsland, einem von der restlichen Stadt ausgegliederten Gebiet – kontrolliert von Milizen und Scharfschützen. Die besondere Topographie Beiruts begünstigte, dass zuweilen im tiefer liegenden Stadtkern der Krieg tobte, während man das Geschehen aus den anderen Stadtteilen beobachten konnte.
Der 16 Jahre andauernde Bürgerkrieg war allerdings nicht von ununterbrochenen Kampfhandlungen geprägt, sondern wurde Stück für Stück geführt, in einer wechselnden Folge von kurzen oder längeren Feuerpausen, Kampfhandlungen und Friedensbemühungen. Die Stadt wurde währenddessen physisch keinesfalls komplett zerstört. Die Hauptkampfhandlungen und somit die gravierendsten Zerstörungen konzentrierten sich auf das eigentliche Stadtzentrum von Beirut und auf den Bereich entlang der so genannten "Green Line" – der Demarkationslinie, die West- und Ost-Beirut trennte. Innerhalb Beiruts fand eine Bevölkerungsverschiebung nach Religionszugehörigkeit statt: Die unterschiedlichen Viertel, die schon vor dem Krieg mehrheitlich von einer Religionszugehörigkeit geprägt waren, wurden von den jeweils anderen Religionen geradezu befreit.
Treffend formulierte der Libanesische Schriftsteller Raschid al-Daif die Stimmung bei der Bevölkerung von Beirut während des Krieges: "... Der Krieg war dann aber kein Kampf von Arm gegen Reich, sondern von Arm und Reich gegen Reich und Arm. Palästinenser bekämpften sich untereinander, Syrer kämpften mit Palästinensern gegen Christen, dann mit Christen gegen Palästinenser. Schließlich die Christen untereinander und gegen die Drusen, alle miteinander und gegeneinander – wer sollte das verstehen? [...] Am Ende haben wir über die gelacht, die versucht haben, die Zustände zu analysieren."
Das Fehlen von öffentlichen Räumen führte zur Destabilisierung der städtischen Gesellschaft und zu der psychisch wirksamen Zerstörung einer Lebensgemeinschaft. Nach 16 Jahren Krieg, so eine Studie am Geographischen Institut der Universität Heidelberg, war bei den jüngeren Bewohnern kein Bild, keine 'mental map´ der Innenstadt oder der jeweils anderen Seite mehr vorhanden. Stadtgebiete ohne Zugang hatte man einfach ausgeblendet und auf der eigenen Seite neue Zentren und Handelsplätze geschaffen, um jeweils bestehen zu können. Heute, 14 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs und dem Verschwinden der Green Line, hat die demographische Verschiebung Bestand. Bis heute kommen die unterschiedlichen Stadtgebiete Beiruts für sich aus, ohne dass es zu Überschneidungen mit anderen Stadtteilen kommen muss. Die unterschiedlichen Viertel, meist konfessionell geprägt, gruppieren sich so um den Innenstadtbereich. Der im Krieg entstandene Inselcharakter der Innenstadt bleibt, die Neuplanung untersützt ihn geradezu.
Der Wiederaufbau: frühe Pläne, private Unternehmen
Der zerrütteten Struktur der Gesellschaft sollte der erste Gedanke eines Wiederaufbaus gewidmet sein: Nach Ende des Konfliktes besteht vor allem die Notwendigkeit einer sozialen Normalisierung. Die ersten Schritte zum Wiederaufbau sind dennoch meist physischer Natur. In Beirut versuchte man, durch Aufräumarbeiten der Kriegsruinen die Lücken, die im Stadtbild entstanden waren, möglichst schnell, zumindest städtebaulich zu beseitigen. Erste Wiederaufbaupläne gab es bereits während des Bürgerkriegs – innerhalb längerer Friedensphasen 1977 und 1983 –, die allerdings bei Wiederaufnahme der Kämpfe aufgegeben werden mussten. Erst 1991, nach dem Friedensabkommen von Tai´if, wurde mit der Unterstützung des Multimilliardärs und späteren Ministerpräsidenten Hariri das damals größte Büro im Nahen Osten, Dar Al-Handasah, mit ersten Studien zum Wiederaufbau von Beirut beauftragt, dessen Ergebnisse man noch im gleichen Jahr der Öffentlichkeit präsentierte. Trotz der Kritik von Intellektuellen und zahlreichen Eigentümern in den betroffenen Stadtgebieten veränderte sich die Studie, die 1994 als endgültiger Masterplan vorgestellt wurde, kaum.
Realisiert wurden die Planungen vom so genannten Beirut Central District, kurz BCD, durch die Aktiengesellschaft Solidere, die sich mittlerweile von einer Wiederaufbau- zu einer Immobiliengesellschaft gewandelt hat und deren Hauptaktionär der ehemalige Ministerpräsident Hariri war. Neben Solidere war der staatliche Wiederaufbaurat (Council for Development and Reconstruction, CDR) die wichtigste Institution im Wiederaufbau. Das CDR entstand bereits 1977 nach nur zwei Jahren Bürgerkrieg und sollte als ausführendes Organ des Planungsministeriums den raschen Wiederaufbau auf allen Ebenen vereinfachen und sicherstellen.
Vor dem Beginn der Wiederaufbauarbeiten wurden die Eigentümer der Grundstücke innerhalb des BCD kurzerhand enteignet und mit Anteilen an der Firma Solidere entschädigt. Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage im Nachkriegslibanon verkauften die meisten entschädigten Alteigentümer oder Eigentümergemeinschaften ihre Anteile wieder: an Solidere. Flüchtlinge, die während des Krieges leer stehende Gebäude der Innenstadt besetzt hatten, erhielten je nach Verhandlungsgeschick unterschiedlich hohe Entschädigungszahlungen, und räumten so nach und nach ebenfalls das BCD frei. So wurde eine Privatgesellschaft mit dem Wiederaufbau der Innenstadt von Beirut beauftragt. Dies führte zu einer Art Privatisierung der Innenstadt – und zog zahlreiche Proteste nach sich, weil Teile der Bevölkerung sich mit den Wiederaufbauplänen für die Innenstadt nicht identifizieren konnten.
Die Wiederaufbaupläne umfassen ein 1,8 Millionen Quadratmeter großes Areal und konzentrieren sich ausschließlich auf die Innenstadt von Beirut. Die Zerstörung entlang der ehemaligen Demarkationslinie außerhalb des BCD oder einzelne punktuelle Zerstörungen in der restlichen Stadt werden von den Wiederaufbauplänen von Solidere nicht berücksichtigt. Solidere legte der gesamten Planung einen Masterplan zugrunde. Nicht zuletzt aus Prestigegründen wurden – und werden nach wie vor – für einzelne Projekte internationale Realisierungs- und Ideenwettbewerbe veranstaltet. Die Aufgabe von Solidere bestand dabei von Anfang in der Organisation und Neustrukturierung der gesamten Infrastruktur des Areals der Innenstadt. Gleichzeitig aber hatte Solidere die totale Entscheidungsgewalt darüber, was gebaut werden sollte oder was abgerissen werden konnte.
Neubeginn ohne Erinnerung?
Zunächst sollte eine futuristisch anmutende Innenstadt entstehen; der Abriss von etwa 80 Prozent der ursprünglichen Bebauung war vorgesehen. Im Jahre 1989 galten jedoch lediglich 47 Prozent der Wohnungen in Beirut als beschädigt und 15 Prozent als völlig zerstört, so eine Studie des Geographischen Instituts der Universität Heidelberg. Beseitigt wurden Gebäude, die als nicht wiederherstellbar galten oder der Neuplanung im Wege standen. Schwerpunkte der Planungen waren die Rekonstruktion des französischen Viertels der Mandatszeit, die Aufschüttung einer 608.000 Quadratmeter großen, aus Kriegstrümmern bestehenden Insel, auf der ein Finanzdistrikt entstehen sollte, die Wiederherstellung administrativer Strukturen und öffentlicher Gebäude sowie Bürobauten und Wohnungen, öffentliche Plätze, Parks, Hotels und Freizeiteinrichtungen. Man orientierte sich an internationalen Vorbildern von Bauten, Straßen oder Monumenten.
Gebremst von einer Wirtschaftskrise, der Abwahl Hariris, ausbleibenden Investitionen, Protesten zahlreicher Alteigentümer und Intellektueller sowie einigen archäologischen Funden, entwickelte sich der tatsächliche Wiederaufbau in Beirut nur zögerlich. Wegen des großen öffentlichen Drucks sind einige wertvolle Gebäude, darunter sakrale Bauten, der Abrissbirne entgangen und geschickt in die Neuplanung integriert worden. Sie bilden heute das Hauptfundament der Einbeziehung der Geschichte in den Wiederaufbau.
Trotz der Kritik libanesischer Intellektueller gegen die Planung von Solidere ist die Akzeptanz in der Beiruter Bevölkerung relativ hoch, vor allem bei der jungen Bevölkerung. Denn der Wiederaufbau Beiruts steht symbolisch für den Neubeginn, für das Ende der ethnischen Auseinandersetzungen und für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Ein futuristisches, prosperierendes Beirut würde das Interesse der westlichen Welt zweifellos auf sich ziehen. Durch das Tabula-rasa-Prinzip versuchen die Planer von Solidere möglichst schnell an den Zustand im Vorkriegs-Beirut anzuknüpfen. Auch erhofft man sich einen positiven wirtschaftlichen Effekt durch den Wiederaufbau.
Doch zeigt sich darin auch das Bestreben, die Kriegsjahre zu tilgen und historisch auszublenden. Solidere bestimmt zugleich, welche Vergangenheitsmerkmale der Innenstadt in die Erinnerung aufgenommen und welche aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen werden. Es ist nachvollziehbar, den Wiederaufbau einer durch Bürgerkrieg zerstörten Stadt als Prozess der Reinigung für die traumatisierte Bevölkerung zu verstehen. Aber ohne die Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit ist wenig innerer Wiederaufbau innerhalb der Gesellschaft zu erwarten.
Natürlich ist der Wiederaufbau von Solidere gegen den fortbestehenden Nah-Ost-Konflikt nicht gefeit. Dies gilt auch für die Planungen Intellektueller, Architekten und Künstler. Diese versuchen aber zumindest punktuell, Probleme und Themen der jüngeren Vergangenheit aufzugreifen und zu verarbeiten, um dem inneren Wiederaufbau der Gesellschaft zu dienen. Nach dem Autobombenanschlag auf Hariri am 14. Februar 2005 wird erneut deutlich, wie abhängig der Wiederaufbau Beiruts vom Nah-Ost-Friedensprozess ist, und von der Beilegung der Konflikte zwischen den verschiedenen konfessionellen Gruppen. Seine Ermordung zeigt, wie labil der libanesische Konsens sein kann.