I. Staatsbildung im Spätmittelalter
1. Mittelalterliche Herrschaft
Der moderne Staat ist aus einer geschichtlichen Entwicklung hervorgegangen, die sowohl Unterordnung unter adelige Herrschaft als auch Elemente der Partizipation von Herrschafts- unterworfenen erkennen lässt. Das Gerichtswesen als unverzichtbare Form innergesellschaftlicher Befriedung ist während des ganzen Mittelalters von der Unterscheidung gerichtsherrlicher Zwangsgewalt und genossenschaftlicher Urteilsfindung geprägt. Erstere lag in den Händen eines adeligen oder patrizischen Richters, letztere war Schöffen und der Gerichtsversammlung anvertraut. Auch das Königtum begriff man als Richteramt. Herrschaftliche Organisationsformen bestimmten dagegen die Nahrungsmittelproduktion in den adeligen und geistlichen Grundherrschaften. Die Ständeordnung galt als gottgegeben und das "Heilige Römische Reich" als das letzte vor dem Ende der Zeiten.
2. Die Unterscheidung weltlicher und geistlicher Herrschaft
Im Rahmen eines Weltbildes, das von einer unmittelbaren Wechselwirkung zwischen dem Verhalten der Menschen einerseits und Gottes Ratschluss über Krieg, Frieden und Naturereignisse andererseits ausging, musste der Religion und damit der Kirche eine überragende Bedeutung zukommen. Daraus entstand eine Einheit von weltlicher und geistlicher Herrschaftsgewalt, die in vielen Hochkulturen bis in die Gegenwart hinein erhalten blieb. Charakteristisch für die Geschichte der dem westlichen Christentum anhängenden Staaten ist indessen die sich seit dem Ende des Investiturstreits zwischen Kaiser und Papst über die Besetzung der Kirchenämter im 12. Jahrhundert vollziehende Trennung der beiden Herrschaftssphären – ein langwieriger Prozess, der aber letztlich zur Säkularisierung des Staates führte.
3. Jurisprudenz und frühe Staatlichkeit
Die Entstehung der europäischen Staaten im Spätmittelalter begleitete eine Rationalisierung der Rechtsordnung, die auf der Rezeption des römischen Rechts seit dem 12. Jahrhundert beruhte und zunächst die Kirche, dann auch das weltliche Herrschaftswesen beeinflusste. Ein einfaches obrigkeitliches Ämterwesen entstand, erste Gesetze wurden erlassen. Zugleich aber traten Adel, Klerus und Städte dem Fürsten als Landstände gegenüber, die das Land vertraten und Einfluss auf das Steuerwesen nahmen.
II. Fehdeverbot und Rechtsschutz seit dem 16. Jahrhundert
1. Der Ewige Landfrieden und das Reichskammergericht
Die Transformation der Rechtsordnung unter Mitwirkung der seit den deutschen Universitätsgründungen - beginnend um 1400 - rasch zahlreicher werdenden Juristen zog einen Wandel der königlichen Gerichtsbarkeit nach sich: Nicht mehr die Fürsten urteilten gemeinsam mit dem König über ihresgleichen, sondern gelehrte Juristen, also nicht standesgleiche Personen. Das akzeptierten die Landesherren nicht. Zahlreiche gewalttätige Selbsthilfeaktionen waren die Folge. Diese Fehden, die das Königtum seit dem 12. Jahrhundert zurückzudrängen versucht hatte, erzwangen Verhandlungen über eine Reichsreform, die unter König Maximilian I. im Jahre 1495 erste Ergebnisse zeitigten: Ein dauerhaftes Fehdeverbot sollte den Krieg im Inneren des Reiches beenden und ein neues, von den Fürsten besetztes Landfriedensgericht - das Reichskammergericht - auftretende Konflikte lösen. Trotz Anlaufschwierigkeiten setzte sich das Konzept durch.
2. Der Religionsfrieden von 1555 und 1648
Viele Fürsten folgten zwar den Reformationsbestrebungen Martin Luthers, hielten aber zugleich an der Einheit des Reiches fest. Nachdem der Versuch des Kaisers, die Einheit der Religion zu erzwingen, gescheitert war, einigten sich die Konfessionsparteien im Augsburger Religionsfrieden 1555 in allerdings auslegungsbedürftigen und daher konfliktträchtigen Regelungen auf einen Kompromiss: Die Landesherren bestimmten von nun an die Konfession ihrer Untertanen. Erst im Westfälischen Frieden fand dieser Ausgleich 1648 seine endgültige Form. Die Menschen mussten nun lernen, im mehrkonfessionellen Reich den Andersgläubigen zu respektieren.
3. Die Reichsverfassung als Friedensordnung
Das Alte Reich war kein Staat im modernen Sinne, sondern ein politischer Verband, der auf der Grundlage des gewohnheitsmäßig beobachteten Rechtsherkommens den Frieden im Inneren wahren und allen seinen Gliedern Schutz bieten sollte. Dazu dienten auch der Reichshofrat als kaiserliches Gericht und der in Regensburg ununterbrochen tagende Reichstag mit den Gesandten der Reichsterritorien und Reichsstädte.
III. Staatstheorie und Staat im 17. und 18. Jahrhundert
1. Der Souveränitätsbegriff und das Reichsstaatsrecht
Die konfessionellen Konflikte des 16. und frühen 17. Jahrhunderts haben ein weltliches, politik- und rechtswissenschaftliches Staatsdenken hervorgebracht. 1576 definiert der Franzose Jean Bodin die Staatsgewalt als Souveränität im Sinne einer keinen Höheren anerkennenden, höchsten weltlichen Gewalt über die Bürger, welche die Rechtsordnung gestaltet. Die danach entstehende Literatur des Reichsstaatsrechts hat die seit alters her bestehenden Verfassungsverhältnisse des Reiches und der Territorien in vielen Einzelheiten reflektiert und das Rechtsbewusstsein geschärft.
2. Die Konfessionalisierung des Staates
Doch seit dem 16. Jahrhundert ist auch die Verbindung des Staates mit einer einzigen Konfession eine fast überall in Europa zu beobachtende Erscheinung. Der Staat wacht über das diesseitige und jenseitige Wohl seiner Untertanen. Im Reich sind es die Fürstenstaaten unterschiedlicher Konfession, die das Wohlverhalten der Untertanen im Interesse des Gemeinwohls mit so genannten Polizeiordnungen durchzusetzen versuchen. "Gute Policey" hieß: Gute Politik für die weiterhin ständisch geordnete Gesellschaft.
3. Der Einfluss absolutistischen Denkens
Verstand sich der Herrscher zunächst noch als der Gott verantwortliche Landesvater, so rückte er mit der gleichzeitigen Säkularisierung des Staatsgedankens immer mehr in das Zentrum des Staates. Die Person des Monarchen und sein prunkvolles Schloss bildeten nun weithin sichtbare Symbole der Staatlichkeit. Ein solches Staatsoberhaupt vermochte auch neue Herrschaftsformen zu schaffen, die es noch heute gibt: ein stehendes Heer, ein differenziertes Behördenwesen, umfassende Gesetzeswerke.
IV. Wirkungen der Aufklärung
1. Das Naturrecht
Die Vorstellung eines vom Recht der Staaten unabhängigen, schon mit der Natur des Menschen verbundenen Rechts war seit alten Zeiten Gegenstand philosophischen Denkens. Seit der frühen Neuzeit gewinnt die Idee des Naturrechts in der Begegnung mit fremden Kulturen an Aktualität. Die Rechtsbeziehungen außerhalb der staatlichen Rechtsordnung mussten verstanden werden und auch das Verhältnis von Staat und Individuum bedurfte der Erklärung. Denn jetzt ist es die Vernunft, die Antworten geben soll - mit evidenten Einsichten in grundlegende Bedingungen menschlicher Existenz (Axiome) und daraus folgenden logischen Schlüssen (Deduktionen). Die Vernunft erkannte nun den Vertrag als Grundlage allen Rechts. Verträge gelten zwischen den Staaten, aber der Vertrag gilt auch als Begründung der Staatsgewalt, der das Herrschaftsrecht von den Bürgern übertragen worden ist.
2. Der aufgeklärte Staat
Vernünftig erschien es nun, den Fürsten als Staatsoberhaupt vom Staate selbst zu unterscheiden, in Hinblick auf das Gemeinwohl "vernünftige" politische Entscheidungen zu treffen sowie ein vollständiges und widerspruchsfreies Gesamtsystem der Rechtsordnung zu entwickeln. Recht und Politik sollten zur Wissenschaft werden. Nicht wenige deutsche Fürsten engagierten sich für diese Ziele, mit Justiz- und Verwaltungsreformen, mit umfassenden Kodifikationen des Rechts, mit einer toleranten Religionspolitik. Da die Fürsten die Umsetzung politischer Ziele als eine Sache des richtigen Vernunftgebrauchs betrachteten, benötigten sie dafür zwar kluge Beamte und Fachleute, nicht aber die Stimme des Volkes. Von dieser Betrachtungsweise aus führte noch keine Brücke zur Demokratie.
3. Menschenrechte
Der Schutz "wohlerworbener Rechte", vor allem des Eigentums, gehörte seit jeher zu den wichtigsten Elementen des europäischen Rechts. Seitdem sich das Rechtsdenken aber den Freiheitsrechten des Menschen im Naturzustand zugewandt hatte, stellte sich die Frage, ob solche ursprünglichen Menschenrechte unentziehbar auch im Staate fortdauerten. Endgültige Anerkennung fand dieses Prinzip allerdings erst unter dem Eindruck der "Bill of Rights" des Staates Virginia von 1776 und der "Erklärung der Menschen und Bürgerrechte" (Declaration des droits de l´homme et du citoyen) von 1791.
V. Der Konstitutionalismus des frühen 19. Jahrhunderts
1. Erste deutsche Verfassungsurkunden
Die Verfassungsidee als der zwischen Herrscher und Volk vereinbarte "Plan der Nation für ihr Streben nach Glück" ist schon im 18. Jahrhundert entstanden. Sie ist in Deutschland nach ersten Ansätzen in der napoleonischen Zeit erstmals 1818 in Bayern und Baden und 1819 in Württemberg verwirklicht worden, in Bayern und Baden allerdings noch als einseitig vom Monarchen erlassenes Gesetz. 1831 bis 1833 kommen Hessen-Kassel, Sachsen, Hannover und andere hinzu, nicht aber Preußen und Österreich. Kennzeichen eines Verfassungsgesetzes ist von nun an die Gewährleistung von Bürgerrechten einerseits, die Errichtung einer weiterhin "Stände" genannten Volksrepräsentation andererseits. Das Wahlrecht ist ungleich und auf steuerzahlende Personengruppen beschränkt. Den Begriff "Menschenrechte" meiden die Texte, weil er durch die Französische Revolution als belastet galt. Auch die Bürgerrechte sind noch nicht einklagbar. Der Monarch "vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt", nur beschränkt durch die Mitwirkung der Stände an der Gesetzgebung. Doch einseitig aufheben konnte er die Verfassung nicht mehr.
2. Staats- und Gesellschaftsreformen
Nicht weniger wichtig als der Beginn der Verfassungsgebung ist die Beseitigung der altständischen Strukturen: 1803 werden die geistlichen Staaten aufgehoben (Säkularisierung), 1806 verlieren mit dem Ende des Alten Reiches zahllose Adelsfamilien ihre politischen Herrschaftsrechte zugunsten der jetzt allein herrschaftsberechtigten fürstlichen Häuser (Mediatisierung), fast alle deutschen Staaten schaffen sich eine moderne Verwaltungsorganisation. Die - durchaus zwiespältig wirkende - Bauernbefreiung verwandelt den Boden in freies Privateigentum, die Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen 1810 wird zum Vorbild der zukünftigen Wirtschaftspolitik in Deutschland.
3. Der Deutsche Bund
Da die deutschen Staaten 1806 die volle Souveränität erlangt hatten, waren sie nach dem Ende Napoleons nicht bereit, sich einem deutschen Bundesstaat unterzuordnen. Der 1815 gegründete Deutsche Bund ähnelte dem Alten Reich, sah seine Aufgabe aber nur in der "Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands" und in der Bewahrung der deutschen Staaten. Das genügte vielen Menschen nicht. Man begann, sich in patriotischen Vereinen zu organisieren. 1832 versammeln sich auf dem Hambacher Fest Tausende unter den Parolen "Vaterland" und "Freiheit". Die Unterdrückung aller derartiger Bestrebungen war aber das wichtigste Ziel des Deutschen Bundes.
Literatur
Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des älteren deutschen Reiches 1806, 3. Aufl. 1994; Bd. 2: Von 1806 bis zur Gegenwart, 2. Aufl. 1993
Heinz Duchardt, Deutsche Verfassungsgeschichte 1495 - 1806, 1991
Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl, Georg-Christoph von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, 1983
Rolf Sprandel, Verfassung und Gesellschaft im Mittelalter, 5. Aufl. 1994
Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte: Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 5. Aufl. 2004