Im Parlamentarischen Rat
Im Sommer 1948 wird Walter Strauß vom Hessischen Landtag in den Parlamentarischen Rat gewählt. Er ist Mitglied des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung und des Ausschusses Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege. Auch im Ausschuss für das Besatzungsstatut und zeitweise im Allgemeinen Redaktionsausschuss ist er Mitglied.
Als stellvertretendes Mitglied ergreift er zudem im Hauptausschuss häufig das Wort. Er hält zahlreiche Kontakte zu den Länderverwaltungen und zu den Besatzungsmächten. Er gilt als Hauptansprechpartner der Beamtenorganisationen sowie der Anwalt- und der Richterschaft. Sein Detailwissen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte findet im Rat allgemeine Beachtung. Strauß spricht sich im Hinblick auf die fortdauernde Besatzungsherrschaft für ein vorläufiges Grundgesetz aus. Inhaltlich stehen Fragen der Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern sowie des Berufsbeamtentums und der Gerichtsbarkeit im Vordergrund seines Interesses.
Hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen tritt er vergeblich für eine Beschränkung auf zwei Formen ein: die ausschließliche und die Vorranggesetzgebung. Erfolg hat er mit seiner Forderung, die Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheber- und des Verlagsrechts in den Katalog der ausschließlichen Zuständigkeit des Bunds aufzunehmen. Das Berufsbeamtentum will er garantiert wissen. An der Spitze der Dritten Gewalt soll ein Oberstes Bundesgericht stehen, daneben ein eigenständiges Verfassungsgericht. Gerne hätte er auch dem ordoliberalen Wirtschaftsmodell eine feste verfassungsmäßige Stütze gegeben.
Biografie
Geboren am 15. Juni 1900 in Berlin, gestorben am 1. Januar 1976 in Baldham bei München, israelitischen Bekenntnisses, tritt nach 1933 zum evangelischen Glauben über.
Der Vater ist Leiter der Inneren Abteilung des Jüdischen Krankenhauses Berlin und Professor an der Charité. Obwohl beide Eltern der israelitischen Glaubensgemeinschaft angehören, wird Walter Strauß nach dem Willen der Mutter christlich erzogen. Studium der Rechtswissenschaft, der Geschichte und der Volkswirtschaft. 1923 Erstes Juristisches Staatsexamen in Berlin. 1924 Promotion in Heidelberg. Seit 1924 während der Referendarzeit zugleich wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bei der Industrie- und Handelskammer in Berlin. 1927 Assessorexamen in Berlin. Ab 1928 im Reichswirtschaftsministerium tätig.
Im Frühjahr 1933 beurlaubt, Ende 1934 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in den Ruhestand versetzt. Nach 1933 unterschiedliche Tätigkeiten, u.a. für kirchliche Einrichtungen. In engem Kontakt zu Kreisen der Bekennenden Kirche mit Dietrich Bonhoeffer, Heinrich Grüber, Marga Meusel. Er organisiert u.a. die Auswanderung von Christen "nichtarischer" Herkunft, für die sich jüdische Organisationen als unzuständig erklären. Muss 1938 zeitweise untertauchen. 1943-1945 Rüstungsarbeiter.
1945-1946 Verwaltungsdirektor in Berlin im Lazarett- und Krankenhauswesen. Sommer 1945 Mitgründer der CDU in Berlin. 1946-1947 Staatssekretär im hessischen Staatsministerium und hessischer "Sonderbeauftragter" im Direktorium des Stuttgarter Länderrats der US-Zone. Oktober 1947 Wechsel zur Bizonen-Verwaltung (Frankfurt), Stellvertretender Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, 1948-1949 Leiter des Rechtsamts des Vereinigten Wirtschaftsgebiets. Während der Tätigkeit in Stuttgart und in Frankfurt u.a. mit Fragen einer künftigen deutschen Verfassung befasst. Steht innerparteilich den gesamtdeutschen Vorstellungen Jakob Kaisers (CDU) näher, als denen Konrad Adenauers (CDU) in ihrer betonten Westorientierung. 1949-1963 (mit kurzer Unterbrechung) Staatssekretär im Bundesjustizministerium. 1963-1970 Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg.
Nachlass: Institut für Zeitgeschichte, München.