Im Parlamentarischen Rat
Im Sommer 1948 wird Thomas Dehler vom Bayerischen Landtag in den Parlamentarischen Rat gewählt, wo er als Mitglied dem Ältestenrat, dem Hauptausschuss, dem Ausschuss für Organisation des Bunds sowie Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege und nach dessen Teilung dem Ausschuss für die Organisation des Bundes angehört. Dehler arbeitet im Allgemeinen Redaktionsausschuss, dem Fünferausschuss und dem Siebenerausschuss mit. Verfassungspolitisch verfolgt er ein auf konsequente Gewaltenteilung angelegtes rechtsstaatliches Programm. Das Präsidialsystem zieht er dem parlamentarischen Regierungssystem vor. Sofern dieses nicht durchsetzbar ist, soll wenigstens die Stellung des Bundeskanzlers gestärkt werden (Regierung auf Zeit). Entsprechend versteht er die Justiz als betontes Gegengewicht zu den anderen staatlichen Gewalten.
Mit Distanz begegnet er allen extremen föderalistischen Tendenzen. Dem Bundesrat aus Vertretern der Landesregierungen zieht er einen durch die Landtage zu bestellenden Senat vor. Als Kompromiss sieht er eine Verbindung beider Formen an, wie es dem 1848/49 von der Paulskirchenversammlung vorgesehenen Staatenhausmodell entsprochen hätte. Neben der Betonung von Gewaltenteilung auf der staatlichen Ebene tritt er für eine klare Trennung von Staat und Gesellschaft ein, was eine Sonderstellung für Kirchen, Gewerkschaften oder sonstige Interessenorganisationen ausschließt.
Biografie
Geboren am 14. Dezember 1897 in Lichtenfels (Franken), gestorben am 21. Juli 1967 in Streitberg (Oberfranken), römisch-katholisch.
Thomas Dehler stammt aus einer alteingesessenen, mittelständischen fränkischen Familie. Nach dem Notabitur 1916 Kriegsfreiwilliger, vorwiegend im Sanitätsdienst. 1918 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in München, Freiburg im Breisgau und Würzburg. 1920 Erstes Juristisches Staatsexamen und Promotion in Würzburg. 1923 Assessorexamen. 1924-1945 Rechtsanwalt, zunächst in München, ab 1926 in Bamberg. 1920-1933 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP, ab 1930 Deutsche Staatspartei). 1926-1933 Vorsitzender der DDP in Bamberg. 1926 Aufnahme in eine Freimaurerloge.
Nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" lebt Dehler eher zurückgezogen, er hat Kontakt zu bürgerlichen Widerstandskreisen (Robinsohn-Strassmann-Gruppe, Berlin). 1938 und 1944 vorübergehende Verhaftung.
1945 zunächst Landrat in Bamberg, dann bis 1947 Generalstaatsanwalt für Oberfranken und Generalankläger am Kassationshof beim bayerischen Sonderminister für politische Justiz. 1947-1949 Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg. Gründungsmitglied der FDP in Bayern, 1946-1956 Landesvorsitzender. Vorstandsmitglied der Demokratischen Volkspartei der US-Zone. 1946/47 maßgeblich an der Gründung der Demokratischen Partei Deutschlands als kurzfristigem Zusammenschluss der liberalen Parteien aller vier Zonen beteiligt. 1946 Mitglied der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung. 1946-1949 Mitglied des Bayerischen Landtags. 1949-1967 Mitglied des Deutschen Bundestags. 1949-1953 Bundesminister der Justiz. 1953-1957 Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. 1954-1957 FDP-Bundesvorsitzender.
In Fragen der Innen- und Außenpolitik wachsende Meinungsunterschiede zwischen ihm und Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) (Saarfrage, Deutschlandpolitik, Verteidigungs- und Bündnispolitik, Wahlrecht). 1957 legt er den Partei- und den Fraktionsvorsitz nieder. 1960-1967 Vizepräsident des Deutschen Bundestags.
Nachlass: Archiv des Liberalismus, Gummersbach.