Seit im Nachkriegsdeutschland politische Parteien wieder zugelassen waren, stießen auch parteipolitische und ideologische Gegensätze aufeinander. In den Landtagen der Westzone waren parlamentarische Demokratie und parteipolitische Auseinandersetzung längst wieder eingeübt, als im September 1948 im Parlamentarischen Rat die Arbeit am Grundgesetz begann. So spielten die parteipolitischen Gegensätze auch während der Ausarbeitung des Grundgesetzes eine wesentliche Rolle.
Unstrittige Inhalte
Dennoch waren sich die Vertreter der demokratischen Parteien in vielen grundlegenden Fragen schnell einig – vor allem in der Absicht, einen demokratischen Staat in einem geeinten Europa zu errichten. Auch der Grundrechtsartikel mit der Abschaffung der Todesstrafe wurde ohne Diskussion in den Grundgesetzentwurf aufgenommen.
Unstrittig war auch die Errichtung eines starken, unmittelbar vom Volk gewählten Parlaments. Schon der Herrenchiemseer Konvent war davon ausgegangen, dass ein "echtes Parlament" zu schaffen sei, welches unmittelbar vom deutschen Volk und nicht von den Landtagen gewählt werden solle. Dieses Parlament sollte den Hauptanteil an der Gesetzgebung erhalten, die Regierung sollte von ihm abhängig sein und schließlich sollte das Parlament bei der Wahl des Bundespräsidenten mitwirken.
Ebenfalls über die Parteigrenzen hinweg bestand Einigkeit in der Ablehnung von Plebisziten. Dass man auf die Möglichkeit von Plebisziten und Referenden prinzipiell verzichten wollte, war vor allem dem Missbrauch von Volksabstimmungen während der nationalsozialistischen Zeit geschuldet.
Gleichberechtigung
Aber schon bei der Suche nach einer juristisch unanfechtbaren Formulierung des Grundsatzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde heftig gestritten. Die Diskussionsbeiträge im Ausschuss für Grundsatzfragen waren noch stark um eine juristisch unanfechtbare und allgemeingültige Formulierung bemüht. Elisabeth Selbert (SPD), die sich im Januar 1949 im Hauptausschuss mit der Formulierung des Gleichheitsgrundsatzes befasste, brachte durch ihren Einsatz das Thema in die Breite Öffentlichkeit. Sie schlug die Formulierung vor: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", statt der Formulierung "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich". Erst nach einer von ihr mitinitiierten Öffentlichkeitskampagne der Frauenorganisationen übernahm der Hauptausschuss Mitte Januar 1949 ihren Vorschlag. Helene Weber (CDU) stellte in der Aussprache zur dritten Lesung des Grundgesetzentwurfes und seiner Verabschiedung am 8. Mai 1949 fest, "dass die Gleichberechtigung der Frau im Grundsatz eigentlich kein Streitpunkt" war. Allenfalls sei es um die Suche nach einer angemessenen und juristisch unangreifbaren Formulierung gegangen. Ziel war es, den Gleichheitsgrundsatz so zu fassen, dass er auch Auswirkungen auf das bürgerliche Recht und insbesondere das Familienrecht und Arbeitsrecht haben würde.
Es gab während der Beratungen in den Ausschüssen - wie auch später im Hauptausschuss und schließlich im Plenum – weitere erhebliche Schwierigkeiten, die zum Teil konträren Meinungen von CDU/CSU und SPD zusammenzubringen. So mussten für die hier nachfolgend genannten Politikfelder parallel zur Ausschussarbeit wiederholt interfraktionelle Gesprächskreise eingesetzt werden, in denen zumeist von den Fraktionsführern und besonders sachkundigen Abgeordneten mehrheitsfähige Kompromisse ausgearbeitet wurden.
Senats- oder Bundesratsprinzip?
War die Schaffung des Bundestages noch unproblematisch, so war die Frage nach Macht und Einfluss der Zweiten Kammer oder Länderkammer - dem heutigen Bundesrat - bis ins Frühjahr 1949 umstritten. Die SPD hatte das Senatsprinzip entwickelt, wonach die Wahl der Mitglieder der Länderkammer durch die einzelnen Landtage erfolgen sollte. Aber auch das Bundesratsprinzip lehnte die SPD nicht grundsätzlich ab. Dafür sprachen sich auch CDU, Zentrumspartei und Deutsche Partei aus, da es ihrer Ansicht nach eher dem föderalen Grundprinzip in Deutschland entsprach.
Nach dem Bundesratsprinzip setzt sich die Länderkammer aus Mitgliedern der einzelnen Länderregierungen zusammen. Ein Vorschlag Konrad Adenauers vom 10. November 1948, die Länderkammer als eine Mischform von Bundsrat und Senat zu gestalten, stieß auf weite Ablehnung.
Besonders Abgeordnete der CSU, wie Josef Schwalber (links) und Felix Walter, setzten sich für einen starken Bundesrat und weitreichende Rechte der Länder ein. (© Haus der Geschichte / Bestand Erna Wagner-Hehmke)
Besonders Abgeordnete der CSU, wie Josef Schwalber (links) und Felix Walter, setzten sich für einen starken Bundesrat und weitreichende Rechte der Länder ein. (© Haus der Geschichte / Bestand Erna Wagner-Hehmke)
Die Frage nach der Ausgestaltung der Länderkammer war das umstrittenste Problem während der Bonner Beratungen und führte zu teilweise recht dramatischen Auseinandersetzungen. Am Ende konnte man sich aber doch auf das reine Bundesratsprinzip einigen.
Allerdings konnte für den Bundesrat nicht die volle Gleichberechtigung mit dem Bundestag erreicht werden, wie es die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion angestrebt hatten. Auch der in der dritten Lesung des Hauptausschusses erzielte Kompromiss, wenigstens für die wichtigsten Gesetzesvorlagen, die auch Bundesinteressen berühren, eine ausdrückliche Zustimmung des Bundesrats zu verlangen, ließ sich im Verlauf der letzten Beratungen nicht halten.
Finanzverwaltung
Bei der Frage der Finanzverwaltung - also der Frage danach, wer welche Steuern einzieht und verwaltet - wurden drei Konzepte diskutiert:
bundeseigene Verwaltung / Bundesfinanzverwaltung
landeseigene Verwaltung / Landesfinanzverwaltung
Finanzverwaltung, die nach Weisung des Bundes von einer Landesverwaltung zu führen sei / Auftragsverwaltung
SPD, FDP und Zentrum traten für eine Bundesfinanzverwaltung ein, während die DP eine Landesfinanzverwaltung forderte. Für eine Bundesfinanzverwaltung sprachen vor allem die stark unterschiedlichen Steuereinnahmen in den einzelnen Ländern. Die Mehrheit der CDU war daher auch "im Herzen" für eine Bundesverwaltung, stimmte aber aus Gründen der Fraktionsdisziplin mit den Abgeordneten der bayerischen CSU für eine Landesverwaltung.
Die Finanzverwaltung stellte für die westalliierten Militärgouverneure, die das Grundgesetz genehmigen mussten, einen neuralgischen Punkt dar. Von Anfang an befürchteten die Westalliierten eine zu starke zentralistische Finanzverwaltung und sahen dadurch die Eigenständigkeit der Länder gefährdet. So wurde die Entscheidung über die Steuerhoheit schließlich Gegenstand der Beratungen zwischen den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates und den Westalliierten. Am Ende einigte man sich auf eine Misch-Finanzverwaltung von Bund und Ländern sowie einen Finanzausgleich zwischen den Ländern und einen Bundeszuschuss.
Präambel
"Die Präambel muss eine gewisse Magie des Wortes besitzen", so Theodor Heuss (FDP). (© Haus der Geschichte / Bestand Erna Wagner-Hehmke)
"Die Präambel muss eine gewisse Magie des Wortes besitzen", so Theodor Heuss (FDP). (© Haus der Geschichte / Bestand Erna Wagner-Hehmke)
Erste Präambelentwürfe des Parlamentarischen Rates waren sehr umständlich formuliert und konnten sich im Parlamentarischen Rat nicht durchsetzen. Sprachlich eleganteren Entwürfen wurde auf Drängen der CDU/CSU-Fraktion und der Zentrumsfraktion im November 1948 die so genannte "Anrufung Gottes" (Invocatio) hinzugefügt: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen [...]". Es blieben nach zahlreichen Änderungen in der Präambel die Erklärung zur gleichberechtigten Mitarbeit in einem vereinten Europa und die Aufforderung an das gesamte deutsche Volk, "in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Ein letztes Mal stellte die SPD am 28. April 1949 die Anrufung Gottes zur Diskussion: In einem gekürzten Entwurf hatten die Abgeordneten der SPD die "Invocatio" wieder herausgenommen. Doch der Abgeordnete Robert Lehr (CDU) machte in einer Erklärung deutlich, dass die CDU/CSU auf die "Invocatio" nicht verzichten werde. Der FDP-Abgeordnete Thomas Dehler vermittelte; er schlug die Präambelfassung mit "Invocatio" vor, wie wir sie bis heute kennen und die erstmals am 21. Februar 1949 in den Grundgesetzentwürfen auftauchte.
Kompetenzenkatalog
Hinsichtlich der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern war für den Bund die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit in folgenden Bereichen vorgeschlagen worden: Auswärtige Angelegenheiten, Staatsangehörigkeit, Auslieferung, Passwesen und Auswanderung, Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte, Zoll und Handel, Post- und Fernmeldewesen, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheber- und Verlagsrecht, Bundeseisenbahn und Luftverkehr sowie Bundesstatistik.
Auf eine Verankerung von Polizeikräften (Bundespolizei oder Bereitschaftspolizei) im Grundgesetz wurde angesichts der Erfahrungen mit der totalitären NS-Polizei zunächst verzichtet.
Vor dem Hintergrund der NS-Zeit war auch die Erstellung eines Katalogs der Vorranggesetzgebung problematisch. Darin wurden Bereiche aufgeführt, in denen Bundesrecht grundsätzlich Vorrang vor Landesrecht eingeräumt wird. Der Umfang des Katalogs der Vorranggesetzgebung hing jedoch davon ab, inwieweit die Länder an der Willensbildung in der Zweiten Kammer (dem späteren Bundesrat) beteiligt werden würden. Grundsätzlich wollten die Abgeordneten dem Bund weitgehenden Vorrang zubilligen, doch mussten im Gegenzug die Länder an der Entstehung von Bundesgesetzen und an deren Vollziehung umfassender beteiligt werden. Hier war im Laufe der gesamten Grundgesetzarbeit ein umsichtiges Austarieren des Kräfteverhältnisses von Bundestag und Bundesrat erforderlich.
In der Frage der Anwendung der Vorranggesetzgebung durch den Bund forderten schließlich auch die Alliierten in einem Memorandum vom 2. März 1949, dass die Länder die Gesetzgebung behalten, "außer wenn es offenbar für ein einziges Land unmöglich ist, wirksame Gesetze zu erlassen, oder wenn solche Gesetze, falls erlassen, den Rechten oder Interessen anderer Länder schädlich wären". Der Bund sollte das Recht erhalten, die nötigen und angemessenen Gesetze zu erlassen, wenn "die Interessen der verschiedenen Länder offenbar, unmittelbar und im ganzen berührt sind". Daraufhin wurde jener spätere Artikel 72 des Grundgesetzes geschaffen, in dem den Ländern die Befugnis zur Gesetzgebung zugewiesen wurde, "solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht".
Wahlrecht
Carl Schröter (CSU) setzte sich für das Mehrheitswahlrecht ein. (© Haus der Geschichte / Bestand Erna Wagner-Hehmke)
Carl Schröter (CSU) setzte sich für das Mehrheitswahlrecht ein. (© Haus der Geschichte / Bestand Erna Wagner-Hehmke)
Im Parlamentarischen Rat standen sich Vorstellungen über zwei unterschiedliche Wahlrechtsmodelle gegenüber: Das Verhältniswahlrecht und das Mehrheitswahlrecht. Beim Verhältniswahlrecht dominiert das Ziel, allen im Volk vorhandenen politischen Richtungen gemäß ihrem Stimmenanteil eine entsprechende Vertretung im Parlament zu ermöglichen. Während beim Mehrheitswahlrecht die zu wählenden Persönlichkeiten im Vordergrund stehen, kommen beim Verhältniswahlrecht Parteien, d.h. politische Richtungen und Weltanschauungen stärker zum tragen. Je größer die Wahlkreise sind, umso eher haben beim Verhältniswahlrecht Splitterparteien eine Chance, im Parlament vertreten zu sein. So spiegeln Verhältniswahlen die politischen Strömungen wieder, doch kann die Vielfalt der Parteien die Willensbildung in einem Gremium und damit auch eine Regierungsbildung erschweren, ja sogar unmöglich machen.
SPD, FDP, Zentrum und KPD sprachen sich für das Verhältniswahlrecht aus. CDU/CSU und DP votierten für das Mehrheitswahlrecht. Erst im Mai 1949 einigten sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rates auf ein personalisiertes Verhältniswahlrecht.
Elternrecht und Kirchenartikel
Das Elternrecht sollte nach Forderungen der CDU/CSU über das Recht des Staates auf die Erziehung und Ausbildung der Kinder gestellt werden. An das Elternrecht war insbesondere die freie Wahl der Schulform geknüpft, was wiederum zur Folge hatte, dass außer einer einheitlichen staatlichen Schulform auch Privatschulen, und damit auch so genannte Bekenntnisschulen in kirchlicher Trägerschaft, zugelassen werden mussten. So argumentierte die CDU/CSU: "Die Erziehung der Kinder ist das natürliche Recht und die oberste Pflicht der Eltern". Die SPD wollte auf einen Artikel zum Elternrecht verzichten und begünstigte eine Beschränkung auf die "klassischen Grundrechte". Ab Februar 1949 wurden die Elternrechte, die Schulfrage und die Frage, ob die staatlichen Schulen einen konfessionellen Religionsunterricht anbieten müssen (später Art. 6, 7, 140 und 141 Grundgesetz), unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit behandelt. Auf Theodor Heuss (FDP) geht der Vorschlag zurück, die damit verbundene staatsrechtliche Einbindung der Kirchen aus der Weimarer Verfassung zu übernehmen (Artikel 136 bis 139 und 141 der Reichsverfassung von 1919).