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Soziale Bewegungen in Guatemala | Lateinamerika | bpb.de

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Soziale Bewegungen in Guatemala

Eva Kalny

/ 7 Minuten zu lesen

Als im Dezember 1996 der Bürgerkrieg in Guatemala für beendet erklärt wurde, stand das Land vor einem Scherbenhaufen. Mehr als 200.000 Menschen waren ums Leben gekommen, ein Großteil der Bevölkerung ist bis heute traumatisiert. Und die Armut breitet sich aus. Umso dringender sind soziale Bewegungen gefragt.

Demonstrationen in Guatemala Stadt während des Besuchs von US-Präsident George W. Bush. (© AP)

In Guatemala leben derzeit auf rund 108.000 Quadratkilometern an die zwölf Millionen Menschen, die neben der Staatssprache Spanisch auch Xinca, Garifuna und 20 unterschiedliche Mayasprachen sprechen. Das Land verfügt über eine der ungerechtesten Landverteilungen der Welt und ist von extremen sozialen Disparitäten gekennzeichnet. Sowohl das Bildungs-, als auch Gesundheitswesen befinden sich in einer massiven Krise und sind weitgehend privatisiert. Nach Angaben der Weltbank leben 44,4 Prozent der Bevölkerung in chronischer Armut, weitere 20 Prozent sind von Armut gefährdet .

Der guatemaltekische Bürgerkrieg wird nach mehr als drei Jahrzehnten Ende Dezember 1996 offiziell beendet. In ihrem Wahrheitsbericht Guatemala. La Memoria del Silencio berichtet die UNO von mehr als 200.000 kriegsbedingten Morden und 648 Massakern, 626 davon durch staatliche militärische Kräfte. 83 Prozent der Opfer staatlichen Terrors waren Maya. Die meisten Massaker fanden im indigenen Hochland in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren statt.

Revolutionäre Bewegungen: Revolutionäre Bewegungen:

Guerilladachverband URNG (Unidad Revolucionaria Nacional de Guatemala) bestehend aus:

  • FAR: Fuerzas Armadas Rebeldes

  • PGT: Partido Guatemalteco del Trabajo

  • ORPA: Organización del Pueblo en Armas

  • EGP: Ejército Guerrillero de los Pobres

Eine der wesentlichsten sozialen Folgen des Krieges ist neben der Traumatisierung weiter Teile der Bevölkerung die Zerstörung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Zerschlagung gesellschaftlicher Strukturen. Die Zirkulation von geschätzten 1,5 Millionen großteils nicht registrierten Waffen, die jahrzehntelange Erfahrung von Straffreiheit für politische Gewalt und Massaker sowie ein marodes und korruptes Polizei- und Justizwesen schaffen ein allgemeines Klima der Unsicherheit, des Misstrauens und der Gewaltbereitschaft und machen kollektives Handeln schwierig.

Soziale Bewegungen

Soziale Bewegungen sind eine gemeinschaftliche Ausdrucksform von Unzufriedenheit und Protest und entstehen rund um spezifische soziale und politische Fragen. Sie sind in ihrer Organisation und in ihren Anliegen vom gesamtgesellschaftlichen Kontext geprägt und zielen darauf ab, diesen zu beeinflussen. Nichtregierungsorganisationen können, müssen aber nicht eine wesentliche Rolle in der Bildung und dem Fortbestehen sozialer Bewegungen spielen.

Die Zeit vor den Massakern

Die weltweite Industrialisierung der Landwirtschaft und insbesondere der Einsatz von Kunstdünger bewirkten auch im Hochland eine verstärkte Stratifizierung der Gesellschaft und die Bildung einer indigenen Bourgeoisie. Die internationale Erdölkrise 1973 wiederum führte zu steigender Inflation und fast zur Verzehnfachung des Preises der propagierten Düngemittel. Teile der indigenen Bevölkerung verarmten rapide und sahen sich gezwungen, ihr Land an Mitglieder der indianischen Bourgeoisie zu verkaufen; dies führte zu vermehrten Spannungen in den Gemeinden.

Organisationen:Organisationen:

Weite Kreise der katholischen Kirche und die Katholische Aktion änderten daraufhin ihren ursprünglich konservativen Standpunkt und traten für soziale Veränderungen zugunsten der verarmten ländlichen Bevölkerung ein. Sie ermöglichten erstmals zahlreichen indigenen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu formaler Bildung. Dies führte im Anschluss zu vermehrtem Erfahrungsaustausch zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Sprachgruppen und zur Entstehung einer Schicht junger, gebildeter und politisierter Mayas. Auch gewerkschaftliche Bewegungen formierten sich in Guatemala Stadt und in den Plantagengebieten im Süden des Landes in größerem Ausmaß. Parallel dazu, und dem Klima des Kalten Krieges entsprechend, verstärkten bewaffnete oppositionelle Gruppen ihre Aktivitäten.

In diese Zeit zunehmender gesellschaftlicher Organisierung und Politisierung fiel das verheerende Erdbeben im Februar 1976, das an die 27.000 Tote und 70.000 Verwundete verursachte, und von dessen Zerstörungen beinahe eine Million bereits verarmter Menschen des Hochlandes und der Hauptstadt betroffen waren. Die neu entstandene Schicht aus jungen, gebildeten Mayas beobachtete aus nächster Nähe, wie guatemaltekische Staatsorgane die aus dem Ausland eintreffenden Hilfsgüter unterschlugen, während Hunderttausende Betroffene keine oder nur unzureichende Unterstützung erhielten. Diese Erfahrung radikalisierte Teile der Bevölkerung, während gleichzeitig die staatliche Repression gegen Aktivisten religiöser und anderer Kooperativen und Organisationen anwuchst und Entführungen und Ermordungen durch paramilitärische Gruppen und durch das Militär im Hochland zunahmen.

Organisationen im Widerstand zur Massakerpolitik

Parallel zur zunehmenden Verfolgung und steigenden Gewalt bildeten sich mehrere Menschenrechtsorganisationen. Als erste und größte auch indigen geprägte Vereinigung trat die Bauernorganisation Komitee der bäuerlichen Einheit CUC im April 1978 an die Öffentlichkeit. Auf CUC folgte die Nationale Kommission der Menschenrechte CDHG, die nach der Ermordung ihrer Gründerin im Oktober 1980 ins mexikanische Exil ging. Noch während der Militärdiktatur entstand 1984 die Frauen- und Menschenrechtsorganisation Gruppe zur gegenseitigen Unterstützung GAM, eine Vereinigung von Witwen und Waisen, die die Rückkehr entführter Angehöriger forderte. In den nun kommenden Jahren der zivilen Regierungen folgte die Gründung mehrerer Organisationen, die sich jeweils bestimmter menschenrechtlicher Anliegen annahmen: die Koordination der Witwen Guatemalas CONAVIGUA, der Ethnische Rat "Wir sind alle gleich" CERJ, der Rat der Vertriebenen Guatemalas CONDEG oder das Komitee für Gerechtigkeit und Frieden in Guatemala JyP (Comité Pro Justicia y Paz de Guatemala). Insbesondere CUC, GAM und CONAVIGUA gelang es, tausende Mitglieder zu registrieren und mit umfangreichen Demonstrationen an die Öffentlichkeit zu treten.

Während diese im Menschenrechtsbereich arbeitenden Organisationen einerseits eine Bewegung der Betroffenen von Massakern und Regierungsgewalt repräsentierten und zu Beginn starken Zulauf verzeichnen konnten, wurden sie andererseits auch als Vorfeldorganisationen der Guerilla - und hier insbesondere des EGP - betrachtet. Das Verhältnis der Organisationen zueinander war häufig durch Spannungen und Konkurrenz gekennzeichnet, Organisationen, die unterschiedlichen Guerillabewegungen nahe standen, kooperierten in der Regel nicht.

Indigene Organisationen

Zahlreiche vor dem Krieg bestehende Initiativen in indigenen Gebieten wurden im Rahmen der Massaker- und Dorfvernichtungspolitik der Regierung ausgelöscht, indigene Aktivisten wurden ermordet oder mussten flüchten. Gerade in den überwiegend von Mayas bewohnten Regionen des Landes entstanden komplexe Beziehungen zu den Guerillabewegungen. Während die mestizisch geleiteten Guerillagruppen die indigene Bevölkerung als konservativ einschätzten, verdächtigte die Regierung Indigene generell des Kommunismus und der Guerilla-Unterstützung.

Erst nach Ende der Massakerpolitik im Hochland kam es zu einer neuen Formierung indigener Initiativen und Organisationen, teilweise im Rahmen der bereits erwähnten Menschenrechtsorganisationen. So wurde CONAVIGUA wiederholt als indigene Abspaltung von GAM bezeichnet, und CERJ arbeitete explizit für die Rechte der indigenen Bevölkerung. Zahlreiche neue Initiativen entstanden insbesondere im Bildungsbereich. Im Kontext des 500. Jahrestages der Ankunft von Christobal Kolumbus in Amerika 1992 distanzierten sich zahlreiche indigene Organisationen öffentlich von der Guerilla und der mit ihr verbundenen Volksbewegungen und forderten spezifische indigene Rechte ein.

Die "indigene Bewegung" manifestiert sich aktuell vor allem durch einige gebildete, meist männliche "Anführer", deren Basis selten bis gar nicht in Erscheinung tritt. Die Anliegen dieser Aktivisten, die sich gerne als "Vertreter" der indigenen Bevölkerung sehen, divergieren oft beträchtlich von den Bedürfnissen der verarmten ländlichen und marginalisierten städtischen indigenen Bevölkerung. Indigene Frauen konnten sich nur unter großen Schwierigkeiten in diesem Umfeld etablieren, ihre Partizipation wird auch aktuell durch das oft sexistische Verhalten der Führungsschicht erschwert. Die strukturellen Probleme indigener Organisationen wurden unter anderem im September 2007 an Hand des extrem schlechten Wahlergebnisses der ersten indigenen Präsidentschaftskandidatin und Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum sichtbar.

Globalisierungskritische Aktionen

Die Regierung Guatemalas beteiligt sich am neoliberalen Wirtschaftsplan Plan Puebla Panama und ratifizierte im März 2005 das zentralamerikanische Freihandelsabkommen DR-CAFTA. Die umfassendsten Proteste gegen diese Wirtschaftsinitiativen fanden und finden in der nördlichen Tieflandprovinz Petén statt. Zu ihnen gehören vor allem Demonstrationen gegen Staudammprojekte am Grenzfluss Usumacinta und gegen das Freihandelsabkommen, darüber hinaus geht es in Seminaren und Workshops auch um die Vermittlung von Kenntnissen über diese Themen sowie gentechnisch verändertes Saatgut.

Bei dieser Art des Aktivismus ist die hierarchische Beziehung zwischen den in der Regel gebildeten in- und ausländischen Anführern und der "Basis" offensichtlich. Seit dem Kriegsende findet die Zersplitterung des Aktivismus vor allem entlang von parteipolitischen Linien statt, Kooperationen über diese Grenzen hinweg finden kaum statt. Der Großteil der Ressourcen verbleibt in den Strukturen der Nichtregierungsorganisationen, diese bestimmen in der Regel auch die Inhalte und die Form der Artikulation ihrer Mitglieder.

Schlussfolgerungen

Während gerade Zentralamerika oft romantische Vorstellungen von Volksbewegungen und Widerstand in Europa und den USA hervorgerufen hat, machen die massive Zersplitterung gesellschaftlicher Strukturen, die generelle Unsicherheit und die Traumatisierung durch den Bürgerkrieg kollektives Handeln schwierig. Die Kanalisierung der Unterstützung von Außen durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verleiht diesen Macht über lokale Gemeinden in "ihrem" Gebiet. Um ihr eigenes Fortbestehen nach Außen zu legitimieren, sind sie gezwungen, jeglichen lokalen Aktivismus aufzugreifen, zu monopolisieren und zu bestimmen. Ausländische Geldgeber und Aktivisten wiederum verfügen in der Regel nicht über detaillierte Kenntnisse lokaler Sprachen und Gegebenheiten, ihre Kommunikation findet vor allem mit Büroangestellten, nicht aber mit lokalen Bauern und Bäuerinnen oder Landlosen statt. Das Fehlen einer klaren Trennung zwischen NGOs und politischen Parteien - bei allgemeinem Misstrauen gegenüber politischen Parteien - ist eine der Gründe des schlechten Rufs von NGOs. Ihr Auftreten ist im lokalen Kontext Guatemalas der Entwicklung sozialer Bewegungen eher hinderlich als dienlich.

Neoliberale Wirtschaftsabkommen:Neoliberale Wirtschaftsabkommen:

  • Plan Puebla Panama (PPP)

  • Dominican Republic Central American Free Trade Agreement

Literatur

Arias, Arturo: Changing Indian identity: Guatemala's violent transition to modernity, in: Guatemalan Indians and the State: 1540 to 1988. C. A. Smith, ed. Pp. 230-257. Austin: University of Texas Press 1990.

Bastos, Santiago, and Manuela Camus: Entre el mecapal y el cielo. Desarrollo del movimiento maya en Guatemala. Guatemala: FLACSO, CHOLSAMAJ 2003.

Comisión para el Esclarecimiento Histórico, CEH: Guatemala. Memoria del Silencio. Guatemala: Oficina de Servicios para Proyectos de las Naciones Unidas (UNOPS) 1999.

Creelman, Matthew: Informacion adicional y aclaraciones en respuesta a los comentarios sobre el primer borrador del Estudio de Planificación para un Programa de ONGs Suizas de Apoyo a la Consolidación de la Paz en Guatemala 2002.

Davis, Shelton H.: Introduction: Sowing the seeds of violence. In Harvest of violence. The Maya Indians and the Guatemalan crisis. R. M. Carmack, ed. Pp. 3-36. Norman: University of Oklahoma Press 1988.

Diócesis del Quiché: El Quiché: el pueblo y su iglesia 1960-1980. Santa Cruz del Quiché: Diócesis del Quiché 1994.

Kühhas, Barbara: Die indigenen Frauen Guatemalas. Vom Bürgerkrieg zum Friedensprozess - der Kampf um politische Partizipation. Frankfurt am Main, Wien: Brandes & Apsel, Südwind 2000.

The World Bank: Poverty in Guatemala. Washington: The International Bank for Reconstruction and Development 2004.

Weitere Inhalte

Eva Kalny, geboren 1968 in Wien, ist Sozialanthropologin. Ihre Interessenschwerpunkte sind Menschenrechte und indigene Rechte in Guatemala. Sie hat an mehreren Forschungen und bei NGOs gearbeitet. Zur Zeit befasst sie sich mit einem Forschungsprojekt zu sozialen Bewegungen und unterrichtet an der Universität Wien.