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Strategische Partnerschaft mit Zukunft? Interview mit Klaas Dykmann über das europäische Verhältnis zu Lateinamerika

Klaas Dykmann Marcus Pawelczyk

/ 6 Minuten zu lesen

Seit 1999 üben die Europäische Union und Lateinamerika eine "strategische Partnerschaft" aus. Doch dieses Modell wird mittlerweile als erschöpft betrachtet, denn: Es fehlt an langfristigen Perspektiven. Nur eine behutsame Neuausrichtung könnte die Beziehungen wiederbeleben.

Im Interview spricht Klaas Dykmann über unterschiedliche Interessen von Europa und Lateinamerika, fehlende Gleichberechtigung und eine gewaltige Freihandelszone als Stein des Anstoßes.

Seit dem ersten Gipfel von Rio de Janeiro 1999 üben die Europäische Union und Lateinamerika eine so genannte "strategische Partnerschaft" aus. Wie ist es dazu gekommen?

Klaas Dykmann: Das erste Gipfeltreffen von 1999 ist als Reaktion auf verschiedene Bestrebungen Lateinamerikas zu verstehen, sich stärker in regionale Zusammenhänge zu integrieren. Bereits seit 1991 gibt es jährlich den iberoamerikanischen Gipfel der Staats- und Regierungschefs aus 22 spanisch- und portugiesischsprechenden Ländern. 1994 wurde zudem der "Summit of the Americas" eingerichtet, in dem die Staaten Nord-, Mittel- und Südamerikas sowie der Karibik zusammentreffen. Die Europäische Union hatte also ein großes Interesse daran, ihre Beziehungen zu intensivieren.

Welche Ziele werden mit dieser "strategischen Partnerschaft" konkret verfolgt?

Dykmann: Offiziell sollen politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen beiden Regionen vertieft werden. Nach meinem Ermessen wird das Ziel einer strategischen Partnerschaft zwar verfolgt, es gibt diese aber noch nicht. Von europäischer Seite werden oftmals eine Verbesserung der Handelsbeziehungen und eine Intensivierung des politischen Dialogs, aber auch der Entwicklungszusammenarbeit erwähnt. Aus lateinamerikanischer Sicht steht der Abschluss von Freihandelsabkommen im Vordergrund.

Sieht man von der Gruppe hoch entwickelter Industrieländer ab, unterhält die EU zu keiner anderen Weltregion vergleichbar enge Beziehungen wie zu den Staaten Lateinamerikas und der Karibik. Ist diese Region für Europa wirklich so wichtig?

Dykmann: Nein. Es werden zwar gebetsmühlenartig immer gleiche Wertvorstellungen, Stichwort Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat, bemüht, aber es wird Zeit, dass die Beziehungen jenseits der Rhetorik ausgebaut werden. Es sind eher ausgewählte Länder wie Brasilien, Mexiko und Chile von europäischem Interesse. Gemäß einer Studie der Europäischen Kommission wird das bisherige Modell als erschöpft betrachtet; die strategische Partnerschaft ist trotz des Enthusiasmus bisher nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis.

Woran liegt das?

Dykmann: Aus sicherheitspolitischer Sicht spielt Lateinamerika keine so wichtige Rolle wie beispielsweise der afrikanische Kontinent, der von Bürgerkriegen heimgesucht oder von Hungerkatastrophen geplagt wird. Und wirtschafts- und handelspolitisch gesehen scheint Lateinamerika für Europa bei weitem nicht so interessant wie etwa der asiatische Raum mit China und Indien. Das größte Problem der EU besteht eigentlich darin, dass sie auf neuere Entwicklungen in Lateinamerika zumeist nur reagiert, mit kurzfristigen Programmen, die auf höchstens fünf bis zehn Jahre ausgerichtet sind. Es fehlt aber an einer langfristigen Perspektive. In Lateinamerika gilt zudem die unzureichende regionale Integration als Hemmnis für eine stärkere Kooperation.

Welchen Nutzen könnten die lateinamerikanischen Staats- und Regierungschefs aus dieser Beziehung ziehen?

Dykmann: Zunächst geht es um eine Diversifizierung der Außenpolitik und der Handelsbeziehungen, aber auch um die Kontinuität in der Entwicklungszusammenarbeit. Eine Hauptmotivation für die Lateinamerikaner besteht bis heute darin, die politische und ökonomische Dominanz des nördlichen Nachbarn USA einzudämmen. Allerdings verblassen derzeit die wirtschaftlichen Anreize einer biregionalen Partnerschaft mit Europa etwas angesichts der enormen Rohstoffnachfrage aus Asien. Neben der Ausweitung der Außenbeziehungen könnten die Lateinamerikaner durch die Partnerschaft mit Europa aber auch international mehr Bedeutung als globaler Akteur erlangen.

Die Errichtung einer riesigen Freihandelszone, von der 450 Millionen Europäer und 550 Millionen Lateinamerikaner betroffen wären, stellt sich weiterhin als größter Streitpunkt dar. Wie schätzen Sie die Chancen für die erfolgreiche Umsetzung ein?

Dykmann: Ich bin da sehr skeptisch. Es handelt sich ohnehin bei diesem Szenario um eine "Second-best"-Lösung zu den Doha-Verhandlungen. Beim letzten Ministertreffen im April 2007 in Santo Domingo haben beide Seiten auf ihren Positionen beharrt. Die Lateinamerikaner möchten eine Antwort auf die Agrarfrage, und die Europäer streben auf die Industrie- und Dienstleistungsmärkte des Kontinents, vor allem in Brasilien. Beide Seiten werden sich also in diesen Fragen bewegen müssen, sonst treten sie weiterhin auf der Stelle. Aus einer globalen Sicht wäre jedoch ein Assoziationsabkommen, also ein um Entwicklungszusammenarbeit und politischen Dialog ergänztes Freihandelsabkommen, ein bedeutender Schritt nach vorne, da dies die Nord-Süd-Zusammenarbeit stärkte und die lateinamerikanische Integration als Erfolg für andere Weltregionen erscheinen ließe.

Würden Sie beide Partner als gleichberechtigt bezeichnen?

Dykmann: Nein. Es handelt sich hier immer noch um ein asymmetrisches Verhältnis. Lateinamerika hat zwar mit dem erdölreichen Venezuela und dem ökonomischen Schwergewicht Brasilien sicherlich an Bedeutung gewonnen. Aber wenn Sie zum Beispiel die Andengemeinschaft oder die mittelamerikanischen Staaten berücksichtigen, relativiert sich diese Stärke. Diese Asymmetrie ist mittlerweile von der EU auch forciert worden. Die Union führt fortgeschrittene Wirtschaftsbeziehungen und einen politischen Dialog mit den Mitgliedsstaaten des MERCOSUR. In Zentralamerika oder bei den Karibikstaaten beschränkt sich ihre Leistung dafür auf Entwicklungszusammenarbeit. Zudem hat die Europäische Union verschiedene Klauseln für die Freihandels- und Assoziationsabkommen entwickelt. Diese verstärkten die Wahrnehmung eines ungleichen Machtverhältnisses in Lateinamerika. Darunter fallen zum Beispiel die Einhaltung von Menschenrechten und Demokratie, gute Regierungsführung, der Kampf gegen Korruption oder Migrationsfragen. Diese Punkte werden von lateinamerikanischer Seite nicht selten als Diktat empfunden. Somit ist es verständlich, dass andere Partner, vor allem im asiatischen Raum, attraktiver erscheinen, da sie keine Konditionen aufstellen.

Auf dem jüngsten Gipfel 2006 in Wien fanden auch umweltpolitische Fragen großen Anklang. Wie ernsthaft verfolgen die EU und Lateinamerika beispielsweise das Thema der Nachhaltigen Entwicklung?

Dykmann: Die Stellungnahmen zu diesem Thema oder allgemein zum Umweltschutz erinnern ein wenig an diejenigen zum Internationalen Strafgerichtshof oder zu dem Kyoto-Protokoll. Viele Worte, wenig Konkretes. Man muss erstmal abwarten, welche Initiativen sich daraus ergeben. Und da besteht sicherlich noch viel Nachholbedarf.

Strebt die Bundesrepublik Deutschland nach eigenen Interessen in der Region?

Dykmann: Grundsätzlich unterscheiden sich die deutschen Interessen kaum von denjenigen der EU. Allerdings ist die Bindung zu Lateinamerika als Ganzes nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor Jahrzehnten. Die Beziehungen zu einzelnen Ländern wie Brasilien, mit Abstrichen auch Mexiko dagegen schon. Deutschland sieht sich zunehmend als Global Player mit Ambitionen auf eine weltpolitische Rolle und bevorzugt daher diese bilateralen Kooperationen. Schon während der deutschen Ratspräsidentschaft war die damalige Regierung Gerhard Schröders sehr stark an der Entwicklung der strategischen Partnerschaft mit Brasilien beteiligt. Hier zeigt sich der so genannte Ankerländeransatz der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik. Man setzt auf bestimmte Länder, die in der Region für eine gewisse Stabilität und Entwicklung sorgen.

Wäre es deshalb noch sinnvoll, den Subkontinent als Ganzes anzusprechen? Müsste die EU, die mit ihrer tieferen Integration bislang als Vorbild gegolten hat, deshalb ihre strategische Partnerschaft nicht neu ausrichten?

Dykmann: Diese Frage müsste sich die Europäische Union in der Tat stellen. Vielleicht wird sie in Brüssel sogar gedacht, nur nicht ausgesprochen, weil es eben diese verschiedenen Dialogformen und Abkommen bereits gibt. Und darauf möchte man aufbauen. Zumal es sehr schwierig wäre, dies alles auf einmal grundsätzlich zu verändern. Man sollte die unterschiedlichen strategischen Herangehensweisen bei einzelnen Ländern oder Subregionen nicht nur ausbauen, sondern in eine gemeinsame Strategie gießen, die auch eine langfristige Perspektive aufzeigt. Eine solche Strategie könnte auch die Integration in Lateinamerika anregen. Ich glaube, dass zum Beispiel von einem Assoziationsabkommen mit dem MERCOSUR ein politisches Signal für eine regionale Integration ausgehen könnte. Und genauso dürfte davon eine verstärkte politische Partnerschaft zwischen den beiden Regionen profitieren. Neben einer Lateinamerika-Strategie der EU, die diesen Namen verdient, sollten als konkrete Beispiele für eine Fortentwicklung der Partnerschaft die Gipfeltreffen effektiver gestaltet, ein EU-Lateinamerika-Think-Tank in Brüssel eingerichtet und der Gemeinsame Hochschulraum ausgebaut werden. Beispielsweise könnte ein Europäisch-Lateinamerikanisches Masterprogramm nicht nur die jeweilige Kenntnis und das Interesse an der anderen Region mehren, sondern auch künftige Generationen für das biregionale Verhältnis begeistern.

Das Interview führte Marcus Pawelczyk, freiberuflicher Journalist in Hamburg.

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Dr. Klaas Dykmann, geboren 1969 auf Borkum, studierte Geschichte und Politikwissenschaft an den Universitäten in Hamburg und Madrid. Forschungsschwerpunkte sind internationale Organisationen aus globalgeschichtlicher Perspektive und interregionale Beziehungen. 2006 erschien sein Buch Perceptions and Politics zu den europäisch-lateinamerikanischen Beziehungen. Heute lehrt und forscht er am Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig.