Der Verteidigungshaushalt – Trendwende bei den Verteidigungsausgaben?
Stefan Bayer
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Die Ausgaben für Verteidigung sind 2017 erneut gestiegen. Zuvor hatte der Verteidigungsetat jahrelang stagniert, die Bundeswehr sollte sparen. Wie haben sich die Verteidigungsausgaben entwickelt? Und wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?
2017 ist der Verteidigungshaushalt erneut gestiegen: auf 37 Milliarden Euro. Er ist der zweitgrößte Posten im Bundeshaushalt.
Bis vor wenigen Jahren waren die Verteidigungsausgaben zurückgegangen oder hatten stagniert. Das Militär hatte nach dem Kalten Krieg an politischer Bedeutung verloren.
Deutschland liegt deutlich unter dem NATO-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben - ist damit aber nicht allein.
Am 22. November 2016 beschloss der Deutsche Bundestag in dritter Lesung den Haushalt für das Jahr 2017. In Kraft trat das Gesetz mit der Verkündigung im Bundesgesetzblatt (BGBl I, S. 3016) am 20. Dezember 2016. Insgesamt plant der Bundesfinanzminister im Jahr 2017 Ausgaben in Höhe von 329,1 Mrd. Euro. Das sind 12,2 Milliarden Euro mehr als noch 2016 – ein Anstieg von 3,85 Prozent.
Ein Blick auf die Zahlen
Der Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) weist in 2017 ein Volumen von 37 Mrd. Euro auf. Die Ausgaben für Verteidigung bleiben damit auch im Jahre 2017 nach den Sozialausgaben der zweithöchste Einzelposten im Bundeshaushalt. Sie entsprechen einem Bruttoanteil an den gesamten Ausgaben des Bundes von 11,2 Prozent. Zieht man davon die Zahlungen an ausgeschiedenes (ziviles und militärisches) Personal in Höhe von 5,76 Mrd. Euro ab (v.a. Pensionsausgaben), verbleiben 31,24 Mrd. Euro für aktive verteidigungspolitische Zwecke. Dieser "Nettoanteil" der Verteidigungsausgaben entspricht einem Anteil von 9,5 Prozent an den gesamten Bundesausgaben.
In einer Bruttobetrachtung wächst der Ausgabenanteil der Bundeswehr im Vergleich zu 2016 um 2,7 Mrd. Euro (das entspricht 7,9 Prozent) – wenn die Pensionsausgaben herausgerechnet werden, steigt der Nettobetrag der verfügbaren Ausgaben um 2,62 Mrd. Euro (und somit prozentual um 9,2 Prozent). Der Verteidigungshaushalt ist in einer Nettobetrachtung also stärker gestiegen als der Bundeshaushalt insgesamt.
Wie setzt sich der Verteidigungshaushalt zusammen?
Wofür die Bundeswehr Geld ausgibt und wie sich welche Ausgaben über die Jahrzehnte entwickelt haben, hat der Autor Stefan Bayer Interner Link: in seinem Text zum Verteidigungshaushalt 2014 analysiert. Sein Fazit: Seit der Aufstellung der Bundeswehr 1955 bis 2014 hat es einen Wandel bei der Zusammensetzung des Verteidigungshaushalts gegeben – weg von verteidigungsinvestiven Ausgaben (Waffen, Material, Fahrzeuge) hin zu den Betriebsausgaben und insbesondere Personalausgaben. Interner Link: Weiterlesen...
Trendumkehr in der Verteidigungspolitik?
Verteidigungs- und Haushaltspolitiker sehen in diesem Ausgabenanstieg eine Trendumkehr in der Verteidigungspolitik der Bundesrepublik, die seit dem Ende des Kalten Krieges eher auf Sparen und Verkleinern ausgerichtet war. Dies wird auch im Finanzplan des Bundes bestätigt, in dem die Bundesregierung bis 2020 beabsichtigt, insgesamt 10,2 Mrd. Euro zusätzlich im Verteidigungshaushalt zu verausgaben – wohlgemerkt handelt es sich hierbei um kumulierte Zahlen bis zum Ende der derzeit gültigen (unverbindlichen) Finanzplanung des Bundes im Jahre 2020. Hauptsächlich soll damit dem gestiegenen Bedarf insbesondere im verteidigungsinvestiven Bereich (Entwicklung und Beschaffung) Rechnung getragen werden. Für die einzelnen Kalenderjahre sieht der Finanzplan des Bundes folgende Steigerungen im Vergleich zum Finanzplan aus dem Jahre 2016 vor: Im Jahr 2017 sollen dem Verteidigungshaushalt 1,7 Mrd. Euro zusätzlich zur Verfügung stehen, 2018 1,8 Mrd. Euro, 2019 2,7 Mrd. Euro und schließlich in 2020 vier Mrd. Euro zusätzlich.
Die Nagelprobe steht allerdings noch aus: Der Finanzplan des Bundes hat keinen verpflichtenden Charakter und kann mit der nächsten Überarbeitung in diesem Kalenderjahr so bestätigt werden. In der Regel finden allerdings nach politischen Erwägungen Änderungen statt. Darüber hinaus muss festgehalten werden, dass der Anstieg im Einzelplan 14 noch unter den im Finanzplan des Bundes anvisierten Ausgabensteigerungen in anderen Bereichen liegt: Die Ausgaben im Bereich der Investitionen, dem Bereich des Auswärtigen und der Entwicklungszusammenarbeit, dem Bildungs- und Forschungsbereich und dem ohnehin sehr hohen Posten der Sozialausgaben sollen stärker steigen als die Verteidigungsausgaben. Die endgültige Beurteilung, ob 2017 eine Trendumkehr für den Verteidigungshaushalt vorliegt, muss deshalb in die Zukunft verschoben werden.
Mit Blick auf die Vergangenheit kann demgegenüber bereits jetzt konstatiert werden, dass die nominalen, also nicht inflationsbereinigten Ausgaben für Verteidigung seit der Wiedervereinigung im Jahre 1990 allenfalls konstant gehalten wurden und erst in den letzten fünf Jahren wieder gestiegen sind. In realen (also inflationsbereinigten) Größen sinkt der Trend seither und hat sich in letzter Zeit bei rund 9,5 Prozent des Bundeshaushalts eingependelt – was anhand der nachfolgenden Abbildung 1 verdeutlicht werden kann.
Abgetragen wird hier die Entwicklung des Einzelplans 14 seit der Wiederaufstellung der Bundeswehr im Jahre 1955 bis zum Kalenderjahr 2017. Die blaue Linie symbolisiert die nominalen Ausgaben, die im Einzelplan 14 verausgabt werden konnten. Die rote Linie bildet dagegen das Verhältnis von Ausgaben im Einzelplan 14 zu den gesamten Ausgaben des Bundes ab. Dieser Anteil kann als Indikator für die politische Bedeutsamkeit des Verteidigungshaushaltes interpretiert werden – ein Ansteigen des Anteils impliziert eine politische Bedeutungszunahme des Verteidigungshaushaltes, während dessen Absinken einen Bedeutungsrückgang nahe legt. Und für die jüngere Vergangenheit zeigt die Entwicklung der roten Linie des relativen Anteils der Verteidigungsausgaben an den gesamten Bundesausgaben, dass Verteidigung seit Mitte der 1960er-Jahre gegenüber anderen Staatsaufgaben und -ausgaben durchgängig an relativer politischer Bedeutung verlor – mit einzelnen Ausnahmen.
Entwicklung der Verteidigungsausgaben
Um den Verteidigungshaushalt gesamtwirtschaftlich (und gesamtpolitisch) beurteilen zu können, stellt nachfolgende Abbildung 2 die Verteidigungsausgaben ins Verhältnis zu den konkurrierenden vier weiteren großen Ausgabenpositionen des Bundes: Soziale Sicherung, Bildung, Verkehr- und Nachrichtenwesen sowie Zinsendienst.
Interessant ist hierbei die sich seit 1970 entwickelnde Dominanz der Sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik: Zu Beginn der 1970er-Jahre lagen die politischen Prioritäten in der Bundesrepublik für Soziales (schwarze Linie) und äußere Sicherheit (olivgrüne Linie) fast gleichauf bei etwa 30 Prozent der Gesamtausgaben des Bundes. Dies stellt sich Mitte der 2010er-Jahre deutlich anders dar, denn die Ausgaben für die Soziale Sicherung dominieren alle anderen Bundesausgaben (und mithin auch die damit verbundenen Staatsaufgaben). Die Verteidigungsausgaben pendeln seit Mitte der 1990er-Jahre um die 10 Prozent-Marke – im Gegensatz zum relativen Bedeutungsverlust der zusätzlichen Verteidigungsausgaben zeigt sich eine Priorität in der jüngeren Vergangenheit bei den Investitionen in Infrastruktur (blaue Linie) – die öffentlichen Debatten über marode Brücken und Straßen hatten offensichtlich einen deutlich sichtbareren Niederschlag in den Finanzplänen des Bundes als die zunehmenden unklaren Bedrohungssituationen, die mit Hilfe auch der Bundeswehr zu bearbeiten sein könnten.
Verteidigungsausgaben im internationalen Vergleich
Für internationale Vergleiche von Verteidigungsausgaben einzelner Länder eignet sich das eben geschilderte Verhältnis zwischen Verteidigungsausgaben und Gesamtausgaben eines Landes nicht, weil Länder sich sehr unterschiedliche Finanzverfassungen gegeben haben. Trotzdem wird auch dies verlangt – und mit Hilfe eines Bezuges zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gelöst: Mit Beginn der Amtszeit von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen 2009 und nochmals verstärkt seit Beginn 2017, der Anfangszeit der Präsidentschaft von Donald J. Trump in den Vereinigten Staaten von Amerika, wird in NATO-Kreisen eine stärkere finanzielle Beteiligung Europas für die Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit des NATO-Bündnisses diskutiert.
Seit 2002 hatte sich das Bündnis darauf verständigt, dass alle Mitgliedstaaten mindestens zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) für Verteidigungszwecke ausgeben sollen. Ziel dieser Vereinbarung ist es, den Anreiz zu unterbinden, der durch das Bereitstellen des Gutes "Äußere Sicherheit" für alle Mitgliedsländer realisierbar wäre, ohne sich an den Kosten der Bereitstellung dieses Gutes zu beteiligen ("Freifahren"). Die Realität ist derzeit jedoch weit entfernt von der Erfüllung dieses Mindestkriteriums: Stand Juli 2016 geben gerade einmal fünf der 28 Mitgliedsländer zwei oder mehr Prozent ihres BIP für Verteidigung aus (USA, Griechenland, Großbritannien, Estland und Polen). Alle anderen Mitgliedsländer liegen teilweise deutlich darunter, die Bundesrepublik etwa mit 1,2 Prozent oder Frankreich mit knapp 1,8 Prozent.
Auf dem NATO-Gipfel in Warschau (2016) wurde eine kontroverse Debatte um die Erreichung des Zwei-Prozent-Kriteriums geführt. Mitgliedsländer, die deutlich unter dieser Marke rangieren, sind anscheinend dazu bereit, sich mittelfristig dieser Marke zu nähern – so erklären sich teilweise auch die Erhöhungen der deutschen Verteidigungsausgaben mit dieser Debatte. Aus ökonomischer Perspektive muss jedoch die Sinnfrage nach dieser rein auf Verteidigungsausgaben basierenden Betrachtung gestellt werden: Aus Fairnessgründen ergibt eine solche freiwillige Verpflichtung zur Überwindung der oben geschilderten Freifahrersituation Sinn. Allerdings verfehlt diese Regel ihren Zweck, wenn etwa zur Erfüllung des gemeinsamen Zwei-Prozent-Ziels Ausgaben in den Verteidigungsbudgets der Mitgliedsländer vorgenommen werden, die keinerlei Verteidigungsleistungen zur Folge haben.
Nehmen wir z.B. an, die Verteidigungsministerien einzelner NATO-Mitgliedsländer würden Bleistifte in riesiger Zahl anschaffen. Auch dieses fiktive Beispiel würde in der bisherigen NATO-Logik helfen, die Ausgaben zu steigern und das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen, ohne jedoch einen relevanten Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit zu leisten. Insofern sollte in zukünftigen Reformplänen auf NATO-Ebene nicht nur darüber nachgedacht werden, die rein inputseitige Norm zu erfüllen – also zu schauen, wie viel Geld für das Militär ausgebeben wird. Vielmehr sollte auch über andere Kriterien zur Messung von Verteidigungsleistungen nachgedacht werden. Ökonomen plädieren hierbei seit Jahren für die Orientierung an den Ergebnissen, die eine Konsequenz der Ausgaben für Verteidigung darstellen. Diese zu ermitteln und gegebenenfalls auch zu quantifizieren ist aber nicht trivial und erfordert weitere Forschung.
Was ist der Gesellschaft Verteidigung wert?
Das Grundproblem bei der Ausweitung von Verteidigungsbudgets in Friedenszeiten besteht in letzter Konsequenz immer darin, dass eine abstrakte Bedrohungssituation von den Bürgern einzelner Länder nicht in dem Maße wahrgenommen wird, wie es der tatsächlichen Bedrohungssituation entspricht: Subjektive und objektive Wahrscheinlichkeiten weichen in dieser Situation voneinander ab. Die präventiven Leistungen auch von Streitkräften stehen deshalb immer im Spannungsfeld mit kurzfristig anstehenden politischen Steuerungsproblemen wie etwa der maroden Verkehrsinfrastruktur in Deutschland. Und damit steht eine abstrakte Leistung in der Zukunft (in diesem Falle die Landesverteidigung) in direkter Konkurrenz der Haushaltsmittel zu einem heute in breiten gesellschaftlichen Schichten wahrnehmbaren Problem – eine politische Priorisierung ist in dieser Situation schnell vorgenommen. Die zweite Seite der gleichen Medaille – eine eventuell reduzierte Verteidigungsfähigkeit in der Zukunft – wäre dann die politische Konsequenz.
Inwieweit die Ausweitung des Verteidigungshaushaltes in der Bundesrepublik Deutschland im Kalenderjahr 2017 und im Finanzplan des Bundes also eine bewusste Entscheidung für mehr Verteidigung in der Zukunft oder nur der derzeitigen komfortablen Situation geschuldet ist, dass die öffentlichen Hand aktuell über den Steuerschätzungen liegende Einnahmenüberschüsse verzeichnet, wird die Zukunft weisen.
Professor Dr. Stefan Bayer, Fachbereich Politik und Gesellschaftswissenschaften, Führungsakademie der Bundeswehr und Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
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