Was ist eigentlich ein Soldat?
Unter Soldaten
Eine solche Definition des Soldatseins sagt allerdings wenig über das Verhältnis zwischen Soldat, Militär, Politik und Gesellschaft aus. Soldatische Berufsbilder, wie sie offiziell vertreten werden und innerhalb der Streitkräfte informell zirkulieren, füllen diese Lücke. Sie transportieren Vorstellungen über Haltung und Verhalten, an denen sich die Soldaten selbst, aber auch alle anderen Akteure in Politik und Gesellschaft orientieren können, und dienen dazu, das Handeln von Soldaten in seinen Eigenheiten zu charakterisieren und zu legitimieren.
Dies gilt gerade für die Bundesrepublik. Seit Gründung der Bundeswehr 1955 hat man sich wiederholt mit der Frage nach dem "richtigen" Soldatenbild auseinandergesetzt – vor allem dann, wenn sich der militärische Auftrag und seine gesellschaftliche Wahrnehmung änderten: etwa in den 1950er-Jahren vor dem Hintergrund der
Aus einer präskriptiven (Normen vorgebenden) Perspektive geben Soldatenbilder Auskunft darüber, wie Soldaten sein sollen. Im Fall der Bundeswehr stellt der "Staatsbürger in Uniform" als zentraler Bestandteil der "Inneren Führung" das offizielle Leitbild dar, das nach außen wie innen Gültigkeit beansprucht.
Aus einer deskriptiven (beschreibenden) Perspektive charakterisieren soldatische Berufsbilder, wie Soldaten "sind" und was ihre Tätigkeit typischerweise umfasst. Unter sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkten steht hier insbesondere die analytische Erfassung des Wandels der Aufgaben westlicher Streitkräfte mit seinen Folgen für den Soldatenberuf im Vordergrund.
Aus einer subjektiven Perspektive beschreiben Soldatenbilder, wie Soldaten sich selbst und ihren Beruf sehen und welche Bedeutung sie offiziellen Leitbildern gegebenenfalls beimessen.
Soldatische Leit-, Berufs- und Selbstbilder heben also, auch wenn sie in einem Wechselverhältnis zueinander stehen, auf unterschiedliche Aspekte soldatischer Wirklichkeit ab. Diese verschiedenen Perspektiven sollen im Folgenden am Beispiel der Bundeswehr veranschaulicht werden.
Soldatenbild in der DDR
Auch in der DDR gab es normative Vorstellungen über Haltung und Verhalten von Soldaten. Maßgeblich für die Nationale Volksarmee (NVA) war das Bild der "sozialistischen Soldatenpersönlichkeit", das die SED vorgab. Der Soldat der NVA zeichnete sich demnach durch ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein und das Bekenntnis zu den sozialischen Werten und Normen aus. Nach Ansicht der SED war dies die Voraussetzung für eine optimale Beherrschung militärischer Fertigkeiten und begründete die Überlegenheit und die Unbesiegbarkeit des sozialistischen Soldaten in Abgrenzung zum Soldaten des "Klassenfeindes". Dieses Soldatenbild blieb jedoch oftmals Fiktion, wie Rüdiger Wenzke
Soldatenbilder im Vergleich
Das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform
Die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte 1955 war seitens der damaligen Bundesregierung nicht nur mit dem Ziel verbunden, politische Souveränität wiederzuerlangen. Es ging auch darum, eine in Abgrenzung zu den deutschen Vorgängerarmeen neue Form von Militär zu schaffen. Dieses Militär sollte von Grund auf kompatibel mit der durch das Grundgesetz geschaffenen freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung sein. Hierfür steht die Konzeption der Inneren Führung als "Organisations- und Unternehmenskultur"
Der Staatsbürger in Uniform als Leitbild umfasst politische, soziale und ethische Aspekte: Es garantiert die Teilhabe an staatsbürgerlichen Rechten (z.B. das Wahlrecht), die parlamentarische Kontrolle des militärischen Einsatzes und das individuelle Beschwerderecht von Soldaten durch die unabhängige Institution des Wehrbeauftragten. Darüber hinaus wird soldatisches Handeln vor allem als wertorientiert konzipiert. Soldaten sind aus Sicht der Inneren Führung mündige Staatsbürger, die von ihren Vorgesetzten auch als solche zu behandeln sind. Den Wert und die Funktion der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik sollen sie auch und gerade im Militär erfahren und deshalb in der Lage sein, sich für die Verteidigung von Recht und Freiheit einzusetzen. Gemäß der Vorgaben der Inneren Führung üben Soldaten als Staatsbürger in Uniform ihre Tätigkeit nicht primär gegen Entlohnung, sondern im Bewusstsein ihres Auftrags und der zugehörigen Wertvorstellungen aus. Sie verstehen demnach ihren Beruf als einen Beruf "wie jeder andere", mit dem kein privilegierter sozialer Status verknüpft ist. Das Ziel soldatischen Handelns ist laut Innerer Führung die Herstellung beziehungsweise Sicherung von Frieden – unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Der Einsatz von Gewalt ist aus diesem Verständnis als Mittel zur Erreichung friedlicher Zwecke zu verstehen und nicht als Ziel oder Selbstzweck soldatischen Handelns an und für sich.
Wie die institutionelle Verankerung der Inneren Führung war die Einführung und Etablierung des Leitbilds vom Staatsbürger in Uniform ein von Kontroversen begleiteter Prozess, der von der Herausgabe eines ersten Handbuches zur Inneren Führung (1957) über die Verabschiedung einer entsprechenden Vorschrift und ihrer Überarbeitung in den Jahren 1972 und 1993 bis zur bis heute gültigen Neufassung der sogenannten Externer Link: Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 von 2008 reicht.
Mit der Entwicklung der Bundeswehr weg von einer reinen Verteidigungsarmee hin zu einer Armee im (Auslands)Einsatz ist sowohl aus den Reihen der Soldaten als auch der Wissenschaft Kritik am offiziellen Leitbild des Staatsbürgers in Uniform laut geworden: Einerseits sei fraglich, ob die historisch bedingte, auf Kriegsvermeidung und Friedenssicherung abzielende Grundausrichtung der Streitkräfte die aktuelle Realität asymmetrischer Konflikt- und Einsatzlagen noch abzubilden vermag.
Von dieser normativen Beschäftigung mit dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform sind Ansätze zu unterscheiden, die zentrale Merkmale des Soldatenberufs im Wandel der Zeit analytisch erfassen und anhand von Berufsbildern systematisieren.
Das Berufsbild des Soldaten vor dem Hintergrund sich wandelnder Einsatzbedingungen
In der deutschen wie internationalen Militärsoziologie ist man sich weitgehend einig, dass sich mit dem Ende des Kalten Krieges der Auftrag westlicher Streitkräfte und damit auch das berufliche Anforderungsprofil von Soldaten grundlegend gewandelt haben.
Offen bleibt, inwieweit Soldaten in der Lage sein können, mit diesen vielfältigen Anforderungen zurechtzukommen – insbesondere mit Widersprüchen wie etwa der Konfrontation mit Gewalt im Einsatzland, die im krassen Kontrast zum zivilgesellschaftlichen Gewaltverbot im Heimatland steht.
Soldatische Selbstbilder
In der Forschung gibt es verschiedene Annäherungen an die subjektive Sicht des Soldatseins, die zu übereinstimmenden wie abweichenden Ergebnissen kommen. Im Rahmen einer in den 2000er-Jahren durchgeführten qualitativen Befragung unter jungen Soldaten aus Ost- und Westdeutschland, die sich längerfristig bei der Bundeswehr verpflichtet hatten, wurde auf der Basis vier unterschiedlicher Dimensionen (Tätigkeit, Status, Tugenden, Auftrag) ein Modell soldatischer Identität entwickelt. Es umfasst vier Typen soldatischen Selbstverständnisses:
Für Soldaten des ersten Typus stellt die Tätigkeit bei der Bundeswehr in erster Linie eine "Alternative zum Zivilberuf" dar. Von ihnen werden die Parallelen zwischen einer Arbeit beim Militär und bei einem zivilen Arbeitgeber hervorgehoben. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden unter politischen Gesichtspunkten thematisiert und sind für diesen Typus in erster Linie als Teil der konkreten Arbeitsbedingungen von Bedeutung.
Soldaten des zweiten Typus ("Soldatsein als Karriere") zeichnen sich durch eine ausgeprägte Aufstiegs- und Statusorientierung aus. Für sie stehen materielle Anreize sowie die Qualifizierungs- und beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten einer militärischen Laufbahn im Vordergrund. Die Aufgaben der Bundeswehr, namentlich die Auslandseinsätze, werden in erster Linie unter funktionalen Gesichtspunkten, mit Blick auf die eigene Karriere, thematisiert und entsprechend bewertet.
Soldaten des dritten Typus stechen durch eine ausgeprägte Identifikation mit dem Militär und der Institution "Bundeswehr" hervor ("Soldatsein als Lebenswelt"). Für sie stehen "Dienst" und "Kameradschaft" an erste Stelle. Die eigene Stellung innerhalb der Militärhierarchie wie auch die von anderen wird am Dienstgrad und den gezeigten Führungsqualitäten festgemacht. Der politische Auftrag der Bundeswehr im Allgemeinen wie auch die Auslandseinsätze im Besonderen werden als politisch vorgegeben akzeptiert. Für die Beurteilung der Einsätze im Einzelfall stehen Fragen der militärischen Machbarkeit im Zentrum.
Soldaten des vierten Typus lassen sich durch eine starke Identifikation mit dem Auftrag charakterisieren ("Soldatsein als Mission"). Dies setzt eine umfassende Auseinandersetzung mit den der Bundeswehr übertragenen Aufgaben und dem eigenen Beitrag dazu voraus, der für die Einschätzung des eigenen Status wie auch für die allgemeine Berufszufriedenheit von entscheidender Bedeutung ist.
Zusammenfassend lassen die skizzierten soldatischen Selbstbilder nicht nur unterschiedliche Berufsmotive, sondern auch unterschiedliche Sichtweisen auf das Verhältnis zur Militärorganisation wie zu den Aufgaben der Bundeswehr erkennen. Daran zeigt sich, dass soldatisches berufliches Handeln unterschiedlichen Logiken folgt, die sich teils mehr, teils weniger mit dem offiziellen Leitbild decken
Wie stabil diese Logiken über die Zeit hinweg sind und durch (Gewalt)Erfahrungen während eines Auslandseinsatzes gegebenenfalls beeinflusst werden, dazu liegen bislang nur vereinzelte Erkenntnisse vor. Anja Seiffert
Fazit
Die Frage des soldatischen Umgangs mit Gewalt stellt letztlich den Dreh- und Angelpunkt der Beschäftigung mit soldatischen Leit-, Berufs- und Selbstbildern dar: Die Aufgabe von Soldaten als Angehörige von Streitkräften ist die organisierte Anwendung oder Androhung bewaffneter Gewalt im Auftrag des Staates. Als Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols verfügen Soldaten über Handlungsoptionen, die allen anderen Bürgern untersagt sind. Zugleich unterliegen Soldaten in ihrem Handeln besonderen Zwängen, da staatliche Gewalt kontrolliert werden muss, um als legitim gelten zu können.
Soldatenbilder – ob normativ kodiert, analytisch konstruiert oder durch alltägliche Praxis konstituiert – liefern Lösungsangebote für dieses Spannungsfeld, das aufgrund der jedem Gewalthandeln innewohnenden Dynamiken nie ganz aufgelöst werden kann.