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Dokument 3.4: Brief von Konstantin Wuckert an die Staatschefs der UdSSR, BRD und DDR über das Recht der deutschen Sowjetbürger auf Ausreise in die BRD oder in die DDR, Juni 1976 | Russlanddeutsche | bpb.de

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Dokument 3.4: Brief von Konstantin Wuckert an die Staatschefs der UdSSR, BRD und DDR über das Recht der deutschen Sowjetbürger auf Ausreise in die BRD oder in die DDR, Juni 1976

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Erste Seite des Briefes von K. Wuckert an die Staatsoberhäupter der UdSSR, BRD und DDR, 1976. Der Brief, wie er im Archiv des Samisdat aufgenommen wurde, als Interner Link: PDF. (© Privatsammlung Alexander Fitz (München))

An den Generalsekretär des ZK der KPdSU,
den Genossen L.I. [Leonid Iljitsch] BRESCHNEW
An der Ersten Sekretär [des ZK] der SED,
den Genossen Erich HONECKER
An den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland,
Herrn Helmut SCHMIDT

Es schreibt Ihnen ein Bürger der UdSSR, Konstantin WUCKERT, der Nationalität nach ein Deutscher.

Schmerz und Empörung haben mich gezwungen, zur Feder zu greifen. Schmerz und Empörung über die zweideutige, nicht gleichberechtigte und erniedrigende Lage, in der die deutschen Bürger der UdSSR infolge des für sie verhängnisvollen Zusammentreffens von historischen Ereignissen und des Unwillens der drei Regierungen – Regierungen der UdSSR, der DDR und der BRD – die seit langem die bestehenden und längst fälligen Probleme der deutschen Bürger in der UdSSR zu lösen. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass in Bezug auf die Deutschen der Sowjetunion die Geschichte Verpflichtungen und Verantwortlichkeit auf die Regierungen der drei Staaten auferlegt hat: auf die UdSSR, die DDR und die BRD.

Mir ist bekannt, dass die Regierung der UdSSR der Ansicht ist, dass die Probleme der deutschen Bürger der UdSSR nur eine innere Angelegenheit der UdSSR ist, und jeder Versuch der Regierung eines anderen Staates, diese Probleme zu besprechen als inakzeptable Einmischung in die inneren Angelegenheiten der UdSSR aufgefasst wird. Solche Erklärungen erhielten unsere Deutschen auch in der Botschaft der DDR in Moskau. Diesen Standpunkt traut sich offensichtlich auch die Bundesregierung nicht zu hinterfragen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass beim Abschluss des Staatsvertrages zwischen der UdSSR und Jugoslawien, der die Beziehungen zwischen der UdSSR und Jugoslawien in der Nachkriegszeit regelt, in seinen Text der Passus aufgenommen wurde, wonach Personen jugoslawischer Herkunft in der UdSSR und Personen russischer Herkunft in Jugoslawien im Verlauf von zwei Jahren die Staatsbürgerschaft eines der beiden Länder frei wählen durften. Also hat die Regierung der UdSSR das Recht der jugoslawischen Regierung anerkannt, sich um Menschen jugoslawischen Ursprungs in der UdSSR zu kümmern.

Präsident TITO schreitet energisch für die serbische und kroatische Minderheit in Österreich ein, unternimmt diplomatische Demarchen bei der Regierung in Österreich, und ich habe nicht gehört, dass jemand über die Einmischung in die inneren Angelegenheiten Österreichs gesprochen hat.

Bitte entschuldigen Sie mich freimütig, Leonid Iljitsch [Breschnew], aber ich bin überzeugt, dass kein einziger vernünftig denkender und aufrichtiger Sowjetdeutscher das Land für ein vollwertiges Heimatland halten kann, das so hartnäckig über drei Jahrzehnte die Probleme seiner deutschen Bürger nicht merken will, sie vor Beleidigungen und Demütigungen den nicht schützen will, ihnen nicht helfen will, ihre nationale Eigenart zu bewahren.

In der Zeit zwischen der Annahme des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 über die Aussiedlung der Deutschen und der Liquidierung der ASSR der Wolgadeutschen und dem Erlass vom 29. August 1964 über die Rehabilitierung der Deutschen behandelte der Staat seine deutschen Bürger schlechter als Bürger solcher Länder, die gegen die Sowjetunion kämpften. Allein diese Tatsache sollte doch klar machen, dass bei den Deutschen das Gefühl der Entfremdung zu dem Land entstand, in dem sie geboren und ihr ganzes Leben gelebt hatten. In Anbetracht des dargelegten finde ich den Anspruch der sowjetischen Regierung, allein die Interessen der Sowjetdeutschen zu vertreten und die Ablehnung, die entstandenen Probleme mit anderen Staatsregierungen zu besprechen, als haltlos.

Es ist offensichtlich geworden, dass die Regierung der UdSSR es ablehnt, in Bezug auf die deutschen Bürger die Leninsche nationale Politik zu praktizieren: ihre nationale Staatlichkeit [d.h. die regionale Autonomie] zurückzugeben, die ihnen durch den Erlass vom 28. August 1941 genommen wurde. Deshalb glaube ich, dass den Sowjetdeutschen das Recht eingeräumt werden sollte, gemäß dem "Pakt für politische und soziale Rechte" in die DDR oder die Bundesrepublik Deutschland auszuwandern.

Es ist an der Zeit, die unangemessene Schüchternheit zu verwerfen und den drei Regierungen sich an den Verhandlungstisch zu setzen, um endlich die Probleme der Deutschen der UdSSR zu lösen. Nicht alle deutschen Bürger werden das Recht auf Ausreise in Anspruch nehmen. Für solche deutschen Bürger, die nicht auswandern wollen, wird sich die Situation grundlegend ändern:

  1. Die freiwillige Absage auszuwandern würde die Feindseligkeiten und Vorurteile gegenüber den verbliebenen deutschen Bürgern stark reduzieren. Diese sind in der Bevölkerung als Ergebnis des vergangenen erbitterten Krieges mit dem Land, aus dem die Deutschen der UdSSR stammen, noch weit verbreitet.

  2. Deutsche Bürger werden als zuverlässige Arbeitskräfte geschätzt. Mir ist eine Aussage vom Anastas Mikojan aus einem Gespräch mit einer Delegation von deutschen Bürgern im Jahr 1965 bekannt: "Ohne Deutsche ist es unmöglich, Landwirtschaft in der Neuland-Region zu führen", währenddessen die lokalen Behörden bis hin zu den Regierungen der Unionsrepubliken den Bedürfnissen und Anforderungen der deutschen Bürger gegenüber äußerst unaufmerksam sind. Die Situation, in der deutsche Bürger frei auswandern könnten, würde die Verantwortlichen vor Ort für deutsche Bürger sensibilisieren.

[…]

Wieso könnten Sie, Genosse Erich HONECKER, nach dem Beispiel Ihres Gesinnungsgenossen, Josip Broz TITO, die Initiative nicht ergreifen und unser Problem mit der Regierung der UdSSR nicht erörtern? Mit dem Respekt, den Sie bei der Führung der UdSSR genießen, würden Ihre Bemühungen durchaus Erfolgschancen haben. Ich verstehe überhaupt nicht, warum solche ein strenges Regime an den Grenzen zwischen den sozialistischen Bruderländern herrscht?

Aber wenn Sie, Genosse HONECKER, meinen würden, dass der Präsident TITO Ihnen nichts zu sagen hat, und Sie den Ruhm eines "Iwans, der sich seiner Verwandtschaft nicht erinnert" verdienen wollen – es sind Gerüchte im Umlauf, dass Sie versuchen, auf Distanz zu den Westdeutschen zu gehen – dann kann die Frage andersherum angegangen werden. Sie stehen einem Staat vor, der vom Dritten Reich die Verantwortung für die Entfesselung eines Krieges gegen die UdSSR übernommen hat. Und dieser Krieg ist der Hauptgrund für den gegenwärtigen traurigen Zustand der Deutschen in der UdSSR. Viele, sehr viele Ihrer Gesinnungsgenossen oder ihre Väter waren Soldaten im letzten Krieg und schossen auf ihre sowjetischen Klassengenossen, auch töteten sie. Und die Söhne derjenigen Getöteten und Verstümmelten kreiden das uns, den Sowjetdeutschen an. Ausgerechnet wir müssen jeden Tag mit Menschen zu tun haben, die von Trauer und Hass besessen sind. Deshalb sind es Ihrem Gewissen, Gen. Erich HONECKER, moralische Verpflichtungen den Sowjetdeutschen gegenüber auferlegt. Bislang merkt man noch nicht davon, dass Sie es eingesehen haben.

Das Gesagte über die moralische Verpflichtung gegenüber den Deutschen betrifft auch Sie, Herr Bundeskanzler. Ich weiß, dass Ihre Regierung kümmert sich sehr über die Sowjetdeutschen, die in Ihr Land gelangen. Daraus folgere ich, dass Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sind. Ich denke jedoch, dass Sie das Recht zur Ausreise für Sowjetdeutsche energischer einfordern sollten. Edle Gesten und schüchterne Hinweise an L.I. BRESCHNEW sind eindeutig unzureichend.

Ich möchte die drei Regierungen auf folgende Absurdität aufmerksam machen: den Aussagen von A.I. MIKOJAN im Gespräch mit Vertretern der Sowjetdeutschen im Jahr 1965 kann entnommen werden, dass der Hauptgrund für den Unwillen der sowjetischen Regierung, die Probleme ihrer deutschen Bürger in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der leninistischen nationalen Politik zu lösen, ist der Wert der Deutschen als Arbeitskräfte. Und sie befinden sich gerade in jenen Gebieten, in denen der Bedarf an Arbeitskräften am größten ist. Es scheint, dass für die Deutschen die positiven Eigenschaften ihres nationalen Charakters sich in einen Fluch verkehren. Wenn die Regierung der UdSSR glaubt, dass die Deutschen verpflichtet sind, Reparationen für den letzten Krieg abzuarbeiten, dann weshalb für die ewige Zeit? Der Ukas vom 26. November 1948 besagte, dass die Deutschen für immer verbannt sind und dass nur Sowjetdeutsche diese Strafe verbüßen sollten. Die aber, wie der Ukas vom 29. August 1964 zugibt, keine Verantwortung für den zurückliegenden Krieg tragen. Wenn man für die Kosten des Krieges aufkommen muss, dann müssen sie zahlen, Genosse Erich HONECKER und Herr SCHMIDT. [… ]

Konstantin WUCKERT
Kasachische SSR, Gebiet Dshambul,
Rayon Tschu, Siedlung Nowotroizkoje

Fussnoten

Fußnoten

  1. Archiv Samizdata Nr. 2811-a. Radio Svoboda. Vyp. Nr. 16/1978. München, 3. Mai 1978, S. 1-5. Ein Hinweis auf das Dokument in der Datensammlung Published Samizdat collection at Open Society Archives (OSA): Externer Link: http://catalog.osaarchivum.org/catalog/lvd89mDG. Der Brief, wie er im Archiv des Samisdat aufgenommen wurde.

  2. Die Nachnamen sind im Originaltext in Großbuchstaben geschrieben.

  3. Der Verfasser bezieht sich hier wohl auf den Punkt 6 des dritten Abschnitts der "Gemeinsamen Erklärung der UdSSR und Jugoslawiens" vom 2. Juni 1955, den er etwas eigenwillig interpretiert: Die beiden Regierungen sind übereingekommen, Maßnahmen für den Abschluss von Verträgen zu treffen mit dem Ziel der Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit oder dementsprechend über die Repatriierung der Bürger einer der vertragschließenden Seiten, die sich auf dem Territorium der anderen Seite befinden. Beide Regierungen stimmen darin überein, daß die Verträge auf der Achtung der Prinzipien der Humanität beruhen sollen, wie auf den allgemein anerkannten Prinzipien der Freiwilligkeit der betreffenden Personen. Die beiden Regierungen sind ebenfalls darüber einig, die Rechte auf den Schutz für Staatsangehörige der anderen Seite auf ihrem Territorium zu sichern, wobei sie darunter auch das Recht der Bürger verstehen, die Staatsangehörigkeit beizubehalten, die sie vor der Ankunft auf dem Gebiet der anderen vertragschließenden Seite hatten, aus: Neues Deutschland, Nr. 127 vom 3. Juni 1955.

  4. Gemeint ist der "Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte", der 1976 angenommen wurde. Die UdSSR hat diesen Pakt am 18. September 1973 ratifiziert. Der Text dreisprachig on-line: Externer Link: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl273s1533.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl273s1533.pdf%27%5D__1527294760349

  5. Das genaue Zitat lautet: "Heute ist es unmöglich, in der Neuland-Region ohne die Deutschen zu wirtschaften." Siehe dazu das Interner Link: Dokument 1.7, das Treffen der Vertreter der 2. Delegation mit dem Staatsoberhaupt am 7. Juli 1965. Neulandregion war ein Zusammenschluss einiger Gebiete im Norden Kasachstans in den Jahren 1960–65. Externer Link: http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen77.pdf

  6. Russische Redewendung "Iwan ne pomnjaschtschi rodstwa – Иван не помнящий родства".

  7. Dieser Erlass betraf nicht nur die Deutschen, sondern auch andere verbannte Völker: Tschetschenen, Karatschajer, Inguschen, Balkaren, Kalmücken, Krimtataren. Siehe hierzu das Interner Link: Dokument 1.2, Anm. 44.