Zur Lage der Deutschen in Estland
Wie inzwischen bekanntgeworden ist, wohnen in der Estnischen SSR z. Z. 7 000 Personen deutscher Volkszugehörigkeit, das entspricht 1 100 – 1 200 Familien.Einzelne Familien wohnen auch in kleineren estnischen Städten wie Walk (Valga) - ca. 35, Pernau (Pärnu) - ca. 30, Zintenhof (Sindi) - ca. 21 Familien, desgleichen in Weißenstein (Paide), Hapsal (Haapsalu), Kohtla-Järve u.a. Deutschsprachige Schulen für ihre Kinder haben sie nicht, ebenso wie auch anderweitig im Lande (gemeint ist die UdSSR).
Von diesen 7 000 Personen haben schon über 6 000 ihre Absicht kundgetan, in die Bundesrepublik Deutschland auszuwandern, sowohl gegenüber den Organen der UdSSR, als auch gegenüber den offiziellen Kreisen der Bundesrepublik durch Sammlung von Unterschriften. Die Zahl derer, die in die DDR auszuwandern wünschen, beträgt nicht mehr als 2%. Ich will nun genauer über den Pernauschen Rayon berichten: Im Pernauer Rayon wohnen z. Z. ca. 700 Personen, entsprechend 100 - 110 Familien, von denen ca. 92% auswandern wollen. Einen offiziellen Ausreiseantrag haben 42 - 45 Familien gestellt, viele schon vier- bis fünfmal. So habe ich, Heinrich Groß, schon dreimal einen Antrag gestellt und habe unter den verschiedensten Motivierungen [d.h. Begründungen] Absagen erhalten. So wird z. B. einem Menschen, der eine Einladung von einem Onkel oder Vetter vorlegt, gesagt, dies seien nur entfernte Verwandte; wenn die Einladung aber von den Eltern ist, dann sagt man: "Sie sind Bürger der UdSSR, sie müssen in der USSR wohnen". Aber in diesem Jahr 1974 übertrafen sie auch dieses. In der ganzen Periode des Jahres 1974 haben von 7 000 Personen nur vier die Erlaubnis zur Auswanderung, und das in die DDR, bekommen. Die anderen aber erhielten Absagen unter immer neuen Begründungen, so z.B. "Sie haben eine Absage bekommen, weil sie ein Komitee organisiert haben, und deswegen sind Sie gewissermaßen schuldig" - so Arkadi Seifert, Heinrich Groß, Arthur Kirschmann, David Henze; das sind Mitglieder des Komitees der Vereinigung der Deutschen, die in die Bundesrepublik auswandern wollen.
Viele der unsrigen sind mehrfach demonstrativ
Wir wollen die Aufmerksamkeit der Regierungen der freien Welt, der öffentlichen Meinung, aller öffentlichen und religiösen Organisationen einschließlich des Weltepiskopats im Vatikan auf die schwierige Lage der Deutschen lenken, die aus der UdSSR in ihre Heimat, die BRD ausreisen wollen. Aus den oben angeführten Tatsachen kann man folgern, daß die Behörden bewußt gegen die Personen deutscher Volksangehörigkeit einen – natürlich geheimen – Krieg unter Anwendung allerhand listiger Kniffe führen, mit dem Ziel, ihr Bestreben zur Emigration zu brechen und möglichst viele von ihnen in der UdSSR zurückzuhalten, um sie zu assimilieren.
Wir haben vorher nur einige Tatsachen aus dem Bereich eines einzigen Rayons aufgeführt, der nur 700 Personen deutscher Volkszugehörigkeit zählt; aber dies trifft auf das Zwei–Millionen–Volk in der ganzen UdSSR voll und ganz zu.
den 28.11.1974
Groß H.K., Kareis E.P., Pfeifer W.E.
und Seifert A.