Das Grenzdurchgangslager Friedland ist in besonderer Weise mit der Geschichte von Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland verbunden. Seit seiner Gründung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dort über vier Millionen Vertriebene, Flüchtlinge, Übersiedler, Kriegsheimkehrer und (Spät-)Aussiedler aufgenommen und provisorisch untergebracht.
Vor diesem Hintergrund nimmt der folgende Beitrag das Grenzdurchgangslager Friedland als Erinnerungsort und Aufnahmeeinrichtung in den Blick. Zunächst gibt er einen kurzen Überblick über die Geschichte des Lagers und die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, die dort aufgenommen wurden. Anschließend werden die kollektiven Erinnerungen und Symboliken beleuchtet, die an diesen Ort geknüpft sind. Zum Schluss geht der Beitrag auf die Verwaltungspraktiken ein, durch die der Zugang zum Spätaussiedlerstatus bis heute reguliert wird. Ziel des Beitrags ist es, anhand dieser verschiedenen Facetten des Lagers die Vielschichtigkeit der an Friedland geknüpften Migrationsgeschichten, -Erinnerungen und -Erfahrungen zu zeigen.
Geschichtlicher Überblick
Das Grenzdurchgangslager Friedland war von Beginn an ein wichtiger Transitpunkt, den innerhalb seiner Geschichte Hunderttausende von Menschen aus verschiedensten Herkunftsländern durchlaufen haben.
Ab dem Ende der 1950er-Jahre wurde das Lager dann in erster Linie als Aufnahmeeinrichtung für Aussiedler aus dem östlichen Europa genutzt. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten waren dies vor allem "Nachzügler" der Vertreibungsmaßnahmen des zweiten Weltkriegs, die bereits Familienangehörige in Deutschland hatten und im Rahmen von Programmen zur Familienzusammenführung nach Deutschland ausreisen durften.
Neben seiner Funktion als Aufnahmelager für deutsche Vertriebene, Kriegsheimkehrer, Übersiedler und Aussiedler diente Friedland in seiner Geschichte auch immer wieder als provisorischer Unterbringungsort für internationale Flüchtlinge.
Friedland als ein nationaler Erinnerungsort
Trotz dieser Vielfalt an Migrationsgeschichten und -erinnerungen bleibt das Lager jedoch in erster Linie mit dem Kollektivgedächtnis an die Vertreibung und Unterdrückung von Deutschen in Mittel- und Osteuropa verbunden. Als Aufnahmeort für diese Menschen spielte Friedland eine zentrale Rolle in der westdeutschen Erinnerungskultur nach dem Zweiten Weltkrieg. Eines der wichtigsten Ereignisse in diesem Zusammenhang war die bereits erwähnte Ankunft der letzten deutschen Kriegsgefangenen, die als die "Heimkehr der Zehntausend" in der deutschen Öffentlichkeit bekannt wurde. Die Rückkehr der deutschen Soldaten, die viele Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht hatten war ein emotionales Ereignis, das in der deutschen Öffentlichkeit damals mehrheitlich positiv aufgenommen wurde.
Die symbolische Bedeutung von Friedland als ein nationaler Erinnerungsort wird auch in der Bezeichnung "Tor zur Freiheit" deutlich, die in den 1950er-Jahren in den westdeutschen Medien geprägt wurde. Diese ideologisch aufgeladene Metapher beschreibt Friedland als ein Tor, das die kommunistischen Regime der Unterdrückung von der "freien" westlichen Welt trennt. Die in Friedland ankommenden Menschen durchschritten symbolisch das "Tor zur Freiheit", um ein neues Leben zu beginnen. Zur Verbreitung dieses öffentlichkeitswirksamen Bildes von Friedland trugen vor allem die in Friedland präsenten humanitären Wohlfahrtsverbände bei, wie beispielsweise die kirchlichen Organisationen Caritas und Evangelisches Hilfswerk sowie das Deutsche Rote Kreuz.
Die Kontinuität des Lagers als positiv besetzter Erinnerungsort zeigt sich auch in den verschiedenen Denkmälern und Gedenkstätten im Lager Friedland und in seiner Umgebung.
Durch ihre Bekanntmachung in den westdeutschen Medien und im Rundfunk wurde die Glocke während des Kalten Krieges zu einem wichtigen Symbol für die Aufnahmebereitschaft und die solidarische Hilfe der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den deutschen "Landsleuten" aus dem Osten. Ein weiterer mit der Erinnerung an Vertriebene und Kriegsheimkehrer verknüpfter Ort ist die sogenannte "Friedland-Gedächtnisstätte". Das imposante Denkmal wurde 1967 auf dem Hagenberg, in der Nähe des Lagers Friedland errichtet. Auch wenn diese Gedenkstätten gesamtgesellschaftlich an Bekanntheit und Relevanz verloren haben, sind sie für Vertriebenenverbände weiterhin als kollektive Erinnerungsorte von Bedeutung. So organisiert die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland jährlich eine Gedenkzeremonie in Friedland, durch die an die russlanddeutschen Opfer von Deportation und Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs erinnert wird.
Friedland als Ort der Kontrolle und Überprüfung: Das Aussiedler-Aufnahmeverfahren
Gleichzeitig geht diese positive Erinnerung an Friedland als ein Ort der Befreiung aber auch mit institutionalisierten Kontroll- und Überprüfungsverfahren für die Neuankömmlinge einher. Von Beginn seiner Geschichte an mussten die im Lager Ankommenden verschiedene administrative Kontrollprozeduren durchlaufen, durch die ihre Berechtigung, nach Deutschland einzureisen, überprüft wurde.
Der erste Teil dieser Überprüfungsprozedur, die die Antragssteller durchlaufen müssen, ist das "schriftliche Verfahren". Durch dieses vorgeschaltete Verfahren wird darüber entschieden, ob ein Antragssteller die rechtlichen Kriterien erfüllt, um als Spätaussiedler auf dem Territorium der BRD aufgenommen zu werden. Seit 1990 wurde die Antragsstellung selbst außerhalb der deutschen Grenzen verlagert. Das heißt, dass eine Person, die sich als Spätaussiedler bewerben möchte, ihren Antrag zunächst in einem deutschen Konsulat oder einer Botschaft in ihrem Herkunftsland stellen muss. Dort werden ihre Sprachkenntnisse durch einen mündlichen Test überprüft. Auf der Grundlage dieses Tests sowie den mit dem Antrag eingereichten Dokumenten, wie beispielsweise Geburtsurkunden und Pässen, treffen die Beamten in Friedland dann eine Aufnahmeentscheidung. Wenn die rechtlichen Kriterien für die Aufnahme nach Einschätzung der Beamten erfüllt wurden, erhält die Person einen Aufnahmebescheid, der sie dazu berechtigt, nach Deutschland einzureisen. Falls die Aufnahmeentscheidung jedoch negativ ausfällt, bleibt ihr die Einreise nach Deutschland verwehrt. Um einen Aufnahmebescheid zu erhalten, müssen die Antragssteller ihre Zugangsberechtigung also zunächst durch schriftliche Dokumente und durch einen im Herkunftsland absolvierten Sprachtest unter Beweis stellen. Durch diesen vorgelagerten "Filterprozess" kann die Verwaltung die Einwanderung von Spätaussiedlern effektiv lenken und kontrollieren.
Alle Antragssteller, die das "schriftliche Verfahren" erfolgreich durchlaufen haben, müssen sich nach ihrer Ankunft auf deutschem Territorium dann noch dem "mündlichen Verfahren" unterziehen. Dieses Verfahren findet im Grenzdurchgangslager Friedland statt, wo sie nach ihrer Ankunft in Deutschland untergebracht werden, bis die Aufnahmeentscheidung überprüft und bestätigt wurde. Das "mündliche Verfahren" beruht auf einer Befragung durch einen Beamten des Bundesverwaltungsamts, zu der die Antragssteller und ihre mit ihnen reisenden Familienangehörigen einbestellt werden, sobald sie in Friedland ankommen.
Der Raum, in dem russlanddeutsche Antragssteller warten, bevor sie zum "mündlichen Verfahren“ aufgerufen werden. (© Gesine Wallem/Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa - BKGE)
Der Raum, in dem russlanddeutsche Antragssteller warten, bevor sie zum "mündlichen Verfahren“ aufgerufen werden. (© Gesine Wallem/Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa - BKGE)
Ziel dieser Anhörung ("Plausibilitätsprüfung") ist es, die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Antragssteller im Verhältnis zu den schriftlich eingereichten Unterlagen zu überprüfen. Diese wird durch eine kurze Unterhaltung in deutscher Sprache getestet, in der den Antragsstellern Fragen, z.B. zu ihrem Geburtsdatum und -Ort, ihren Familienangehörigen, Herkunftsorten etc. gestellt werden. Wenn die Aufnahmeentscheidung als gültig bestätigt wird, wird die Person als Spätaussiedler registriert und einem bestimmten Bundesland gemäß eines Verteilungsschlüssels zugeteilt. Mit der Registrierung ist sie offiziell als deutscher Staatsangehöriger anerkannt und darf das Lager verlassen. Falls es jedoch Anhaltspunkte gibt, die Anlass zum Zweifel über die Gültigkeit der Aufnahme geben, kann der Aufnahmebescheid potentiell zurückgezogen werden, was zur nachträglichen Ablehnung als Spätaussiedler führen kann.
Darüber hinaus geht die Aufnahme in Friedland auch noch mit weiteren Überprüfungsprozeduren einher, denen sich alle Lagerbewohner unterziehen müssen. Nach der Ankunft in Friedland erhalten die Neuankömmlinge einen "Laufzettel", auf dem die verschiedenen Stationen verzeichnet sind, die sie während ihres Aufenthalts im Lager durchlaufen müssen. Eine dieser Stationen, die seit der Gründung des Lagers bestehen geblieben ist, ist die medizinische Untersuchung. Jede im Lager aufgenommene Person muss sich unmittelbar nach ihrer Ankunft einer Röntgenuntersuchung unterziehen, um eine potentielle Infektion durch Tuberkulose auszuschließen.
Baracken, in denen die Antragssteller für die Dauer ihres Verfahrens in Friedland untergebracht sind. (© Gesine Wallem/Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa - BKGE)
Baracken, in denen die Antragssteller für die Dauer ihres Verfahrens in Friedland untergebracht sind. (© Gesine Wallem/Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa - BKGE)
Darüber hinaus werden die Anträge auch von deutschen Sicherheitsbehörden überprüft. Falls eine Person verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben, wenn ein Anhaltspunkt für einen längeren Gefängnisaufenthalt besteht o.ä., gilt dies als Grund für einen Ablehnungsbescheid. Die Tatsache, dass viele dieser Kontrollprozeduren seit mehreren Jahrzehnten in Friedland bestehen, zeigt die Kontinuität der Wahrnehmung und Behandlung der Lagerbewohner als potentielle Risiken für die einheimische Bevölkerung. Nur diejenigen, die erfolgreich die Kontrollprozeduren durchlaufen, und dadurch ihre Zugangsberechtigung unter Beweis gestellt haben, werden letztendlich als deutsche Staatsangehörige aufgenommen und werden so ein Teil der positiven Erzählung der Aufnahme in Friedland.
Fazit
Durch die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Aspekte der Aufnahme wird die Ambivalenz zwischen der kollektiven Erinnerung der "Heimkehr" einerseits und der restriktiven Überprüfungsprozeduren andererseits deutlich. Auf der einen Seite ist Friedland bis heute als ein Ort der Befreiung und der Solidarität bekannt, wo Millionen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder Unterdrückung flohen, Aufnahme gefunden haben. Trotz der unterschiedlichen Migrationsgeschichten der in Friedland ankommenden Menschen bleibt der Ort am stärksten mit der Erzählung von "deutschen" Opfern der osteuropäischen Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Als ein nationaler Erinnerungsort prägte Friedland die Erzählung von Heimkehr und Befreiung der Deutschen aus Osteuropa entscheidend mit.
Auf der anderen Seite zeigt der Überblick über die Registrier- und Überprüfungsverfahren aber auch die Kontinuität der Kontroll- und Überwachungspraktiken, denen sich die Antragssteller unterziehen müssen. Diese Praktiken zeugen von einer ganz anderen Wahrnehmung von Friedland als eine "Transitzone", die schon immer stark durch Kontroll- und Überprüfungsprozeduren reguliert wurde. Hier wird deutlich, dass die in Friedland Ankommenden, auch wenn sie sich selbst als "Deutsche" verstehen, nicht unbedingt als Teil der Aufnahmegesellschaft gesehen werden. Die Antragssteller müssen ihre Berechtigung erst durch Befragungen und Überprüfungen unter Beweis stellen, bevor sie rechtlich als "Deutsche" anerkannt werden. In diesem Sinne ist das Lager auch als eine Art "Drehkreuz" zu verstehen, wo die Grenzen zwischen "Deutschen" und "Nicht-Deutschen" immer wieder neu definiert werden.