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Ankunft in Friedland | Russlanddeutsche | bpb.de

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Ankunft in Friedland Das Grenzdurchgangslager als Erinnerungsort und Aufnahmeeinrichtung für russlanddeutsche Aussiedler und Spätaussiedler

Gesine Wallem

/ 14 Minuten zu lesen

Trotz der Vielfalt an Migrationsgeschichten und -Erinnerungen bleibt das Grenzdurchgangslager Friedland in erster Linie mit der Erinnerung an die Vertreibung und Unterdrückung von Deutschen in Mittel- und Osteuropa verbunden. Die symbolische Bedeutung von Friedland als ein nationaler Erinnerungsort wird in der Bezeichnung "Tor zur Freiheit" deutlich.

Flüchlinge und Spätaussiedler gehen am 12.01.2018 in der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen, Standort Grenzdurchgangslager Friedland (Niedersachsen) an der Heimkehrerglocke vorbei. (© picture-alliance/dpa)

Das Grenzdurchgangslager Friedland ist in besonderer Weise mit der Geschichte von Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland verbunden. Seit seiner Gründung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dort über vier Millionen Vertriebene, Flüchtlinge, Übersiedler, Kriegsheimkehrer und (Spät-)Aussiedler aufgenommen und provisorisch untergebracht. Auch für einen großen Teil der Russlanddeutschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die vor allem ab dem Ende der 1980er-Jahre in großer Zahl nach Friedland kamen, hat das Grenzdurchgangslager als Ankunftsort eine besondere Bedeutung. Zum einen steht es als kollektiver Erinnerungsort symbolhaft für die Befreiung von kommunistischer Unterdrückung und die Rückkehr ins Heimatland der Vorfahren. Im Gegensatz zu einer generell eher negativen Wahrnehmung von Flüchtlingslagern und Erstaufnahmeeinrichtungen blieb Friedland dauerhaft mit der Erzählung von Solidarität und Fürsorge gegenüber Schutzsuchenden verbunden. Noch immer finden dort jährlich Gedenkveranstaltungen statt, durch die an die Aufnahme der Deutschen aus Osteuropa und der Sowjetunion bzw. ihren Nachfolgestaatenerinnert wird. Gleichzeitig ist das Lager auch von Beginn seiner Geschichte an ein Ort der Regulierung und Kontrolle gewesen. Noch heute müssen sich die dort Ankommenden einem administrativen Aufnahmeverfahren unterziehen, in dem ihre Zugangsberechtigung zum deutschen Territorium überprüft wird, bevor sie registriert und weiterverteilt werden. Friedland ist also für viele Russlanddeutsche gleichermaßen auch mit Erfahrungen von Kontrolle und Überprüfung verbunden.

Vor diesem Hintergrund nimmt der folgende Beitrag das Grenzdurchgangslager Friedland als Erinnerungsort und Aufnahmeeinrichtung in den Blick. Zunächst gibt er einen kurzen Überblick über die Geschichte des Lagers und die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, die dort aufgenommen wurden. Anschließend werden die kollektiven Erinnerungen und Symboliken beleuchtet, die an diesen Ort geknüpft sind. Zum Schluss geht der Beitrag auf die Verwaltungspraktiken ein, durch die der Zugang zum Spätaussiedlerstatus bis heute reguliert wird. Ziel des Beitrags ist es, anhand dieser verschiedenen Facetten des Lagers die Vielschichtigkeit der an Friedland geknüpften Migrationsgeschichten, -Erinnerungen und -Erfahrungen zu zeigen.

Geschichtlicher Überblick

Das Grenzdurchgangslager Friedland war von Beginn an ein wichtiger Transitpunkt, den innerhalb seiner Geschichte Hunderttausende von Menschen aus verschiedensten Herkunftsländern durchlaufen haben. Errichtet wurde es im September 1945 von der britischen Militärverwaltung als eines von vielen provisorischen Notaufnahmelagern im vom Krieg zerstörten Deutschland. Das Lager südlich von Göttingen lag auf der Grenze zwischen der britischen, amerikanischen und sowjetischen Besatzungszone und diente vor allem als Grenzkontrollstation, um den damals großen Zustrom all derjenigen zu regulieren, die die sich verfestigende Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland überqueren wollten. Die Mehrheit der damals im Lager Aufgenommenen waren Menschen aus den ehemals deutschen Gebieten und anderen Regionen Osteuropas, die ihre Heimatorte im Zuge der Vertreibungen, Evakuierungen, Deportationen und Zwangsumsiedlungen des Zweiten Weltkriegs verlassen mussten. Eine weitere Gruppe der in Friedland Angekommenen bildeten Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise der DDR, die nach ihrer Übersiedlung oder Flucht im Lager aufgenommen wurden. Besonders bekannt wurde Friedland außerdem als Aufnahmeort für die aus sowjetischer Gefangenschaft entlassenen deutschen Soldaten. Vor allem die Ankunft der letzten deutschen Kriegsgefangenen zwischen 1955 und 1956 prägte das Bild des Lagers und trug maßgeblich zur seiner Wahrnehmung in der deutschen Öffentlichkeit bei.

Ab dem Ende der 1950er-Jahre wurde das Lager dann in erster Linie als Aufnahmeeinrichtung für Aussiedler aus dem östlichen Europa genutzt. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten waren dies vor allem "Nachzügler" der Vertreibungsmaßnahmen des zweiten Weltkriegs, die bereits Familienangehörige in Deutschland hatten und im Rahmen von Programmen zur Familienzusammenführung nach Deutschland ausreisen durften. Ab den 1970er-Jahren entwickelte sich die Aufnahme von Aussiedlern allmählich zu einer Migrationspolitik von weit größerem Ausmaß. So wurden nach und nach auch Mitglieder der nächsten Generation in Deutschland aufgenommen, die nach dem Krieg geboren worden waren und die Vertreibungen selbst nicht erlebt hatten. Aufgrund des Nachweises der deutschen Volkszugehörigkeit sowie der Annahme einer weiterhin andauernden Nachwirkung der Vertreibungen wurden sie kraft des Bundesvertriebenengesetzes als deutsche Staatsbürger anerkannt. Infolge der Liberalisierungen der Ausreisebedingungen in den Ostblockstaaten stieg die Anzahl der in Friedland ankommenden Aussiedler aus Polen, Rumänien und der Sowjetunion ab den späten 1980er-Jahren sprunghaft an. Den größten Anteil dieser Zuwanderungsbewegung machten ab den 1990er-Jahren Russlanddeutsche aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion aus. Von den über zwei Millionen Aussiedlern, die insgesamt in Friedland aufgenommen wurden, kamen etwa eine Million aus der ehemaligen Sowjetunion. Als die Zuwanderung von Spätaussiedlern infolge der Gesetzesverschärfungen ab Mitte der 1990er-Jahre stark eingeschränkt wurde, blieb in Friedland die deutschlandweit einzige Erstaufnahmeeinrichtung für Spätaussiedler erhalten. Im Jahr 2017 wurden circa 7000 Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen aus der ehemaligen Sowjetunion in Friedland registriert.

Neben seiner Funktion als Aufnahmelager für deutsche Vertriebene, Kriegsheimkehrer, Übersiedler und Aussiedler diente Friedland in seiner Geschichte auch immer wieder als provisorischer Unterbringungsort für internationale Flüchtlinge. So wurde bereits zwischen 1949 und 1952 ein provisorisches Wohnlager für ausländische Flüchtlinge und "displaced persons" eingerichtet. Im Rahmen von humanitären Hilfsaktionen beherbergte das Lager außerdem ungarische Flüchtlinge infolge des Aufstands von 1956, sowie in den 1970er Jahren Bürgerkriegsflüchtlinge aus Chile und die sogenannten "boat people" aus Vietnam. Infolge des Anstiegs der Asylgesuche in den 1970er Jahren wurden zunehmend auch Flüchtlinge aus anderen Ländern zeitweise in Friedland untergebracht. Aufgrund der sinkenden Spätaussiedlerzahlen seit den 2000er-Jahren werden große Teile des Lagers heute von der niedersächsischen Landesregierung als Unterbringungsort für internationale Asylsuchende genutzt. Im Jahr 2016 wurde außerdem ein Museum im ehemaligen Bahnhofsgebäude von Friedland errichtet, in dem die Geschichte des immer noch bestehenden Lagers dokumentiert wird. Darin wird gezeigt, wie stark die Geschichte Friedlands mit den Migrationsbewegungen unterschiedlicher Zuwanderergruppen verwoben ist, die das Lager durchlaufen haben.

Friedland als ein nationaler Erinnerungsort

Trotz dieser Vielfalt an Migrationsgeschichten und -erinnerungen bleibt das Lager jedoch in erster Linie mit dem Kollektivgedächtnis an die Vertreibung und Unterdrückung von Deutschen in Mittel- und Osteuropa verbunden. Als Aufnahmeort für diese Menschen spielte Friedland eine zentrale Rolle in der westdeutschen Erinnerungskultur nach dem Zweiten Weltkrieg. Eines der wichtigsten Ereignisse in diesem Zusammenhang war die bereits erwähnte Ankunft der letzten deutschen Kriegsgefangenen, die als die "Heimkehr der Zehntausend" in der deutschen Öffentlichkeit bekannt wurde. Die Rückkehr der deutschen Soldaten, die viele Jahre in Kriegsgefangenschaft verbracht hatten war ein emotionales Ereignis, das in der deutschen Öffentlichkeit damals mehrheitlich positiv aufgenommen wurde. Seine Verbreitung in den Medien trug dazu bei, Friedland als einen Ort der Befreiung und Heimkehr in der deutschen Erinnerungskultur zu prägen. Im Kontext der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West während des Kalten Krieges wurde diese Erzählung auch auf die dort ankommenden Aussiedler aus Osteuropa übertragen. Obwohl die Migrationsbedingungen der verschiedenen Gruppen je nach Status und Herkunftsort sehr unterschiedlich waren, wurden sie alle Teil einer kollektiven Geschichte über "deutsches" Leid und Unterdrückung in den kommunistischen Regimen Osteuropas. Friedland wurde somit zum Symbol für die Aufnahme und Befreiung dieser Deutschen, die nach Jahren der Unterdrückung endlich in ihr Heimatland zurückkehren konnten.

Die symbolische Bedeutung von Friedland als ein nationaler Erinnerungsort wird auch in der Bezeichnung "Tor zur Freiheit" deutlich, die in den 1950er-Jahren in den westdeutschen Medien geprägt wurde. Diese ideologisch aufgeladene Metapher beschreibt Friedland als ein Tor, das die kommunistischen Regime der Unterdrückung von der "freien" westlichen Welt trennt. Die in Friedland ankommenden Menschen durchschritten symbolisch das "Tor zur Freiheit", um ein neues Leben zu beginnen. Zur Verbreitung dieses öffentlichkeitswirksamen Bildes von Friedland trugen vor allem die in Friedland präsenten humanitären Wohlfahrtsverbände bei, wie beispielsweise die kirchlichen Organisationen Caritas und Evangelisches Hilfswerk sowie das Deutsche Rote Kreuz. Diese Verbände hatten vor allem in den ersten Jahrzehnten des Lagers eine große Bedeutung. Durch ihren Einsatz bei der humanitären Versorgung der Lagerbewohner waren sie an der Organisation des Lagerlebens beteiligt und kommunizierten durch Spendenaktionen und -kampagnen ihre Rolle auch nach außen. Dadurch trugen sie dazu bei, Friedland in der Öffentlichkeit als einen Ort der Solidarität und Wohltätigkeit bekannt zu machen, an dem die Ankommenden nach Jahren der Unterdrückung von Leid und Not befreit wurden. Zwar verloren bereits seit dem Ende der 1950er Jahre die Wohlfahrtsverbände sowie das von ihnen verbreitete Bild des Lagers in der deutschen Öffentlichkeit stark an Bedeutung. Trotzdem ist das positiv geprägte Bild von Friedland als ein Ort der Solidarität und Fürsorge in der Erinnerung vieler dort angekommenen Menschen erhalten geblieben.

Die Kontinuität des Lagers als positiv besetzter Erinnerungsort zeigt sich auch in den verschiedenen Denkmälern und Gedenkstätten im Lager Friedland und in seiner Umgebung. Eines der bekanntesten ist die sogenannte "Friedlandglocke", die sich inmitten des Lagers befindet. In den 1950er Jahren wurde diese Glocke geläutet, um die Ankunft von Vertriebenen, Kriegsgefangenen oder organisierten Aussiedlertransporten im Lager anzukündigen.

Die "Friedlandglocke“: Symbol für die Aufnahme von Vertriebenen, Kriegsgefangenen und Aussiedlern im Grenzdurchgangslager. (© Gesine Wallem/Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa - BKGE)

Durch ihre Bekanntmachung in den westdeutschen Medien und im Rundfunk wurde die Glocke während des Kalten Krieges zu einem wichtigen Symbol für die Aufnahmebereitschaft und die solidarische Hilfe der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den deutschen "Landsleuten" aus dem Osten. Ein weiterer mit der Erinnerung an Vertriebene und Kriegsheimkehrer verknüpfter Ort ist die sogenannte "Friedland-Gedächtnisstätte". Das imposante Denkmal wurde 1967 auf dem Hagenberg, in der Nähe des Lagers Friedland errichtet. Auch wenn diese Gedenkstätten gesamtgesellschaftlich an Bekanntheit und Relevanz verloren haben, sind sie für Vertriebenenverbände weiterhin als kollektive Erinnerungsorte von Bedeutung. So organisiert die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland jährlich eine Gedenkzeremonie in Friedland, durch die an die russlanddeutschen Opfer von Deportation und Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs erinnert wird. Die Gedenkzeremonien finden in der katholischen Kirche des Lagers statt und enden mit einer Andacht und Kranzniederlegung vor der Friedlandglocke und dem Heimkehrerdenkmal. Dies zeigt die symbolische Aufladung Friedlands als Erinnerungsort für russlanddeutsche (Spät)-Aussiedler. Obwohl die Meisten von ihnen lange nach dem Krieg und unter ganz anderen Umständen nach Friedland kamen, ist die Nachkriegserzählung von Friedland als dem "Tor zur Freiheit" in der kollektiven Erinnerung erhalten geblieben.

Friedland als Ort der Kontrolle und Überprüfung: Das Aussiedler-Aufnahmeverfahren

Gleichzeitig geht diese positive Erinnerung an Friedland als ein Ort der Befreiung aber auch mit institutionalisierten Kontroll- und Überprüfungsverfahren für die Neuankömmlinge einher. Von Beginn seiner Geschichte an mussten die im Lager Ankommenden verschiedene administrative Kontrollprozeduren durchlaufen, durch die ihre Berechtigung, nach Deutschland einzureisen, überprüft wurde. Auch wenn sich einige dieser Prozeduren über die Jahrzehnte verändert haben, ist die Funktion Friedlands als Kontrollinstitution erhalten geblieben. Noch heute müssen sich die Neuankömmlinge einem festgelegten Verwaltungsverfahren unterziehen, bevor sie das Lager wieder verlassen dürfen. Für russlanddeutsche Antragssteller und ihre Familienangehörigen ist dies das sogenannte Aussiedleraufnahmeverfahren, für das das Bundesverwaltungsamt zuständig ist. Im Grenzdurchgangslager Friedland befindet sich eine Außenstelle dieser Behörde, wo das Aufnahmeverfahren durchgeführt wird. Ziel dieses Verfahrens ist es, eine Unterscheidung zwischen berechtigten und nichtberechtigten Antragsstellern vorzunehmen. Das erfolgreiche Durchlaufen des Aufnahmeverfahrens entscheidet also grundlegend darüber, ob und unter welchen Bedingungen ein Antragssteller für den Spätaussiedlerstatus in Deutschland bleiben darf.

Der erste Teil dieser Überprüfungsprozedur, die die Antragssteller durchlaufen müssen, ist das "schriftliche Verfahren". Durch dieses vorgeschaltete Verfahren wird darüber entschieden, ob ein Antragssteller die rechtlichen Kriterien erfüllt, um als Spätaussiedler auf dem Territorium der BRD aufgenommen zu werden. Seit 1990 wurde die Antragsstellung selbst außerhalb der deutschen Grenzen verlagert. Das heißt, dass eine Person, die sich als Spätaussiedler bewerben möchte, ihren Antrag zunächst in einem deutschen Konsulat oder einer Botschaft in ihrem Herkunftsland stellen muss. Dort werden ihre Sprachkenntnisse durch einen mündlichen Test überprüft. Auf der Grundlage dieses Tests sowie den mit dem Antrag eingereichten Dokumenten, wie beispielsweise Geburtsurkunden und Pässen, treffen die Beamten in Friedland dann eine Aufnahmeentscheidung. Wenn die rechtlichen Kriterien für die Aufnahme nach Einschätzung der Beamten erfüllt wurden, erhält die Person einen Aufnahmebescheid, der sie dazu berechtigt, nach Deutschland einzureisen. Falls die Aufnahmeentscheidung jedoch negativ ausfällt, bleibt ihr die Einreise nach Deutschland verwehrt. Um einen Aufnahmebescheid zu erhalten, müssen die Antragssteller ihre Zugangsberechtigung also zunächst durch schriftliche Dokumente und durch einen im Herkunftsland absolvierten Sprachtest unter Beweis stellen. Durch diesen vorgelagerten "Filterprozess" kann die Verwaltung die Einwanderung von Spätaussiedlern effektiv lenken und kontrollieren.

Alle Antragssteller, die das "schriftliche Verfahren" erfolgreich durchlaufen haben, müssen sich nach ihrer Ankunft auf deutschem Territorium dann noch dem "mündlichen Verfahren" unterziehen. Dieses Verfahren findet im Grenzdurchgangslager Friedland statt, wo sie nach ihrer Ankunft in Deutschland untergebracht werden, bis die Aufnahmeentscheidung überprüft und bestätigt wurde. Das "mündliche Verfahren" beruht auf einer Befragung durch einen Beamten des Bundesverwaltungsamts, zu der die Antragssteller und ihre mit ihnen reisenden Familienangehörigen einbestellt werden, sobald sie in Friedland ankommen.

Der Raum, in dem russlanddeutsche Antragssteller warten, bevor sie zum "mündlichen Verfahren“ aufgerufen werden. (© Gesine Wallem/Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa - BKGE)

Ziel dieser Anhörung ("Plausibilitätsprüfung") ist es, die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Antragssteller im Verhältnis zu den schriftlich eingereichten Unterlagen zu überprüfen. Diese wird durch eine kurze Unterhaltung in deutscher Sprache getestet, in der den Antragsstellern Fragen, z.B. zu ihrem Geburtsdatum und -Ort, ihren Familienangehörigen, Herkunftsorten etc. gestellt werden. Wenn die Aufnahmeentscheidung als gültig bestätigt wird, wird die Person als Spätaussiedler registriert und einem bestimmten Bundesland gemäß eines Verteilungsschlüssels zugeteilt. Mit der Registrierung ist sie offiziell als deutscher Staatsangehöriger anerkannt und darf das Lager verlassen. Falls es jedoch Anhaltspunkte gibt, die Anlass zum Zweifel über die Gültigkeit der Aufnahme geben, kann der Aufnahmebescheid potentiell zurückgezogen werden, was zur nachträglichen Ablehnung als Spätaussiedler führen kann.

Darüber hinaus geht die Aufnahme in Friedland auch noch mit weiteren Überprüfungsprozeduren einher, denen sich alle Lagerbewohner unterziehen müssen. Nach der Ankunft in Friedland erhalten die Neuankömmlinge einen "Laufzettel", auf dem die verschiedenen Stationen verzeichnet sind, die sie während ihres Aufenthalts im Lager durchlaufen müssen. Eine dieser Stationen, die seit der Gründung des Lagers bestehen geblieben ist, ist die medizinische Untersuchung. Jede im Lager aufgenommene Person muss sich unmittelbar nach ihrer Ankunft einer Röntgenuntersuchung unterziehen, um eine potentielle Infektion durch Tuberkulose auszuschließen.

Baracken, in denen die Antragssteller für die Dauer ihres Verfahrens in Friedland untergebracht sind. (© Gesine Wallem/Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa - BKGE)

Darüber hinaus werden die Anträge auch von deutschen Sicherheitsbehörden überprüft. Falls eine Person verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben, wenn ein Anhaltspunkt für einen längeren Gefängnisaufenthalt besteht o.ä., gilt dies als Grund für einen Ablehnungsbescheid. Die Tatsache, dass viele dieser Kontrollprozeduren seit mehreren Jahrzehnten in Friedland bestehen, zeigt die Kontinuität der Wahrnehmung und Behandlung der Lagerbewohner als potentielle Risiken für die einheimische Bevölkerung. Nur diejenigen, die erfolgreich die Kontrollprozeduren durchlaufen, und dadurch ihre Zugangsberechtigung unter Beweis gestellt haben, werden letztendlich als deutsche Staatsangehörige aufgenommen und werden so ein Teil der positiven Erzählung der Aufnahme in Friedland.

Fazit

Durch die Gegenüberstellung der unterschiedlichen Aspekte der Aufnahme wird die Ambivalenz zwischen der kollektiven Erinnerung der "Heimkehr" einerseits und der restriktiven Überprüfungsprozeduren andererseits deutlich. Auf der einen Seite ist Friedland bis heute als ein Ort der Befreiung und der Solidarität bekannt, wo Millionen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder Unterdrückung flohen, Aufnahme gefunden haben. Trotz der unterschiedlichen Migrationsgeschichten der in Friedland ankommenden Menschen bleibt der Ort am stärksten mit der Erzählung von "deutschen" Opfern der osteuropäischen Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Als ein nationaler Erinnerungsort prägte Friedland die Erzählung von Heimkehr und Befreiung der Deutschen aus Osteuropa entscheidend mit.

Auf der anderen Seite zeigt der Überblick über die Registrier- und Überprüfungsverfahren aber auch die Kontinuität der Kontroll- und Überwachungspraktiken, denen sich die Antragssteller unterziehen müssen. Diese Praktiken zeugen von einer ganz anderen Wahrnehmung von Friedland als eine "Transitzone", die schon immer stark durch Kontroll- und Überprüfungsprozeduren reguliert wurde. Hier wird deutlich, dass die in Friedland Ankommenden, auch wenn sie sich selbst als "Deutsche" verstehen, nicht unbedingt als Teil der Aufnahmegesellschaft gesehen werden. Die Antragssteller müssen ihre Berechtigung erst durch Befragungen und Überprüfungen unter Beweis stellen, bevor sie rechtlich als "Deutsche" anerkannt werden. In diesem Sinne ist das Lager auch als eine Art "Drehkreuz" zu verstehen, wo die Grenzen zwischen "Deutschen" und "Nicht-Deutschen" immer wieder neu definiert werden.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Sascha Schießl, 'Das Tor zur Freiheit': Kriegsfolgen, Erinnerungspolitik und humanitärer Anspruch im Lager Friedland (1945-1970). Göttingen: Wallstein Verlag 2016, S.7.

  2. Zur Geschichte des Lagers Friedland vgl. den Beitrag von Sascha Schießl, Das Lager Friedland – vom Provisorium zum Museum. In: Bundeszentrale für politische Bildung, Kurzdossier Zuwanderung, Flucht und Asyl, 8.5.2017. Interner Link: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/246943/friedland (2.5.2018)

  3. Zur Gründungsgeschichte des Lagers, siehe Sascha Schießl, ‚Das Tor zur Freiheit‘, S.103 f.

  4. Vgl. Joachim Baur: "Grenzdurchgangslager Friedland". In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. Externer Link: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p36233 (27.04.2018)

  5. Zur Bedeutung der deutschen Kriegsgefangenen für die Geschichte des Lagers, vgl. Sascha Schießl, ‚Das Tor zur Freiheit‘, S.207 f.

  6. Zu den rechtlichen Grundlagen und der Entwicklung der Aussiedlerpolitik vgl. den Beitrag von Jannis Panagiotidis, Aussiedler. In: Bundeszentrale für politische Bildung, Kurzdossier Zuwanderung, Flucht und Asyl, 13.7.2017. Interner Link: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/252536/aussiedler?p=all (2.5.2018)

  7. Für einen detaillierten Überblick zur Aussiedlermigration zwischen 1950 und 1989 siehe Jannis Panagiotidis, "Staat, Zivilgesellschaft und Aussiedlermigration 1950-1989“, in: Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Oldenburg: De Gruyter 2015.

  8. Joachim Baur: "Grenzdurchgangslager Friedland". In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2014. Externer Link: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p36233 (27.04.2018)

  9. Bundesverwaltungsamt, „(Spät-)Aussiedler und ihre Angehörigen – Zeitreihe 1950 – 2017“ in: Bundesverwaltungsamt: Statistiken zum Spätaussiedleraufnahmeverfahren. https://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BVA/Staatsangeh%C3%B6rigkeit/Aussiedler/Statistik/Zeitreihe_1950_2017.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (17.09.2018)

  10. Zu Friedland als Unterbringungsort für internationale Flüchtlinge, vgl. den Beitrag von Lorraine Bluche und Joachim Baur, "Friedland international? Zur Unterbringung ausländischer Geflüchteter im Grenzdurchgangslager Friedland in den 1970er Jahren", in: Bundeszentrale für politische Bildung: Deutschland Archiv, 13.11.2017. Interner Link: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/259282/friedland-international (2.5.2018).

  11. Die Kategorie "displaced person" wurde von den Alliierten geprägt und bezeichnete Menschen, die sich infolge von Verschleppung, Deportationen und Zwangsarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg außerhalb ihrer Heimatländer befanden. Unter den in Friedland untergebrachten Personen waren Staatsangehörige aus der Tschechoslowakei, Italien, Spanien, Polen, Ungarn, Jugoslawien, Lettland, Litauen, sowie Staatenlose. Vgl. dazu Christoph Schnellbach: "Displaced Persons (DPs)". In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2015. Externer Link: ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32833 (2.5.2018)

  12. Vgl. Lorraine Bluche, "Ausnahmsweise und vorübergehend. Zur Unterbringung von ausländischen Geflüchteten im Grenzdurchgangslager Friedland in den 1970er und 1980er Jahren", in: Joachim Baur and Lorraine Bluche, Fluchtpunkt Friedland. Über das Grenzdurchgangslager, 1945 bis heute. Göttingen: Wallstein Verlag 2017.

  13. Vgl. Joachim Baur und Lorraine Bluche (Hg.), "Fluchtpunkt Friedland. Über das Grenzdurchgangslager, 1945 bis heute". Begleitbuch zur Dauerausstellung im Museum Friedland, Göttingen 2017. Zum Museum Friedland, siehe Externer Link: http://www.museum-friedland.de/ (2.5.2018)

  14. Zur "Heimkehr der Zehntausend" als emotionales Ereignis, siehe Schießl, ‚Das Tor zur Freiheit‘, S. 191 f.

  15. Zur Bedeutung der Wohlfahrtsverbände und ihrer Öffentlichkeitsarbeit, siehe Schießl, ‚Das Tor zur Freiheit‘, S.138 f.

  16. Für einen detaillierten Überblick zu den verschiedenen Gedenkstätten und Erinnerungsorten in Friedland, siehe Schießl, ‚Das Tor zur Freiheit‘, S. 281 f.

  17. Zur Bedeutung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland als russlanddeutscher Interessensvertretung, siehe Gesine Wallem, Russlanddeutsches Verbandswesen, Bundeszentrale für politische Bildung: Kurzdossier Zuwanderung, Flucht, Asyl, 13.7.2017. Interner Link: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/252538/russlanddeutsches-verbandswesen (2.5.2018)

  18. Zu Kontroll- und Überprüfungsprozeduren in Friedland für Aussiedler in den 1950er Jahren, siehe Schießl, ‚Das Tor zur Freiheit‘, S. 357 f.

  19. Die Beschreibung der Kontrollprozeduren beruht auf von der Autorin durchgeführten Interviews mit Beamten des Bundesverwaltungsamts in Friedland, sowie teilnehmender Beobachtung beim Aufnahmeverfahren. Für eine detailliertere Analyse des Aufnahmeverfahrens, siehe Gesine Wallem, "Aussiedleraufnahme aus Aushandlungsprozess. Die Interaktion zwischen staatlichen Verwaltungsakteuren und Migrant_innen aus ethnographischer Perspektive". In: v. Dönninghaus, Victor; Panagiotidis, Jannis; Petersen, Hans-Christian (Hrsg.) Bd. 68: Jenseits der "Volksgruppe": Neue Perspektiven auf die Russlanddeutschen zwischen Russland, Deutschland und Amerika, S. 137-154.

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Gesine Wallem, Doktorandin am Centre Marc Bloch, Forschungszentrum für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Titel der Promotion: „Citizenship, ethnicity, and national belonging: the negotiation of ethnic boundaries among ethnic Germans from the former Soviet Union“.