Als untrügliches Zeichen für eine Umkehrung des Entwicklungsprozesses ("reversal of development") werten Kritiker, dass vom Braindrain Brasiliens ausgerechnet die zwei größten Volkswirtschaften USA und Japan profitieren. Zudem begann der Massenexodus der gut gebildeten Mittelschicht just in dem Moment, als sich die neue Demokratie nach der langen Zeit der Militärdiktatur konstituierte. Ob das Ziel Brasiliens erreicht wird, sich zu entwickeln und den Anschluss an die drei großen wirtschaftlich boomenden Schwellenländer Russland, Indien und China nicht zu verlieren, kommt auf mehrere Faktoren an. Es wird nicht zuletzt auch davon abhängen, ob es gelingt, dem zunehmenden Mangel an einer breiten Basis gut ausgebildeter Fachkräfte entgegenzuwirken. Über wirtschaftliche Stabilität hinaus, die Arbeitsplätze und Aufstiegschancen bietet, sind Reformen im Bildungs- und Gesundheitsbereich, der Schutz der Menschenrechte und die Reduktion der Alltagskriminalität entscheidende Faktoren, um potentielle Auswanderer zu bewegen, ihre Bildung in Brasilien einzusetzen.
Die zur wirtschaftlichen Entwicklung benötigten qualifizierten und unternehmerischen Ausländer werden nur dann verstärkt einwandern, wenn die bestehenden bürokratischen Hindernisse abgebaut und die mehrmals vergeblich angestrebte Reform des Ausländergesetzes umgesetzt wird. Laut einer Studie der brasilianischen Wirtschaftsfakultät Fundação Dom Cabral planen mehr als zwei Drittel der befragten Unternehmen, in den nächsten fünf Jahren die Anzahl ihrer ausländischen Arbeitnehmer zu erhöhen.
Die gegenwärtige Regierung ist bestrebt, den Handel im Mercosur und mit den anderen Nachbarstaaten auszubauen. Fortschritte in dieser Hinsicht wurden mit Hilfe einer aktiven Außenpolitik seit 2002 erzielt. Dauerhaft wird dieses Ziel jedoch nur erreicht werden können, wenn vernünftige Regelungen für die wachsende Zahl an Wander- und Arbeitsmigranten vereinbart werden. Einen wichtigen Ansatzpunkt bilden hier die zahlreichen undokumentierten Migranten, die sich unter teils prekären Lebensbedingungen in den Grenzgebieten der Mercosur-Mitgliedstaaten bewegen.
Brasilien trägt als stärkste Wirtschaftsmacht in Lateinamerika auch Verantwortung für den Schutz der afrikanischen und besonders der kolumbianischen Flüchtlinge, die derzeit in das Land strömen. Seine Wahrnehmung als wirtschaftlich und sozial kompetentes Land hängt nicht unwesentlich davon ab, ob in naher Zukunft angemessen auf jene Flüchtlinge reagiert wird, die zu Zehntausenden vor den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Nachbarland fliehen.