QuellentextIn Kürze
In der Zeit der Eroberung und Kolonisierung Chiles im 16. bis 18. Jahrhundert erlebte das Land umfangreiche Zuwanderung aus Spanien. Die Eingewanderten vermischten sich mit der einheimischen Bevölkerung. Nachdem sich Chile 1818 unabhängig erklärte, förderten die Regierungen Einwanderungsprogramme, die hauptsächlich weiße Europäer/-innen, darunter auch Deutsche, ins Land brachten.
Jahrelang verfügte Chile über ein veraltetes Einwanderungsgesetz, das aus dem Jahr 1975 stammte. Es wurde während der
Geschichte der Ein- und Auswanderung in Chile
Bevor
Um die Unabhängigkeit Chiles zu konsolidieren und die Souveränität des jungen Staates zu stärken, wurde eine Strategie zur Besiedlung des Landes entwickelt. Mehrere Gesetze dienten dem Zweck, Migrantinnen und Migranten ins Land zu locken, darunter ein Gesetz von 1824, das Einwandernden Land im Süden Chiles sowie eine Befreiung von der Steuerpflicht für zehn Jahre gewährte. Ein Besiedlungsprogramm von 1845 sollte vor allem weiße Europäer/-innen zur Einwanderung bewegen.
Hinter dieser Politik steckte zum einen die Idee, Gebiete zu erschließen, die als "unbewohnt" galten. Zum anderen sollten auf diese Weise Vorstellungen von Fortschritt(lichkeit) in Chile Einzug halten. Unbewohnt waren diese Gebiete jedoch nicht, da dort Ureinwohner/-innen lebten, die als Bedrohung galten. Die Einwanderung aus Europa führte zu Konflikten mit der indigenen Bevölkerung, die immer weiter nach Süden verdrängt und auf Reservate verteilt wurde. In den nördlichen Gebieten Chiles gab es große Salpeter-Vorkommen, die vor allem mit ausländischem, hauptsächlich britischem Kapital sowie chilenischen und Arbeitskräften aus Grenzgebieten, meist aus Bolivien und Peru, ausgebeutet wurden. Die boomende Industrie ließ die Zahl der Einwandernden in den Jahren 1880-1930 rasch anwachsen, darunter befanden sich viele Italiener/-innen, Französinnen und Franzosen, Chines/-innen und Menschen aus dem Gebiet des späteren Jugoslawiens.
Trotz der hochselektiven Einwanderungsgesetze dominierte weiterhin eine spontane (ungeregelte) Migration. Daher versuchten die Obrigkeiten im 19. und 20. Jahrhundert immer wieder mit neuen Verordnungen die europäische Einwanderung zu begünstigen und Siedlungsgebiete für sie vorzuhalten. Die Nationale Gesellschaft für Landwirtschaft (Sociedad Nacional de Agricultura) verwaltete sie. Eine Kolonisationsagentur warb direkt in Europa Siedler/-innen an. Aufgrund der Einwanderung wuchs die Bevölkerung Chiles Ende des 19. Jahrhunderts auf über 2,5 Millionen Menschen an.
Die deutsche Präsenz in Chile
In der Migrationsgeschichte Chiles lassen sich mehrere Phasen verstärkter deutscher Einwanderung ausmachen: zwischen 1846 und 1875, zwischen 1882 und 1914 und in den Jahren nach 1918.
Einer der deutschen Einwanderer war Paul Schäfer, der 1961 in der Region Maule die "Wohltätigkeits- und Erziehungsgesellschaft Würde" (Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad) gründete. Dort wohnten rund 230 Deutsche, die eine abgeriegelte Enklave bildeten, in der unter dem Deckmantel der Nächstenliebe Menschen misshandelt und erniedrigt wurden. Während
Doch die Migration zwischen Chile und Deutschland verlief auch in umgekehrter Richtung: Während der Militärdiktatur nahm die Bundesrepublik Schätzungen zufolge zwischen 3.000 und 4.000 chilenische Flüchtlinge auf; fast 2.000 Chilen/-innen, die die Regierung von
Bis heute sind die Spuren deutscher Einwanderung im Süden Chiles sichtbar. Ein breites Netz an Bildungs-, sozialen und kulturellen Organisationen sorgt dafür, dass bis in die Gegenwart hinein Vorstellungen von deutscher Identität unter den Nachfahren der Eingewanderten gepflegt werden.
Gegenwart der Migration in Chile
Heute ist Chile eines der Hauptzielländer von Migrant/-innen aus südamerikanischen und karibischen Staaten. Diese Zuwanderung hat seit Anfang der 1990er Jahre zugenommen und zu einem deutlichen Anstieg der Zahl der in Chile lebenden ausländischen Staatsangehörigen beigetragen, der vor allem im letzten Jahrzehnt (2010-2019) erfolgt ist (siehe hierzu Tabelle 1). Im Dezember 2019 wurde die Zahl der Ausländer/-innen auf 1.492.522 Personen beziffert, was 7,8 Prozent der Gesamtbevölkerung Chiles entspricht und den höchsten Wert in der jüngeren Geschichte des Landes bedeutet. Der starke Anstieg der südamerikanischen Migration erklärt sich zum einen durch die wirtschaftliche und politische Stabilität Chiles, zum anderen durch Konflikte oder Erwerbslosigkeit in Herkunftsländern wie Kuba, Haiti,
Ausländische Staatsangehörige in Chile 1854-2019
Jahr | Gesamt- bevölkerung | Gesamtzahl ausländischer Staatsangehöriger | Prozentualer Anteil ausländischer Staatsangehöriger an der Gesamtbevölkerung Chiles |
---|---|---|---|
1854 | 1.439.120 | 19.669 | 1,4 |
1865 | 1.819.223 | 21.982 | 1,2 |
1875 | 2.075.971 | 25.199 | 1,2 |
1885 | 2.507.005 | 87.077 | 3,5 |
1895 | 2.695.625 | 79.056 | 2,9 |
1907 | 3.231.496 | 132.312 | 4,1 |
1920 | 3.731.593 | 114.117 | 3,1 |
1930 | 4.287.445 | 105.463 | 2,5 |
1940 | 5.023.539 | 107.273 | 2,1 |
1952 | 5.932.995 | 103.878 | 1,8 |
1960 | 7.374.115 | 104.853 | 1,4 |
1970 | 8.884.768 | 90.441 | 1,0 |
1982 | 11.329.736 | 84.345 | 0,7 |
1992 | 13.348.401 | 105.070 | 0,8 |
2002 | 15.116.435 | 184.464 | 1,2 |
2017 | 17.574.003 | 746.465 | 4,2 |
2018 | 18.751.405 | 1.251.225 | 6,7 |
2019 | 19.107.216 | 1.492.522 | 7,8 |
Tabellenbeschreibung
In den Daten für 2018 und 2019 gilt als Ausländer/-in jede im Ausland geborene Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Chile hat oder die eine Aufenthaltserlaubnis im Land beantragt hat.
Quellen: Für die Jahre 1854 bis 1940: Cano, M., Soffia, M. und Martínez, J. (2009): Conocer para legislar y hacer política: los desafíos de Chile ante un nuevo escenario migratorio. Santiago de Chile, CEPAL; für die Jahre 1952 bis 2017: Volkszählungen des Nationalen Statistikinstituts (Instituto Nacional de Estadísticas). Für die Jahre 2018 und 2019: Nationales Statistikinstitut (Instituto Nacional de Estadísticas) und Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten (Departamento de Extranjería y Migración) (2019, 2020).
Geographisch konzentriert sich die ausländische Bevölkerung in Chile auf die zentral gelegene Metropolregion Santiago, wo 65,2 Prozent aller Ausländer/-innen leben. In insgesamt vier Regionen macht die ausländische Bevölkerung mehr als fünf Prozent der gesamten Wohnbevölkerung aus: Arica und Parinacota (8,2 Prozent), Metropolregion Santiago (7,0 Prozent); Tarapacá (13,7 Prozent) und Antofagasta (11,0 Prozent) – bis auf die Metropolregion Santiago alle im Norden Chiles gelegen.
Migrationspolitik in Chile
Das chilenische Parlament hat im Dezember 2020 ein neues Migrationsgesetz verabschiedet, das aber bislang (Stand: 02.03.2021) noch nicht in Kraft getreten und umstritten ist (siehe unten). Das Gesetz soll das bislang gültige Migrationsgesetz ablösen, das noch aus der Zeit der Militärdiktatur stammt.
Mit der Verabschiedung des Migrationsgesetzes von 1975 hatte die Militärregierung die Figur des unerwünschten Migranten festgeschrieben.
Mit der Rückkehr der Demokratie im Jahr 1990 wurde eine Neuerung des Migrationsgesetzes erwartet. Es dauerte jedoch 30 Jahre, bis dies geschah: Im Jahr 2017 sandte Präsidentin Bachelet den Entwurf eines Migrationsgesetzes an den Nationalkongress (das chilenische Parlament), der von der Regierung auch nach Konsultationen von migrantischen Organisationen ausgearbeitet worden war. Der Kongress stoppte das Gesetzesprojekt allerdings, weil die Befürchtung bestand, die Regelung könne zu verstärkter Einwanderung führen. Darüber hinaus unterzeichnete Bachelet sowohl in ihrer ersten (2006-2010) als auch in ihrer zweiten Amtszeit (2014-2018) Erlasse, die die Situation von Migrant/-innen verbesserten und den Grundstein für die Etablierung eines nationalen Migrationssystems legten.
die Anwendung der Menschenrechtsstandards, die in den von Chile ratifizierten internationalen Abkommen verankert sind;
die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive bei der Gestaltung, Umsetzung und Evaluierung politischer Maßnahmen und öffentlicher Programme;
die Förderung interkultureller Begegnung und
die Bereitstellung von Informationen für die Umsetzung und Evaluierung der nationalen Migrationspolitik.
Vorgesehen war auch die Einrichtung eines Nationalen Beirats für Migration, der die Stimme der Bürger/-innen in der Migrationspolitik sichern sollte.
Mit der zweiten Regierung von Sebastián Piñera, die seit 2018 amtiert, erlitten die zuvor geförderten Initiativen einen Rückschlag. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im März 2018 rief Piñera eine Initiative mit dem Titel "Neue Migration" (Nueva migración) ins Leben, die eine Reihe von Maßnahmen vorsieht, die sowohl die Migration eindämmen als auch dazu führen sollen, dass Migrant/-innen verstärkt in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Ausweisungen richteten sich dabei vor allem gegen Eingewanderte aus Haiti. Es wurden eigene Flugverbindungen zum Zweck der Rückführung nach Haiti eingerichtet und ein zehnjähriges Wiedereinreiseverbot für die Abgeschobenen verhängt.
Das Gesetz sieht die Einführung neuer Visakategorien und eines Nationalen Migrationsdienstes vor, der ein zentrales Register einrichten soll, das Informationen über alle in Chile lebenden ausländischen Staatsangehörigen speichert. Auch soll irreguläre Migration wirksamer bekämpft werden. Darüber hinaus erschwert das Gesetz die Erlangung einer Arbeitserlaubnis; so können Personen, die mit einem Touristenvisum eingereist sind, von nun an keine Änderung dieses Visums mehr beantragen, um arbeiten zu dürfen. Stattdessen müssen sie ein Arbeitsvisum beim chilenischen Konsulat in ihrem jeweiligen Herkunftsland beantragen. Bislang war es in Chile möglich, ein Touristenvisum in eine andere Kategorie des temporären Aufenthalts umzuwandeln, unter anderem in ein Visum, das zum Arbeiten berechtigte. Die Gesetzesänderung wird es vielen Menschen erheblich erschweren, ihren Aufenthalt durch die Aufnahme einer Arbeit zu regularisieren. Einer der Schlüsselaspekte, der hervorgehoben werden muss, um das Gesetz und den darin verankerten Ansatz der "Neuen Migration" zu verstehen, ist der in weiten Teilen der chilenischen Bevölkerung verbreitete
Das Migrationsgesetz ist auch nach seiner Verabschiedung umstritten. Mehr als ein Viertel der Abgeordneten des Parlaments haben Klage beim chilenischen Verfassungsgericht eingereicht, da sie 13 Artikel des Gesetzes als verfassungswidrig betrachten. Das Verfassungsgericht hat die Klage zugelassen.
Übersetzung aus dem Spanischen: Vera Hanewinkel