Kenia gehört zu den wichtigsten Aufnahmeländern für Flüchtlinge in Afrika. In seiner jüngeren Geschichte erlebte das Land die massive Ankunft von Flüchtlingen aus der Region der Großen Seen sowie vom Horn von Afrika. Dies ist vor allem auf den relativen Frieden und die Stabilität zurückzuführen, die Kenia seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1963 genießt.
Die umfangreichste Fluchtbewegung wurde 1991 durch den Zusammenbruch des Regimes von Siad Barre in
Somalische Flüchtlinge werden oft als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Ein Grund dafür sind ihre anhaltenden grenzüberschreitenden Bewegungen und die Tatsache, dass sie sich kaum von jenen kenianischen Bürgerinnen und Bürgern unterscheiden, die ebenfalls der Somali-Ethnie angehören und in Kenia traditionell mit Marginalisierung und Diskriminierung konfrontiert sind. Somalische Flüchtlinge und kenianische Somali teilen auch die Sprache und zumeist den islamischen Glauben, sind in Clans, Subclans und Abstammungslinien unterteilt und haben eine lange Geschichte wechselseitiger Beziehungen über die kenianisch-somalische Grenze hinweg.
Die sich überschneidenden Beziehungen und Erfahrungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen lassen sich anhand von Beispielen aus den Dadaab-Lagern nachvollziehen. Viele Menschen begannen beispielsweise erst Ende der 1990er Jahre, sich als Einheimische zu identifizieren, nachdem humanitäre Organisationen dazu übergegangen waren, die lokale Bevölkerung in ihre Hilfsprogramme einzubeziehen. Während sie zuvor als registrierte Flüchtlinge in den Lagern lebten, konnten sie nun in lokale Dörfer ziehen, wo sie humanitäre Hilfe erhielten.
Mit Blick auf wechselseitige Beziehungen über die kenianisch-somalische Grenze hinweg gibt es eine jahrhundertealte Praxis, als Mittel von Herrschaft und Kontrolle und zur Steuerung des Zugangs zu Ressourcen auf der Basis verwandtschaftlicher Beziehungen Gruppen zu bilden und zu zerschlagen (Clans und Subclans).
Dass diese Netzwerke effizient sind, zeigt sich auch mit Blick auf den grenzüberschreitenden Handel mit Miraa (auch als Khat bekannt), einem in Ostafrika und im Nahen Osten angebauten Strauch, dessen Blätter als Rauschmittel gekaut werden. Die Dadaab-Lager und Somalia gehören gegenwärtig zu den größten Märkten für dieses Produkt. Kenianische Somali und somalische Flüchtlinge sind an seinem Vertrieb beteiligt. Wie ein Kommentator bemerkte, "erreicht das Khat-Netzwerk jeden Tag des Jahres jeden Winkel Somalias und macht selbst vor Kriegen, Dürre, Überschwemmungen, Epidemien, Freitagsgebeten und Ramadan nicht Halt".
Wahrnehmung von Somali als "Sicherheitsproblem"
Verwandtschaftsbeziehungen hielten die Flüchtlingslager lange Zeit in Gang, weil sie den Menschen in den Lagern unter anderem finanzielle und materielle Unterstützung boten. Die Regierung Kenias betrachtet diese Netzwerke jedoch als Kanäle für kriminelle Aktivitäten. Unter Bezugnahme auf die komplexen grenzüberschreitenden Netzwerke haben einige Minister die in Somalia stationierte al-Shabaab-Miliz mit einer Schlange verglichen, die ihren Schwanz in Somalia habe und ihren Kopf in Kenia.
Das Misstrauen der Regierung gegenüber ihren somalischen Bürgerinnen und Bürgern wurzelt in einer Geschichte von Aufständen im von Somali bewohnten Nordosten Kenias. Sie reicht bis in die Kolonialzeit zurück, als Mohammed Abdille Hassan einen Aufstand gegen die Briten in der Region anführte. Nach der Unabhängigkeit Kenias 1963 kämpften kenianische Somali im sogenannten Shifta -Krieg
Doch trotz aller Versuche der Regierung, die Mobilität ihrer somalischen Bürgerinnen und Bürger einzuschränken, war die politische Grenze zwischen Kenia und Somalia aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen und nomadischer pastoraler Tierhaltung für die Somali auf beiden Seiten dieser Grenze weitgehend irrelevant.
Unsicherheit und Lagerpolitik
Vor diesem Hintergrund scheint die Ankunft der somalischen Flüchtlinge die Notwendigkeit einer strengeren Eindämmungspolitik nur noch verstärkt zu haben. Bis in die 1990er Jahre begünstigte die kenianische Flüchtlingspolitik vorgeblich die lokale Integration: Flüchtlinge, die damals vor allem aus Uganda kamen, durften arbeiten und sich in Kenia frei bewegen und niederlassen. Es gab keine großen Flüchtlingslager. Die kenianische Regierung war für das Flüchtlingsmanagement und das Verfahren zur Bestimmung des Schutzstatus für Asylsuchende zuständig, die im Aufnahmezentrum Thika nahe der Hauptstadt Nairobi untergebracht waren. Dieses beherbergte von 1981, als es mit 320 Flüchtlingen eröffnet wurde, bis zu seiner Schließung 1995, als dort rund 5,000 Menschen untergebracht waren, Flüchtlinge aus Uganda und anderen Nachbarländern.
Infolge der massiven Ankunft von Flüchtlingen Anfang der 1990er Jahre änderte sich die Flüchtlingspolitik Kenias. Die kenianische Regierung übertrug die Aufgabe der Bestimmung des Flüchtlingsstatus an das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und begann, den Ansatz der lokalen Integration aufzugeben und zu einer Lagerpolitik überzugehen. Sie errichtete 17 Flüchtlingslager, von denen die meisten aber Mitte der 1990er Jahre wieder geschlossen wurden. Heute sind Dadaab und Kakuma die einzigen Lager, die in Kenia noch betrieben werden.
Beobachterinnen und Beobachter haben darauf hingewiesen, dass die Regierung die Dadaab-Lager bewusst in der abgelegenen, isolierten nordöstlichen Region des Landes angesiedelt habe, weil es dadurch einfacher war, die somalischen Flüchtlinge zu kontrollieren, die sie oft für die Verbreitung von Schusswaffen im Land verantwortlich macht.
Kritisiert wird zudem, dass die Regierung somalische Flüchtlinge aufgrund von Sicherheitsbedenken anders behandelt als andere Flüchtlinge und dass sie als politisches Problem gesehen werden, während andere Flüchtlingsgruppen zuallererst als rechtliches Problem behandelt werden.
Neue Rahmenbedingungen für Flüchtlinge – Mangel an dauerhaften Lösungen
Erst 2006 gab die Regierung schließlich dem internationalen Druck nach, ein Flüchtlingsgesetz zu erlassen. Dieses schuf einen rechtsverbindlichen Rahmen für die Grundsätze des Flüchtlingsschutzes. Es hat jedoch wenig dazu beigetragen, dauerhafte Lösungen zu finden. Die Regierung unternimmt fortlaufend Schritte zur Schließung der Lager in Dadaab und betont so die Rückführung ins Herkunftsland als ihre bevorzugte Option zur Lösung des Flüchtlingsproblems – andere dauerhafte Lösungen des UNHCR hingegen sind die Integration im Aufnahmeland und die
Die Regierung nutzte einige Bestimmungen des Flüchtlingsgesetzes von 2006, um das System des UNHCR zur Registrierung von Flüchtlingen und das kenianische Registrierungssystem zu synchronisieren. Auf diese Weise sollte eine klarere Trennlinie zwischen Einheimischen und Flüchtlingen gezogen werden. Das änderte radikal die Bedingungen für beide Gruppen in Bezug auf den Zugang zu Nahrungsmittelrationen, die
Menschen, die 1991/92 vor der kriegsbedingten Gewalt in Somalia flohen, suchten Exilorte auf, wo bereits eine beträchtliche Anzahl von Verwandten lebte, die ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelten – insbesondere aufgrund der Art und Weise, wie der Krieg entlang der Clangrenzen geführt wurde. Verwandtschaft spielte in den Fluchtbewegungen von 2006 bis 2008 und 2011/12 bei der Wahl des Zufluchtsorts eine geringere Rolle, da erstere durch den Aufstand der al-Shabaab-Miliz gegen die somalische Übergangsregierung ausgelöst wurde, der nicht entlang von Clan-Linien geführt wurde, und letzterer die damals katastrophale Dürre am Horn von Afrika zugrunde lag.
Die Unterscheidung zwischen "neuen" und "alten" Flüchtlingen verdeutlicht die Bedeutung dieser verwandtschaftlichen Dynamik. Flüchtlinge, die in den frühen 1990er Jahren nach Kenia kamen, definieren sich selbst als "alte" Flüchtlinge oder Einheimische und betrachten jene, die in den 2000er Jahren nach Kenia flohen, als "neue" Flüchtlinge. Diese Unterscheidung beruht implizit auf Abstammung und Clanzugehörigkeit. Die "alten" Flüchtlinge nutzen ein geteiltes Gefühl der Zugehörigkeit zur Ethnie der Somali, um den Zugang zu Ressourcen zu steuern, greifen aber auch auf die Unterscheidung in "alte" und "neue" Flüchtlinge zurück, um Nicht-Verwandte von den sozio-politischen Prozessen des Lagers auszuschließen. Neuankömmlinge sind somit verwundbarer, weil ihnen die für den Zugang zu wertvollen Ressourcen erforderlichen verwandtschaftlichen Beziehungen fehlen. Darüber hinaus sind Lagerstrukturen in der Regel verwandtschaftlich geprägt: Minderheiten (somalische Bantu) werden zu ihrer eigenen Sicherheit in bestimmten Abschnitten des Lagers untergebracht, während es Angehörige der Somali-Ethnie vorziehen, sich in Blöcken niederzulassen, die von ihren nahen Verwandten bewohnt werden.
Verwandtschaft wird mit Blick auf die Situation somalischer Flüchtlinge und die Frage, wie sie von der kenianischen Politik und Gesellschaft wahrgenommen werden, auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Obwohl die Lagerpolitik darauf abzielt, Flüchtlinge von Einheimischen zu isolieren und angebliche Sicherheitsbedrohungen einzudämmen, ist es ihr nicht gelungen grenzüberschreitende verwandtschaftliche Beziehungen zu zerschlagen. Stattdessen haben die dürftigen Existenzmittel in den Lagern von Dadaab die somalischen Flüchtlinge dazu ermutigt, grenzüberschreitende Verwandtschaftsbeziehungen kreativ zu nutzen, um sich selbst zu versorgen.
Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel