Südsudanesische Frauen in Bewegung: ihre Rolle in Konflikten und in der Friedensförderung
Marisa O. Ensor
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Gewalt, Klimawandel und Umweltkrisen zwingen Menschen im Südsudan zur Flucht. Dabei müssen sie mit neuen Umgebungen und sich verändernden Sozialstrukturen zurechtkommen. Frauen und Mädchen sind zusätzlich mit geschlechtsspezifischen Herausforderungen und Chancen konfrontiert.
Die Zahl der südsudanesischen Interner Link: Flüchtlinge beläuft sich derzeit auf über 2,2 Millionen. Zusätzlich gelten schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen als Interner Link: Binnenvertriebene. Zusammengenommen stellen diese Zahlen den höchsten Grad an Vertreibung auf dem afrikanischen Kontinent dar. Die Vertreibung und die sich daraus ergebenden Veränderungen der Lebensumstände – sei es in einer Flüchtlingssiedlung, einem Lager für Binnenvertriebene oder einer Aufnahmegemeinschaft innerhalb der Landesgrenzen oder im Ausland – haben südsudanesische Frauen und Mädchen auf besondere Weise gezwungen, sich mit neuen Umgebungen und veränderten sozialen Strukturen auseinanderzusetzen.
Der Kontext von Fragilität und Vertreibung
Der Südsudan blickt auf Interner Link: eine lange Geschichte von Konflikten und Vertreibung zurück. Auf den ersten sudanesischen Bürgerkrieg (1955-1972) folgte knapp zehn Jahre später der zweite Bürgerkrieg (1983-2005) zwischen der Regierung in Khartum und der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (Sudan People's Liberation Army, SPLA). Er löste eine der schlimmsten humanitären Katastrophen nach dem Zweiten Weltkrieg aus und forderte mehr als zwei Millionen Opfer – die meisten davon Zivilisten, von denen viele verhungerten oder an Krankheiten starben. Über fünf Millionen Menschen waren gezwungen zu fliehen. Am 9. Januar 2005 beendete ein Friedensabkommen den Konflikt. Am 9. Juli 2011 Interner Link: wurde die Republik Südsudan ein unabhängiger Staat.
Im Dezember 2013 brach erneut Gewalt zwischen regierungstreuen und oppositionellen Kräften aus. Zusätzlich verschärften sich auch Konflikte zwischen einzelnen Gemeinschaften , bei denen es häufig um ökonomische Aspekte ging, wie die Konkurrenz um Weideland oder Viehdiebstahl. Aber auch Entführungen von Frauen oder Kindern sorgten für Konfliktstoff. Mehrere Friedensabkommen und Waffenstillstände wurden fast sofort verletzt. 2018 wurde jedoch ein neuer Friedensvertrag geschlossen, der bislang in den meisten Landesteilen weitgehend hält. Der jüngste Krieg von 2013 bis 2018 forderte schätzungsweise 382.900 Tote und zwang fast 4,5 Millionen Menschen zur Flucht aus ihren Heimatorten.
Das Land steht vor zahlreichen sozioökonomischen, politischen und ökologischen Herausforderungen. Hinzu kommen Auswirkungen des Klimawandels: Da die Temperaturen steigen und die Regenfälle unregelmäßiger werden, treten Ernteausfälle und Viehsterben häufiger auf. Auch Konflikte zwischen Viehhirten um Wasserquellen und Weideflächen sowie zwischen Viehhirten und Bauern nehmen zu. Über 80 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, und über sechs Millionen Menschen (mehr als die Hälfte der Bevölkerung) waren 2019 mit ernster Ernährungsunsicherheit konfrontiert. In der Nationalen Gender-Politik (National Policy on Gender) des Südsudan wird anerkannt, dass Frauen zwar "die Hauptproduzenten von Nahrungsmitteln sind", aber "Frauen und Kinder aufgrund traditioneller Geschlechterrollen, die ihren Zugang zu und ihre Kontrolle über die Produktionsmittel einschränken, am stärksten von Ernährungsunsicherheit bedroht" sind. Im Jahr 2019 waren fast eine Million Menschen von schweren Überschwemmungen betroffen, mit schätzungsweise 420.000 neuen Fällen von Vertreibung. Die Hauptasylländer sind die afrikanischen Nachbarstaaten Interner Link: Uganda (39 Prozent), Interner Link: Sudan (36,5 Prozent), Äthiopien (15 Prozent), Kenia (5,4 Prozent) und die Demokratische Republik Kongo (3,9 Prozent).
Prognostizierte Flüchtlings-bevölkerung am 31. Dezember 2020
Prognostizierte Flüchtlings-bevölkerung am 31. Dezember 2021
Dem. Rep. Kongo
88.717
105.000
105.000
Äthiopien
334.014
306.000
300.000
Kenia
121.414
122.000
120.000
Sudan
810.917
875.000
886.000
Uganda
861.590
792.000
719.000
Gesamt
2.216.652
2.200.000
2.130.000
Quelle: Daten des UNHCR.
Obwohl die Daten zur Flüchtlingsbevölkerung selten nach Geschlecht oder Alter aufgeschlüsselt sind, schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk, dass 83 Prozent aller südsudanesischen Flüchtlinge Frauen und Kindern sind. Frauen und Mädchen, die häufig als Gruppen mit "besonderen Bedürfnissen" charakterisiert werden, sind vielfältigen Schutzrisiken ausgesetzt – darunter fehlende Grundversorgung, Ernährungsunsicherheit und verschiedene Formen von Gewalt wie Schläge, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung und Gruppenvergewaltigung, oder Zwangsarbeit.
Frauen in Konflikt- und Friedenszeiten
Mobilität, ob erzwungen oder nicht, war während der verschiedenen Kriegs- und Friedenszyklen im Südsudan eine ständige Strategie zur Sicherung der Existenzgrundlagen und des Überlebens. Die Stellung und die Rollen der vertriebenen Frauen waren dabei vielfältiger und komplexer, als die einseitigen Darstellungen von Frauen als leidende Opfer vermuten lassen, die in humanitären und volkskulturellen Berichten dominieren. Während des zweiten Bürgerkriegs im Sudan traten Frauen der SPLA bei – sowohl als Unterstützerinnen als auch als Kämpferinnen. Viele Frauen begleiteten ihre Ehemänner in die Ausbildungslager in Äthiopien; einige kümmerten sich um die Gesundheitsversorgung, übernahmen das Kochen und andere häusliche, aber auch sexuelle Dienste; andere wurden zu Soldatinnen ausgebildet, die an der Seite ihrer männlichen Verwandten aktiv an den Kampfhandlungen teilnahmen. Als das Friedensabkommen von 2005 unterzeichnet wurde, gab es rund 3.600 Kämpferinnen. Als Kriegstaktik spielte auch Musik eine Rolle: Mit Liedern ermutigten Frauen männliche Verwandte, sich den Kämpfern anzuschließen – oder setzten sie öffentlich unter Druck, wenn sie es nicht taten. Diese Praxis wurde ausgeweitet, um männliche Verwandte zu Viehdiebstählen und Rachemorden anzustiften , was zur Verallgemeinerung der Gewalt beitrug.
Umgekehrt waren Frauen aktiv an friedensfördernden Bemühungen beteiligt. Viele übernahmen in ihren Gemeinschaften Verantwortung und Führungsrollen, die traditionell Männern zugewiesen waren. Einige Frauen wurden zu Gemeindevorsteherinnen ernannt und waren für die Verteilung von Nahrungsmitteln und die Bereitstellung von Dienstleistungen für Waisen, Witwen und andere potenziell gefährdete Gruppen zuständig. Frauen im Exil – z. B. diejenigen, die in Interner Link: Flüchtlingslagern lebten – wurden besonders aktiv, organisierten sich über ethnische Gruppen hinweg und setzten sich für die Rückkehr zum Frieden ein. Vertriebene Frauen und Mädchen entwickelten auch eine flexiblere Sichtweise hinsichtlich der Akzeptanz von Arbeitsplätzen. Tätigkeiten, die im Südsudan traditionell als anrüchig gelten, wie etwa das Brauen und der Verkauf von Bier sowie Berufe, die den Umgang mit nicht-verwandten Männern beinhalten (z.B. Kellnern in Restaurants und Bars), werden mittlerweile hauptsächlich von vertriebenen Frauen ausgeführt.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Krieg und Frieden
In Zeiten von Konflikten oder Hungersnöten entscheiden sich insbesondere ärmere Hirtenfamilien häufig dazu, ihre Töchter in immer jüngerem Alter zu verheiraten, um ihren auf Viehzucht basierenden Wohlstand zu sichern. Ein mit Rindern bezahlter "Brautpreis" für ein früh verheiratetes Mädchen wird dann dazu verwendet, ihrem Bruder zu einer Braut zu verhelfen. Als nach der Unabhängigkeit vom Sudan 2011 Spendengelder nach Südsudan flossen, schnellten die "Brautpreise" in die Höhe. Das führte dazu, dass Frauen und Mädchen zunehmend wie Hab und Gut behandelt wurden. Es veranlasste auch junge Männer, die sich eine Heirat nicht leisten konnten, Rinder aus anderen Gemeinden zu stehlen. Kinderehen scheinen in Hirtenfamilien häufiger vorzukommen als in bäuerlichen Familien, die für ihr Überleben weniger auf Vieh angewiesen sind. Sie werden auch seltener von zurückkehrenden Flüchtlingen und anderen Vertriebenengruppen berichtet als von jenen, die in den Herkunftsorten zurückgeblieben sind.
Als der Bürgerkrieg 2013 erneut ausbrach, blieben schlimmste Menschenrechtsverletzungen einschließlich Interner Link: sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt fast völlig ungestraft. Bewaffnete Männer, die verschiedenen militärischen Gruppen angehörten, griffen Frauen und Mädchen routinemäßig mit vorgehaltener Waffe an. Besonders häufig davon betroffen waren nicht nur vertriebene Frauen und Mädchen, die vor Gewalt und Umweltkatastrophen aus ihren Heimatdörfern geflüchtet waren, sondern auch solche, die sich etwa auf dem Weg zu Lebensmittelverteilungsstellen befanden oder Wasser und Brennholz besorgten. Ob konfliktbedingt oder in Friedenszeiten: Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt ist in den meisten kulturellen Traditionen im Südsudan angesichts ihres ausgeprägt männlich-zentrierten Standpunktes ein allgegenwärtiges Verbrechen.
Der Weg in die Zukunft
58 Prozent der südsudanesischen Haushalte werden von Frauen geführt; sie sind die Haupternährerinnen des Landes. Dieser Wert erreicht bei den Vertriebenenhaushalten bis zu 80 Prozent. Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft fordern, Themen wie Schutz, Bildung, Gesundheit und die Aufmerksamkeit für Umweltfragen verstärkt auf die politische Agenda zu setzen, vor allem, weil sich diese Aspekte auf die Sicherung des Lebensunterhalts auswirken. Führende Vertreterinnen der Zivilgesellschaft beteiligten sich als offizielle Beobachterinnen am Friedensprozess 2018; Frauen stellten 25 Prozent der Delegierten, während eine Frau als Schlichterin fungierte. Eine Frauendelegation, die während ihres Besuchs in Südsudans Hauptstadt Dschuba im Oktober 2019 mit Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats zusammentraf, forderte die Einrichtung eines "hybriden Gerichts" – also eines Gerichtshofes, dessen Zuständigkeit sich auf eine gemischt national-internationale gesetzliche Grundlage stützt. Dieser Hybrid Court for South Sudan (HCSS) soll die Täter vor Gericht bringen und die Straflosigkeit für Kriegsverbrechen verringern – auch für solche, die an Frauen und Mädchen begangen werden.
Vertriebene Frauen und Mädchen benötigen spezifische Unterstützung und Schutz, um ihre Sicherheit gewährleisten und ihre Rechte wahrnehmen zu können. Um die Auswirkungen von Konflikten, Umweltkrisen und Vertreibung auf das Leben von Frauen und Mädchen im Südsudan besser angehen zu können, bedarf es geschlechterdifferenzierter Daten und Analysen sowie gezielter Politiken und Programme, die mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet sind.
Marisa O. Ensor ist Expertin für Gender- und Jugendfragen mit den Schwerpunkten Zwangsvertreibung, Friedensförderung im Umweltbereich, humanitäre Interventionen und Übergangsjustiz. Gegenwärtig arbeitet sie im Programm für Gerechtigkeits- und Friedensstudien und am Institut für das Studium der internationalen Migration an der der Georgetown Universität in Washington D.C., USA.
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