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Brexit und das Ende der Freizügigkeit | Vereinigtes Königreich | bpb.de

Brexit und das Ende der Freizügigkeit

Michaela Benson

/ 7 Minuten zu lesen

Durch den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs wurde die Freizügigkeit beendet. Seither sind Grenz- und Einwanderungskontrollen in das Leben von Millionen von mobilen britischen und EU-Bürgern getreten.

„This is our home“ („Das ist unser Zuhause”): EU-Bürgerinnen und -Bürger setzen sich vor dem britischen Parlament in London für die Gewährleistung ihrer Rechte nach dem Brexit ein (Aufnahmedatum: 13.09.2017). (© picture-alliance)

Eine der vier zentralen Säulen der Europäischen Union ist der freie Kapital- und Personenverkehr. Das bedeutet: Personen mit der Staatsangehörigkeit eines EU-Landes können sich zu Zwecken des Tourismus und des Aufenthalts frei zwischen den EU-Mitgliedstaaten bewegen. Zwar ist das Recht auf Freizügigkeit an Bedingungen geknüpft. Dennoch bedeutet es, dass die Einreise und Niederlassung von EU-Bürgerinnen und -Bürgern, die internationale Grenzen innerhalb der EU überschreiten, weit weniger kontrolliert werden als bei Drittstaatsangehörigen, die stets Einwanderungskontrollen unterliegen. Diejenigen, die von der Möglichkeit der Freizügigkeit Gebrauch machen, werden als „mobile Bürgerinnen und Bürger“ bezeichnet.

Im Juni 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der britischen Bürgerinnen und Bürger in einem nationalen Interner Link: Referendum für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Zu diesem Zeitpunkt lebten schätzungsweise über drei Millionen EU-/Interner Link: EWR-Bürgerinnen und -Bürger im Vereinigten Königreich und 1,3 Millionen britische Bürgerinnen und Bürger außerhalb des Vereinigten Königreichs in einem der anderen 27 Mitgliedstaaten. Von vielen EU-Bürgerinnen und -Bürgern im Vereinigten Königreich und britischen Staatsangehörigen in der EU wurde der Brexit als beunruhigend empfunden – und erstere stellten sich die Frage, ob sie im Vereinigten Königreich willkommen und zugehörig waren.

Am 31. Dezember 2020 hat das Vereinigte Königreich die EU endgültig verlassen. Der Brexit hatte zur Folge, dass seither die EU-Rechtsvorschriften über die Freizügigkeit nicht mehr für EU-Bürgerinnen und -Bürger im Vereinigten Königreich und britische Staatsangehörige in der EU bzw. im EWR gelten. Für diejenigen, die bereits von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hatten, standen in der ersten Phase der Verhandlungen nach dem Brexit-Referendum Bestimmungen über ihren künftigen Status im Mittelpunkt. Dahinter stand die Absicht, diejenigen, die vor dem Brexit rechtmäßig „mobile Bürgerinnen und -Bürger“ gewesen waren, von Einwanderungskontrollen auszunehmen. Das Vereinigte Königreich und die EU verpflichteten sich, das Leben dieser Bevölkerungsgruppen unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen fortzusetzen. Dies erforderte jedoch neue rechtliche Mechanismen, um die früheren Rechte und Ansprüche dieser Freizügigen zu sichern. Die sich daraus ergebenden Bestimmungen zu den Bürgerrechten im Austrittsabkommen sahen einen neuen Status für diese Gruppe vor. Die einzelnen Mitgliedstaaten wurden mit der Umsetzung dieser Bestimmungen für ihre Wohnbevölkerung beauftragt.

Was bedeutet der Brexit für EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich leben?

Vor dem Brexit gab es im Vereinigten Königreich kein Registrierungssystem für EU-Bürgerinnen und -Bürger. Um die Bestimmungen über die Bürgerrechte umzusetzen und auf diese Weise den schätzungsweise drei Millionen im Vereinigten Königreich lebenden EU-Angehörigen nach dem Brexit einen neuen Rechtsstatus zu gewähren, führte die britische Regierung das EU-Settlement Scheme (EUSS) ein.

Die Beantragung eines neuen Aufenthaltsstatus war für viele der im Vereinigten Königreich lebenden EU-Bürgerinnen und -Bürger eine beunruhigende Erfahrung: Etlichen wurden die Grenzen des Vereinigten Königreichs erstmals in ihrem Leben erfahrbar. Der Erfolg eines solchen Antrags hing davon ab, ob die Betroffenen ihren rechtmäßigen Aufenthalt im Vereinigten Königreich nachweisen konnten. Doch nicht jeder konnte die erforderlichen Nachweise erbringen oder hatte Zugang dazu. So wurde beispielsweise deutlich, dass der Nachweis des rechtmäßigen Aufenthalts für diejenigen Frauen schwieriger war, die nicht außer Haus einer Arbeit nachgegangen waren, wo der Nachweis einer Beschäftigung ihren rechtmäßigen Aufenthalt hätte belegen können, ganz zu schweigen von denjenigen, die vor häuslicher Gewalt geflohen waren. Die Einführung der Niederlassungsregelung als reiner Online-Antrag wiederum führte dazu, dass Personen ohne Zugang zu entsprechender Technologie oder zum Internet– darunter ältere Menschen, Roma und Menschen mit geistiger Behinderung –, ohne geregelten Status verblieben sind und nun von Abschiebung bedroht sind. Dies sind nur einige wenige Beispiele, die die ungleichen Ergebnisse dieses Registrierungsprozesses verdeutlichen.

Darüber hinaus beschloss die britische Regierung, das EUSS als Testfall für den digitalen und reinen Online-Status zu nutzen, den sie im Rahmen ihrer Pläne zur vollständigen Digitalisierung der britischen Grenzen auf alle Einwanderungsstatus ausweiten will. Der Online-Status ersetzt ein physisches Dokument oder einen Stempel im Pass, der das Recht auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich bescheinigt. Trotz erfolgreicher Beantragung des digitalen Status berichten Medien regelmäßig über EU-Bürgerinnen und -Bürger, denen die Einreise in das Vereinigte Königreich verweigert wird, weil das System, auf das sie zur Bestätigung ihres Status zugreifen müssen, in ihren Fällen falsche Informationen lieferte. Das hat bei den Betroffenen – d.h. Menschen, bei denen man gemeinhin davon ausgeht, dass sie am besten in der Lage seien ihren Status zu sichern – zu großer Unsicherheit in Bezug auf ihren rechtlichen Status geführt. Auch sie müssen nun spüren, wie die Grenzen des Vereinigten Königreichs in ihren Alltag eingreifen und ihre Wiederkehr (das Rebordering) erfahrbar werden lassen.

Seit dem Brexit-Referendum stellen sich viele EU-Bürgerinnen und -Bürger die Frage, ob sie im Vereinigten Königreich willkommen sind. Der Brexit hat ihre Gefühle gegenüber dem Vereinigten Königreich grundlegend – und negativ – verändert. Viele haben das Land verlassen, sind in ihr Herkunftsland zurückgekehrt oder in andere Länder weitergezogen. Für diejenigen aber, die geblieben sind, bleibt die Frage der Zugehörigkeit bestehen.

Was bedeutet der Brexit für britische Staatsangehörige, die in der EU leben?

Für Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs, die ihren Wohnsitz und ihr Leben in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedstaat hatten, war die Lage etwas komplizierter. Die Verantwortung für die Umsetzung der Bestimmungen über die Bürgerrechte wurde den einzelnen Mitgliedstaaten übertragen. Wie sie diese umsetzen wollten, hing stark davon ab, inwieweit sie die Freizügigkeit vor dem Brexit geregelt und überwacht hatten. In Deutschland zum Beispiel, wo es robuste Systeme für die Registrierung von EU-Freizügigen und Drittstaatsangehörigen gibt, wurde ein sogenanntes deklaratorisches System eingeführt: Dadurch erhielten britische Staatsangehörige, die sich rechtmäßig im Land aufhielten, automatisch ein Aufenthaltsrecht. Andere Länder entschieden sich für ein sogenanntes konstitutives System – darunter Frankreich, wo die zweitgrößte Zahl britischer Staatsangehöriger in der EU lebt. Dieses System verlangte von ansässigen Britinnen und Briten einen formellen Antrag auf einen neuen Aufenthaltsstatus.

Da es in der EU kein einheitliches Verfahren gab, sind die Erfahrungen der Betroffenen sehr unterschiedlich. Für diejenigen, die in Ländern mit konstitutiven Systemen lebten, konnte die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts – also darüber, ob sie nachweisen konnten, dass ihr Aufenthalt den Bedingungen der Freizügigkeit entsprach –, dazu führen, dass ihnen der Aufenthaltsstatus verweigert und sie aufgefordert wurden, ihr Wohnsitzland zu verlassen. In einigen Fällen – und das gilt auch für Länder mit einem deklaratorischen System – führten Verzögerungen bei der Ausstellung neuer Aufenthaltsdokumente für britische Bürgerinnen und Bürger zu Problemen bei der Aus- und Einreise in das Wohnsitzland, beim Nachweis des Rechts auf Arbeit und Wohnung sowie beim Zugang zur Gesundheitsversorgung und anderen sozialen Leistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen. Dies zeigt: Die Änderungen ihres Status haben auf verschiedene Weise das Migrationsregime in ihrem Wohnsitzland in ihr Leben gebracht.

Aber der Brexit hat auch die Grenzen innerhalb der EU auf neue Weise in ihr Leben gebracht. So stellten die Brexit-Verhandlungen zwar das Recht mobiler britischer Bürgerinnen und Bürger sicher, in dem EU-Land zu leben und zu arbeiten, in dem sie zum Zeitpunkt des Brexits wohnten. Sie gewährten ihnen aber keine Freizügigkeit für eine Weiterreise oder grenzüberschreitendes Arbeiten.

In der EU lebende britische Staatsangehörige sind keine EU-Bürger mehr, die das Recht auf Freizügigkeit genießen. Viele von ihnen fühlen sich durch den Wegfall der Interner Link: Unionsbürgerschaft und der damit verbundenen Rechte stark beeinträchtigt. Auch fühlen sich manche von ihrer eigenen Regierung im Stich gelassen, was sich wiederum auf ihre Gefühle gegenüber dem Vereinigten Königreich auswirkt. Sie betonen, dass sie Europäerinnen und Europäer sind, egal, was ihre Pässe sagen. In EU-Ländern, in denen die doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt ist, hat der Brexit dazu geführt, dass deutlich mehr dort lebende Britinnen und Briten die Möglichkeit der Einbürgerung nutzen und auf diese Weise ihren Status als EU-Bürgerinnen und -Bürger wiedererlangen.

Fazit

Seit dem Brexit unterliegen Personen, die sich zwischen dem Vereinigten Königreich und den EU-Mitgliedstaaten bewegen, den nationalen Einwanderungskontrollen in ihren Zielländern. Für diejenigen, die bereits vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU die Möglichkeiten der Freizügigkeit genutzt hatten, hat sich der durch den Brexit ausgelöste Prozess der Rückkehr der Grenzen – das Rebordering – nicht nur in der Veränderung ihrer Rechte und ihres Status bemerkbar gemacht, sondern auch in ihrem Gefühl der Identität und Zugehörigkeit.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

Weitere Inhalte

ist Professorin für öffentliche Soziologie an der Universität Lancaster. Sie ist Expertin für Migration, Staatsbürgerschaft und Identität. Eines ihrer aktuellen Forschungsprojekte Externer Link: beschäftigt sich mit den langfristigen Auswirkungen des Brexit auf die Migration zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich.