Historische Phasen der Einwanderung nach und Auswanderung aus Estland
Die Geschichte der Migration aus und nach
In den letzten 150 Jahren gab es in Estland drei große Auswanderungsphasen und eine große Einwanderungsphase.
Die erste umfangreiche Auswanderung erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erreichte ihren Höhepunkt, als Estland 1918 unabhängig wurde. Damals hatte jeder fünfte Este seinen Wohnsitz im Ausland, hauptsächlich im Gebiet der heutigen Russischen Föderation, aber auch im benachbarten Lettland, in der
Die zweite Auswanderungswelle ereignete sich während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Der größte Teil der Auswanderer/-innen waren Flüchtlinge (etwa 70.000 bis 75.000 Personen), die vor dem Krieg oder der sowjetischen Besatzung flohen und sich schließlich im Westen niederließen. Die größten estnischen Gemeinschaften im Exil befanden sich in Schweden, den USA, Kanada und Australien.
Prozentualer Anteil der Est/-innen an der Bevölkerung Estlands 1881 – 2010 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Prozentualer Anteil der Est/-innen an der Bevölkerung Estlands 1881 – 2010 (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Die Nettomigrationsrate war in der Sowjetzeit positiv, als Estland die umfangreichste Einwanderungswelle verzeichnete: Von 1922 bis etwa zwei Jahre nach der sowjetischen Besetzung im Jahr 1940 waren mehr als 91 Prozent der estnischen Bevölkerung ethnische Est/-innen. Danach wuchs die Einwandererbevölkerung rasch, was zu einem Rückgang der estnischen Staatsangehörigen führte. 1990 waren nur 61 Prozent der Einwohner/-innen estnischer Abstammung. Zu dieser Zeit wanderten zwar Menschen aus verschiedenen Teilen der Sowjetunion ein, aber ihre Verkehrssprache war russisch. Die Masseneinwanderung in der Sowjetzeit ließen Staatsbürgerschaft und Migrationspolitik zu umstrittenen Themen werden, als Estland 1991 seine Unabhängigkeit wiedererlangte. Estland betrachtete nur diejenigen, die 1940 (also vor der sowjetischen Besetzung) die estnische Staatsangehörigkeit besaßen, und ihre Nachkommen als Staatsbürger/-innen. Jenen Einwanderer/-innen, die ins Land kamen als Estland Teil der Sowjetunion war und die nach der Unabhängigkeit im Land bleiben wollten, wurden unterschiedliche Möglichkeiten geboten: entweder die estnische Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung zu erwerben, sich für die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes wie der Russischen Föderation zu entscheiden oder als "Individuen mit unbestimmter Staatsbürgerschaft" in Estland zu verbleiben. Dieser Status gewährt seinen Inhaber/-innen praktisch alle bürgerlichen und sozialen Rechte, die auch estnische Staatsangehörige haben, ebenso wie einige politische Rechte (z. B. an Kommunalwahlen teilzunehmen), erlaubt es jedoch nicht, für das nationale oder
Merkmale der gegenwärtigen Bevölkerung von Eingewanderten und ethnischen Minderheiten
Im Ausland geborene Bevölkerung in Estland am 1. Januar 2019 nach Alter (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Am 1. Januar 2019 lebten in Estland 1.324.820 Personen. 198.064 davon waren im Ausland geboren, wiederum 197.463 davon besaßen nicht die estnische Staatsbürgerschaft. Estland hat mit 15 Prozent der Gesamtbevölkerung einen der größten Anteile an im Ausland geborenen Einwohner/-innen in Europa.
Estnische Einwanderungs-, Integrations- und Einbürgerungspolitik
Im Ausland geborene Bevölkerung in Estland am 1. Januar 2019 nach Geburtsland (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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Die estnische Einwanderungspolitik ist bis heute relativ restriktiv, obwohl in den letzten Jahren eine gewisse Liberalisierung zu verzeichnen war. 1990 wurde die Arbeitsmigration nach Estland durch eine Einwanderungsquote begrenzt, die 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach. Darüber hinaus müssen Drittstaatsangehörige, die zum Zwecke der Beschäftigung nach Estland einwandern möchten, ein Gehalt nachweisen, das dem nationalen Durchschnittsgehalt entspricht (bis 2016 war das 1,24-fache des nationalen Durchschnittsgehalts erforderlich). Dies soll die Migration von gering qualifizierten Arbeitskräften verhindern, von denen sich keine Vorteile für die estnische Wirtschaft versprochen werden.
Obwohl im Laufe der Zeit einige Ausnahmen von der Einwanderungsquote gemacht wurden, war die Quote über viele Jahre hinweg kein großes Thema, da die jährliche Zahl der Einwanderer/-innen vor 2016 die Quote nicht überstieg. Das jüngste Wirtschaftswachstum hat jedoch zu neuen Ausnahmen für hochqualifizierte Migrant/-innen geführt (u.a. eingeführt durch eine Reform des Ausländergesetzes im Jahr 2019), zum Beispiel für Spezialisten im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie, Unternehmensgründer/-innen und ihre Mitarbeiter/-innen, Forscher/-innen und für qualifizierte Fachkräfte, die mindestens das Doppelte des nationalen Durchschnittsgehalts verdienen. Migrant/-innen, die im Rahmen der Familienzusammenführung oder zur Fortsetzung ihres Studiums nach Estland kommen, wurden bereits zuvor von der Quotenregelung ausgenommen.
Der Bedarf an Arbeitskräften mit niedrigeren Qualifikationen wird durch Regelungen zur kurzfristigen Migration gedeckt: Ausländer/-innen können beispielsweise bis zu einem Jahr in Estland arbeiten, wenn sie im Besitz eines D-Visums sind oder für die Aufenthaltsdauer, die ihnen durch ein anderes Visum oder visumfrei gewährt wird. Voraussetzung ist, dass sie ihre kurzfristige Arbeit anmelden. Die genannte Gehaltsvoraussetzung gilt dabei auch für Migrant/-innen, die nur für kurze Zeit im Land bleiben. Außerdem können Arbeitsmigrant/-innen als Saisonarbeitskräfte nach Estland kommen, um zum Beispiel in der Landwirtschaft oder im Gastgewerbe zu arbeiten.
Die Integrationspolitik in Estland soll zwei größere Gruppen unterstützen:
kaum integrierte ständige Einwohner/-innen (zumeist Einwanderer/-innen aus der Sowjetzeit oder deren Nachkommen),
Neuzugewanderte (d. h. ausländische Staatsangehörige, die innerhalb der letzten fünf Jahre nach Estland gekommen sind).
An die erste Gruppe richten sich in erster Linie Maßnahmen, die ihnen beim Erlernen der estnischen Sprache helfen. Beispielsweise stehen ihnen zahlreiche kostenlose Sprachkurse und Übungsmöglichkeiten (zum Beispiel Sprachcafés) zur Verfügung. Personen, die seit mehr als fünf Jahren in Estland leben, können seit 2019 einen Staatsbürgerschaftsvertrag mit dem Staat abschließen, der es ihnen erlaubt, kostenlos an Estnischkursen teilzunehmen und einen bezahlten Urlaub zum Erlernen der Sprache zu nehmen. Im Gegenzug müssen sie sich verpflichten, innerhalb von drei Jahren die Einbürgerungstests abzulegen (siehe Abschnitt zum estnischen Staatsbürgerschaftsrecht weiter unten). Darüber hinaus gibt es mehrere projektbezogene Aktivitäten zur Förderung ihrer sozialen und arbeitsmarktbezogenen Integration.
Neuzugewanderte haben Zugang zu einer Vielzahl von Leistungen zur Unterstützung ihrer Niederlassung in Estland. Hierzu zählen zum Beispiel eine eigens eingerichtete Website (settleinestonia.ee), eine zentrale Anlaufstelle ("One-Stop-Shop"-Service-Center) zur Begleitung des Niederlassungsprozesses in Estland und ein Begrüßungsprogramm, in dem grundlegendes Wissen vermittelt wird, um sich in der estnischen Gesellschaft zurechtfinden zu können (etwa Grundkenntnisse über die estnische Gesellschaft und Kultur, administrative Grundlagen usw.). Neuzugewanderte können auch kostenlose Sprachkurse und andere Integrationsprogramme nutzen. Daneben gibt es separate Integrationsmaßnahmen für bestimmte Personengruppen, zum Beispiel Personen, die internationalen Schutz genießen.
Das estnische Staatsbürgerschaftsrecht folgt dem
Est/-innen im Ausland: Zahlen, Ziele, Politiken
Anzahl der am 1. Januar 2019 im Ausland lebenden Est/-innen nach Angaben des Nationalen Bevölkerungsregisters (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Anzahl der am 1. Januar 2019 im Ausland lebenden Est/-innen nach Angaben des Nationalen Bevölkerungsregisters (Interner Link: Grafik zum Download) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Im Jahr 2019 waren 115.105 Est/-innen im estnischen Nationalen Bevölkerungsregister registriert, die ihren Wohnsitz im Ausland hatten.
Est/-innen sind in besonderem Maße transnational-ausgerichtete und mobile Menschen: Mehr als zehn Prozent der Bevölkerung haben in den letzten zehn Jahren im Ausland gearbeitet, was den höchsten Anteil in Europa darstellt.
Die aktuelle estnische Diasporapolitik konzentriert sich hauptsächlich auf Bildung. Eine Online-Grundschule ermöglicht es den Kindern mobiler Est/-innen, im Ausland weiterhin nach dem estnischen Lehrplan zu lernen. Die Regierung unterstützt auch estnische Sonntagsschulen (außerschulische und säkulare Aktivitäten für Kinder) im Ausland und organisiert Ferienfreizeiten für ausgewanderte jugendliche Est/-innen, damit diese eine Verbindung zu Estland und ihrer estnischen Identität aufrechterhalten können. Darüber hinaus erhalten die estnischen Kulturvereine im Ausland eine gewisse Unterstützung. Beispiele hierfür sind die Entsendung professioneller Ausbilder in Diasporachöre, Tanz- und Musikkollektive, Ausbildungsangebote für Referenten und Kursleiter im Ausland und die materielle Unterstützung estlandbezogener Kulturveranstaltungen im Ausland.