Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der im Februar 2022 begann, führte zu einer massiven Flucht aus der Ukraine – über die letzten knapp drei Jahre wurde Deutschland zu einem der Hauptaufnahmeländer. Im Folgenden wird dargestellt, wie sich die Integrationsverläufe ukrainischer Geflüchteter in Deutschland entwickelt haben, insbesondere im Hinblick auf den Arbeitsmarkt. Zudem wird ein Vergleich zu außereuropäischen Geflüchteten im regulären Asylverfahren gezogen und es werden die spezifischen Herausforderungen der Integration ukrainischer Geflüchteter beleuchtet.
Überblick der Integrationsverläufe
Zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine haben die EU-Mitgliedstaaten die sogenannte Massenzustromrichtlinie (EU-Richtlinie 2001/55/EG) aktiviert. Sie erlaubt es ukrainischen Geflüchteten, die seit dem 24. Februar 2022 nach Deutschland zugezogen sind, ohne weitere Voraussetzungen eine Beschäftigung aufzunehmen oder einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ab Juni 2022 wurden sie im Bedarfsfall in das Leistungssystem nach dem Sozialgesetzbuch II (Bürgergeld) integriert. Dadurch erhalten sie im Vergleich zu Schutzsuchenden im regulären Asylverfahren etwas höhere Leistungssätze. Zudem wurde so auch die frühzeitige Einbindung in die Förderstruktur der Jobcenter sichergestellt, was für die Arbeitsmarktintegration eine zentrale Rolle spielen dürfte.
1. Arbeitsmarktzugang und Beschäftigungsquote
Die Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter in Deutschland schreitet voran. Viele befinden sich derzeit noch in Deutschkursen, einige haben bereits Arbeit gefunden. Nach den Ergebnissen der zweiten Welle der IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung waren im Durchschnitt 18 Prozent der ukrainischen Geflüchteten im Frühjahr 2023 erwerbstätig, im Sommer 2023 waren es 23 Prozent und im Frühjahr 2024 30 Prozent. Von den zum Befragungszeitpunkt im Frühjahr 2023 erwerbstätigen Geflüchteten waren 39 Prozent in Vollzeit, 36 Prozent in Teilzeit und 18 Prozent geringfügig beschäftigt, sieben Prozent befanden sich in einer Ausbildung oder einem Praktikum.
Was ist die IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP-Befragung?
Es handelt sich um die erste umfassende, repräsentative sozialwissenschaftliche Wiederholungsbefragung von Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland. An der Studie beteiligt sind das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und das Familiendemografische Panel FReDA, das Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Durch die Studie sollen Erkenntnisse zu Integrationsverläufen, Bedarfen und Bleibeabsichten ukrainischer Geflüchteter gewonnen werden. Dafür sind von August bis Oktober 2022 deutschlandweit mehr als 11.000 Geflüchtete mit ukrainischer Staatsangehörigkeit befragt worden, in einer zweiten Befragungswelle im Januar/Februar 2023 fast 7.000.
Weitere Informationen: Externer Link: https://iab.de/teilnehmerinfo/gefluechtete-aus-der-ukraine-in-deutschland-iab-bib-freda-bamf-soep-befragung/
Jedoch gibt es große Unterschiede in der Erwerbstätigkeit je nach vorhandenen Kindern und Partnern im Haushalt. Abbildung 1 zeigt, dass die familiären Verpflichtungen sich insbesondere für Frauen negativ auswirken.
Abbildung 1: Erwerbstätigkeit ukrainischer Geflüchteter in Deutschland: Mütter haben die geringeren Erwerbschancen
Von den Nicht-Erwerbstätigen gaben im Frühjahr 2023 93 Prozent an, in Deutschland ganz sicher (69 Prozent) oder wahrscheinlich (24 Prozent) eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu wollen. Die Erwerbsabsichten steigen mit dem Alter des jüngsten Kindes im Haushalt sowie dem Bildungsniveau und der Berufserfahrung vor dem Zuzug. Nahezu alle ukrainischen Geflüchteten, die dauerhaft in Deutschland bleiben möchten, beabsichtigen hierzulande eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, während die Erwerbsabsichten bei denen mit Rückkehrplänen am geringsten ausfallen. Dies deutet darauf hin, dass die langfristige Perspektive und die Aufenthaltssicherheit einen positiven Einfluss auf die Beschäftigungsabsicht haben.
Von denjenigen mit Erwerbsabsichten wollten im Frühjahr 2023 27 Prozent möglichst sofort eine Arbeit aufnehmen, weitere 54 Prozent planten dies innerhalb des kommenden Jahres zu tun. Etwa 19 Prozent wollten erst in den kommenden zwei bis fünf Jahren oder später eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.
2. Berufliche Integration und Qualifikationsnutzung
Die meisten erwerbstätigen Geflüchteten arbeiteten im Frühjahr 2023 als Angestellte und übten eine Fachkraft-, Spezialisten- oder Expertentätigkeit aus. Viele Ukrainer*innen haben hohe Bildungsabschlüsse und Berufserfahrungen, die bis dahin teilweise (noch) nicht in Deutschland anerkannt wurden, was ihre Integration erschwert: Etwa die Hälfte übte im Frühjahr 2023 eine Tätigkeit aus, die unterhalb ihres beruflichen Qualifikationsniveaus vor dem Zuzug lag. Frauen waren hiervon stärker betroffen als Männer. Dies liegt daran, dass Frauen häufig in Bereichen tätig waren, die hohe Sprachkenntnisse und eine berufliche Anerkennung erfordern (bspw. im Erziehungsbereich). Wiederum 37 Prozent aller Befragten gaben an, auf demselben Qualifikationsniveau tätig zu sein, wie vor ihrer Einreise nach Deutschland.
3. Sprachbarrieren und Bildungsangebote
Deutschkenntnisse spielen eine entscheidende Rolle für die Arbeitsmarktintegration. Beim Zuzug nach Deutschland beherrschten nur vier Prozent der ukrainischen Geflüchteten die deutsche Sprache gut. Diese Erkenntnis ist wenig überraschend, da sich die meisten nicht auf ihre Flucht vorbereiten konnten. Viele ukrainische Geflüchtete haben Zugang zu Sprachkursen oder diese bereits beendet. Diese Kurse sind oft maßgeblich für eine erfolgreiche Integration, da gute Deutschkenntnisse die Kommunikationsfähigkeit und damit die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
Vergleich zu anderen Geflüchteten im regulären Asylverfahren
Die Integrationsverläufe von ukrainischen Geflüchteten unterscheiden sich in mehreren wesentlichen Punkten von denen Geflüchteter aus anderen Herkunftsländern im regulären Asylverfahren:
Ukrainische Geflüchtete profitieren von einer schnellen und umfangreichen Unterstützung seitens der Bundesregierung und der EU. Dies umfasst sowohl finanzielle Unterstützung als auch Zugang zu Wohnraum und Arbeitsmarkt. Im Gegensatz dazu sind Geflüchtete im regulären Asylverfahren häufig mit längeren Wartezeiten konfrontiert und erhalten oft weniger unmittelbare Unterstützung.
Für ukrainische Geflüchtete wurde der Arbeitsmarktzugang durch den vorübergehenden Schutzstatus erleichtert. Andere Geflüchtete hingegen müssen in der Regel ein oft langwieriges Asylverfahren durchlaufen, bevor sie Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Während des Asylverfahrens sind Geflüchtete einer erheblichen Unsicherheit über die Bleibeperspektiven ausgesetzt, was Investitionen sowohl der Betroffenen in Humankapital (z. B. durch Weiterbildungen) als auch der Unternehmen in Beschäftigungsverhältnisse beeinträchtigt. Lange Asylverfahren können deshalb auch mittel- und langfristig negative Folgen für die Arbeitsmarktintegration haben.
Die Wahrnehmung ukrainischer Geflüchteter ist in Deutschland häufig positiver als die von anderen Flüchtlingen. Dies könnte an der geografischen Nähe und den Medienberichten über den Krieg in der Ukraine liegen. Andere Geflüchtete sehen sich demgegenüber häufiger mit Vorurteilen und gesellschaftlicher Ablehnung konfrontiert, was ihre Integration zusätzlich erschwert.
Herausforderungen der Integration ukrainischer Geflüchteter in Deutschland
Trotz der relativ positiven Integrationsverläufe stehen ukrainische Geflüchtete in Deutschland vor spezifischen Herausforderungen:
Da viele der ukrainischen Geflüchteten (alleinerziehende) Mütter sind, ist die Kinderbetreuung eine zentrale Herausforderung. Diese wiederum ist eng mit der sozialen Integration der Geflüchteten und Kinder in Deutschland verknüpft.
Obwohl viele Geflüchtete Zugang zu Deutschkursen haben, bleibt die Sprachbarriere eine Herausforderung. Die Integration in die deutsche Arbeitswelt erfordert oft gute Deutschkenntnisse und Schwierigkeiten in der Kommunikation können die berufliche Integration erschweren.
Viele ukrainische Geflüchtete haben traumatische Erfahrungen gemacht, die sich negativ auf ihre Integration auswirken können. Die psychischen Folgen des Krieges und der Flucht erfordern spezielle Unterstützungsangebote, um die psychische Gesundheit der Geflüchteten zu fördern und ihre Integration zu erleichtern.
Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen kann ein Hindernis darstellen. Während viele ukrainische Geflüchtete gut qualifiziert sind, stellt sich die Anerkennung von Abschlüssen und Berufserfahrungen oft zeitaufwändig und bürokratisch dar. Dies kann die berufliche Integration verzögern.
Die langfristige Perspektive für ukrainische Geflüchtete ist unsicher, da die Situation in der Ukraine und der Ausgang des Krieges weiterhin ungewiss sind. Dies beeinflusst die Planungen und Erwartungen sowohl der Geflüchteten als auch der Politik. Es zeigt sich jedoch, dass mehr ukrainische Geflüchtete mit steigender Bleibedauer vorhaben, mittel- bis langfristig in Deutschland zu bleiben.
Fazit
Die Integration ukrainischer Geflüchteter in Deutschland zeigt überwiegend positive Entwicklungen, insbesondere in Bezug auf den Arbeitsmarkt. Die Unterstützung durch den vorübergehenden Schutzstatus hat zu einem schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu relativ stabilen Beschäftigungszahlen geführt. Im Vergleich zu anderen Flüchtlingen im regulären Asylverfahren haben ukrainische Geflüchtete bessere Bedingungen und eine schnellere Integration erfahren. Dennoch bestehen Herausforderungen wie Sprachbarrieren, psychosoziale Belastungen und die Anerkennung von Qualifikationen, die weiterhin gezielte Maßnahmen und Unterstützung erfordern. Eine umfassende und nachhaltige Integrationsstrategie ist entscheidend, um diese Herausforderungen zu bewältigen und eine erfolgreiche langfristige Integration zu gewährleisten.