Mit dem Interner Link: Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts (StARModG), das am 27. Juni 2024 in Kraft getreten ist, begann in Deutschland eine neue Ära. Der seit Jahrzehnten gültige Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit bei Einbürgerungen wurde damit aufgegeben, ebenso die Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder von ausländischen Staatsangehörigen. Getrieben wurde diese Reform auch von faktischen Entwicklungen, insbesondere in den letzten zehn Jahren: So ist die Zahl der Personen mit doppelter bzw. mehrfacher Staatsangehörigkeit in Deutschland schon seit längerem immer weiter angestiegen.
Der folgende Beitrag basiert auf dem 2017 erstmals an dieser Stelle erschienenen Dossier und bietet einen aktualisierten Überblick über die wichtigsten Daten und wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema doppelte Staatsangehörigkeit in Deutschland. Abschließend wird ein Ausblick unternommen, wie es nach der Reform 2024 weitergehen könnte.
Zahl und Strukturmerkmale der DoppelstaaterInnen in Deutschland
Die Gesamtzahl der DoppelstaaterInnen in Deutschland ist nicht genau bekannt. Die amtliche Statistik bietet dazu Zahlen aus dem Mikrozensus – einer jährlichen Repräsentativbefragung von rund einem Prozent der Bevölkerung – sowie aus dem letzten Zensus mit dem Stichtag 15. Mai 2022. Die entsprechenden Gesamtzahlen aus beiden Quellen sind in Tabelle 1 dargestellt.
Die Gesamtzahlen der Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit weichen in beiden Quellen sehr deutlich – um rund drei Millionen Personen – voneinander ab. Diese Abweichung besteht vor allem bei der Zahl der deutsch-ausländischen DoppelstaaterInnen, die im Zensus mit rund 5,8 Millionen Personen viel höher liegt als im Mikrozensus mit rund 2,7 Millionen Personen. Der Anteil der deutsch-ausländischen DoppelstaaterInnen an der Gesamtbevölkerung läge damit zwischen 3,3 Prozent (Mikrozensus) und 7,0 Prozent (Zensus); im bevölkerungsreichsten und stark von Migration geprägten Bundesland Nordrhein-Westfalen wird der Bevölkerungsanteil der DoppelstaaterInnen basierend auf dem Zensus sogar mit knapp zehn Prozent angegeben.
Welches ist nun der „richtigere“ Wert? Es ist davon auszugehen, dass Mikrozensus und Zensus gegenläufigen Verzerrungstendenzen unterliegen: In den Melderegistern, auf denen die Zensuszahlen im Wesentlichen basieren, liegt vermutlich eine Überschätzung der Zahl von DoppelstaaterInnen vor, weil zwischenzeitliche Verluste von ausländischen Staatsangehörigkeit(en) nicht bekannt geworden sind. Auch der Zerfall und die Neukonstitution von Staaten, wie im Fall des ehemaligen Jugoslawiens und seiner Nachfolgestaaten, können in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Die Mikrozensusangaben hingegen beruhen auf der Selbstauskunft der befragten Personen. Hier ist wahrscheinlich, dass eine zweite Staatsangehörigkeit aus unterschiedlichen Gründen häufiger nicht angegeben wird, also eine Unterschätzung vorliegt. In Abwägung beider Quellen schätzte die Bundesregierung 2016 die Zensuszahlen als näher am “wahren Wert" liegend ein. Dies ist auch aktuell wahrscheinlich noch richtig. Denn allein die Einbürgerungen unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit (von 2000 bis 2022: rund 1,53 Millionen Personen) und die Zahl der im gleichen Zeitraum in Deutschland geborenen Kinder, die über das Geburtsortprinzip (Interner Link: ius soli) sowohl die deutsche als auch die ausländische Staatsangehörigkeit ihrer Eltern erworben haben (rund 851.000 Personen), ergeben zusammen eine Größenordnung von 2,38 Millionen Personen. Diese liegt bereits relativ nahe an der Mikrozensus-Gesamtzahl von 2,74 Millionen deutsch-ausländischen DoppelstaaterInnen im Jahr 2022. Weitere Gruppen von Personen mit mehr als einer Staatsangehörigkeit, bei denen die Mehrfachstaatsangehörigkeit auf andere Entstehungsmechanismen zurückgeht, sind damit aber noch gar nicht berücksichtigt (siehe dazu weiter unten).
Die wichtigsten Herkunftsländer bzw. Zweit-Staatsangehörigkeiten sind den Mikrozensusdaten 2022 zufolge Polen, die Russische Föderation, die Türkei, Italien und Rumänien (vgl. Abbildung 1). Damit sind unter den Top Fünf drei osteuropäische Länder vertreten, Interner Link: aus denen in den letzten Jahrzehnten viele (Spät-)AussiedlerInnen nach Deutschland einwanderten. Seit den 1990er Jahren kommt diese Migrationsgruppe allerdings Interner Link: fast nur noch aus der Russische Föderation bzw. den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion. Interner Link: Polen und Rumänien hingegen sind nach dem EU-Beitritt dieser Länder (2004 bzw. 2007) generell wichtige Herkunftsstaaten von Migration nach Deutschland geworden, insbesondere von ErwerbsmigrantInnen. Für die Türkei und Italien Interner Link: als ehemalige „Anwerbestaaten“ gilt dies schon länger. Bis zur jüngsten Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 2024 mussten allerdings türkische Staatsangehörige, die sich einbürgern lassen wollten, ihren türkischen Pass in der Regel abgeben. Daher dürfte es sich bei Personen mit deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit hauptsächlich um in Deutschland geborene Kinder türkischer Eingewanderter handeln, die mit der Geburt im Rahmen des 2000 eingeführten ius soli-Prinzips die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben.
Die Daten des Zensus 2022 ergeben bezüglich der Herkunftsländer von DoppelstaaterInnen ein insgesamt ähnliches Bild, jedoch mit Verschiebungen im Detail. Auch hier steht Polen an der Spitze, gefolgt von der Türkei, der Russischen Föderation, Kasachstan und Italien. Anstelle von Rumänien findet sich hier also mit Kasachstan ein weiteres für die Migration von (Spät-)AussiedlerInnen typisches Herkunftsland. Die Top Fünf Länder machen jedoch in beiden Quellen rund die Hälfte der Gesamtzahl der Person mit doppelter Staatsangehörigkeit in Deutschland aus.
Bei den deutsch-ausländischen DoppelstaaterInnen in Deutschland handelt es sich darüber hinaus um eine „junge“ Personengruppe. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) waren nach den Angaben des Mikrozensus 2022 unter 35 Jahre alt – während der Anteil dieser Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung nur 37 Prozent beträgt. Dies leuchtet auch ein, wenn man die im Folgenden dargestellten Entstehungsweisen doppelter Staatsangehörigkeit betrachtet, denn sowohl ius soli-Kinder als auch Eingebürgerte in Deutschland sind ganz überwiegend jüngere Menschen.
Entstehungsmechanismen doppelter Staatsangehörigkeit
Doppelte Staatsangehörigkeit entsteht auf verschiedenen Wegen, die vom deutschen Gesetzgeber nicht exklusiv steuerbar sind, sondern nur im Zusammenspiel mit dem Recht eines jeweils anderen Staates. Im Wesentlichen sind zwei Vorgänge relevant: die Geburt von Kindern und Einbürgerungen, beides sowohl in Deutschland als auch im Ausland.
a) Doppelte Staatsangehörigkeit bei Geburt
Hier gibt es drei Untergruppen:
Kinder mit einem deutschen und einem ausländischen Elternteil bei Geburt in Deutschland: Diese Kinder erhalten über das Abstammungsprinzip (Interner Link: ius sanguinis) beide Staatsangehörigkeiten, sofern auch das Recht des anderen Staates dies vorsieht. Eine Pflicht zur Entscheidung zwischen den Staatsangehörigkeiten hat es für diese Kinder in Deutschland nie gegeben. Zwischen 2000 und 2022 sind mindestens 1,87 Millionen Menschen in Deutschland geboren worden, die einen deutschen und einen ausländischen Elternteil haben.
Kinder mit zwei ausländischen Elternteilen, die über das ius soli-Prinzip seit 2000 mit Geburt in Deutschland auch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, zusätzlich zu derjenigen der Eltern (§ 4 Abs. 3 StAG): Es gab zudem temporär eine Übergangsregelung, nach der auch Kinder, die schon zwischen 1990 und 1999 geboren wurden, Deutsche werden konnten (§ 40b StAG). Schätzungsweise leben knapp 50.000 Menschen in Deutschland, die „unechte“ ius soli-Kinder nach § 40b des Staatsangehörigkeitsgesetzes sind. Hinzu kommen seit dem Jahr 2000 jährlich zwischen 28.977 und 41.257 „echte“ ius soli-Geburten. Damit summiert sich die Gesamtzahl dieser Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis einschließlich 2022 auf rund 851.000 Personen bundesweit. Die meisten von ihnen dürften nach wie vor zwei Staatsangehörigkeiten besitzen.
Kinder deutscher Eltern bzw. mindestens eines deutschen Elternteils bei Geburt im Ausland, sofern der Aufenthaltsstaat ein Geburtsortprinzip kennt und darüber seine Staatsangehörigkeit weitergibt: Das ist beispielsweise bei den USA der Fall. Bei einer Rückkehr nach Deutschland sind diese Kinder ebenfalls zur Gruppe der DoppelstaaterInnen zu rechnen. Ihre Gesamtzahl ist unbekannt. Der deutsche Gesetzgeber hat allerdings bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zum 1. Januar 2000 einen „Generationenschnitt“ eingeführt, der bei Auslandsgeburten eine unbegrenzte Weitergabe der deutschen Staatsangehörigkeit unterbindet. Ein solches Modell wird seit einigen Jahren auch im Hinblick auf Kinder von MigrantInnen in Deutschland diskutiert.
b) Doppelte Staatsangehörigkeit bei Einbürgerung
Bei der in Deutschland häufigsten Form der Einbürgerung, der „Anspruchseinbürgerung“ nach acht Jahren Aufenthalt, war bis Juni 2024 die Aufgabe bzw. der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit vorgeschrieben (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG). Allerdings gab es schon unter der alten Regelung eine Reihe von Ausnahmen, etwa für Eingewanderte aus EU-Staaten oder Staaten, die ihre BürgerInnen nicht aus der Staatsangehörigkeit entlassen. Diese Ausnahmen haben dazu geführt, dass seit dem Jahr 2000 die „Beibehaltungsquote“ bei den Einbürgerungen in Deutschland im Durchschnitt bei 54 Prozent lag – d.h. mehr als die Hälfte der Eingebürgerten konnte die bisherige Staatsangehörigkeit behalten. Dabei gab es beträchtliche Unterschiede je nach Herkunftsland. So lag der Anteil bei den EU-Staaten (darunter Rumänien, Polen, Italien und Griechenland) und wichtigen Herkunftsländern von Geflüchteten wie Syrien, Afghanistan, Irak und Iran bei annähernd oder gleich 100 Prozent, bei der Türkei, Kosovo und Indien hingegen bei unter zehn Prozent. Die Gesamtzahl der Einbürgerungen ist insbesondere mit Blick auf Menschen aus Syrien in den letzten Jahren stark gestiegen. Seit 2021 hat dieses Land die Türkei als wichtigstes Herkunftsland von Eingebürgerten abgelöst, was die Zahl der DoppelstaaterInnen in Deutschland weiter hat wachsen lassen.
Analog zu den Geburten ist schließlich auch bei den Einbürgerungen darauf hinzuweisen, dass Deutsche ohne Migrationshintergrund durch die Annahme einer weiteren Staatsangehörigkeit – beispielsweise im Rahmen eines längeren Auslandsaufenthaltes – ebenfalls zu DoppelstaaterInnen werden können. Handelte es sich um die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Landes oder der Schweiz, war dies schon unter dem alten Recht problemlos möglich (§ 25 Abs. 1 StAG alt), bei anderen Staatsangehörigkeiten konnte der deutsche Pass durch einen Antrag auf Beibehaltung erhalten bleiben (§ 25 Abs. 2 StAG alt). Auch diese Regelungen sind mit dem neuen Recht obsolet geworden, d.h. der Erwerb weiterer Staatsangehörigkeiten ist nun uneingeschränkt möglich.
Pro und contra doppelte Staatsangehörigkeit
Kontroversen über die doppelte Staatsangehörigkeit gibt es schon sehr lange, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten. Zu Problemen für den Einzelnen führen teilweise rechtliche Aspekte wie die Wehrpflicht und die Besteuerung von DoppelstaaterInnen, die diplomatische und konsularische Vertretung im Ausland, Fragen des Personenstands- und Familienrechts sowie des Erbrechts. Auf diese wird hier aber aufgrund fehlender Daten nicht näher eingegangen. Festzuhalten bleibt aber, dass solche Konfliktfälle bzw. Schwierigkeiten prinzipiell auftreten können, also „mehrfache Staatsangehörigkeit nicht in jedem Fall nur Vorteile bringt, sondern für den Einzelnen auch mit Nachteilen verbunden sein kann.“
Gesamtgesellschaftlich wird von den GegnerInnen doppelter Staatsangehörigkeit argumentiert, dass diese der Integration schade, weil sie verhindere, dass sich Eingewanderte und ihre Nachkommen ganz auf das Aufnahmeland sowie dessen Kultur und Werte einließen. Unterstellt werden ungerechtfertigte Vorteile durch den Besitz von zwei Staatsangehörigkeiten („Rosinenpickerei“), Loyalitätskonflikte („niemand kann zwei Herren gleichzeitig dienen“) und die befürchtete Instrumentalisierung von DoppelstaaterInnen durch die jeweiligen ausländischen Regierungen. Zudem setzten Einbürgerungserleichterungen durch die Hinnahme von Mehrstaatigkeit weitere Anreize für eine ungesteuerte Zuwanderung nach Deutschland. Den BefürworterInnen der doppelten Staatsangehörigkeit gilt sie dagegen als rechtlicher Ausdruck der Anerkennung von hybriden Identitäten und Mehrfachbindungen, in diesem Sinne also integrationsfördernd und als Mittel, die im internationalen Vergleich in Deutschland immer noch relativ geringen Einbürgerungszahlen zu steigern. Zudem fördere sie die gewünschte Zuwanderung ausländischer Fach- und Arbeitskräfte.
Tatsächlich kann es als gesicherte Erkenntnis der sozialwissenschaftlichen Forschung gelten, dass die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit bislang ein wesentliches Hemmnis für Einbürgerungsanträge in Deutschland war – ungeachtet der Tatsache, dass über die Jahre hinweg immer mehr Ausnahmen galten. Dieses Hemmnis traf vor allem auf Drittstaatsangehörige und unter diesen wiederum besonders auf türkeistämmige Menschen zu. Ebenso ist bekannt, dass Personen mit Migrationshintergrund und deutschem Pass gegenüber ausländischen Staatsangehörigen bessere Integrationsresultate erzielen, wobei nicht umfassend erforscht ist, ob dies eine Folge der Einbürgerung oder der Tatsache ist, dass der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit schon ein relativ hohes Integrationsniveau voraussetzt, also ein Selektionseffekt vorliegt. Ist also schon der kausale Zusammenhang von (nur) deutschem Pass und Integration schwierig zu beurteilen, so gilt dies umso stärker bezüglich der Wirkungen von doppelter Staatsangehörigkeit. Das Gleiche ist für deren behauptete Effekte auf erwünschte oder unerwünschte Migration nach Deutschland zu sagen; auch hier steht empirische Evidenz – also Beweise, die durch praktische Forschung erbracht wurden – noch aus.
Bezüglich der Einstellungen zum Doppelpass in der Bevölkerung haben in jüngerer Zeit Forschende des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) sowie des Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR) anhand von Umfragedaten bzw. einer so genannten Vignettenstudie Ergebnisse vorgelegt. Dabei zeigt sich einerseits, dass die Skepsis gegenüber dem Doppelpass im Vergleich zu sonstigen Einbürgerungserleichterungen vergleichsweise hoch ist. Die doppelte Staatsangehörigkeit wird aber gleichzeitig – wie schon in früheren Studien – von einer signifikanten Minderheit befürwortet. So bewerteten in der DeZIM-Studie 43 Prozent der Befragten die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit vor der Reform als (sehr) gut. Andere Maßnahmen wie die geplante Absenkung der Mindestaufenthaltsdauer für eine Einbürgerung fanden jedoch deutlich mehr Zustimmung. In der SVR-Studie wurden (fiktive) EinbürgerungskandidatInnen, die ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben, positiver bewertet als Personen, die ihre vorhandene Staatsangehörigkeit beibehalten möchten. Insbesondere ältere Befragte standen dem Beibehaltungswunsch negativer gegenüber.
Fazit: Der neue gesetzliche Rahmen und ein Blick in die Zukunft
Schon jetzt leben zwischen 2,74 und 5,83 Millionen Menschen mit doppelter (deutscher und ausländischer) Staatsangehörigkeit in Deutschland. Es ist zu erwarten, dass deren Zahl durch das neue Staatsangehörigkeitsrecht weiter steigen wird: Denn die nun allen offenstehende Möglichkeit, die bisherige Staatsangehörigkeit nicht mehr aufgeben zu müssen, dürfte eine Einbürgerung auch für viele Eingewanderte und ihre Nachkommen attraktiv machen, für die die Aufgabe der Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes bislang ein Einbürgerungshemmnis war. Nachholeffekte könnte es dabei besonders bei (erwachsenen) türkeistämmigen Menschen geben, denen bisher der Doppelpass weitgehend verwehrt war. Möglicherweise wird es auch zu Wiederannahmen der ursprünglichen Staatsangehörigkeit durch bereits eingebürgerte und in Deutschland lebende Personen kommen; dies war bis 1999 im Rahmen der so genannten „Inlandsklausel“ legal möglich, danach aber nicht mehr.
Darüber hinaus wird auch die Zahl der in Deutschland geborenen Kinder, die über das ius soli-Prinzip im Regelfall zwei Staatsangehörigkeiten erwerben, in den nächsten Jahren steigen. Begründet liegt dies in dem abgesenkten Aufenthaltserfordernis, die die Eltern dieser Kinder erfüllen müssen: Seit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2024 reicht es aus, wenn ein Elternteil fünf Jahre in Deutschland gelebt hat und über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügt, damit das in Deutschland geborene Kind mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erhält. Zuvor war eine Aufenthaltszeit von acht Jahren erforderlich. Die abgesenkte Mindestaufenthaltsdauer wird bei vielen Nachkommen von Geflüchteten relevant sein, bei denen die Eltern selbst die Einbürgerungsvoraussetzungen (noch) nicht erfüllen. Schließlich ist auch denkbar, dass vermehrt gebürtige Deutsche die Möglichkeit nutzen, nun uneingeschränkt ausländische Staatsangehörigkeiten annehmen zu können. Alle diese Entwicklungen harren einer statistischen Beobachtung in den kommenden Jahren.
Dass die jüngste Novelle des Staatsangehörigkeitsrechts all dies ermöglicht, wird als längst überfällige Verabschiedung von einem überholten Dogma erachtet. In diesem Sinne beschreibt der Rechtswissenschaftler Daniel Thym sie „als Reform, die im rechtlichen Detail pfadabhängig fortsetzt, was in den Jahrzehnen zuvor gesellschaftlich bereits seinen Lauf genommen hat. Dies gilt selbst für die doppelte Staatsangehörigkeit, die bei Kindern schon heute unkontrolliert vererbt wird, sodass die künftige Akzeptanz auch bei der Einbürgerung der Eltern keinen Systemwechsel mehr darstellt.“ Kritisch gesehen wird aber, dass dieses „unkontrollierte Vererben“ gerade bei den im Inland geborenen Kindern und Enkeln von MigrantInnen dazu führen kann, dass diese politische Mitspracherechte in Ländern haben, in denen sie nicht leben – mit der damit verbundenen Möglichkeit des Imports politischer Konflikte aus diesen Ländern und dem Interesse der dortigen Regierungen, DoppelstaaterInnen beispielsweise bei Wahlen zu instrumentalisieren. So ist es beispielsweise dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan bislang regelmäßig gelungen, bei Wahlen große Zustimmung von in Deutschland lebenden Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit – darunter DoppelstaaterInnen – zu erhalten, indem er sich als ihr ‚Beschützer‘ inszenierte und an ihr Zugehörigkeitsgefühl zur Türkei appellierte. Entsprechende Befürchtungen sind also nicht von der Hand zu weisen, ohne dass sich bisher ein praktikabler Mechanismus abzeichnet, wie man die dauerhafte Weitergabe ausländischer Staatsangehörigkeiten an in Deutschland lebende Folgegenerationen unterbinden könnte. Der SVR hat in diesem Zusammenhang bereits vor Jahren das Modell des „Generationenschnitts“ vorgeschlagen und diskutiert in seinem Jahresgutachten 2024 alternativ auch das Modell der „ruhenden und herrschenden“ Staatsangehörigkeit. Beide Lösungen erfordern jedoch entsprechende Abkommen Deutschlands mit den Herkunftsstaaten, welche momentan nicht erkennbar auf der politischen Tagesordnung stehen.
Was ist das Modell der „ruhenden und herrschenden“ Staatsangehörigkeit?
Es handelt sich um ein Modell, welches die mehrfache Staatsangehörigkeit generell akzeptiert. Die an die Staatsangehörigkeit gekoppelten Rechte und Pflichten gelten jedoch nur in dem Land, in dem die Person ihren dauerhaften Wohnsitz und damit Lebensmittelpunkt hat. Die andere Staatsangehörigkeit ruht.