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Ausländerbehörden im Spannungsfeld gegenwärtiger Migrationspolitik | Deutschland | bpb.de

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Ausländerbehörden im Spannungsfeld gegenwärtiger Migrationspolitik

Thorsten Schlee

/ 6 Minuten zu lesen

Ausländerbehörden sind zentrale Akteure bei der Umsetzung von Gesetzen zur Steuerung von Migration. Welche Aufgaben haben sie? Wie sind sie organisiert? Vor welchen Herausforderungen stehen sie?

Ausländerbehörden sind für alle aufenthalts- und passrechtlichen Maßnahmen zuständig. (© picture-alliance, Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE)

Was machen Ausländerbehörden?

Die Bundesrepublik hat sich zu einem der weltweit bedeutendsten Einwanderungsländer gewandelt. Stand 2023 hat sich die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer*innen mit knapp 14 Millionen innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt. Mehr als ein Drittel davon sind Bürger*innen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Für die 8,7 Millionen Drittstaatangehörigen – d.h. Menschen aus Staaten, die nicht der EU und dem Interner Link: Europäischen Wirtschaftsraum angehören – regelt das Externer Link: Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die legalen Wege der Einreise und des Aufenthalts in der Bundesrepublik. Alle Drittstaatangehörigen fallen unter bestimmte Kategorien im Aufenthaltsrecht und dürfen sich aus humanitären Gründen, aus Gründen des Familiennachzuges, zum Zweck der Erwerbstätigkeit oder der Bildung in Deutschland aufhalten – zumindest, wenn sie eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis haben. Ausländerbehörden sind für alle aufenthalts- und passrechtlichen Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz und nach aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen (§ 71 Abs. 1 AufenthG) zuständig. Das heißt: Sie stellen die Papiere für Drittstaatangehörige aus, verlängern sie und prüfen regelmäßig, ob Personen sich (noch) zu Recht in Deutschland aufhalten. In manchen Fällen prüfen sie auch, wie lange sich EU-Bürger*innen im Zuge der Interner Link: EU-Freizügigkeit legal in der Bundesrepublik aufgehalten haben – das kann für den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen wichtig sein.

Dabei treffen Ausländerbehörden nicht die primäre Entscheidung, ob Personen überhaupt in die Bundesrepublik einreisen dürfen oder als Geflohene anerkannt werden und einen Interner Link: Schutzstatus erhalten. Im Kontext von Asylmigration etwa organisiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Durchführung von Asylverfahren und entscheidet über Annahme oder Ablehnung des Asylantrages. Die Ausländerbehörde hingegen stellt Papiere zur Gestattung des Aufenthalts während des Asylverfahrens (nach §55 Abs. 1 Externer Link: AsylVfG) aus. Sie ist zudem für das Ausstellen der Aufenthaltserlaubnisse „aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen“ (nach Kapitel 2, Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes) zuständig, die in regelmäßigen Abständen verlängert werden müssen. Im Falle der Ablehnung von Asylanträgen organisieren Ausländerbehörden Interner Link: Abschiebungen oder aber sie setzen die Abschiebung vorübergehend aus, wenn diese aus tatsächlichen (z.B. fehlende Pass- oder Reisedokumente) oder rechtlichen Gründen (z.B. schwere Krankheit) nicht möglich ist („Interner Link: Duldung“). In den unterschiedlichen Etappen des Asylprozesses entstehen dabei weitere Aufgaben und Schnittstellen mit anderen Gesetzgebungsbereichen und Behörden, z.B. mit der Externer Link: Beschäftigungsverordnung (BeschV.), wenn es etwa um die Prüfung des Interner Link: Zugangs zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende oder Geduldete geht.

Im Fall des Familiennachzugs sowie der Einreise zu Bildungs- oder Erwerbszwecken prüft zunächst die jeweilige deutsche Auslandsvertretung, inwieweit die Einreisevoraussetzungen erfüllt sind. Erst nach der Einreise werden die Ausländerbehörden zuständig. Sie haben eine örtliche Zuständigkeit, d.h. sie sind für ausländische Staatsangehörige zuständig, die sich in dem jeweiligen Bezirk aufhalten.

Wie sind Ausländerbehörden organisiert?

Die Arbeit der Ausländerbehörden ist eine Interner Link: Pflichtaufgabe nach Weisung. Dabei setzen die Ausländerbehörden Bundesrecht um, die Bundesländer aber können die Umsetzung (in begrenztem Maße) inhaltlich präzisieren. Dies betrifft vor allem organisatorische und verfahrenstechnische Details und einen gewissen Ermessensspielraum bei der praktischen Umsetzung. Inhaltlich dürfen sie das Bundesrecht nicht abändern, sondern müssen sich innerhalb des Rahmens des Aufenthaltsgesetzes und anderer einschlägiger Bundesgesetze bewegen.

Die Länder bestimmen, wie die Ausländerbehörden in ihrem jeweiligen Land organisiert sind. Sie erlassen dazu Zuständigkeitsordnungen im Ausländerwesen. Die Organisationsmodelle der Länder unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Zentralisierung von Aufgaben. In Bayern z.B. (Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht – ZustVAuslR, Bayern) sind für Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die sich aber dennoch mit einer Duldung in der Bundesrepublik aufhalten, ausschließlich die zentralen Ausländerbehörden (staatliche Verwaltungseinheiten) zuständig. So werden Geduldete erst an die kommunalen Ausländerbehörden verwiesen, wenn eine Erklärung gegenüber der Kreisverwaltungsbehörde vorliegt, dass weitere Maßnahmen zur Feststellung und Sicherung von Identität oder Staatsangehörigkeit nicht veranlasst werden. Auch in anderen Bundesländern existieren zentralisierte Landesausländerbehörden, die – wie in Nordrhein-Westfalen – die Kommunen bei Abschiebungen unterstützen können. Der Trend geht in den letzten Jahren zur Zentralisierung von Aufgaben. Davon erhofft man sich, die Kommunen zu entlasten und die Abläufe zu professionalisieren und zu spezialisieren, was zu mehr Effizienz beitragen soll. Gleichzeitig sollen die verschiedenen Möglichkeiten der Umsetzung des Aufenthaltsrechts vereinheitlicht werden.

Die Kommunen regeln in Selbstverwaltung die Personalstruktur und die Art und Weise, wie die Behörde Aufgaben erledigt. Entsprechend breit ist das Spektrum der Ausländerbehörden hinsichtlich Größe und Ressourcenausstattung. So bestehen diese zuweilen nur aus einer Person, in den Großstädten und Stadtstaaten hingegen aus mehreren hundert Mitarbeiter*innen. Auf kommunaler Ebene kristallisieren sich daher verschiedene Organisationsmodelle heraus: In größeren Behörden werden spezialisierte Abteilungen eingerichtet, die sich etwa nur um Asylfragen, um Fachkräfte oder Bildungsausländer*innen kümmern. Eine Reihe von Kommunen hingegen bündelt Aufgaben in integrierten Ämtern für Migration und Integration, unter deren Dach aufenthaltsrechtliche Entscheidungen, Wohnraumversorgung, Leistungsgewährung und Integrationsförderung Hand in Hand gehen sollen. In anderen Kommunen wiederum sind Ausländerbehörden klassische Interner Link: Ordnungsbehörden, die den Vollzug und die Einhaltung von Gesetzen kontrollieren.

Vor welchen Herausforderungen stehen Ausländerbehörden?

In den unterschiedlichen Modellen der Aufgabenorganisation spiegelt sich auch das zentrale Spannungsverhältnis gegenwärtiger Migrationspolitik wider. Die politischen Bestrebungen, einerseits Migration und Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik angesichts des Interner Link: demografischen Wandels und Interner Link: erwarteter Fachkräftebedarfe zu ermöglichen, anderseits aber ungewollte Migration zu unterbinden, führen zu immer neuen Abstufungen und Ausnahmen im Aufenthaltsrecht. „Verschärfungen“ und Restriktionen stehen in schnell aufeinanderfolgenden Gesetzgebungspaketen neben Interner Link: Liberalisierungen und erleichterten Zugängen in den Arbeitsmarkt für Fachkräfte wie auch für abgelehnte Asylsuchende. Je nach Aufenthaltsstatus haben Ausländer*innen unterschiedliche Zugänge zu sozialen und politischen Rechten. Mit der Vervielfältigung von legalen Aufenthaltszwecken wachsen auch die Prüfpflichten in den Ausländerbehörden. Sie müssen unter anderem Integrationsleistungen, Einkommen oder die Familiensituation prüfen und zuweilen auch Prognosen zu künftigen Beschäftigungschancen abgeben. Gleichzeitig steigen die Fallzahlen in allen Zuwanderungskategorien. Der wachsende Berg an Aufgaben und die zunehmende rechtliche Komplexität wurden häufig nicht durch mehr Personal und Maßnahmen der Organisationsentwicklung flankiert. Den Ausländerbehörden fällt es dadurch zunehmend schwer, ihre Aufgaben zu erfüllen und die von ihnen erwarteten Dienstleistungen zu erbringen. Die Konsequenzen reichen von langen Wartezeiten bis hin zu nicht oder nicht fristgerecht ausgestellten Aufenthaltserlaubnissen – mit schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Personen, aber auch für Arbeitgeber*innen oder Behörden.

Um die Ausländerbehörden entsprechend der widersprüchlichen einwanderungspolitischen Ziele funktionsfähiger zu machen und um ihre Arbeitsbelastung zu verringern, sind die verschiedenen Ebenen des politischen Systems gefordert:

  • Die angespannte Personalsituation in den Behörden wird sich angesichts des demografischen Wandels und des absehbaren generellen Mangels an Verwaltungsfachkräften nicht einfach durch Stellenaufstockungen lösen lassen. Umso bedeutender wird es sein, dass Land und Kommune das Personal der Ausländerbehörde besser auf die anspruchsvollen Tätigkeiten vorbereiten und auf eine höhere Personalkontinuität in den Behörden hinwirken. Bislang wechselt das Personal sehr häufig.

  • Die Prozesse in den Behörden müssten stärker digitalisiert werden, um sowohl die Behörden selbst als auch Bürger*innen zu entlasten. Dabei sind einheitliche Lösungsansätze gefragt, die mit zahlreichen Kooperationspartnern koordiniert umgesetzt werden. Dazu braucht es Zeit und den Kooperationswillen verschiedener föderaler Ebenen und Ressorts.

  • Wenn Behörden ihren Prüfpflichten nicht nachkommen können, sollte auch darüber nachgedacht werden, ob die Abläufe einfacher und effizienter gestaltet und der Umfang der Prüfpflichten reduziert werden kann: Wo existieren doppelte Prüfungen unterschiedlicher Ämter? Welche Aufenthaltstitel lassen sich länger ausstellen? In diese Richtung wurden bereits erste Änderungen im Visa-Verfahren umgesetzt. So sind nationale Visa für längere Aufenthalte (sogenannte D-Visa) nun für größere Zeitspannen gültig; inhaltliche doppelte Prüfungen entfallen. Solche Ansätze, Prüfpflichten abzubauen, sollten konsequent weiterverfolgt werden. Sie entlasten Migrant*innen und Behörden.

  • Gerade im Bereich der Migrationspolitik tendiert der Gesetzgeber dazu, ständig neue Gesetze zu erlassen, sei es für Fachkräfte oder für Geflohene. Oft geschieht dies, ohne ihre Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis vor Ort zu berücksichtigen. Hier braucht es – auch und gerade im Kontext hitziger Debatten – mehr Zeit, um die Wirkung der Gesetze zu prüfen.

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Dr. Thorsten Schlee ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Er forscht zu Arbeitsmarkt, Integration und Mobilität. Zusammen mit Hannes Schammann und Sybille Münch hat er 2023 die von der Bertelsmann-Stiftung herausgegebene Studie „Externer Link: An den Grenzen? Ausländerbehörden zwischen Anspruch und Alltag“ veröffentlicht.