Indien ist das bedeutendste Auswanderungsland weltweit. So lebten Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge im Jahr 2019 rund 17,5 Millionen Personen aus Indien in einem anderen Land. Die meisten von ihnen (rund 9,3 Millionen) registrierten dabei die Golfstaaten, die seit Jahrzehnten in Indien gezielt Arbeitskräfte anwerben. Die zweitgrößte Gruppe lebte mit 4,9 Millionen in den angelsächsischen Ländern (Vereinigte Staaten, Vereinigtes Königreich, Kanada, Australien und Neuseeland), die mit Indien eine gemeinsame Geschichte im British Empire sowie die englische Sprache verbindet. Diese wird im indischen Bildungssystem so intensiv vermittelt und ist in Indien so verbreitet, dass die gebildeteren Inder:innen fast alle sehr gute Englischkenntnisse haben, auch wenn ihre eigentlichen Muttersprachen mit dem Englischen nicht verwandt sind. Auch in Deutschland nutzen viele Zugewanderte aus Indien in Beruf und Alltag das Englische zunächst als Brückensprache.
Dass eine größere Zahl an Personen aus Indien nach Deutschland zieht, ist ein relativ neues Phänomen. So lebten hierzulande im Jahr 2010 48.000 Personen mit indischer Staatsangehörigkeit. Im Jahr 2020 waren es mit 151.000 bereits über dreimal so viele. Dabei ist dieser Wert noch nicht einmal als hoch einzustufen, wenn man im Blick behält, dass mit 1,38 Milliarden Menschen rund ein Sechstel der Weltbevölkerung auf Indien entfällt. Im Vergleich kommen Europa, West- und Zentralasien zusammen nur auf 1,10 Milliarden Menschen. Setzt man die Gesamtzahl von weltweit 17,5 Millionen indischen Auswander:innen ins Verhältnis zur Bevölkerung im Land selbst, ergibt sich für Indien auch nur eine Auswanderungsrate von 1,2 Prozent. Der entsprechende Wert für Deutschland liegt mit 4,8 Prozent fast viermal so hoch.
Hohes Bildungsniveau
Das Besondere an der Zuwanderung aus Indien nach Deutschland ist das sehr hohe Bildungsniveau der zugewanderten Personen. So übten 57,8 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten indischen Staatsangehörigen im März 2021 eine Spezialist:innen- oder Expert:innentätigkeit aus, die in der Regel einen Hochschul- oder Fortbildungsabschluss, wie den Meister oder Techniker, voraussetzt. Bei den Inländer:innen lag dieser Anteil nur bei 28,3 Prozent und bei allen Ausländer:innen bei 16,5 Prozent. Besonders häufig sind die hochqualifizierten Inder:innen dabei in mathematischen, naturwissenschaftlichen, technischen und IT-Berufen sowie in der Informations- und Kommunikationsbranche tätig, wo derzeit starke Fachkräfteengpässe bestehen. Infolgedessen liegen die mittleren Lohneinkommen indischer Staatsangehöriger auch deutlich über denen der Inländer:innen und anderer größerer Zuwander:innengruppen in Deutschland. Ein ähnliches Bild findet sich auch in anderen Zielländern in der westlichen Welt, wo Zugewanderte aus Indien ebenfalls besonders häufig hochqualifiziert sind.
Vor diesem Hintergrund dürfte es sich bei Zugewanderten aus Indien zu großen Teilen um Personen handeln, die das Land ohnehin verlassen hätten und ansonsten in andere Länder gegangen wären, sich vor dem Hintergrund der guten Arbeitsmarktlage und zunehmenden Offenheit der Gesellschaft aber für Deutschland entschieden haben. Zudem kommen seit den 2010er-Jahren auch immer mehr junge Menschen aus Indien bereits zum Studium und nicht erst als fertig ausgebildete Fachkraft ins Land, sodass sich Deutschland in zunehmendem Maße an der Ausbildung der Fachkräfte beteiligt. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, wäre eine noch deutlich stärkere Abwanderung nach Deutschland bei allein 44,8 Millionen Hochqualifizierten im Alter zwischen 25 und 34 Jahren in Indien für das Land kaum problematisch.