Etwa 3,3 Millionen türkische Staatsbürger leben Berechnungen zufolge außerhalb der Türkei, davon 2,7 Millionen in einem europäischen Land. Hier zeigt sich ein deutlicher Anstieg seit Mitte der 1970er Jahre, als diese Zahl noch bei 770.000 lag.
Etwa 100.000 türkische Arbeitnehmer leben in arabischen Ländern, 60.000 Zuwanderer in Australien und über 75.000 Arbeitnehmer in den GUS-Ländern (siehe Abbildung). Darüber hinaus leben etwa eine Viertelmillion türkische Migranten in Kanada und den USA. Nach Angaben von OECD und Eurostat haben zudem etwa 800.000 Türken zwischen 1991 und 2005 die Staatsbürgerschaft ihrer jeweiligen Aufnahmestaaten angenommen.
Heutzutage stellen Türken die größte Gemeinschaft von Zuwanderern in Europa dar. Als solche sind sie ein leichtes Ziel für Fremdenfeindlichkeit und Ressentiments gegenüber Zuwanderern. Viele Menschen fürchten, dass der Zustrom von Migranten aus der Türkei weiter steigen könnte, sollte das Land der EU beitreten. Diese Sorge wird durch soziale und kulturelle Probleme bei der Integration türkischer Migranten in die Aufnahmegesellschaften noch verschärft. Eine große Zahl türkischer Zuwanderer der zweiten und dritten Generation schneidet bezüglich Bildung und Erwerbstätigkeit besonders schlecht ab. Nichtsdestotrotz gibt es eine wachsende Zivilgesellschaft türkischer Zuwanderer in Europa, welche die Integrationsprobleme der türkischen Gemeinschaften in den Hauptländern der EU thematisiert.
Die Zahl türkischer Staatsbürger, die tatsächlich in ein EU-Land auswandern würde, sollte die Türkei der EU beitreten, ist ökonometrischen Studien zufolge deutlich geringer als gemeinhin angenommen.
Die Möglichkeit eines Zustroms türkischer Migranten in die EU ist nicht das einzige Problem, um das sich die Mitglieder der Europäischen Union sorgen. So herrscht unter Experten eine fortwährende Debatte über die Ströme von irregulären Migranten zwischen der Türkei und den nahe liegenden Staaten Russland, Ukraine, Iran und Irak. Die aktuelle Migrationspolitik gegenüber diesen Ländern wird als äußerst liberal empfunden, und die EU übt beständig Druck auf die Türkei aus, diese zu verschärfen. Dennoch sind aufgrund des politischen Unwillens der türkischen Behörden in naher Zukunft keine Veränderungen zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Migrationspotenzial dieser Länder aufgrund von politischen und wirtschaftlichen Problemen in nächster Zeit auf einem hohen Niveau verbleiben wird, ist jedoch sehr groß. Dies könnte zu Konflikten zwischen der EU und der Türkei führen.
Dennoch geht die Türkei als Reaktion auf die Ängste der EU die Frage der Migrationssteuerung intensiv an. Insofern handelt die Türkei in der Sache richtig, wenngleich aus falschen Gründen. In der Regel wird die Migrationsagenda der Türkei von ihrem EU-Gegenpart bestimmt, wobei es problematisch ist, migrationsbezogene Themen mit den EU-Beitrittsverhandlungen zu verbinden. Dadurch wird die Tatsache überdeckt, dass diese Thematik mit ihrer großen Bedeutung als eigene umfassende und kohärente Politik angegangen werden muss. Die Verzögerungen der Verhandlungen haben somit auch die Gestaltung der Migrationspolitik der Türkei verlangsamt. Angesichts der Tatsache, dass die Türkei ein sehr wichtiger Akteur im Hinblick auf die Wanderungsbewegung in der Region ist, benötigt sie eine adäquate Regelung für die Steuerung der Migration – und zwar im eigenen Interesse und nicht im Interesse der EU.
Wie bereits erwähnt ist das Verhältnis der in jüngster Zeit angekommenen 'ethnisch nicht türkischen' Zuwanderer und der Aufnahmegesellschaft nicht sonderlich eng. Darüber hinaus ist die Rolle der Türkei als ein Zuwanderungs- und Transitland bisher nicht öffentlich thematisiert worden. In den Debatten im Bereich Migration geht es noch immer hauptsächlich um Themen wie Grenzkontrollen und Sicherheit, während Integrationspolitik auf nationaler Ebene nicht die nötige Aufmerksamkeit erhält. Sollte die Türkei ihre Rolle als Zuwanderungs- bzw. Transitland nicht akzeptieren und das Integrationsproblem nicht angehen, könnte das Land zukünftig mit schwerwiegenden innenpolitischen Problemen konfrontiert sein. Die Entwicklung kohärenter Migrationssteuerungsmechanismen liegt demnach im Interesse der Türkei und nicht nur der EU.