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Hintergrundinformationen | Senegal (2007) | bpb.de

Hintergrundinformationen

Felix Gerdes

/ 4 Minuten zu lesen

In Europa besteht weit verbreitet ein Bild Afrikas als Krisenkontinent, dessen Bevölkerung massenweise einen Weg nach Europa sucht. Dagegen illustriert das Beispiel Senegal afrikanische Migration als ein deutlich vielschichtigeres Phänomen. So ist Migration im Senegal – wie auch afrikanische Migration allgemein – primär innerafrikanische Migration gewesen.

Senegal (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de

Historisch war der Senegal nicht Herkunftsland, sondern Ziel von Migranten. Es deutet sich allerdings an, dass sich sowohl in Bezug auf die Migrationsrichtung als auch auf Zielregionen senegalesischer Migranten seit den 1990er Jahren ein Umschwung vollzogen hat. Infolgedessen steht der Senegal vor einer Reihe von Herausforderungen. So ist, von der europäischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, die Zuwanderung zu verwalten.

Des Weiteren muss politisch auf eine wachsende Migrationsbereitschaft der Bevölkerung reagiert werden. Gleichzeitig nimmt der Druck europäischer Staaten auf die afrikanischen Behörden zu, die Migration einzudämmen. Aber auch in einigen Staaten Afrikas – für den Senegal sind hier insbesondere die Elfenbeinküste und Gabun bedeutend – wird der Zuwanderung zunehmend ablehnend begegnet, was sowohl innenpolitische als auch bilaterale Konflikte hervorruft. Schließlich stellt sich die Frage des Umgangs mit den ansteigenden Rücküberweisungen und dem wirtschaftlichen Potenzial der senegalesischen Migranten.

InfoSenegal

Hauptstadt: Dakar
Amtssprachen: Französisch
Fläche: 196.192 km2
Bevölkerungszahl (2007): 12.400.000 (Population Reference Bureau)
Bevölkerungsdichte: 63 Einwohner je km2
Bevölkerungswachstum (2005): 2,4 % (UNFPA)
Erwerbsbevölkerung (2005): 70,9 % (Senegal, ANSD) bis 75,1 % (UNFPA)
Anteil ausländischer Bevölkerung (2006): 2,8 % (UNFPA)
Anteil ausländischer Beschäftigter an allen Erwerbstätigen: k.A.
Arbeitslosenquote (2001/02): 5,6 % (Senegal, ANSD) (1)
Religionen: 94 % muslimisch (Sufis), 5 % römisch-katholisch, 1 % einheimische Religionen (CIA)

Hintergründe der Migration

Die Migration aus dem Senegal hat in der letzten Dekade zugenommen. Diese Entwicklung fand vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und demographischer Umwälzungen statt, deren Kenntnis für ein Verständnis der Migrationsproblematik notwendig ist.Der Senegal befand sich seit Mitte der 1970er Jahre in einer wirtschaftlichen Krise, die sich in den 1990er Jahren zuspitzte. Zwischen 1990 und 1999 sank das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um 28,1 %. Die Krise hat sich negativ auf die privatwirtschaftlichen wie politischen Integrationskapazitäten ausgewirkt. Die Chancen auf eine Anstellung im Staatsdienst sind stark zurückgegangen, während die privatwirtschaftliche Entwicklung zu schwach ist, um den Arbeitsmarkt signifikant zu entlasten. Hinzu kommt ein hohes Bevölkerungswachstum, infolgedessen sich die Bevölkerung des Senegal seit der Unabhängigkeit 1960 fast vervierfacht und stark verjüngt hat. Inzwischen ist etwa die Hälfte der Bevölkerung unter 18 Jahre alt. Es strömt damit jedes Jahr eine höhere Anzahl junger Menschen auf den Arbeitsmarkt, deren berufliche Perspektiven sehr begrenzt sind.

Die internationale Migration war zunächst eine Reaktion auf diese Krisensituation und ist inzwischen zum Modell sozialen Aufstiegs geworden. Während einst der staatliche Funktionär individuellen Erfolg symbolisierte, ist dies nun der internationale Migrant. Dies zeigt sich unter anderem an senegalesischen Popsongs, in denen der Migrant als moderner Held besungen wird. Entsprechend richtet sich die "Karriereplanung" junger Menschen zunehmend auf den internationalen Arbeitsmarkt aus. Gleichzeitig steigen durch die sich fester etablierenden und umfassender werdenden Netzwerke vorangegangener Migranten die Möglichkeiten zur Migration. Trotz dieser Netzwerke wissen wenige Migrationswillige, wie der Alltag in Europa aussieht. So stehen sich das Klischee vom "Paradies Europa" sowie das Bild vom Migranten als Inbegriff des Erfolges und die tatsächlichen Migrationserfahrungen des durchschnittlichen Zuwanderers diametral gegenüber.

Diese Erlebnisse im Zielland sind oft gleichbedeutend mit einem Verlust an Lebensqualität gegenüber der Situation im Senegal und sind geprägt von Einsamkeit, wirtschaftlicher Not, Ausbeutung, Diskriminierung und massivem sozialem Druck der vom Reichtum des Migranten überzeugten Familie, zu ihrem finanziellen Unterhalt beizutragen. Höher qualifizierte Migranten werden im Zielland meist nicht ausbildungsadäquat beschäftigt und sind ebenfalls von Diskriminierung und Armut betroffen. Ein großer Teil der senegalesischen Migranten in Deutschland würde unter den gegebenen Bedingungen weder erneut nach Europa migrieren noch dies anderen Ausreisewilligen raten. Dennoch hält sich im Senegal, wie in weiten Teilen Afrikas, ein unrealistisches Bild von Europa.

Die Erklärung dafür, dass trotz vielfach enttäuschter Erwartungen weiterhin migriert wird, findet sich in den sozialen Zusammenhängen, in denen Migranten sich bewegen. Migranten unterliegen generell den Erwartungen der Familie, diese zu unterstützen. Die soziale Pflicht zur materiellen Unterstützung erhöht sich natürlich, wenn andere Familienmitglieder die Migration finanziert haben. Der Erfolgsdruck ist enorm. Während wirtschaftlicher Misserfolg in Afrika als nicht ungewöhnlich gilt, wird er bei einem Migranten in Europa als Versagen gewertet und bringt soziale Verachtung mit sich. Über Misserfolge, wie sie beispielsweise zügig Abgeschobene erleiden, wird kaum geredet, und schwierige Lebensumstände werden verschwiegen. Klagen eines (scheinbar) Erfolgreichen gelten als Selbstmitleid und sind gesellschaftlich nicht akzeptiert. Der "erfolgreiche", sich gemäß traditionellen Normen großzügig zeigende Migrant wird hingegen in Familie und Nachbarschaft idealisiert. Die Familie hat meist eine allenfalls unklare Vorstellung davon, wie das Geld, von dem sie lebt, erwirtschaftet wurde.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Eine weitere Form der Migration, die traditionelle Migration nomadischer Gruppen, wird hier nicht eingehender behandelt, da sie ein spezifisches und sehr komplexes Themenfeld darstellt, das jedoch für den Senegal von untergeordneter Bedeutung ist.

  2. Siehe Lahlou (2004). Das Wirtschaftswachstum hat seither angezogen. Nach Krisen führen solche Entwicklungen oft vorübergehend zu einer Steigerung der Auswanderung, da überhöhte Erwartungen gestellt werden und vermehrt Mittel zur Finanzierung einer Reise verfügbar sind.

  3. Siehe Riccio (2005).

  4. Siehe Marfaing (2003).

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Felix Gerdes studierte Politkwissenschaft und Soziologie in Hamburg und Dakar. Seit 2005 promoviert er an der Universität Hamburg und ist Mitarbeiter an der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung des Instituts für Politische Wissenschaft.