Die Bevölkerungswanderungen der zaristischen Epoche (1547–1917) und der Sowjetzeit (1917–1991) schufen die Voraussetzungen für die post-sowjetische Migration und umfassen heute sowohl nationale als auch internationale Migrationsprozesse. Die aktuellen Migrationsströme, die Wanderungsbewegungen von Menschen mit einer bestimmten ethnischen Gruppenzugehörigkeit mit einschließen (z.B. Russen, Deutsche, Finnen), sind überwiegend eine Reaktion auf Siedlungspolitik, wechselnde Grenzverläufe und in der jüngeren Vergangenheit auf Rücksiedlungspolitiken.
17. bis 19. Jahrhundert
Die territoriale Erweiterung des russischen Zarenreiches unterscheidet drei historische Phasen. Die erste datiert aus dem 17. Jahrhundert und steht im Zusammenhang mit der Erschließung Sibiriens und des Fernen Ostens. Russische Muttersprachler wurden bis 1678 zur Mehrheit in diesen Gebieten. Die zweite Expansionsphase folgte zu Beginn des 18. Jahrhunderts: Das russische Kernland wurde um Weißrussland, die Baltischen Staaten, Teile Polens und des Osmanischen Reichs (einschließlich Bessarabien, das heutige Moldawien) erweitert. Der Nordkaukasus, Armenien, Georgien und Zentralasien kamen im 19. Jahrhundert im Zuge der letzten Expansionsphase hinzu.
Vermutlich war Russland das erste Land auf der Welt, das 1763 ein eigenes Amt für Migrationsmanagement ins Leben rief. Hauptanliegen dieser Behörde war es, die Migration von Westeuropa nach Russland zu fördern. Diese Politik führte dazu, dass sich Tausende von Immigranten, in ihrer Mehrheit gut ausgebildet (z.B. Wissenschaftler, Professoren, Offiziere, Ingenieure, Architekten und Geschäftsleute), in Russland niederließen. Den bedeutendsten Anteil der Einwanderer stellten Deutsche. Historischen Quellen zufolge lebten Ende des 19. Jahrhunderts ungefähr 1,8 Millionen Deutsche im russischen Zarenreich.
Die sowjetische Ära
In der sowjetischen Ära gab es zwei gegensätzliche Faktoren, die Migration beeinflussten: zum einen die Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch das Aufenthaltsgenehmigungssystem (propiska)
Mit der Absicht, in verschiedenen Regionen des Landes die industrielle Entwicklung voranzutreiben wurde ein spezielles Rekrutierungssystem von Arbeitskräften in den ersten Fünf-Jahresplänen (piatiletkas)
Zwangsumsiedlung war Bestandteil des sowjetischen Totalitarismus, ein Instrument politischer Repression. Die ersten Opfer von Zwangsumsiedlungen waren wohlhabende Bauern (kulaks), die in die unterentwickelten Regionen des Nordens deportiert wurden.
In der UdSSR war die internationale Migration stark eingeschränkt. Besonders während des Kalten Krieges war die Bewegungsfreiheit zwischen Ländern des Ostblocks und Westeuropa bzw. Nordamerika nahezu unmöglich. Sowjetische Bürger benötigten für Reisen ins Ausland ein Ausreisevisum. Es gab nur wenige, stark kontrollierte Kanäle für eine Einreise ins Land, z.B. im Zusammenhang mit politisch bedeutsamen Projekten oder zu Studienzwecken. Illegale Migration wurde durch hochentwickelte Sicherheitssysteme und Grenzkontrollen wirksam unterbunden.
Aufgrund der zaristischen und sowjetischen Politik war die Bevölkerungszusammensetzung in den verschiedenen Landesteilen nicht homogen. Ethnische Russen lebten in allen Teilrepubliken und ihre Anzahl schwankte zwischen 2,5 % (in Armenien und 38 % in Kasachstan. Sie waren hauptsächlich in den Hauptstädten und anderen urbanen Zentren ansässig, wo sie Zugang zu Kultur und Bildung in ihrer Muttersprache hatten und ihnen attraktive Arbeitsplätze offen standen. Da Russen die dominierende ethnische Gruppe in der Sowjetunion stellten (auf die man häufig als "ältere Brüder" anspielte) und Russisch die lingua franca war, wurden die Russen dazu ermuntert, sich in der gesamten UdSSR "zuhause" zu fühlen. Der beliebte Schlager aus der Ära der "Stagnation" in den 1970er veranschaulicht diese Einstellung der ethnischen Russen sehr treffend: "Nicht irgendein Haus, nicht irgendeine Straße – mein Zuhause ist die Sowjetunion". Gleichzeitig lebten viele Angehörige nicht-russischer Ethnien aus den anderen, nicht-russischen Teilrepubliken auf russischem Territorium. Der letzten sowjetischen Volkszählung von 1989 zufolge stellten ethnische Ukrainer und Weißrussen nach den Russen die zweit- und drittgrößte Bevölkerungsgruppe im überwiegenden Teil russischer Siedlungsgebiete. Ethnische Moldawier lebten hauptsächlich in den zentralen Regionen. Ethnische Esten, Letten und Litauer waren in den Nordwestregionen und Sibirien ansässig.
Die post-sowjetische Ära
Internationale Migration nach und aus Russland (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de
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Nach dem Zerfall der Sowjetunion lebten etwa 25 Millionen ethnische Russen in den nicht-russischen sowjetischen Teilrepubliken.
2008 ist ein Zustrom von Einwanderern in der Hälfte der Föderationssubjekte der Russischen Föderation zu verzeichnen. Den Angaben des Instituts für Demographie SU-HSE zufolge meldete das Gebiet Moskau die höchste Zuwanderung, an die 75.000 Menschen, 55.000 davon allein in Moskau. Sankt Petersburg und Krasnodar kraj zählten ebenfalls zu den wichtigsten Zuwanderungsregionen.
Zuwanderung aus den früheren Sowjetrepubliken
Russland nimmt Zuwanderer aus über 100 Ländern auf. Allerdings ist ein starker und wachsender Zustrom aus dem "nahen Ausland" zu verzeichnen, während der Anteil der Hauptentsendeländer aus dem "fernen Ausland"
In den 1990er Jahren wurde das Thema der chinesischen Migranten, die im Fernen Osten die Grenze nach Russland passierten, in den russischen Medien hochgespielt.
In Wirklichkeit war die Zahl der chinesischen Bürger in den chinesisch-russischen Grenzregionen eher gering. So machten die Chinesen in der Grenzregion Primorsky kray zwischen 1996 und 1998 höchstens 1,1% der Gesamtbevölkerung aus,
Befristete Arbeitsmigration
Befristete Arbeitsmigration gehört seit etwa 2000 zum russischen Alltag. Offiziellen Statistiken zufolge sind 40% der im Baubereich Beschäftigten Immigranten, 19% der im Handelssektor Beschäftigten und jeweils 7% der in Landwirtschaft und Produktion Tätigen.
Ein besonderes Merkmal der russischen Wirtschaft ist der hohe Anteil an informeller und Schattenwirtschaft, der zu einer Nachfrage nach billiger Arbeitskraft und rechtlich ungeschützten Arbeitsverhältnissen führt. Nach offiziellen Angaben gingen 2007 53% der Arbeitsmigranten mit Aufenthaltsrecht einer Beschäftigung in der Schattenwirtschaft nach. Auf illegale Praktiken seitens der Arbeitgeber wie beispielsweise Zurückhalten von Pässen zur besseren Kontrolle der Arbeitnehmer, unvollständige Lohnauszahlung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Fehlen von Sozialleistungen und Zwangsarbeit trifft man gleichermaßen unter Migranten mit und ohne legalem Aufenthaltsstatus.
Abwanderung
Die Emigration von Russland in die ex-sowjetischen Nachfolgestaaten ging von 690.000 Menschen im Jahr 1989 auf 40.000 im Jahr 2004 zurück. Fachleute haben zwei Hauptgründe für diesen Rückgang ausgemacht: Zum einen ist das für die Auswanderung in Frage kommende ethnische Potential erschöpft, zum anderen kam es zu wirtschaftlichen und politischen Veränderungen in den sowjetischen Nachfolgestaaten.
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Eine große Anzahl russischer hochqualifizierter Emigranten wanderte nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion in die USA, nach Norwegen und nach Deutschland aus. 1993 hatte jeder fünfte Emigrant aus Russland eine Fachhochschul- oder Universitätsausbildung. Diese Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland (brain drain) hält an. Schätzungen zufolge arbeiteten im Jahr 2005 an die 30.000 russische Wissenschaftler im Ausland.
Ökonomisch bedingte zirkuläre Migration (Grenzhändler oder chelnoks)
Diese Migrationsform war in den 1990er Jahren typisch für Russland. Der Zusammenbruch der Planwirtschaft führte für viele russische Bürger in die Arbeitslosigkeit und bedeutete den Verlust des beruflichen Status. So mussten sich beispielsweise Leute, die zuvor in der Rüstungsindustrie oder in sowjetischen Forschungseinrichtungen gearbeitet hatten, eine neue Arbeit suchen, aber der Übergang in die Marktwirtschaft bot ihnen nicht viele Erwerbsmöglichkeiten. Folglich war ein großer Teil der russischen Bevölkerung in einem sehr speziellen Geschäftsbereich tätig – bei Hamsterfahrten ins Ausland (vornehmlich nach Polen, China und in die Türkei), um kleine Mengen von Konsumgütern zu kaufen und daheim wieder zu verkaufen. Diese Unternehmer, die zwischen den Grenzen hin und her pendelten, trugen wesentlich zur Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen in Russland bei.
Binnenmigration
Während der Sowjetära zog eine beträchtliche Anzahl von Menschen vom zentraleuropäischen Teil Russlands in die nördlichen Regionen, nach Sibirien und in den Fernen Osten. Aber die Hauptrichtung der Migrationsbewegung änderte sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, als immer mehr Menschen in westliche und südliche Regionen übersiedelten. In der postsowjetischen Zeit verstärkte sich die Sogwirkung von den östlichen und nordöstlichen hin zu den westlichen Regionen.
1991 begannen die Wanderungsbewegungen aus dem Fernen Osten und Sibirien in den zentraleuropäischen Teil Russlands in großem Umfang.
Im Zuge des wirtschaftlichen Umbruchs entstanden mehrere "Geisterstädte" in entlegenen Regionen. Diese entwickelten sich für gewöhnlich aus früheren "Monostädten" – also Städten mit einer einzigen Fabrik, die die Bevölkerungsmehrheit beschäftigte. Ging der Hauptarbeitgeber pleite, konnte die Stadt ihre Bewohner nicht mehr ernähren.
Wie amtliche Statistiken belegen, spielt die Binnenmigration derzeit kaum eine Rolle in Russland. Im Jahr 2007 wechselte nur 1,4% der Bevölkerung den Wohnort, und nicht einmal die Hälfte unter ihnen zog es in eine andere Region.