Einkommensgefälle zwischen Marokko und europäischen Zielländern haben in den letzten Jahrzehnten eher noch zugenommen (siehe Abbildung 1), und nachhaltige Opportunitätsunterschiede werden die Migration in der Zukunft wohl noch weiter antreiben. Eine Kombination aus demografischen und wirtschaftlichen Faktoren könnte das Auswanderungspotenzial Marokkos auf lange Sicht jedoch möglicherweise eindämmen.
Nach Jahren intensiven Bevölkerungswachstums wird sich die demografische Entwicklung in der Zukunft verändern. Das gängige Bild von Marokko als einem fast unerschöpflichen Quell junger, arbeitsloser Menschen, die bereit sind, nach Europa zu ziehen, sobald sich nur die Möglichkeit dazu bietet, verschließt sich der Tatsache, dass die Geburtenrate in Marokko eindrucksvoll zurückgegangen ist: von etwa 7,1 im Jahre 1965 (dem Beginn der 'Gastarbeiter'-Wanderung nach Europa) auf 2,5 um das Jahr 2000.
Wenn der gegenwärtige Trend anhält und die marokkanische Wirtschaft weiter wächst, eröffnen sich den nächsten auf den Arbeitsmarkt strömenden Generationen einzigartige Möglichkeiten, die ein in den nächsten Jahrzehnten rapide sinkendes Auswanderungspotenzial zur Folge haben könnten. Diese Entwicklung könnte Marokko auch als Migrationsziel noch attraktiver machen, was mit wachsender Zuwanderung und Ansiedlung aus Subsahara-Afrika einhergehen würde.Wie es scheint, hat dieser Prozess mit zunehmender Transsahara-Migration bereits begonnen.
Wenn jedoch gegenwärtige Reformen und wirtschaftliches Wachstum nicht gestärkt werden, könnte sich Marokkos Migrationswelle zu einem semipermanenten 'Migrationsplateau' ausdehnen oder umformen. Diese Stärkung hängt zwar hauptsächlich von innenpolitischen Faktoren ab, aber auch die Implementierung und die Auswirkungen der Freihandelszone zwischen Marokko und der EU werden dabei eine fundamentale Rolle spielen.
Abbildung 2: BIP pro Kopf, KKP (nach aktuellem Dollar-Kurs) 1980-2008, Marokko, Senegal, Mali (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de
Abbildung 2: BIP pro Kopf, KKP (nach aktuellem Dollar-Kurs) 1980-2008, Marokko, Senegal, Mali (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de
Gleichzeitig wäre es naiv zu erwarten, dass die Präsenz und die Niederlassung von Migranten aus Subsahara-Staaten nur ein vorübergehendes Phänomen sei. Es ist eher anzunehmen, dass diese Gemeinden in den großen marokkanischen Städten noch weiter wachsen werden, unterstützt durch reduzierte Reisekosten, die Attraktivität privater und öffentlicher Universitäten und Berufsschulen in Marokko und eine gestiegene Nachfrage nach niedrig wie hoch qualifizierten Arbeitskräften. Dieses Phänomen verdeutlicht auch die Bedeutung von relativem Mangel zur Erklärung von Migration: während Marokkaner selbst immer noch unbedingt nach Europa auswandern wollen, stellt Marokko für Migranten von südlich der Sahara ein vergleichsweise stabiles und reiches Land dar. Beispielsweise lag das BIP pro Kopf (bereinigt um die Kaufkraftparität) 2006 in Marokko um zweieinhalb Mal höher als im Senegal, und 3,7 Mal höher als in Mali (siehe Abbildung 2). Riesige Gefälle zwischen Marokko und Subsahara-Ländern bestehen auch hinsichtlich der Geburtenrate.
Dies könnte eine Ära wachsender afrikanischer Migration nach und Ansiedlung in Marokko, und die eines Nebeneinanders von Zuwanderung und Auswanderung einläuten, wie es für Länder in Übergangsphasen typisch ist. Interessanterweise könnte diese Übergangsphase Marokkos historische Funktion als Brücke zwischen Subsahara-Afrika, Nordafrika und Europa wiederherstellen.