Griechenlands Regierung präsentiert ihr Migrationsmanagement als Erfolg, indem sie gesunkene Einreisen von Migranten und Asylsuchenden betont. Die Realität ist jedoch komplexer und differenzierter. Nach der „Flüchtlingskrise“ in den Jahren 2015 und 2016 und den damit verbundenen beispiellosen Herausforderungen für Griechenland, hat die Regierung ihr Migrationsmanagement in letzter Zeit als besonders effektiv dargestellt. Premierminister Kyriakos Mitsotakis und aufeinanderfolgenden Ministern für Migration und Asyl zufolge sei es dem Land mit seiner „harten, aber fairen“ Einwanderungspolitik gelungen, die Grenzkontrollen zu verstärken und irreguläre Migration einzudämmen.
Die drei Säulen der „Erfolgs“-Erzählung
Die griechische Regierung führt den „Erfolg“ ihrer Strategie zur Steuerung der Migration auf drei wesentliche Entwicklungen zurück:
In erster Linie hebt sie den starken Rückgang der absoluten Zahl von Migrant/-innen und Geflüchteten hervor, die ins Land kommen. In den Jahren 2015 und 2016 überquerten mehr als eine Million Menschen das Ägäische Meer und reisten durch Griechenland – eine Bewegung, die nicht zuletzt durch die im März 2016 unterzeichnete Interner Link: Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei weitgehend gestoppt wurde. Seitdem sind die Einreisen von Migrant/-innen und Schutzsuchenden zwar nicht völlig zum Erliegen gekommen, aber sie haben doch deutlich abgenommen.
Eine zweite Entwicklung, die von der griechischen Regierung als Beleg für den Erfolg ihrer Migrations- und Flüchtlingspolitik angeführt wird, ist die sinkende Zahl der im Land und in den Aufnahmeeinrichtungen verbleibenden Flüchtlinge und Asylbewerber/-innen. In dieser Erfolgserzählung wird hervorgehoben, dass mehrere Aufnahmeeinrichtungen auf dem Festland inzwischen geschlossen sind, weil sie für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylantragstellenden nicht mehr benötigt wurden. Dieser Rückgang der absoluten Zahlen zeigt sich auch in den Interner Link: Aufnahmeeinrichtungen auf den griechischen Inseln in der Ägäis, die zuvor durch starke Überbelegung und erbärmliche Lebensbedingungen gekennzeichnet waren, welche grundlegenden humanitären Standards nicht entsprachen.
Ein drittes Schlüsselelement, das die griechische Regierung hervorhebt, ist ihre entschlossene Reaktion auf die von der Türkei inszenierte Migrationskrise im Jahr 2020. In einem kalkulierten Schachzug, um politischen Druck auf die EU und Griechenland auszuüben, brachten die türkischen Behörden Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge aktiv an die griechische Grenze in der Evros-Region, ermutigten sie, den Grenzübertritt zu versuchen, und erleichterten ihnen dann mit Präsident Erdoğans Erklärung „Wir haben die Tore geöffnet“ den Weg auf griechisches Territorium. Als Reaktion darauf schickte die griechische Regierung das Militär an die Grenze und bat die EU-Grenzschutzbehörde Interner Link: Frontex um Unterstützung, um massenhafte Übertritte auf griechisches Territorium zu verhindern. Gleichzeitig brachte die EU ihre Unterstützung für Griechenland sowohl durch symbolische Gesten (z. B. Erklärungen, in denen sie Griechenlands Maßnahmen zum Schutz der EU-Außengrenzen ausdrücklich unterstützte) als auch durch konkrete Maßnahmen (z. B. finanzielle Unterstützung) unmissverständlich zum Ausdruck.
Die Darstellung der griechischen Regierung, Herausforderungen im Zusammenhang mit Migration und Flucht erfolgreich bewältigt zu haben, hat dazu beigetragen, in der Bevölkerung vorhandene Bedenken zu zerstreuen. In den Jahren 2015 und2016 war die griechische Öffentlichkeit Geflüchteten im Allgemeinen positiv begegnet und hatte sich aktiv solidarisch gezeigt. Als klar wurde, dass wegen der Grenzschließungen entlang der sogenannten Balkanroute die Weiterreise in andere europäische Länder erheblich erschwert wurde und viele Flüchtlinge daher langfristig in Griechenland bleiben würden, verschlechterten sich die Einstellungen allmählich. Infolgedessen galt Migration bis 2019 als eines der wichtigsten Themen für die Griechinnen und Griechen und war für sie genauso wichtig wie die Wirtschaftskrise, wenn nicht sogar wichtiger. Jüngste Umfrageergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass das Thema für die griechische Öffentlichkeit an Dringlichkeit verloren hat.
Risse im Fundament
Bei näherer Betrachtung zeigen sich jedoch Nuancen, die diese Erfolgserzählung trüben: Die Verringerung der Zahl der Menschen, die nach Griechenland einreisen und dortbleiben, wurde zum Teil durch Interner Link: „Pushback“-Praktiken erreicht, die gegen internationale Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte von Migrant/-innen und Asylsuchenden verstoßen. Auch wenn dies offiziell geleugnet wird, gibt es Hinweise darauf, dass staatliche Stellen aktiv an diesen Praktiken beteiligt sind und dass ihre systematische Anwendung de facto Teil der allgemeinen Politik ist, wie der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten Felipe González Morales und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte feststellten. Der tragische Interner Link: Schiffbruch in der Nähe von Pylos am 14. Juni 2023, bei dem mehr als 600 Menschen ums Leben kamen, rief seinerzeit ernste Fragen mit Blick auf die offizielle Billigung dieser Praktiken auf: Ein Schiff der griechischen Küstenwache war in der Nähe des Fischerboots, als es kenterte und sank. Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Versuch, das Schiff aus der griechischen Such- und Rettungszone herauszuschleppen, zu seinem Untergang beigetragen haben könnte.
Ein zweiter Aspekt, der die Risse im Narrativ eines erfolgreichen Migrationsmanagements offenbart, ist die Kriminalisierung humanitärer Unterstützung für Migrant/-innen und Geflüchtete in Griechenland. Sie hat sich in den letzten Jahren verschärft und spiegelt damit einen breiteren europäischen Trend wider. Diese Kriminalisierung manifestiert sich auf zwei Ebenen: Erstens hat die Zahl der Gerichtsverfahren gegen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Personen, die Menschenrechte verteidigen, und Reporter/-innen zugenommen, die unter anderem wegen Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt, Schleusung, Spionage und Behinderung polizeilicher Ermittlungen belangt werden. Zweitens wurden strukturelle Hindernisse errichtet, die es NGOs erschweren in Griechenland befindlichen Flüchtlingen zu helfen oder überhaupt im Land zu arbeiten.
Schließlich hat sich in Griechenland die Medienberichterstattung über die Flüchtlingsthematik in den letzten Jahren verändert und die öffentliche Wahrnehmung der Migration neu geprägt. Der Schwerpunkt lag vor allem auf Grenzkontrollen, Überwachung und restriktiven Maßnahmen – und weniger auf humanitären Belangen. Diese Darstellung wird weitgehend von offiziellen Quellen geprägt, während Flüchtlinge, Asylsuchende und andere nicht-staatliche Stimmen unterrepräsentiert bleiben. Journalist/-innen, die der Darstellung der Regierung und ihrer Haltung zur Migration widersprechen, erhalten nur begrenzten Zugang zu Flüchtlingseinrichtungen, und ihre Anfragen bei den Behörden nach Informationen und Daten bleiben oft unbeantwortet.
Schlussbemerkung
Betrachtet man den Interner Link: Neuen Pakt für Migration und Asyl der EU, der Grenzschutz und Rückführungen Vorrang vor humanitären Schutz- und Integrationsmaßnahmen einräumt, sind klare Ähnlichkeiten zum Ansatz der griechischen Regierung zu erkennen. Der Widerspruch zwischen dem verkündeten Erfolg und beunruhigenden Praktiken sollte Griechenland eigentlich zu einem warnenden Beispiel für die EU-Migrationspolitik machen: Grenzkontrollen über den Schutz von Menschenrechten zu stellen, mag zwar unmittelbare politische Forderungen befriedigen, untergräbt aber die Werte, auf denen das europäische Asylsystem aufgebaut ist.