Kanada und die Vereinigten Staaten zählen zu den weltweit führenden Zielländern von Einwanderer:innen. Im Jahr 2021 machten Eingewanderte 15 Prozent der Bevölkerung der USA und 23 Prozent der Bevölkerung Kanadas aus.
Einwanderungspolitik bis zum Zweiten Weltkrieg
Im 18. und frühen 19. Jahrhundert war die Einwanderung in die USA weitgehend unreguliert und erfolgte hauptsächlich aus Nord- und Westeuropa. Im späten 19. Jahrhundert entfachte die zunehmende Zuwanderung aus Süd- und Osteuropa sowie China eine einwanderungsfeindliche Stimmung, die zu restriktiven Gesetzen wie dem Chinese Exclusion Act von 1882 führte – einer Maßnahme, die die Zuwanderung aus China zu stoppen sollte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die rassistischen Einwanderungsbeschränkungen mit den Quotengesetzen von 1921 und 1924 fortgesetzt, die bis zum Einwanderungs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (Immigration and Nationality Act) von 1965 die Einwanderung von Menschen aus Nord- und Westeuropa begünstigten, während sie Asiat:innen ausschlossen.
In ähnlicher Weise begünstigte Kanada zunächst englischsprachige Siedler:innen, die im Zuge der
Einwanderungspolitik in der Nachkriegszeit
Nach dem Zweiten Weltkrieg entfernte sich die Einwanderungspolitik von der Auswahl nach rassistischen Gesichtspunkten. Die USA konzentrierten sich auf die Familienzusammenführung, während Kanada der Auswahl nach Qualifikationen den Vorzug gab. In den USA beendete der Immigration and Nationality Act von 1965 das diskriminierende System von auf nationaler Herkunft basierenden Einwanderungsquoten und führte die Familienzusammenführung und die Bevorzugung von Wirtschaftsmigrant:innen ein, behielt aber unter dem Druck von Befürwortern einer restriktiven Politik Obergrenzen für die Einwanderung pro Herkunftsland bei. Das Einwanderungsgesetz (Immigration Act) von 1990 erhöhte dann die Gesamtzahl der Aufnahmen von Einwandernden, um Forderungen von ethnischen Gruppen und Arbeitgebern entgegenzukommen.
In Kanada wurde mit den Einwanderungsbestimmungen (Immigration Regulations) von 1967 ein universelles Punktesystem eingeführt, das später im Einwanderungsgesetz von 1976 kodifiziert wurde und sich auf Qualifikationen, gesuchte Berufe und Sprachkenntnisse konzentrierte.
Diese Änderungen markierten einen bedeutenden Wandel in der Einwanderungspolitik und prägten in beiden Ländern deren zukünftige Entwicklung.
Institutionelle Faktoren für einwanderungspolitische Unterschiede in der Nachkriegszeit: politische Isolierung
Um die unterschiedlichen Entwicklungen der Einwanderungssysteme von Kanada und den USA zu verstehen, müssen die institutionellen Faktoren untersucht werden, die auf die Politikgestaltung einwirken. Dazu zählt die Frage, wie politisch isoliert zentrale Akteure der Politikgestaltung handeln können. So wird politische Isolierung insbesondere dort wahrscheinlich, wo Möglichkeiten für Akteure – wie z.B. Interessengruppen – die Politikgestaltung zu beeinflussen, begrenzt sind oder gar gänzlich fehlen.
In den USA dominiert der Kongress die Einwanderungspolitik, wobei die Ausschüsse des Repräsentantenhauses und des Senats Interessengruppen einen weitreichenden Zugang zur Einflussnahme bieten. Dieses System mit seinen zahlreichen Vetopunkten begünstigt Kompromisse gegenüber ehrgeizigen Reformen. In der Nachkriegszeit wurden Maßnahmen zur Familienzusammenführung problemlos verabschiedet, aber gesellschaftliche und parteipolitische Meinungsverschiedenheiten behinderten eine Einigung über die Zulassung von Wirtschaftsmigrant:innen und verhinderten die Entwicklung einer auf Qualifikationen ausgerichteten Einwanderungspolitik. Mit dem Einwanderungsgesetz von 1990 wurden die Einwanderungsquoten erhöht und das H-1B-Visum für Hochqualifizierte eingeführt, doch weil Interessengruppen Druck ausübten, wurde der Familienzusammenführung weiterhin Priorität eingeräumt.
Im Gegensatz dazu ermöglicht die von der Regierung (Exekutive) dominierte kanadische Politik ein zentralisiertes Handeln durch Regulierung, ohne dass eine umfassende Genehmigung durch das Parlament (Legislative) erforderlich ist. Dieser Kontext isolierte die politischen Entscheidungsträger:innen vom Druck der Bevölkerung und der Interessengruppen und ermöglichte die Schaffung eines qualifikationsbasierten Einwanderungssystems.
Anhaltende einwanderungspolitische Unterschiede seit Anfang der 2000er Jahre
In Kanada wurde mit dem Einwanderungs- und Flüchtlingsschutzgesetz (Immigration and Refugee Protection Act) von 2001 die Dominanz der Exekutive gestärkt und die Auswahl von Einwanderer:innen auf der Grundlage von Humankapital (Fähigkeiten und Bildung) verankert.
In den Vereinigten Staaten führten die
Nach der Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 ist die Einwanderungspolitik der USA durch Exekutivmaßnahmen immer restriktiver geworden – etwa durch ein vorübergehendes Einreiseverbot für Menschen aus Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit und den Versuch, die „Deferred Action for Childhood Arrivals“ (DACA) aufzuheben, eine politische Maßnahme, die es irregulär in den USA lebenden Jugendlichen ermöglichte, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Das RAISE-Gesetz von 2017 sollte die Gesamtzuwanderung reduzieren, die Familienzuwanderung einschränken, das Diversity-Visa-Programm
Anhaltende einwanderungspolitische Unterschiede verstehen: jenseits der politischen Isolation
Institutionelle Dynamiken – wie die auf die Exekutive ausgerichtete Politik in Kanada einerseits und die Blockade des Kongresses in den USA andererseits – prägen weiterhin die Einwanderungspolitik in beiden Ländern. Jedoch spielen, mit Blick auf die unterschiedlichen migrationspolitischen Pfade der beiden nordamerikanischen Demokratien, auch andere Faktoren eine Rolle. Die USA haben eine lange gemeinsame Landgrenze mit Mexiko. In Anbetracht zunehmender globaler Flucht und Vertreibung sowie wachsender Instabilität und Gewalt im sogenannten nördlichen Dreieck –
Kanadas geografische Isolation hingegen schirmt das Land von humanitärer Migration ab und ermöglicht es ihm, den Umfang der Einwanderung zu kontrollieren und diejenigen zu bevorzugen, die seinen wirtschaftlichen und demografischen Bedürfnissen entsprechen. Diese Dynamik wird durch Kanadas höheren Anteil an im Ausland geborenen Einwohner:innen und das politische Gewicht von Wähler:innen mit Migrationshintergrund verstärkt, da Eingewanderte eine höhere Einbürgerungsrate haben als Einwanderer:innen in den USA. Kanadas riesige geografische Ausdehnung und sein dezentraler einwanderungspolitischer Ansatz, der es den Provinzen erlaubt, entsprechend ihrer wirtschaftlichen und demografischen Bedarfe eigene Einwanderungsprogramme aufzulegen, haben dabei zu ungleichmäßigen Einwanderungsmustern geführt: Neuankömmlinge konzentrieren sich auf die großen Ballungsgebiete.
Schlussfolgerung und Ausblick
Was Kanada von den USA unterscheidet, ist die von der Exekutive betriebene Einwanderungspolitik, im Gegensatz zum legislativen Ansatz in den USA. Dies ermöglicht es Kanadas Regierung, bedeutende politische Veränderungen durchzuführen, wie z. B. die Umstellung von familienbasierter auf wirtschaftsorientierte Einwanderung, während sie von gesellschaftlichem Druck abgeschirmt bleibt. Darüber hinaus hat Kanadas Tradition der einvernehmlichen Politikgestaltung und des elitenübergreifenden Konsenses umfassende und nachhaltige Einwanderungsreformen ermöglicht.
Die Ungewissheit angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA im November 2024 und der kanadischen Bundeswahlen im Oktober 2025 wirft Fragen über die Zukunft der Einwanderung in beiden Ländern auf. Kanadas weniger polarisierte Haltung zur Einwanderung könnte sich aufgrund einer sich verändernden öffentlichen Meinung ändern und den einwanderungsfreundlichen kanadischen Exzeptionalismus (Sonderweg) in Frage stellen.
Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel