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Auf unterschiedlichen Pfaden | Regionalprofil Nordamerika | bpb.de

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Auf unterschiedlichen Pfaden Die Einwanderungspolitiken von Kanada und den USA im Vergleich

Antje Ellermann Dhriti Mehta

/ 8 Minuten zu lesen

Kanada und die USA sind beide liberale Demokratien mit hoher Einwanderung. Ihre Einwanderungspolitiken unterscheiden sich jedoch erheblich. Ein Blick auf die Gründe für diese Divergenz.

Bau der Gordie Howe International Bridge: Die Brücke wird Detroit mit Windsor, Ontario, über den Detroit River verbinden (15. April 2024). (© picture-alliance, imageBROKER | Jim West)

Kanada und die Vereinigten Staaten zählen zu den weltweit führenden Zielländern von Einwanderer:innen. Im Jahr 2021 machten Eingewanderte 15 Prozent der Bevölkerung der USA und 23 Prozent der Bevölkerung Kanadas aus. Mit ihrer Geschichte als koloniale Siedlerstaaten nutzen beide Länder die Einwanderung zur Gestaltung ihrer nationalen Selbsterzählung. Ihre Einwanderungssysteme legen den Schwerpunkt auf Familienzusammenführung, Migration zu wirtschaftlichen Zwecken und humanitäre Einwanderung. Aber geografische und politische Unterschiede haben in der Nachkriegszeit dazu geführt, dass beide Länder unterschiedliche einwanderungspolitische Pfade eingeschlagen haben.

Einwanderungspolitik bis zum Zweiten Weltkrieg

Im 18. und frühen 19. Jahrhundert war die Einwanderung in die USA weitgehend unreguliert und erfolgte hauptsächlich aus Nord- und Westeuropa. Im späten 19. Jahrhundert entfachte die zunehmende Zuwanderung aus Süd- und Osteuropa sowie China eine einwanderungsfeindliche Stimmung, die zu restriktiven Gesetzen wie dem Chinese Exclusion Act von 1882 führte – einer Maßnahme, die die Zuwanderung aus China zu stoppen sollte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die rassistischen Einwanderungsbeschränkungen mit den Quotengesetzen von 1921 und 1924 fortgesetzt, die bis zum Einwanderungs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (Immigration and Nationality Act) von 1965 die Einwanderung von Menschen aus Nord- und Westeuropa begünstigten, während sie Asiat:innen ausschlossen.

In ähnlicher Weise begünstigte Kanada zunächst englischsprachige Siedler:innen, die im Zuge der Interner Link: Amerikanischen Revolution (1775-1783) vertrieben worden waren, und strebte ein „weißes Kanada“ an. Geografische und klimatische Herausforderungen führten im 19. Jahrhundert jedoch zu einer Lockerung der Beschränkungen und ermöglichten die Aufnahme von Migrant:innen aus dem Balkan, Osteuropa und China. Später kam es zu Interner Link: restriktiven Gesetzen gegen asiatische Einwanderer:innen im Zuge von rassistischen Anfeindungen gegen diese Gruppe von Migrant:innen.

Einwanderungspolitik in der Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg entfernte sich die Einwanderungspolitik von der Auswahl nach rassistischen Gesichtspunkten. Die USA konzentrierten sich auf die Familienzusammenführung, während Kanada der Auswahl nach Qualifikationen den Vorzug gab. In den USA beendete der Immigration and Nationality Act von 1965 das diskriminierende System von auf nationaler Herkunft basierenden Einwanderungsquoten und führte die Familienzusammenführung und die Bevorzugung von Wirtschaftsmigrant:innen ein, behielt aber unter dem Druck von Befürwortern einer restriktiven Politik Obergrenzen für die Einwanderung pro Herkunftsland bei. Das Einwanderungsgesetz (Immigration Act) von 1990 erhöhte dann die Gesamtzahl der Aufnahmen von Einwandernden, um Forderungen von ethnischen Gruppen und Arbeitgebern entgegenzukommen.

In Kanada wurde mit den Einwanderungsbestimmungen (Immigration Regulations) von 1967 ein universelles Punktesystem eingeführt, das später im Einwanderungsgesetz von 1976 kodifiziert wurde und sich auf Qualifikationen, gesuchte Berufe und Sprachkenntnisse konzentrierte.

Diese Änderungen markierten einen bedeutenden Wandel in der Einwanderungspolitik und prägten in beiden Ländern deren zukünftige Entwicklung.

Institutionelle Faktoren für einwanderungspolitische Unterschiede in der Nachkriegszeit: politische Isolierung

Um die unterschiedlichen Entwicklungen der Einwanderungssysteme von Kanada und den USA zu verstehen, müssen die institutionellen Faktoren untersucht werden, die auf die Politikgestaltung einwirken. Dazu zählt die Frage, wie politisch isoliert zentrale Akteure der Politikgestaltung handeln können. So wird politische Isolierung insbesondere dort wahrscheinlich, wo Möglichkeiten für Akteure – wie z.B. Interessengruppen – die Politikgestaltung zu beeinflussen, begrenzt sind oder gar gänzlich fehlen.

In den USA dominiert der Kongress die Einwanderungspolitik, wobei die Ausschüsse des Repräsentantenhauses und des Senats Interessengruppen einen weitreichenden Zugang zur Einflussnahme bieten. Dieses System mit seinen zahlreichen Vetopunkten begünstigt Kompromisse gegenüber ehrgeizigen Reformen. In der Nachkriegszeit wurden Maßnahmen zur Familienzusammenführung problemlos verabschiedet, aber gesellschaftliche und parteipolitische Meinungsverschiedenheiten behinderten eine Einigung über die Zulassung von Wirtschaftsmigrant:innen und verhinderten die Entwicklung einer auf Qualifikationen ausgerichteten Einwanderungspolitik. Mit dem Einwanderungsgesetz von 1990 wurden die Einwanderungsquoten erhöht und das H-1B-Visum für Hochqualifizierte eingeführt, doch weil Interessengruppen Druck ausübten, wurde der Familienzusammenführung weiterhin Priorität eingeräumt.

Im Gegensatz dazu ermöglicht die von der Regierung (Exekutive) dominierte kanadische Politik ein zentralisiertes Handeln durch Regulierung, ohne dass eine umfassende Genehmigung durch das Parlament (Legislative) erforderlich ist. Dieser Kontext isolierte die politischen Entscheidungsträger:innen vom Druck der Bevölkerung und der Interessengruppen und ermöglichte die Schaffung eines qualifikationsbasierten Einwanderungssystems.

Anhaltende einwanderungspolitische Unterschiede seit Anfang der 2000er Jahre

In Kanada wurde mit dem Einwanderungs- und Flüchtlingsschutzgesetz (Immigration and Refugee Protection Act) von 2001 die Dominanz der Exekutive gestärkt und die Auswahl von Einwanderer:innen auf der Grundlage von Humankapital (Fähigkeiten und Bildung) verankert. Unter der konservativen Regierung von Premierminister Stephen Harper (2006-2015) verlagerte sich das Einwanderungssystem zunehmend von der Zulassung dauerhafter auf die Zulassung temporärer Einwander:innen. Zunehmenden Rückstände bei der Bearbeitung von Einwanderungsanträgen führten zu drastischen Maßnahmen: So wurden beispielsweise alle Bewerber:innen aus der Warteschlange des Punktesystems gestrichen. Am 1. Januar 2015 wurde das neue Express-Entry-System eingeführt, welches sich an qualifizierte Einwanderer:innen richtet, die sich dauerhaft in Kanada niederlassen wollen; es sieht eine stärker arbeitgebergesteuerte Auswahl der Einwandernden vor. Die Interner Link: liberale Regierung von Premierminister Justin Trudeau hat seit ihrer Vereidigung im November 2015 das Engagement für die Neuansiedlung (Interner Link: Resettlement) von Flüchtlingen verstärkt und die Einwanderungsquoten insgesamt erhöht. Im Zuge der Grenzschließungen während der COVID-19-Pandemie wurden vorrangig ausländische Arbeitskräfte aufgenommen, die sich bereits als temporäre Migrant:innen in Kanada aufhielten und nun über ein spezielles Programm einen dauerhaften Aufenthaltsstatus erhalten konnten.

In den Vereinigten Staaten führten die Interner Link: Terroranschläge vom 11. September 2001 zu einem Interner Link: sicherheitspolitischen Fokus. Der Ruf nach Heimatschutz und darüber hinaus die Besorgnis über irreguläre Einwanderung aus Mexiko führten zum sogenannten Sensenbrenner-Gesetz, das unter anderem härtere Strafen für den illegalen Aufenthalt vorsah, aber im Senat scheiterte. Mit dem Secure Fence Act von 2006 wurde der Bau von 700 Meilen Zaun entlang der Grenze zu Mexiko beschlossen, wodurch die Versicherheitlichung weiter betont wurde. Nachfolgende Reformbemühungen, darunter die Gesetze für eine umfassende Einwanderungsreform (Comprehensive Immigration Reform Acts) von 2006 und 2007, scheiterten. Das frustrierte die Arbeitgeber, die sich vor dem Hintergrund politischer Blockaden mit einem auf Familienzusammenführung ausgerichteten Einwanderungssystem auseinandersetzen mussten.

Nach der Wahl Donald Trumps im Jahr 2016 ist die Einwanderungspolitik der USA durch Exekutivmaßnahmen immer restriktiver geworden – etwa durch ein vorübergehendes Einreiseverbot für Menschen aus Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit und den Versuch, die „Deferred Action for Childhood Arrivals“ (DACA) aufzuheben, eine politische Maßnahme, die es irregulär in den USA lebenden Jugendlichen ermöglichte, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Das RAISE-Gesetz von 2017 sollte die Gesamtzuwanderung reduzieren, die Familienzuwanderung einschränken, das Diversity-Visa-Programm abschaffen und ein Punktesystem einführen, scheiterte aber letztlich im Kongress. Die Regierung von Präsident Joe Biden (im Amt seit 2021) hob zunächst mehrere von Trumps Exekutivmaßnahmen auf, kehrte aber später zu strengen Grenzschutzmaßnahmen zurück. Politische Meinungsverschiedenheiten, insbesondere über irreguläre Einwanderung, blockierten im Kongress erneut eine Reform des Einwanderungssystems.

Anhaltende einwanderungspolitische Unterschiede verstehen: jenseits der politischen Isolation

Institutionelle Dynamiken – wie die auf die Exekutive ausgerichtete Politik in Kanada einerseits und die Blockade des Kongresses in den USA andererseits – prägen weiterhin die Einwanderungspolitik in beiden Ländern. Jedoch spielen, mit Blick auf die unterschiedlichen migrationspolitischen Pfade der beiden nordamerikanischen Demokratien, auch andere Faktoren eine Rolle. Die USA haben eine lange gemeinsame Landgrenze mit Mexiko. In Anbetracht zunehmender globaler Flucht und Vertreibung sowie wachsender Instabilität und Gewalt im sogenannten nördlichen Dreieck – Interner Link: El Salvador, Interner Link: Guatemala und Interner Link: Honduras – haben die USA kaum eine andere Wahl, als sich mit der Zunahme irregulärer Grenzübertritte aus Mexiko auseinanderzusetzen. Außerdem ist die Politik in den USA im Vergleich zu Kanada durch eine stärkere Interner Link: politische Polarisierung gekennzeichnet. Der Rechtsruck der Republikaner hat den politischen Fokus auf Grenzschutz verfestigt. Im Jahr 2024 erließ der demokratische Präsident Biden eine Durchführungsverordnung, wonach Migrant:innen, die die Südgrenze illegal überqueren, kein Asyl mehr erhalten und beschleunigt abgeschoben werden können.

Kanadas geografische Isolation hingegen schirmt das Land von humanitärer Migration ab und ermöglicht es ihm, den Umfang der Einwanderung zu kontrollieren und diejenigen zu bevorzugen, die seinen wirtschaftlichen und demografischen Bedürfnissen entsprechen. Diese Dynamik wird durch Kanadas höheren Anteil an im Ausland geborenen Einwohner:innen und das politische Gewicht von Wähler:innen mit Migrationshintergrund verstärkt, da Eingewanderte eine höhere Einbürgerungsrate haben als Einwanderer:innen in den USA. Kanadas riesige geografische Ausdehnung und sein dezentraler einwanderungspolitischer Ansatz, der es den Provinzen erlaubt, entsprechend ihrer wirtschaftlichen und demografischen Bedarfe eigene Einwanderungsprogramme aufzulegen, haben dabei zu ungleichmäßigen Einwanderungsmustern geführt: Neuankömmlinge konzentrieren sich auf die großen Ballungsgebiete.

Schlussfolgerung und Ausblick

Was Kanada von den USA unterscheidet, ist die von der Exekutive betriebene Einwanderungspolitik, im Gegensatz zum legislativen Ansatz in den USA. Dies ermöglicht es Kanadas Regierung, bedeutende politische Veränderungen durchzuführen, wie z. B. die Umstellung von familienbasierter auf wirtschaftsorientierte Einwanderung, während sie von gesellschaftlichem Druck abgeschirmt bleibt. Darüber hinaus hat Kanadas Tradition der einvernehmlichen Politikgestaltung und des elitenübergreifenden Konsenses umfassende und nachhaltige Einwanderungsreformen ermöglicht. In den USA sind politische Reformen an der Blockade des Kongresses gescheitert, die aus der institutionellen Fragmentierung und der gesellschaftlichen und parteipolitischen Polarisierung resultiert.

Die Ungewissheit angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA im November 2024 und der kanadischen Bundeswahlen im Oktober 2025 wirft Fragen über die Zukunft der Einwanderung in beiden Ländern auf. Kanadas weniger polarisierte Haltung zur Einwanderung könnte sich aufgrund einer sich verändernden öffentlichen Meinung ändern und den einwanderungsfreundlichen kanadischen Exzeptionalismus (Sonderweg) in Frage stellen. Denn im Jahr 2023 begannen politische Akteure die hohen Einwanderungszahlen mit dem strukturellen Wohnungsmangel in Kanada in Verbindung zu bringen, was eine öffentliche Debatte über die Belastung der Infrastruktur auslöste und Zweifel an der Fähigkeit Kanadas aufkommen ließ, die umfangreiche Einwanderung aufrechtzuerhalten. Für 2024 hat die kanadische Regierung eine Obergrenze für die temporäre Einwanderung angekündigt und geplant, die Zahl der befristet in Kanada lebenden Personen zu reduzieren. Änderungen am Programm für internationale Studierende (International Student Program) – einschließlich hinsichtlich der Obergrenzen in den kanadischen Provinzen für Anträge auf Studiengenehmigungen und Arbeitserlaubnisse nach dem Studium – spiegeln ebenfalls eine Verschärfung der Politik zur temporären Einwanderung wider. In den USA stehen derweil umstrittene Themen wie irreguläre Grenzübertritte, Grenzschutz und die Schaffung von Möglichkeiten für irregulär im Land lebende Eingewanderte, ihren Aufenthalt zu legalisieren, weiterhin im Mittelpunkt der politischen Debatte. Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im November 2024 werden zeigen, ob die parteipolitischen Gräben eine umfassende Einwanderungsreform weiterhin behindern werden und ob Exekutivmaßnahmen zur neuen Norm werden, um schrittweise und oft kurzlebige politische Veränderungen zu erreichen.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

Weitere Inhalte

ist Professorin für Politikwissenschaft sowie Gründerin und Co-Direktorin des Zentrums für Migrationsstudien an der University of British Columbia, Kanada. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Migrations- und Staatsangehörigkeitspolitiken in liberalen Demokratien. Zu ihren Veröffentlichungen zählen die Monographien „Externer Link: States against Migrants: Deportation in Germany and the United States “ (Cambridge, 2009) und „Externer Link: The Comparative Politics of Immigration: Policy Choices in Germany, Canada, Switzerland and the United States ” (Cambridge, 2021).

ist Doktorandin der Politikwissenschaften an der University of British Columbia, Kanada. Ihre Forschung konzentriert sich auf Einwanderungs- und Integrationspolitiken, insbesondere in Kanada und den Vereinigten Staaten, wobei ein Schwerpunkt auf qualifizierter Migration liegt. Außerdem interessiert sie sich für Diaspora-Politiken, mit einem regionalen Fokus auf Indien. Vor Beginn ihres Promotionsstudiums sammelte sie umfangreiche Berufserfahrung im Bereich des Einwanderungsrechts der USA. Sie erwarb ihren Master-Abschluss an der University of British Columbia und ihren Bachelor-Abschluss an der University of Tokyo, Japan.