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Migration nach und aus Australien und Neuseeland: eine kurze Geschichte | Regionalprofil Australien und Neuseeland | bpb.de

Australien und Neuseeland Australien und Neuseeland Rechtstransfers von Einwanderungs- und Asylpolitiken 2016: Flüchtlings- und Asylpolitik Australien (2010)

Migration nach und aus Australien und Neuseeland: eine kurze Geschichte

Alan Gamlen Henry Sherrell

/ 7 Minuten zu lesen

Die Geschichte Australiens und Neuseelands ist mit Einwanderung verwoben: von australischen Ureinwohnern und Māori, europäischen Siedlern und jüngst Menschen aus Asien und von den Pazifik-Inseln.

Menschen spazieren in der Nähe des Sydney Opera House, Australien, 4. August 2021. (© picture-alliance)

Australien und Neuseeland sind klassische Einwanderungsländer, die einst von indigenen Völkern geformt, durch die britische Kolonisierung umgestaltet wurden und für ihr wirtschaftliches und demografisches Wachstum systematisch auf Einwanderung angewiesen sind. Diese beiden benachbarten Staaten im Südpazifik haben eine der offensten bilateralen Grenzen der Welt. Beide haben sich seit den 1970er Jahren auf den asiatisch-pazifischen Raum ausgerichtet, indem sie ihre rassistische Einwanderungspolitik der Kolonialzeit aufgegeben haben und stattdessen auf wirtschaftliche Einreisekriterien setzen. Das hat zu einer wachsenden Zahl temporärer Migrant/-innen und einer größeren Vielfalt unter dauerhaft Eingewanderten geführt.

Der erste große Siedlerboom und sein Auslaufen: 1841-1900

Die australischen Ureinwohner/-innen kamen vor etwa 50.000 bis 65.000 Jahren aus Melanesien, während die Māori vor etwa 700 Jahren über Polynesien nach Aotearoa (der Māori-Name für Neuseeland) gelangten. Im Jahr 1788 fielen beide Länder unter britische Kolonialherrschaft, als eine erste Flotte von Schiffen, die First Fleet, britische Sträflinge nach Australien brachte und die erste Strafkolonie im heutigen Sydney gründete. Mit einem Vertrag beanspruchte Großbritannien über die neuseeländischen Maori die ‚Souveränität‘ – damals für diese ein fremdes Konzept – und begann dann mit der groß angelegten, kommerziell organisierten Besiedlung Neuseelands. In Australien unterzeichneten die Briten keinen Vertrag mit den Ureinwohner/-innen. Sie vertrieben sie stattdessen brutal und taten sie als Nomaden ab, indem sie den Kontinent als terra nullius einstuften – als unbesetztes Land, frei zur Besiedlung.

Abbildung 1: Nettomigration Australien und Neuseeland 1860-1901 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Anders als in Nordamerika bedurfte es in Australien und Neuseeland einer von der Regierung und Unternehmen geförderten ‚unterstützten Einwanderung‘. Dies lag an den enormen Entfernungen und Kosten, die mit der Einwanderung aus Europa zu überwinden waren, und diente dazu ein Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeitskräften zu gewährleisten. Im 19. Jahrhundert kam es auch zu spontanen Wanderungsbewegungen, die zu schwankenden Einwanderungs- und Bevölkerungszahlen führten. Ab den 1850er Jahren führte der Goldrausch in Australien und Neuseeland zu einem raschen Bevölkerungswachstum. Nach einer Flaute in den späten 1860er- und frühen 1870er-Jahren begann die sogenannte Große Migration (Great Migration): Die Nettomigrationsraten erreichten einen neuen Höchststand. In Neuseeland endete diese umfangreiche Einwanderung mit dem Einbruch der Rohstoffexporte ab Mitte der 1870er Jahre, in Australien mit dem Platzen der Immobilienblase in Melbourne 1891.

Großbritanniens ‚weiße Herrschaftsgebiete‘ im Pazifik: 1901-1945

Australien und Neuseeland waren als weiße britische Kolonien geplant. Ihre ersten aktiven Bemühungen zur Einwanderungskontrolle zielten daher darauf ab, die nicht-weiße Einwanderung, insbesondere aus China, einzudämmen. Nach dem Vorbild Kanadas und Australiens erhob Neuseeland ab 1881 eine Kopfsteuer auf chinesische Einwandernde. In Australien gipfelten diese Bemühungen im Immigration Restriction Act von 1901, dem Gesetz zur Begrenzung der Zuwanderung, allgemein bekannt als die White Australia-Politik.

Abbildung 2: Anteil der im Ausland geborenen Personen an den Bevölkerungen Australiens und Neuseelands 1886-2022 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Das Ende des britischen Weltreichs und der neue Drang zur Besiedlung: 1946-1973

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlangten viele britische Kolonien – darunter Australien und Neuseeland – ihre Unabhängigkeit und benötigten dringend ein Bevölkerungswachstum. Australien hatte bereits nach dem Ersten Weltkrieg die aktive Anwerbung wieder aufgenommen und begann nun mit einem Masseneinwanderungsprogramm unter dem Motto „bevölkern oder untergehen“ („populate or perish“). Als aus Großbritannien nicht mehr genügend Einwandernde kamen, rekrutierte Australien in der Nachkriegszeit kontinentaleuropäische Flüchtlinge und unterstützte die Überfahrt aus den Niederlanden, Deutschland, Malta, Italien, Griechenland, Spanien und anderen Ländern. Auch die ungeförderte Einwanderung war willkommen und umfasste qualifizierte Migrant/-innen und Familienangehörige aus Asien. Neuseeland richtete nach dem Krieg ein Bevölkerungskomitee ein, das ein Programm für die unterstützte Einwanderung auflegte, zunächst aus Großbritannien und Irland im Jahr 1947, später aus den Niederlanden.

Globalisierung, Diversifizierung und Multikulturalismus: 1974-1995

Die politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen der 1970er Jahre waren in Australien und Neuseeland der Auslöser für tiefgreifende einwanderungspolitische Veränderungen. Die Ölschocks und die weltweite Rezession führten zu einer Ära des wirtschaftlichen Wandels und der zunehmenden Globalisierung. Großbritannien kappte seine Handelsbeziehungen zum Commonwealth und trat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bei, was sowohl Australien als auch Neuseeland dazu veranlasste, sich fortan auf ihre asiatisch-pazifischen Nachbarn auszurichten. Beide Länder begannen, die rassistische und vom Paradigma „bevölkern oder untergehen“ geprägte Einwanderungspolitik der Kolonialzeit zu überdenken und durch wirtschaftliche Zulassungskriterien und eine ‚multikulturelle‘ Politik zur Ansiedlung von Migrant/-innen zu ersetzen. Die Zuwanderung von Fachkräften wurde begrüßt, die Zuwanderung von Ungelernten eingeschränkt.

1979 führte Australien nach dem Vorbild des kanadischen Punktetests für die Einwanderung das Numerische Multifaktorielle Bewertungssystem (Numerical Multifactor Assessment System, NUMAS) ein: Es beurteilt jene, die sich für die Einwanderung bewerben, anhand wirtschaftlicher Kriterien. Ein ähnliches System wurde später auch von Neuseeland eingerichtet. Im Laufe der Zeit verschob sich der Schwerpunkt: Es wurde immer weniger Wert auf allgemeine Qualifikationen gelegt als vielmehr auf das Sponsoring durch einen Arbeitgeber, da sich die Belege mehrten, dass Migrant/-innen hinsichtlich zahlreicher Integrationsindikatoren besser abschnitten, wenn sie bereits vor der Einwanderung über ein Arbeitsplatzangebot verfügten, nicht erst danach.

Der zweite große Migrationsboom: 1996-2022

Ab Mitte der 1990er Jahre erlebten sowohl Australien als auch Neuseeland eine anhaltende und seit dem 19. Jahrhundert beispiellose Phase wachsender Migration. Das Wachstum zog sich über alle Kategorien: humanitäre, dauerhafte und vor allem befristete Einwanderung.

Seit den 1990er Jahren, sind die größten Gruppen bei der befristeten Zuwanderung sogenannte Working Holiday Maker – junge Erwachsene, die in Australien zwölf Monate reisen und währenddessen begrenzt arbeiten und studieren dürfen – und internationale Studierende. Darüber hinaus gibt es auch Visaregelungen für die befristete Zuwanderung von Bürger/-innen pazifischer Inseln zur Arbeit auf australischen Farmen.

Befristete Visa werden heute oft als erster Schritt zur dauerhaften Einwanderung betrachtet. Dieser Trend ist eine der Hauptursachen für den Anstieg der temporären Migration.

Abbildung 3: Dauerhafte vs. temporäre Einwanderung nach Australien und Neuseeland, 1997-98 bis 2022-23 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Befristete Visa gerieten allerdings in die Kritik, weil sie den Arbeitgeber/-innen zu viel Macht gaben, die Gewerkschaften schwächten und die Ausbeutung von Arbeitnehmer/-innen ermöglichten. Für 2022/23 gab die Regierung von Premierminister Albanese eine Überprüfung des australischen Migrationssystems in Auftrag und kündigte eine umfassende Überarbeitung an, um die Ausbeutung von temporären Arbeitsmigrant/-innen zu adressieren und das System wieder stärker auf dauerhafte Einwanderungskanäle auszurichten.

Humanitäre Migration

Sowohl Neuseeland als auch Australien nehmen als Unterzeichner der Genfer Flüchtlingskonvention und des Flüchtlingsprotokolls der Vereinten Nationen anerkannte Flüchtlinge auf. Australien ist stolz auf sein im internationalen Vergleich großzügiges, humanes, faires und geordnetes Resettlement -Programm zur Neuansiedlung von Flüchtlingen, das mit dem Völkerrecht im Einklang steht. Gleichzeitig gibt es – trotz Protesten von humanitären Gruppen – eine parteiübergreifend geteilte harte Haltung gegenüber Asylsuchenden, die ohne Visum mit dem Boot nach Australien gelangen. Schon die Keating-Regierung (1991-1996) führte die verpflichtende Inhaftierung von Schutzsuchenden ein, die mit dem Boot ankommen. Die Regierung von Premierminister Howard (1996-2007) richtete dann extraterritoriale Haft- und Unterbringungseinrichtungen für Asylbewerber/-innen ein. Die Regierung Abbot (2013-2015) startete die Operation Sovereign Borders (Operation Souveräne Grenzen), eine Null-Toleranz-Kampagne mit Abfangmaßnahmen auf See, obligatorischer Inhaftierung, Offshore-Bearbeitung von Asylanträgen und Informationssperren. Nachfolgende Regierungen haben diese restriktive Haltung gegenüber Asylsuchenden, die mit Booten an Australiens Küsten ankommen, bis heute beibehalten. Es gibt die weit verbreitete Meinung, dass Neuseeland gegenüber Flüchtlingen großzügiger sei, aber aufgrund seiner abgelegenen Lage kommen dort keine Bootsflüchtlinge an – und die Quote der Aufnahme von Resettlement-Flüchtlingen (umgerechnet auf die Bevölkerung) war schon immer wesentlich niedriger als in Australien.

Australiens sogenanntes Humanitäres Programm (Humanitarian Program) strebt für 2022/23 die dauerhafte Neuansiedlung von 17.875 Flüchtlingen an, während das neuseeländische Flüchtlingskontingentprogramm, das Refugee Quota Programme, die Neuansiedlung von 1.500 Flüchtlingen pro Jahr von 2022/23 bis 2024/25 vorsieht. Im Jahr 2022 hat sich Neuseeland bereit erklärt, 450 Flüchtlinge neu anzusiedeln, die von Australien nach Nauru überstellt wurden, um dort das Asylverfahren zu durchlaufen.

Die Einwandererbevölkerung Die meisten der 7,6 Millionen im Ausland Geborenen, die im Juni 2020 in Australien lebten, waren in Großbritannien (980.000), Indien (721.000), China (651.000) und Neuseeland (565.000) geboren worden. Insgesamt waren 30 Prozent der australischen Bevölkerung Eingewanderte.

Laut der neuseeländischen Volkszählung von 2018 waren 27,4 Prozent der fünf Millionen Einwohner/-innen des Landes im Ausland geboren worden. Die größte Gruppe waren Eingewanderte, die im Vereinigten Königreich geboren wurden (249.600), gefolgt von Menschen mit den Geburtsländern China (132.900) und Indien (117.400).

Schlussfolgerungen

Aufgrund ihrer langen Geschichte als Ziele massenhafter Einwanderung haben Australien und Neuseeland weitreichende und ausgeklügelte institutionelle Systeme zur Kontrolle dieser Bewegungen entwickelt. Diese sind darauf ausgerichtet, die sozioökonomische Stabilität zu wahren und gleichzeitig Einwanderung zu steuern, die in vielen Jahren mehr als ein Prozent der Bevölkerung ausmacht – eine im internationalen Vergleich außerordentlich hohe Rate. Tatsächlich zielte in beiden Ländern die staatliche Migrationspolitik eher auf die proaktive Anwerbung von Einwanderer/-innen als auf die Abweisung von Menschen. Das Migrationssystem hat sich von einem durch die dauerhafte koloniale Ansiedlung geprägten System hin zu einem solchen entwickelt, das von zeitlich begrenzter und schrittweiser Migration dominiert wird. Dabei sind die kolonialen Ziele der Nationenbildung und der auf rassistischen Kriterien beruhenden Anwerbung von Einwander/-innen den Zielen des wirtschaftlichen Managements durch die qualifikationsbasierte Anwerbung gewichen. Die geplante, groß angelegte Einwanderung ist in beiden Ländern nach wie vor von zentraler Bedeutung für die Identität der Nation und den Zweck des Staates.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

Weitere Inhalte

Dr. Alan Gamlen ist Professor an der School of Regulation and Global Governance an der Australian National University und Experte für Migration und Mobilität. Zu seinen neuesten Büchern gehört Human Geopolitics: States, Emigrants and the Rise of Diaspora Institutions (Oxford University Press 2019).

ist unabhängiger Migrationsexperte mit Schwerpunkt auf der australischen und internationalen Einwanderungspolitik.