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Südostasien Arbeitsmigration in Südostasien Südostasien Migrantische Arbeitskräfte in der malaysischen Palmölindustrie

Das System der Arbeitsmigration in Südostasien

Brenda S.A. Yeoh

/ 8 Minuten zu lesen

In Südostasien gibt es umfangreiche Arbeitsmigration. Die meisten Aufnahmestaaten in der Region versuchen, Migration zu befristen und schließen Familiennachzug, Daueraufenthalt und Einbürgerung aus.

Containerdorf für Arbeitsmigrant:innen auf dem Bau in Samut Prakan am Stadtrand von Bangkok, Thailand. (© picture-alliance/dpa)

In Südostasien finden sich einige der Staaten, aus denen weltweit die meisten Arbeitsmigrantinnen und -migranten kommen. In den 1970er Jahren führte der Ölboom im Nahen Osten und in den Golfstaaten zu einem enormen Bedarf an Arbeitskräften im Baugewerbe, der größtenteils durch die Interner Link: Anwerbung von Arbeitsmigranten aus süd- und südostasiatischen Ländern (d.h. den Philippinen, Indonesien und Thailand) gedeckt wurde. Die asiatischen Arbeitskräfte wurden aus mehreren Gründen bevorzugt, u.a. weil sie niedrige Löhne akzeptierten und sich politisch neutral verhielten, was für die Wahrung der politischen Interessen der ölreichen Monarchien wichtig war. Das wiederum veranlasste Staaten wie die Philippinen, Migration als Entwicklungsstrategie zu fördern, um die Arbeitslosigkeit im eigenen Land zu verringern und Devisen aus den Interner Link: Rücküberweisungen der Migrantinnen und Migranten zu generieren.

Ab den 1980er Jahren gewann die internationale Migration in der Region weiter an Schwung, da die intraregionale Arbeitsmigration zunahm. Das Wirtschaftswachstum der asiatischen Schwellenländer steigerte die Nachfrage nach gering qualifizierten und angelernten Arbeitskräften für niedrige wirtschaftliche Positionen, d. h. für sozial entwertete Tätigkeiten wie Bau-, Haus- und Pflegearbeiten, die von den einheimischen Arbeitskräften gemieden wurden. Innerhalb Interner Link: Südostasiens importierten die unter Arbeitskräftemangel leidenden Staaten Malaysia, Singapur und Brunei vor allem Arbeitskräfte aus Indonesien und den Philippinen, während Thailand zum wichtigsten Zielland für Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus den Ländern wurde, durch die der Mekong fließt – insbesondere Myanmar, Kambodscha, Laos und Vietnam.

Mit Anbruch des 21. Jahrhunderts gewann die südostasiatische Migration als Teil des globalen Interner Link: Migrations- und Entwicklungsdiskurses, der den „dreifachen Gewinn“ (Triple Win) für alle drei beteiligten Parteien – Migrant:innen, Ziel- und Herkunftsländer – in den Vordergrund stellt, weiter an Dynamik. Gestärkt durch ein neues Bewusstsein für den Umfang und die Bedeutung der Interner Link: Rücküberweisungen, wuchs der Konsens darüber, dass „Migration die Armut in außerordentlichem Maße verringert, dass gut gesteuerte Migration einer der stärksten Entwicklungsfaktoren ist und dass Migration systematischer in nationale, bilaterale und internationale Entwicklungsstrategien einbezogen werden sollte“. In vielen Entsendeländern übersteigt das Volumen der Rücküberweisungen die internationale Entwicklungshilfe und internationale Investitionsströme. Darüber hinaus sind sie als private Gelder, die direkt an Familienangehörige im Herkunftsland fließen, offenbar auch resistent gegen wirtschaftliche Abschwünge und weniger anfällig dafür, von korrupten Beamtinnen und Beamten abgeschöpft zu werden. Ein Hinweis auf die Bedeutung von Migration als Entwicklungsstrategie ist, dass die Agenda der Interner Link: Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bis 2030 zum ersten Mal Migration als Querschnittsthema für die globale Entwicklung benennt. Sie fordert die Länder auf, „eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen zu erleichtern, unter anderem durch die Anwendung einer planvollen und gut gesteuerten Migrationspolitik“, um Ungleichheiten zu verringern.

In diesem Zusammenhang beschreibt dieser Beitrag die Entstehung eines Systems der temporären Migration in Südostasien, bevor er sich zwei wichtigen Fragen zuwendet, die mit einem solchen Regime verbunden sind: (1) sich gegenseitig verstärkende Formen der Prekarität von Migrantinnen und Migranten und (2) transnationale Familien und geschlechtsspezifische Betreuungspraktiken.

Migration in Südostasien – Daten auf einen Blick

Im Jahr 2020 lebten schätzungsweise 23,6 Millionen Menschen aus Südostasien außerhalb ihres Herkunftslandes. Die Philippinen waren das Land mit der höchsten Zahl ausgewanderter Personen (6,1 Millionen), gefolgt von Indonesien (4,6 Millionen) und Myanmar (3,7 Millionen). Die meisten von ihnen lebten weiterhin auf dem Kontinent (15 Millionen), 7,1 Millionen sogar innerhalb der Region Südostasien. Der wichtigste Grund für die Migration ist die Suche nach Arbeit und/oder einem besseren Einkommen. Für viele Familien ist die Arbeitsmigration eine wichtige Strategie zur Armutsbekämpfung. Frauen machen einen erheblichen Anteil der südostasiatischen Migranten aus. So waren beispielsweise im Jahr 2020 61 Prozent der Migranten aus Thailand Frauen, und mehr als 55 Prozent der Migranten aus Malaysia und der Demokratischen Volksrepublik Laos. Viele Migrantinnen sind als Hausangestellte tätig.

Quelle: Externer Link: Migration Data Portal, Migration data in South-eastern Asia.

Ein Regime der temporären Migration

Umfassende Migrationsbewegungen innerhalb der Region setzten in den 1970er Jahren ein – zu einer Zeit, als die südostasiatischen Länder noch im Prozess der Nationenbildung waren. Postkoloniale Nationalstaaten wie Indonesien, Malaysia und Singapur konzentrierten sich darauf, aus einer bereits bestehenden Pluralität, die aus den Diaspora- und Bevölkerungsbewegungen der Kolonialzeit herrührte, einen Nationalstaat zusammenzuschweißen. Im Kampf um territoriale Legitimität und soziale Einheit übten diese Nationalstaaten die Macht der Souveränität aus, indem sie die Staatsbürgerschaftsregeln als rechtliches Instrument der Ausgrenzung einsetzten: Es trennte die Bürgerinnen und Bürger als Zugehörige von denjenigen, die als Außenseiter galten.

In diesem Zusammenhang war das sich in der Region herausbildende Migrationsregime darauf ausgerichtet, Migration befristet zu halten. Lediglich für Hochqualifizierte wurde ein privilegierter Migrationskanal geschaffen, der es ihnen erlaubte, Aufenthaltsgenehmigungen und die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Ansonsten schlossen die meisten asiatischen Aufnahmestaaten „die Niederlassung, Familienzusammenführung und langfristige Integration – einschließlich des Erwerbs der Staatsbürgerschaft – für weniger qualifizierte Migrantinnen und Migranten aus“. Das System der Arbeitsmigration, das sich in Asien herausgebildet hatte, minimierte die Herausforderungen für das fragile Imaginäre eines im Entstehen begriffenen Nationalstaat. Denn es begriff Migrantinnen und Migranten als nur vorübergehend bleibende Gäste, deren Platz in der Aufnahmegesellschaft darin bestand, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, aber keine Ansprüche an den aufnehmenden Nationalstaat zu stellen. Untermauert wird das Regime der temporären Migration durch eine Form des Wirtschaftsnationalismus: In dieser wird einerseits staatlichen Eingriffen zum Schutz der nationalen Wirtschaft und zur Einschränkung von Sozialleistungen für Bürgerinnen und Bürger Vorrang einräumt; andererseits werden Arbeitsmigrantinnen und -migranten den Prinzipien des temporären Verbleibs, des Ausschlusses und der Nichtintegration unterworfen.

Die Entwicklung eines Regimes zeitlich befristeter Migration ging einher mit dem raschen Wachstum eines breiten Spektrums von Vermittlerinnen und Vermittlern, die eine wichtige Rolle bei der Organisation, Erleichterung und Kanalisierung von Migration spielen: lizenzierte Personalvermittlungsagenturen, Transportunternehmen, Einwanderungsanwälte, Wohnungs- und Arbeitsvermittler und Personen, die informell ausländische Arbeitskräfte anwerben. Gerade weil die Arbeitsmigrationspolitik restriktiv und komplex ist, ist die Nachfrage nach Mittlerinnen und Mittlern, die sich in den labyrinthischen Migrationsvorschriften der unterschiedlichen Länder auskennen, mit der Expansion neuer Märkte gestiegen. Die Auslagerung bestimmter Elemente der Migrationssteuerung an die Migrationsindustrie bei gleichzeitiger Beibehaltung der Regelungsbefugnis ermöglicht es den Aufnahmestaaten, Kosten zu sparen, Flexibilität zu gewährleisten, Schuldzuweisungen zu vermeiden und die Notwendigkeit einer formellen Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Zugewanderten zu umgehen. Gleichzeitig geht die zunehmende Abhängigkeit von Vermittlerinnen und Vermittlern für potenzielle Migrantinnen und Migranten mit zusätzlichen Migrationskosten einher und führt zu Verschuldung.

Sich überschneidende Formen der Prekarität von Migrantinnen und Migranten

Im Rahmen eines auf befristete Aufenthalte ausgelegten Migrationsregimes müssen niedrig entlohnte Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten beträchtliche Risiken eingehen und sind einer ständigen Prekarität ausgesetzt. Denn: Sie bewegen sich auf einem schmalen Grat, der durch den „hartnäckigen Widerspruch zwischen der Nachfrage des Marktes nach migrantischer Arbeitskraft und den Forderungen der Bürgerinnen und Bürger nach einer Schließung“ gesäumt wird. Die Prekarität der Wanderarbeitskräfte entsteht auf vielfältige, sich überschneidende Weise.

Erstens beruht die befristete Arbeitsmigration auf dem Prinzip der dauerhaften Vorläufigkeit: Von den Migrantinnen und Migranten wird weder erwartet noch wird zugelassen, dass sie sich im Aufnahmeland niederlassen und sich in die Aufnahmegesellschaft integrieren. Die Beschäftigung basiert auf zeitlich befristeten Verträgen, die – wenn überhaupt – nur wenige Wege in einen dauerhaften Aufenthalt bieten, und der Rückkehr ins Herkunftsland nach Beendigung der Dienstleistung. Als austauschbare Arbeitskräfte werden temporäre Migrantinnen und Migranten oft als „Gegenmittel“ gegen überzogene nationalistische Ängste vor Einwanderung betrachtet. Denn: Die temporäre Migration ermöglicht eine stark kontrollierte Form der Ein- und Ausreise in Nationalstaaten, die je nach den Bedürfnissen der Industrie und dem Grad der sozialen Toleranz kalibriert werden kann. Die temporären Migrantinnen und Migranten haben nur wenige soziale Netzwerke in der Aufnahmegesellschaft und sind oft auf periphere Räume wie Migrantenwohnheime und ethnische Enklaven beschränkt. Aus diesem Grund werden sie in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs oder in Gesundheitskrisen leicht zur Zielscheibe von Verunglimpfungen und Schuldzuweisungen, wie dies während der COVID-19-Pandemie zu beobachten war.

Zweitens legt die Einwanderungsprekarität, die die temporären Migrantinnen und Migranten im Aufnahmestaat sozialer und rechtlicher Unsicherheit aussetzt, die Grundlage für die prekäre Beschäftigung. Sie übernehmen unerwünschte, gefährliche und sozial abgewertete Tätigkeiten wie Bau-, Haus-, Pflege- und Sanitärarbeiten, die von den Bürgerinnen und Bürgern der Aufnahmeländer gemieden werden. Als vorübergehend Beschäftigte sind sie häufig von der Arbeitsgesetzgebung ausgeschlossen oder nur teilweise in diese einbezogen und haben nur minimalen Zugang zu den Rechten, die Staatsbürgerinnen und -bürgern zustehen. Ihre ‚Abschiebarkeit‘ (deportabiliy) liegt häufig in den Händen der Arbeitgeber, die das Recht haben, Verträge nach Belieben zu kündigen. Infolgedessen sehen sich die Migrantinnen und Migranten häufig gezwungen, unsichere und/oder ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu ertragen, weil sie sonst befürchten müssen ihre Arbeitserlaubnis von ihren Arbeitgebern entzogen zu bekommen. Diese Prekarität ist somit eine Bedingung der differentiellen Inklusion (differential inclusion), bei der Migrantinnen und Migranten in das Niedriglohnsegment des Arbeitsmarktes integriert sind, ihnen aber der Zugang zu anderen Bereichen der Gesellschaft (wie Sozialhilfe, Staatsbürgerschaft und politische Teilhabe) verwehrt bleibt.

Drittens wird diese Prekarität auch durch die weit verbreitete Beteiligung von kommerziellen Vermittlerinnen und Vermittlern bei der Anwerbung und Unterauftragsvergabe im Bereich der migrantischen Beschäftigung verstärkt. Während die Vermittlerinnen und Vermittler die grenzüberschreitende Mobilität von Migrantinnen und Migranten einerseits erleichtern und kanalisieren, erhöhen sie andererseits auch die Verschuldung der Migrierenden, wälzen Risiken auf sie ab, verwischen die Verantwortung für ihr Wohlergehen und schlagen aus deren Vulnerabilität Profit.

Transnationale Familien und geschlechtsspezifische Betreuungspraktiken

In vielen Familien in Südostasien führt die Migration der Eltern als Überlebensstrategie oder als Mittel zum sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg zu einer Trennung der Familie – oft für einen längeren Zeitraum. Zurückgelassene Kinder wachsen für einen Teil oder ihr gesamtes junges Leben in Abwesenheit ihres Vaters, ihrer Mutter oder beider Elternteile auf und werden von einem „alleinerziehenden“ Elternteil oder anderen Ersatzbetreuungspersonen versorgt. In Gebieten wie dem ländlichen Indonesien und Vietnam, in denen Frauen die Abwanderung dominieren, können etablierte Geschlechternormen entweder durch sich verändernde soziale Praktiken in Frage gestellt werden – etwa wenn Frauen die Rolle des Ernährers übernehmen –, oder sie regeln weiterhin die traditionell festgelegten Rollen für Männer und Frauen, allerdings auf neue Weise.

Wenn Frauen migrieren und zu Ernährerinnen werden, herrschen in einem transnationalen Kontext weiterhin geschlechtsspezifische Ideale der Mutterschaft vor. Frauen „bemuttern aus der Ferne“, indem sie regelmäßig (Tele-)Kommunikationsmöglichkeiten nutzen, um transnationale Kreisläufe emotionaler Fürsorge aufrechtzuerhalten und Geld an ihre Familien und Kinder in den Herkunftsländern zu senden. Das Betreuungsvakuum, das durch die Abwesenheit der Mütter entsteht, wird häufig von weiblichen Verwandten wie Großmüttern und Tanten gefüllt.

Gleichzeitig zeichnet sich auch ein komplexes Bild flexiblerer geschlechtsspezifischer Betreuungspraktiken in den Herkunftsländern ab. Anstelle das Bild des straffällig-werdenden zurückgelassenen Mannes zu bedienen, der sich weigert, seine familiären Pflichten während der Abwesenheit der Frau anzupassen, bemühen sich einige südostasiatische Männer, den männlichen Idealen gerecht zu werden, sowohl „gute Väter“ als auch „unabhängige Ernährer“ zu sein, wenn ihre Frauen im Ausland arbeiten. Sie übernehmen zumindest einige Betreuungsfunktionen, die elterliche Liebe und Autorität bedeuten, halten aber gleichzeitig an ihrer bezahlten Arbeit fest (auch wenn der monetäre Ertrag gering ist), um den Anschein wirtschaftlicher Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten. Da das Regime der temporären Migration unweigerlich auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung einwirkt, werden in südostasiatischen Haushalten sowohl die Rollen hinsichtlich des Broterwerbs bearbeitet und überarbeitet, als auch die Betreuungsaufgaben, um grenzüberschreitend „Familie herzustellen“ (doing family).

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

Quellen / Literatur

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Rajan und Oomen (2020).

  2. Kaur (2010).

  3. Angenendt (2014).

  4. de Haas (2012).

  5. Mosler und Laczko (2022), S. 4.

  6. Asis und Battistella (2013), S. 31.

  7. Collins, Lai und Yeoh (2013), S. 15.

  8. Asis und Battistella (2013), S. 32.

  9. Yeoh et al. (2020).

  10. Lindquist, Xiang und Yeoh (2012).

  11. Goh, Wee und Yeoh, (2017).

  12. Wickramasekara und Baruah (2017).

  13. Garces-Mascarenas (2010), S. 87.

  14. Collins und Bayliss (2020).

  15. Hewison und Young (2006).

  16. Rosewarne (2010).

  17. Enright (2013); Baey und Yeoh (2018).

  18. Hoang und Yeoh (2011).

  19. Parrenas (2005).

  20. Hoang und Yeoh (2011).

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Weitere Inhalte

ist Raffles-Professorin für Sozialwissenschaften sowie Forschungsleiterin des Asian Migration Cluster am Asia Research Institute der National University of Singapore. Zu ihren Forschungsinteressen gehören die Migration Hochqualifizierter, internationale Studierendenmobilität, Pflegemigration, Fragen von nationaler Identität und Staatsbürgerschaft, Familiendynamiken und internationale Heiratsmigration.