In der Altenpflege zeigt sich Japans Fachkräftemangel besonders deutlich. Eine steigende Nachfrage nach professionalisierter Pflege korreliert mit einer sinkenden Zahl an Berufseinsteiger:innen. Angesichts dessen öffnet sich Japan, welches unter den liberalen Demokratien zu den Ländern mit den restriktivsten Einwanderungsgesetzen zählt, seit Mitte der 2000er Jahre zaghaft für die Zuwanderung internationaler Pflegekräfte. Was sind die gesellschaftlichen und ökonomischen Hintergründe dieser politischen Reform und welche Bedeutung kommt den internationalen Pflegekräften heute in Japan zu?
Fortschreitender demografischer Wandel
Japan weist bei den drei wesentlichen demografischen Variablen Fertilität, Mortalität und Mobilität Extremwerte auf, die eine Dynamik von Alterung und Abnahme der Gesamtbevölkerung bedingen. Im Jahr 2040 wird bereits mehr als jede dritte im Land lebende Person (34,8 Prozent) im Seniorenalter sein.
Auf einen Blick: Demografische Merkmale Japans
Die Geburtenrate (Fertilität) in Japan liegt bei 1,30 Kindern pro Frau, die Lebenserwartung bei 86,3 Jahren für Frauen und 79,6 Jahren für Männer (geboren 2021).
Das
Im Jahr 2021 lebten in Japan 2,76 Millionen Menschen ohne japanischen Pass; dies entspricht lediglich 2,2 Prozent der Gesamtbevölkerung (über 125 Millionen) und ist für die demografische Entwicklung der Nation von geringer Bedeutung.
Zum Vergleich Deutschland:
In Deutschland belief sich die Geburtenrate 2022 auf 1,46 Kinder je Frau.
Fußnoten
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NIPSSR, National Institute of Population and Social Security Research (2023): Jinkō tōkei shiryōshū (Materialien zur Bevölkerungsstatistik). Externer Link: https://www.ipss.go.jp/syoushika/tohkei/Popular/Popular2023RE.asp?chap=0 (Zugriff am 23.07.2023).
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Externer Link: https://database.earth/population/median-age/2023 (Zugriff: 24.08.2023).
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Jozuka, Emiko; Jessie Yeung und Junko Fukutome (2023): Japan’s population fell by 800,000 last year as demographic crisis accelerates. CNN, 27. Juli. Externer Link: https://edition.cnn.com/2023/07/27/asia/japan-population-drop-2022-intl-hnk/index.html (Zugriff: 24.08.2023).
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Statistisches Bundesamt (2023): Zusammengefasste Geburtenziffer nach Kalenderjahren. Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/Tabellen/geburtenziffer.html (Zugriff: 24.08.2023).
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Statistisches Bundesamt (2023): Lebenserwartung während der Pandemie um 0,6 Jahre gesunken. Pressemitteilung Nr. 293 vom 25. Juli. Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/07/PD23_293_12621.html (Zugriff: 24.08.2023).
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Externer Link: https://database.earth/population/germany/median-age (Zugriff: 24.08.2023).
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Statistisches Bundesamt (2011): Statistisches Jahrbuch 2011. Externer Link: https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/DEAusgabe_derivate_00000135/1010110117004.pdf (Zugriff: 24.08.2023).
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Statistisches Bundesamt (2023): Bevölkerung nach Nationalität und Geschlecht (Quartalszahlen). Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Tabellen/liste-zensus-geschlecht-staatsangehoerigkeit.html#616584 (Zugriff: 24.08.2023).
Fachkräftemangel in der Altenpflege und Gegenmaßnahmen aus der Politik
Schon heute geben 61,3 Prozent der Pflegekräfte in Japan an, mit ihrem Beruf unzufrieden zu sein. Die am häufigsten genannten Gründen dafür sind niedrige Löhne sowie die körperlichen und mentalen Herausforderungen des Berufs.
Bilaterale Abkommen als Startschuss für die Zuwanderung internationaler Pflegekräfte
Die bilateralen Abkommen, die sogenannten Economic Partnership Agreements (EPA), die Japan mit Indonesien (2008), den Philippinen (2009) sowie Vietnam (2014) vereinbarte, markieren eine neue Strategie im Umgang mit dem steigenden Pflegebedarf und zugleich einen migrationspolitischen Paradigmenwandel in Japan. Erstmals öffnete Japan seinen Arbeitsmarkt für ausländische Arbeitskräfte, die nicht im engen Sinne zum Segment der Hochqualifizierten zählen. Dieser Zuwanderungskanal, der in seiner Ausgestaltung dem deutschen Triple Win Program (TWP) ähnelt,
Was ist das Programm Triple Win?
Das 2013 ins Leben gerufene Programm Triple Win dient der Gewinnung von ausländischen Pflegekräften für den deutschen Arbeitsmarkt. Es soll dazu beitragen, den in Deutschland bestehenden Mangel an Pflegekräften zu beheben. Träger des Programms sind die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Pflegekräfte kommen im Rahmen von Vermittlungsabsprachen nach Deutschland, die die BA mit den Arbeitsvermittlungen der Herkunftsländer trifft. Bislang existieren solche Absprachen mit Bosnien- und Herzegowina, den Philippinen, Tunesien, Indonesien, dem indischen Bundesstaat Kerala und Jordanien sowie mit Vietnam, von wo aber ausschließlich Auszubildende in der Pflege rekrutiert werden (Stand: August 2023).
2020/21 fehlten in Deutschland laut einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) mehr als 17.000 Fachkräfte in der Altenpflege und 14.000 Fachkräfte in der Gesundheits- und Krankenpflege.
Fußnoten
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Bundesagentur für Arbeit, Programm Triple Win, Externer Link: https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/zav/projects-programs/health-and-care/triple-win (Zugriff: 24.08.2023).
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Deutscher Bundestag (2023): Drucksache 20/7861 vom 26.07.2023: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Stephan Brandner und der Fraktion der AfD – Drucksache 20/7453. Externer Link: https://dip.bundestag.de/drucksache/auf-die-kleine-anfrage-drucksache-20-7453-anwerbung-ausl%C3%A4ndischer-pflegekr%C3%A4fte/268960?term=Triple%20Win&f.wahlperiode=20&rows=25&pos=3 (Zugriff: 24.08.2023).
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Syda, Susanne; Robert Köppen und Helen Hickmann (2021): Pflegeberufe besonders vom Fachkräftemangel betroffen. KOFA Kompakt 10/2021, Externer Link: https://www.kofa.de/media/Publikationen/KOFA_Kompakt/Pflegeberufe_2021.pdf (Zugriff: 24.08.2023).
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Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) (2018): Pfleger, bitte kommen! 10. Oktober, Externer Link: https://www.iwd.de/artikel/pfleger-bitte-kommen-402971/ (Zugriff: 24.08.2023).
Gründe für diese geringe Zahl finden sich in den zahlreichen Unsicherheiten, die der EPA-Zuwanderungskanal sowohl für die internationalen Pflegekräfte als auch für deren Arbeitgeber:innen in Japan mit sich bringt. Vor allem das nationale Examen, das die in ihren Heimatländern ausgebildeten Pflegekräfte nach maximal vier Arbeitsjahren in japanischer Sprache ablegen müssen, stellt eine Herausforderung dar. Erst wenn sie dieses bestanden haben, können die ausländischen Pflegekräfte von den Heimleitungen als zertifiziertes Personal mit längerfristiger Perspektive in der Personalplanung berücksichtigt werden.
Neue Zuwanderungskanäle für internationale Pflegekräfte aus der Ära Abe
Jenseits des EPA-Kanals öffneten politische Reformen in der zweiten Amtszeit von Premierminister Shinzō Abe (2006-07, 2012-20) neue Zuwanderungsmöglichkeiten für internationale Pflegekräfte. Diese stehen im Kontext seiner als Programm zur wirtschaftlichen Revitalisierung („Abenomics“) ausgerufenen Arbeitsmarktreform, die u.a. dem Fachkräftemangel entgegenwirken sollte.
So wurde ab 2017 das Zuwanderungssystem für internationale Praktikant:innen neu aufgestellt und auf Pflegeberufe ausgeweitet.
Auch im sogenannten Specified Skilled Workers (SSW)-Programm von 2019 sind Pflegeberufe neben anderen vom Fachkräftemangel betroffenen Branchen als Zielgruppe definiert. Innerhalb der ersten fünf Laufjahre des Programms sollen bis zu 60.000 internationale Pflegekräfte die Möglichkeit erhalten, sich in Japan durch eine Ausbildung am Arbeitsplatz (On-the-job-training) weiter zu qualifizieren; perspektivisch sollen sie in den 2016 geschaffenen berufsbezogenen Aufenthaltstitel „Pflegekraft“ (kaigo) wechseln können. Dieser ermöglicht ihnen dann eine langfristige Arbeits- und Aufenthaltsperspektive in Japan. Bis Juni 2022 wurde der neue Aufenthaltstitel bereits an 5.339 Personen vergeben; darunter sind auch Wechsler:innen aus dem EPA-Zuwanderungskanal.
Noch einen Schritt früher setzen mittlerweile die überwiegend in privater Trägerschaft stehenden Pflegeschulen an. Sie werben neue Auszubildende aus den Nachbarländern an – auch, weil die inländische Nachfrage nach diesen Ausbildungsplätzen sinkt und damit der ökonomische Druck auf diese Schulen wächst. Kamen 2016 nur drei Prozent der neu eingeschriebenen Auszubildenden aus dem Ausland, so wuchs deren Anteil bis 2020 auf den bisherigen Höchststand von 34 Prozent bzw. 2.395 Personen. Im Jahr 2022 lag ihr Anteil bei 28 Prozent.
Fazit
Ein Blick auf die Zuwanderung von Pflegekräften nach Japan offenbart eine große Kluft zwischen einerseits der demografisch-ökonomischen Notwendigkeit, den Pool der Pflegekräfte zu vergrößern und andererseits den zuwanderungspolitischen Initiativen, die nur mäßig effizient auf diesen Bedarf reagieren. Knapp zwei Jahrzehnte nach der Implementierung des EPA-Zuwanderungskanals steht dessen geringe Effizienz allen Beteiligten in Politik und Wirtschaft deutlich vor Augen. Neuere Initiativen konzentrieren sich auf die Anwerbung weniger qualifizierten Personals und von Pflegeschüler:innen. Diese Diversifizierung der Zuwanderungskanäle scheint geboten. Die internationale Zuwanderung von Pflegekräften in ihrer aktuellen Ausgestaltung reicht jedoch nicht aus und kann nicht die einzige Strategie bleiben, um dem Fachkräftemangel in der Pflege wirkungsvoll zu begegnen.