Eine 'staatenlose Person' wird von den Vereinten Nationen definiert als Externer Link: "eine Person, die kein Staat auf Grund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht". Der indische Bundesstaat Assam im äußersten Nordosten des Landes stand in den letzten Jahren im Mittelpunkt der Debatte über
Kurze Geschichte der Migration in der Region
Ein Großteil des heutigen indischen Bundesstaates Assam ist Teil einer integrierten agro-klimatischen Region (also einer Region mit günstigen klimatischen Bedingungen für den Anbau von Kulturpflanzen), die als Ganges-Brahmaputra-Meghna-Delta bezeichnet wird und eine lange Geschichte bäuerlicher Migration aufweist. Die Bäuerinnen und Bauern aus den unteren Überschwemmungsgebieten des Ganges-Deltas wanderten bei Überschwemmungen oder anderen Naturkatastrophen in die oberen Gebiete ab, während das Küstenland am Golf von Bengalen aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels schwand. Die Ahom-Könige, die von 1228 bis 1826 den größten Teil Assams regierten, holten zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Gruppen von Menschen in die Region, unter anderem für die Verwaltung des Königreichs. Mit Beginn der britischen Kolonialherrschaft im Jahr 1826 beschleunigten sich die Migrationsbewegungen erheblich. Dies war auch die Zeit, als mit der Entdeckung des Tees als Handelsgut die Nachfrage nach Arbeitskräften für die Plantagen stieg. All dies führte zu einem raschen demografischen Wandel in der Region.
Ressentiments auf dem Vormarsch
Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Intellektuelle aus der assamesischen Mittelschicht, ihren Unmut über die unbegrenzte Einwanderung zu äußern. Dennoch kam es in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht zu einer umfassenden Kampagne für die Ausweisung von Eingewanderten. Erst in den letzten Jahren der assamesisch-nationalistischen Assam-Bewegung (1979-1985) nahm die einwanderungsfeindliche Stimmung eine gewalttätige Form an.
Aktualisierung des Nationalen Bürgerregisters
Die Vereinbarung zur Beendigung des Assam-Aufstands trug wenig zur Lösung des "Einwanderungsproblems" bei, da sie nicht ausreichend durch Exekutivmaßnahmen flankiert wurde.
Auch wenn diese Zahl groß erscheint, kann sie kaum diejenigen zufriedenstellen, die vor Gericht gezogen sind, um die Regierung zu drängen, gegen die sogenannte illegale Einwanderung vorzugehen. Für sie war die Zahl der aus dem Bürgerregister gestrichenen Personen 'zu gering', und einige der Kläger/-innen forderten eine Überprüfung des kompletten endgültigen Registers. Außerdem sind nach inoffiziellen Schätzungen zwischen 1,2 und 1,3 Millionen der insgesamt 1,9 Millionen Personen, die die erforderlichen Nachweise für die Aufnahme in das Nationale Bürgerregister nicht erbringen konnten, Hindus und gehören somit der größten Religionsgemeinschaft Indiens an. Dieses Ergebnis war für diejenigen nicht akzeptabel, die sich ursprünglich erhofft hatten, durch die Streichung von 'Ausländern' aus dem Bürgerregister den Minderheiten staatsbürgerschaftliche Rechte zu entziehen. Schließlich wurde berichtet, dass viele der Personen, die aus dem Bürgerregister gestrichen wurden, die vom Gericht zum Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit geforderten Dokumente aus Gründen verloren hatten, die sich ihrer Kontrolle entziehen (wie Überschwemmungen, Erdbeben usw.). Es wird zudem angenommen, dass das Rechtsbewusstsein vieler Betroffener gering ist oder sie schlichtweg zu arm waren, um die Kosten für eine rechtliche Unterstützung aufbringen zu können. Am Ende fühlte sich niemand für das überarbeitete Nationale Bürgerregister verantwortlich und alle beteiligten Parteien distanzierten sich vom Ergebnis des Aktualisierungsprozesses.
Was nun?
Indiens Regierung befindet sich in einer Zwickmühle: Sie scheint keinen klaren Plan zu haben, was sie mit all den Personen tun soll, die aus dem Bürgerregister gestrichen wurden, weil sie ihre Staatsbürgerschaft nicht nachweisen konnten. Es gibt nicht viele Optionen und jede von ihnen hat nicht leicht zu handhabende Auswirkungen auf die zukünftige Regelung der Staatsbürgerschaft in Indien und die diplomatischen Beziehungen des Landes:
Erstens gibt es die Option, die Personen, die aus dem Bürgerregister gestrichen wurden, in das Land abzuschieben, aus dem sie stammen. Aber: Während Indien durchaus das Recht hat, zu bestimmen, wer seine Staatsbürger/-innen sind, hat es nicht das Recht, zu entscheiden, ob eine in Indien zum Nicht-Staatsbürger erklärte Person Bürger/-in eines bestimmten anderen Landes ist – es sei denn, dieses Land akzeptiert ihn oder sie als einen seiner Bürger. So fühlt sich beispielsweise das benachbarte Bangladesch nur in seltenen Fällen verpflichtet, Personen, die aus dem indischen Bürgerregister ausgeschlossen sind, als bangladeschische Staatsbürger/-innen anzuerkennen, nur weil die indischen Rechtsinstitutionen sie als solche deklariert haben. Auch haben Indien und Bangladesch bislang kein bilaterales Abkommen über die Rückübernahme eigener Staatsangehöriger geschlossen. Zudem besteht Bangladeschs Haltung darin zu behaupten, dass kein einziger bangladeschischer Staatsangehöriger illegal nach Indien eingereist sei, geschweige denn, sich dort niedergelassen habe – ein zentraler Stolperstein bei der Lösung der Frage, wie mit den aus dem Bürgerregister ausgeschlossenen Personen und möglicherweise illegaler Einwanderung im Allgemeinen umgegangen werden soll. Bereits 2014 wies der Oberste Gerichtshof Indiens die Zentralregierung in Neu-Delhi an, "die notwendigen Gespräche mit der Regierung von Bangladesch aufzunehmen, um das Abschiebeverfahren zu straffen". Bangladesch hingegen vertritt die Auffassung, dass der Umgang mit dem Ergebnis der Aktualisierung des Nationalen Bürgerregisters 'Indiens internes Problem' sei. In Ermangelung eines bilateralen Rückführungsabkommens zwischen den beiden Ländern greifen die Sicherheitskräfte häufig auf die Praxis zurück, Menschen, die angeblich ohne gültige Papiere die Grenze überquert haben sollen, "zurückzuschieben", anstatt ihnen ein angemessenes rechtliches Verfahren zu ermöglichen.
Zweitens gibt es die Alternative, die aus dem Nationalen Bürgerregister ausgeschlossenen Personen in Haftanstalten festzusetzen, bis sie in die Länder zurückgeschickt werden können, aus denen sie angeblich kommen. Derzeit gibt es in Assam sechs solcher Zentren, in denen die ausgebürgerten und potenziell staatenlosen Personen in vorübergehenden Unterkünften untergebracht sind. Im November 2019 waren das nach Regierungsangaben 1.043 Personen.
Drittens gibt es die Möglichkeit der selektiven (Wieder-)Einbürgerung. Hier kommt das vom indischen Parlament im Jahr 2019 verabschiedete Staatsbürgerschaftsänderungsgesetz (Citizenship Amendment Act, CAA) ins Spiel. Dieses Gesetz und das Nationale Bürgerregister sind insofern eng miteinander verbunden, als Ersteres die (Wieder-)Einbürgerung einer ausgewählten Gruppe von Personen (sogenannten Minderheiten-Flüchtlingen) auf der Grundlage ihrer Religion anstrebt, die andernfalls von Abschiebung bedroht sind. Es beschränkt die Möglichkeit der (Wieder-)Einbürgerung auf Personen, die vor dem 31. Dezember 2014 aus einem der Nachbarländer Afghanistan, Bangladesch und Pakistan nach Indien eingewandert sind und einer von sechs (Religions-)Gemeinschaften angehören: Hindus, Sikhs, Christen, Jainas, Parsen und Buddhisten. Das Gesetz sieht ihre Legalisierung als indische Staatsbürger/-innen vor, wenn sie nachweisen können, dass sie (a) vor ihrer Einwanderung Staatsbürger/-innen eines der genannten Länder waren, (b) an oder vor diesem Datum nach Indien eingewandert sind und (c) aufgrund von Verfolgung oder der Angst vor Verfolgung gezwungen waren, aus ihrem jeweiligen Herkunftsland auszuwandern. Das Fehlen der Muslime – Indiens größter Minderheit – in der Liste der begünstigten Gemeinschaften hat sowohl in Indien als auch im Ausland für Diskussionen gesorgt. Während es in regierungsnahen Kreisen heißt, dass in allen drei Herkunftsländern der Islam die Staatsreligion ist und die aufgelisteten Gemeinschaften in allen drei Ländern von Verfolgung bedroht seien
Indien zählt weder zu den Unterzeichnern der
Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel