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Ein "bidesh" namens Italien. Migration aus Bangladesch nach Italien und darüber hinaus

Francesco Della Puppa

/ 4 Minuten zu lesen

Italien hat nach Großbritannien die zweitgrößte bangladeschische Gemeinschaft in Europa. Ein kurzer Überblick.

Migranten aus Bangladesch vor einem COVID-19-Testzentrum in Rom. Italien hat eine der größten bangladeschischen Communities in Europa. (© picture-alliance/AP)

In der bengalischen Sprache bedeutet bidesh wörtlich "fremdes Land" / "Ausland", im Gegensatz zu Bangladesch, "das Land, in dem Bengali gesprochen wird".

Migration aus Bangladesch nach Interner Link: Italien ist ein relativ junges Phänomen. Einige Pioniermigranten kamen in den 1980er Jahren auf der Halbinsel an. Gründe hierfür waren zunehmende Einwanderungsbeschränkungen in anderen europäischen Ländern (wie Interner Link: Frankreich, der Interner Link: Schweiz oder den Niederlanden und, zumindest ein Jahrzehnt früher, im Vereinigten Königreich) in Verbindung mit tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen sowie politischen Unruhen im Herkunftsland. Doch erst in den 1990er Jahren wurde Italien zu einem wichtigen Zielland für die Migration aus Interner Link: Bangladesch. Undokumentierte bangladeschische Migrant/-innen, die sich bereits in anderen mitteleuropäischen Ländern aufhielten, wurden durch eine Reihe von Amnestien, die irregulären Migrant/-innen eine (befristete) Aufenthaltsgenehmigung gewährten, und eine wachsende Nachfrage nach flexiblen, kostengünstigen Arbeitskräften nach Italien gelockt. Während 1986 etwa hundert Eingewanderte aus Bangladesch in Italien regularisiert wurden, stieg diese Zahl bis 1990 auf fast 4.000 an; bis Anfang der 2000er Jahre hatten dann mehr als 70.000 bangladeschische Migrant/-innen im Rahmen von Regularisierungsmaßnahmen eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten.

Heute sind bangladeschische Staatsangehörige mit rund 146.000 Personen die siebtgrößte Gruppe von in Italien lebenden Drittstaatsangehörigen. Zu Beginn bestand die bangladeschische Gemeinschaft in Italien fast ausschließlich aus Männern. Durch Familienzusammenführungen hat sich jedoch die Zahl der Frauen und Kinder im Laufe der Zeit erhöht.

Die bangladeschische Gemeinschaft in Italien

Bis Ende der 1990er Jahre konzentrierten sich Eingewanderte aus Bangladesch fast ausschließlich in Rom, 92 Prozent von ihnen lebten in Italiens Hauptstadt. Damit war die bangladeschische Gemeinschaft seinerzeit eine der größten bangladeschischen Gemeinschaften in Europa, die zweitgrößte nach London.

Die erste Generation bangladeschischer Eingewanderter in Italien gehörte zur Mittelschicht, in einigen Fällen zur oberen Mittelschicht ihres Herkunftslandes: gebildete Söhne von Fachleuten, Unternehmer/-innen und Führungskräften der Regierung. In Italien verrichteten sie jedoch einfache Tätigkeiten, die sie in ihrem Herkunftsland nicht akzeptiert hätten, z.B. als Tellerwäscher, Straßenverkäufer, Gehilfen in Geschäften, Reinigungskräfte und bestenfalls als ungelernte Fabrikarbeiter, insbesondere in der Metallverarbeitung, im Schiffbau und in der Gerbereiindustrie. Trotz des sozialen Abstiegs, den sie in Italien erlebten, nahmen diese gebildeten alleinstehenden jungen Männer aus der bangladeschischen Mittelschicht solche Beschäftigungen an, weil sie ihnen ein höheres Gehalt als in ihrem Herkunftsland garantierten. Zudem waren in Bangladesch qualifizierte Arbeitsplätze Mangelware und die Arbeitslosigkeit unter jungen gebildeten Menschen hoch. Durch die Arbeit in Italien erhofften sich die jungen Männer ihre eigene soziale Stellung und die ihrer im Herkunftsland verbliebenen Familienangehörigen zu verbessern.

Nach den 1990er Jahren verließen viele bangladeschischen Migrant/-innen, die eine gültige Aufenthaltsgenehmigung erlangt hatten, Rom und zogen in andere Teile Italiens, insbesondere in den wohlhabenden Nordosten, wo sie in Fabriken und Werkstätten stabilere und langfristige Arbeitsplätze als Niedriglohnarbeitskräfte fanden. In den 1990er und frühen 2000er Jahren waren die italienische Wirtschaft und der Arbeitsmarkt relativ integrativ und boten ein gutes Maß an beruflicher Stabilität. Dies hat sich jedoch insbesondere seit der Wirtschaftskrise von 2008 geändert. Mittlerweile bietet der Arbeitsmarkt den Migrant/-innen nicht mehr viele Möglichkeiten für einen sozialen Aufstieg. Daher suchen viele, die die italienische Staatsangehörigkeit erworben haben und sich daher innerhalb der Europäischen Union frei bewegen können, nach neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten und ziehen in andere europäische Länder weiter.

Eines Tages gingen sie nach London, doch dann kam der Brexit

Die Interner Link: Wirtschaftskrise in Italien und ihre Auswirkungen haben Rückkehr- und Sekundärmigration ausgelöst: Immer mehr im Ausland geborene italienische Staatsangehörige verließen das Land. So sind beispielsweise im Jahr 2016 rund 29.000 Italiener/-innen ausländischer Herkunft ausgewandert, 19 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die meisten von ihnen zogen in andere EU-Mitgliedstaaten. Von diesen im Ausland geborenen italienischen Auswanderer/-innen waren neun Prozent in Bangladesch geboren worden; die überwältigende Mehrheit von ihnen (92 Prozent) zog ins Vereinigte Königreich. Die Beweggründe hierfür sind ein komplexes Bündel wirtschaftlicher und kultureller, kollektiver und individueller Zwänge und Anreize, darunter das Streben nach sozialem Aufstieg für die eigenen Kinder, die Erwartung, im Vereinigten Königreich eine multikulturelle und leistungsorientierte Gesellschaft sowie bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt vorzufinden, ebenso wie der Wunsch, in einer größeren Gemeinschaft von Bangladescher/-innen zu leben, und die Suche nach einem integrativeren Sozialsystem.

Der Interner Link: Brexit beschränkte dann die Möglichkeiten von Bürger/-innen der EU-Mitgliedstaaten, in das Vereinigte Königreich einzuwandern und sich dort legal aufzuhalten. Dies hat folglich auch Sekundärbewegungen aus Italien in das Vereinigte Königreich erschwert und neue Herausforderungen für bereits im Land lebende bangladeschische Migrant/-innen mit sich gebracht. Einige von ihnen sind bereit, das Vereinigte Königreich zu verlassen und nach Italien zurückzukehren oder in andere EU-Länder weiterzuziehen. Andere verlassen London mit seiner großen bangladeschischen Gemeinschaft und lassen sich in weniger teuren Städten im Vereinigten Königreich nieder, in denen sie nicht so stark von Sozialhilfe abhängig sind, um über die Runden zu kommen. Manche wiederum streben auch den Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft an. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Brexit langfristig auf die Wanderungsbewegungen von in Bangladesch geborenen Migrant/-innen zwischen Italien und dem Vereinigten Königreich auswirken wird.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

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Fussnoten

Fußnoten

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Weitere Inhalte

ist Professor für Soziologie an der Fakultät für Philosophie und Kulturerbe der Universität Ca' Foscari in Venedig. Sein zentrales Forschungsinteresse gilt den sozialen Veränderungen, die durch Migration ausgelöst werden. In seiner Dissertation befasste er sich mit der Familienzusammenführung, der sozialen Konstruktion von Geschlechtsidentität und dem Wandel von Männlichkeitsbildern unter Eingewanderten aus Bangladesch in Italien.
E-Mail Link: francesco.dellapuppa@unive.it