Ein Wahlsieg
Gedankengut des Front National beeinflusst auch andere Parteien
Die kulturelle Schlacht um ihre Ideen hat Le Pen jedoch bereits gewonnen. Das sagt kein anderer als Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron. Der Kandidat der Progressisten, der die traditionelle Kluft zwischen Rechts und Links zu überwinden verheißt, wirft den beiden Regierungsparteien, den Sozialisten und den Republikanern, jahrelange intellektuelle Faulheit vor. Da sie sich mit den Ideen Le Pens nicht ernsthaft auseinandergesetzt, sondern nur auf moralische Verurteilung gehofft hätten, sei eine "Lepenisierung" der Köpfe möglich geworden. Tatsächlich setzt Le Pen seit Monaten die Themenschwerpunkte in der politischen Debatte, ob in Fragen von Terrorismusbekämpfung, Einwanderung oder der Zukunft der EU. Dies hat zu einem erheblichen Rechtsruck bei den Republikanern geführt, die (damals noch unter dem Namen UMP ) von 1995 bis 2012 ununterbrochen den Präsidenten stellten. Doch selbst die regierenden Sozialisten haben sich in ihrer zögerlichen, zurückhaltenden Flüchtlingspolitik vom Gedankengut des Front National beeinflussen lassen.
Das Nachdenken über den Islam verursacht französische Identitätskrise
Die wirtschaftliche Abwärtsspirale Frankreichs mit hoher Arbeitslosigkeit, wachsender Schuldenlast und aufgeblähtem Staatsapparat allein vermag den Erfolg der Rechtspopulisten nicht zu erklären. Zwar rekrutiert sich Le Pens Anhängerschaft hauptsächlich bei jenen, die sich für Externer Link: Globalisierungsverlierer halten. Le Pens Breitenwirkung jedoch fußt auf einer tiefer liegenden Identitätskrise, deren erstes deutliches Symptom der Streit um die Externer Link: Kopftücher muslimischer Schülerinnen war. Drei junge Französinnen wurden in Creil im Norden von Paris im Oktober 1989 vom Unterricht ausgeschlossen, weil sie sich geweigert hatten, ihr Kopftuch im Klassenzimmer abzunehmen. Die Debatte zeigte, wie angespannt das Verhältnis zur muslimischen Minderheit damals bereits war. Die
Ausgrenzung führt zu religiösen Gegenreaktionen
Im April 2002 zog Jean-Marie Le Pen überraschend in den zweiten Wahlgang der Präsidentenwahl ein. Im März 2004 verabschiedete das französische Parlament ein Gesetz, mit dem religiöse Insignien aus allen öffentlichen Schulen verbannt wurden. Offiziell betraf dieses Gesetz Christen, Juden und Muslime gleichermaßen. Für letztere war aber eindeutig, dass sie damit gemeint waren. Seither ist keine Entspannung eingetreten. Ein gesetzliches Burka-Verbot verstärkte den Eindruck einer Fokussierung des Gesetzgebers auf den Islam. Das Gefühl der fortbestehenden Ausgrenzung unter den meisten Nachfahren der Einwanderer führte allmählich zu einer religiösen Gegenreaktion, die der
Terrorismus spielt Rechtspopulisten in die Hände
Die blutigen Terroranschläge zwischen 2015 und 2016 mit 238 Toten und mehreren tausenden Verletzten haben viele Franzosen für das von Le Pen verbreitete Misstrauen gegen Fremde muslimischen Glaubens empfänglich gemacht. "Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle Terroristen waren Muslime": Mit Parolen wie diesen hat Le Pen eine schockierte Nation für sich eingenommen. Hinzu kommen Fehler der Zentralregierung bei der Raumordnungspolitik. Der Staat hat sich aus vielen Landesteilen abseits der Metropolen und sozialen Brennpunkte der banlieue zurückgezogen und eine vom Industriewandel besonders betroffene Peripherie geschaffen, die Le Pen als "Frankreich der Vergessenen" umwirbt. Hier sind die Menschen für EU- und Globalisierungskritik offen, weil sie die Vorzüge von Öffnung und Reisefreiheit nicht erfahren.
Zum Thema:
Länderprofil Frankreich
Interview mit Gilles Kepel:
Interner Link: "Der politische Rechtsruck folgt ein Stück weit derselben Logik wie die islamische religiöse Radikalisierung" Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 48/2016): Interner Link: Frankreich