2015: Migrationspolitische Entwicklungen in Mexiko | Mexiko | bpb.de
2015: Migrationspolitische Entwicklungen in Mexiko
Melanie Nayeli Wieschalla (unter Mitarbeit von Vera Hanewinkel)(unter Mitarbeit von Vera Hanewinkel)
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Im Jahr 2010 lebten 961.121 Menschen in Mexiko, die im Ausland geboren worden waren. Sie stellten 0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes. Demgegenüber belief sich die Zahl der ausgewanderten mexikanischen Staatsangehörigen auf weit über elf Millionen.
Interner Link: Mexiko zählt weltweit zu den Ländern mit den meisten Auswanderern. Im Jahr 2010 führte es die Statistik der Auswanderungsländer mit Blick auf die absolute Zahl der Emigranten sogar an. Vor diesem Hintergrund ist Mexiko eines der Hauptempfängerländer von Interner Link: Rücküberweisungen, also Geldern, die ausgewanderte Staatsangehörige und ihre Nachkommen an Verwandte im Herkunftsland schicken. 2014 beliefen sich diese Rücküberweisungen auf rund 24 Milliarden US-Dollar. Damit lag Mexiko hinter Indien, China und den Philippinen auf Platz vier der Hauptempfängerländer. Die überwiegende Mehrheit der ausgewanderten Mexikaner (97,79 Prozent) lebt in den USA, wo Einwanderer aus Mexiko und deren Nachkommen einen Anteil von rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. Schenkten mexikanische Regierungen bislang fast ausschließlich der Auswanderung von Mexikanern in die USA und der dort lebenden mexikanischen Diaspora ihre Aufmerksamkeit, so haben einige aktuelle Entwicklungen dazu beigetragen, dass jüngst Fragen von Einwanderung und insbesondere Transitmigration in den Blick genommen werden. Zur Veränderung der Migrationsmuster haben zum einen die Auswirkungen der wirtschaftlichen Rezession, die sich am Ende des Jahres 2007 in den USA bemerkbar machte, und zum anderen das militärische Vorgehen der mexikanischen Regierung gegen die Gewalt der Drogenkartelle seit Dezember 2006 ("Drogenkrieg") beigetragen.
Aus- und Rückwanderung
Die Wirtschaftskrise in den USA führte ab 2008 zu einem Rückgang der Zahl der Neuzuwanderer aus Mexiko sowie zu einer verstärkten Rückwanderung mexikanischer Migranten. Lebten im Jahr 2006 noch ca. 12,6 Millionen Mexikaner in den Vereinigten Staaten, so waren es 2011 gut 600.000 weniger. Neben der freiwilligen Rückkehr nach Mexiko trugen auch restriktivere Migrationsgesetze, schärfere Grenzkontrollen und eine verstärkte Abschiebung von mexikanischen Einwanderern ohne gültige Aufenthaltserlaubnis zu dieser Entwicklung bei. 2013 schoben die USA 314.904 Mexikaner ab – so viele wie nie zuvor. Auf der anderen Seite wird der Rückgang der mexikanisch-stämmigen Bevölkerung in den USA und der irregulären Einwanderung aus Mexiko auch einer verbesserten Wirtschaftslage und Ausbildungssituation sowie niedrigeren Geburtenraten in Mexiko zugeschrieben, die dazu führen, dass weniger Menschen in den Arbeitsmarkt drängen und ein geringeres Migrationspotenzial zur Verfügung steht.
Der Rückgang der mexikanischen Auswanderung in die USA und die Zunahme der freiwilligen und unfreiwilligen Rückwanderung nach Mexiko führten zur sogenannten "zero immigration" bzw. einem ausgeglichenen Wanderungssaldo: Es wanderten etwa so viele Mexikaner in die USA ein wie im selben Zeitraum aus den USA nach Mexiko abwanderten. Mit der Erholung der US-amerikanischen Wirtschaft nimmt aktuell auch die Zuwanderung aus Mexiko wieder zu, wobei eine Rückkehr zu den Einwanderungszahlen vor der Wirtschaftskrise (noch) nicht erwartet wird. Auch wenn sich die Einwanderung von Mexikanern insgesamt also etwas abgeschwächt hat, bleibt die Grenze zwischen den USA und Mexiko im Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Zahl der Menschen aus anderen lateinamerikanischen Staaten, die Mexiko durchqueren und die Grenze zu den USA – zumeist illegal – passieren, steigt. 2014 nahmen US-Grenzschützer erstmals seit Beginn der Aufzeichnung mehr nicht-mexikanische Migranten beim Versuch des illegalen Grenzübertritts fest als mexikanische Staatsangehörige. Der Anstieg der Migration von Menschen aus Zentralamerika, die Mexiko als Transitland auf ihrer Reise in Richtung USA nutzen, ist auch auf die zunehmende Gewalt im Rahmen des organisierten Drogenhandels in den Herkunftsländern und den Kampf dagegen zurückzuführen.
Drogenkrieg in Mexiko
Seit 2006 geht die mexikanische Regierung militärisch gegen das organisierte Verbrechen im Zusammenhang mit dem illegalen Drogenhandel vor. Der daraus resultierende Interner Link: Konflikt, hat sich auf die benachbarten zentralamerikanischen Länder (vor allem Honduras, Guatemala und El Salvador, sogenanntes Triángulo norte [nördliches Dreieck Zentralamerikas]) ausgewirkt. Eingeleitet wurde diese Drogenpolitik durch den ehemaligen mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón (2006-2012). Mit finanzieller Unterstützung der Regierung der USA setzte er das Militär zur Bekämpfung der Drogenkartelle ein. Obwohl es der mexikanischen Regierung mithilfe ihrer Militärstrategie nach eigenen Angaben gelang, viele der meist gesuchten Drogenbosse festzunehmen, führte dies nicht zur Eindämmung des organisierten Verbrechens, sondern vielmehr zu einer Eskalation der Gewalt. Führerlos splitteten sich einige der großen Drogenkartelle in kleinere Untergruppen auf, die sich in Konkurrenz um die Handelsrouten gegenseitig bekämpfen. Zunehmend fielen auch Politiker, Justizbeamte, Journalisten und Zivilpersonen der Gewalt der Drogenhändler zum Opfer. Allein bis 2011 hatten rund 250.000 Menschen in Mexiko ihren Wohnsitz auf der Flucht vor der drogenbezogenen Gewalt verlassen. Die mexikanischen Drogenbanden haben ihren Einfluss weit über Mexiko hinaus ausgeweitet. Sie kontrollieren inzwischen nicht nur den Handel mit Kokain und anderen Rauschmitteln in vielen Großstädten der USA, dem "weltweit größten und lukrativsten Markt für illegale Suchtstoffe", sondern auch die Lieferrouten in anderen zentralamerikanischen Staaten. Neben die eskalierende Gewalt in der Region als einer der Gründe für die steigende Abwanderung aus zentralamerikanischen Staaten treten Armut und Perspektivlosigkeit, aber auch der Wunsch der Zusammenführung mit bereits im Ausland lebenden Familienmitgliedern. Das Ziel der meisten zentralamerikanischen Migranten sind die USA. Sie nutzen Mexiko dabei als Transitland.
Transitmigration in Mexiko
Der Umfang der Transitmigration in Mexiko hat deutlich zugenommen. Das zeigen Festnahmen irregulärer Migranten sowohl in Mexiko als auch an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Allein im Jahr 2012 wurden rund 200.000 Transitmigranten in Mexiko gezählt. An der Grenze zwischen Mexiko und den USA war neben einem allgemeinen Anstieg der Festnahmen irregulärer Migranten aus Zentralamerika vor allem zwischen 2012 und 2014 ein deutlicher Anstieg illegaler Einreiseversuche von unbegleiteten Minderjährigen aus Zentralamerika beobachtet worden. Neben Mexiko stammten diese vor allem aus Honduras, Guatemala und El Salvador. Ein Rückgang dieser Zahlen ab Herbst 2014 ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die mexikanische Einwanderungsbehörde damit begonnen hat, aufgegriffene Transitmigranten verstärkt in ihre Herkunftsländer abzuschieben, um so eine Weiterwanderung in die USA zu verhindern. 2013 schob Mexiko 76.000 Menschen ab, 2014 waren es 90.000. Seit 2006 hat Mexiko Abkommen mit Guatemala und anderen lateinamerikanischen Staaten geschlossen, die sich damit bereit erklären, eigene Staatsangehörige, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Mexiko aufhalten und dort festgenommen werden, zurückzunehmen. Mexiko selbst setzt auf eine verstärkte Kontrolle seiner Südgrenze sowie der Reiserouten durch sein Territorium und hat bereits zwischen 2000 und 2008 die Zahl der Haftanstalten für festgenommene irreguläre Migranten deutlich ausgebaut. Die Bedingungen in diesen Einrichtungen werden von Menschenrechtsorganisationen regelmäßig als unzumutbar Externer Link: kritisiert.
Die Reise der Migranten durch das Transitland Mexiko ist gefährlich. Immer wieder geraten Transitmigranten im mexikanischen "Drogenkrieg" zwischen die Fronten. Die Tatsache, dass sich die meisten von ihnen irregulär in Mexiko aufhalten, macht sie nur noch verwundbarer. Seit im August 2010 der Fund von 72 Leichen von Migranten aus Zentralamerika auf einer Farm in Mexikos nordöstlichem Bundesstaat Tamaulipas für große mediale Aufmerksamkeit sorgte, werden immer neue Verbrechen bekannt, denen Transitmigranten zum Opfer fallen. Immer wieder kommt es vor, dass Drogenbanden Transitmigranten entführen, um Lösegeld von deren Verwandten zu erpressen oder um sie zu zwingen, Drogen über die Grenze zu schmuggeln. Wird das Lösegeld nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt oder weigern sich die Migranten, mit den Drogenbanden oder korrupten lokalen Behörden zu kooperieren, werden sie gefoltert oder getötet. Die Drogenkartelle sind zudem zunehmend in den Schmuggel von Menschen durch Mexiko und über die US-amerikanische Grenze involviert. Teilweise auf Druck (internationaler) Menschenrechtsorganisationen, die forderten, die Rechte von Transitmigranten besser zu schützen, sind in Mexiko seit 2008 einige migrationspolitische Neuerungen in Kraft getreten.
Migrationspolitische Neuerungen seit 2008
2008 trat in Mexiko eine Gesetzesreform in Kraft, die den irregulären Aufenthalt in Mexiko entkriminalisierte. Bis dahin galten undokumentierte Einreisen nach und Aufenthalte in Mexiko als Straftat und konnten mit bis zu zehnjährigen Haftstrafen geahndet werden. Auch wenn diese Strafen nur selten verhängt wurden, führten sie doch dazu, dass korrupte Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde unter Androhung langer Haftstrafen Geld von Migranten erpressten. Das 2011 verabschiedete Migrationsgesetz (Ley de Migración) bekräftigte diese Entkriminalisierung irregulärer Migration und den Schutz der Rechte von Transitmigranten. Mexikanisches Recht soll damit in Einklang mit Bestimmungen gebracht werden, die sich aus der 1999 von Mexiko ratifizierten Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen ergeben. Das Migrationsgesetz soll einen rechtlichen Rahmen für den Schutz der Menschenrechte von Migranten schaffen. Es betont, dass Ausländer gegenüber mexikanischen Staatsangehörigen nicht benachteiligt werden sollen. Dementsprechend sollen alle Migranten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung erhalten. Außerdem sollen Verbrechen gegen Migranten und Menschenrechtsverstöße stärker geahndet werden. Darüber hinaus werden Aktivitäten von professionellen Menschenschmugglern unter Strafe gestellt. Allgemein zielt das Gesetz auf eine Vereinfachung der Bestimmungen für die Einreise und den Aufenthalt in Mexiko. Statt der bis dahin existierenden 30 verschiedenen Aufenthaltskategorien gibt es fortan nur noch drei Aufenthaltstitel: "Besucher", "temporärer Einwohner", "dauerhafter Einwohner". Die Vergabe eines dauerhaften Aufenthaltstitels erfolgt auf der Basis eines Punktesystems, das unter anderem das (Aus-)Bildungsniveau und die Berufserfahrung einbezieht.
Nichtregierungsorganisationen begrüßen zwar die Bestimmungen zum Schutz der Rechte von Migranten, kritisieren aber, dass diese in der Praxis nicht hinreichend umgesetzt werden, um die Situation der Migranten tatsächlich zu verbessern. Was auf nationaler Ebene (noch) nicht funktioniert, versucht Mexikos Hauptstadt auf kommunaler Ebene durchzusetzen.
Integrationspolitik in Mexiko-Stadt
2011 ist in Mexiko-Stadt ein bislang landesweit einmaliges Integrationsgesetz in Kraft getreten – das Gesetz über Interkulturalität, Betreuung von Migranten und menschliche Mobilität (Ley de interculturalidad, atención a migrantes y movilidad humana). Es soll den Zugang zum Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem von Mexiko-Stadt für Einwanderer unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ermöglichen. Für die Implementierung des Gesetzes ist das neu geschaffene Amt zur Betreuung von Gästen, Migranten und ihren Familien (Direccion de Atención a Huéspedes, Migrantes y sus Familias) im Sekretariat für Rurale Entwicklung und Gerechtigkeit für die Kommunen (Secretaría de Desarollo Rural y Equidad para las Comunidades, SEDEREC) verantwortlich. Es betreut das übergreifende Programm der Gastfreundlichen, Interkulturellen Stadt und der Betreuung von Migranten (Ciudad Hospitalaria, Intercultural y Atención a Migrantes). Im Rahmen dessen sollen Projekte entwickelt werden, die Einwanderern und Rückkehrern die (Re-)Integration in die mexikanische Gesellschaft erleichtern, indem sie ihre soziale und wirtschaftliche Teilhabe fördern. Der Zugang zu sozialen Dienstleistungen, zum Gesundheits- und Bildungssystem von Mexiko-Stadt soll dadurch gewährleistet werden, dass jede in der Hauptstadt lebende Person einen Ausweis erhalten kann, mit dem sie sich als Bürger Mexiko-Stadts ausweisen kann.
Mit diesem Ansatz versucht Mexiko-Stadt andere Wege zu gehen als die Zentralregierung Mexikos. Der mexikanische Staat hat zwar einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der Migranten mehr Rechte verschaffen und vor allem Transitmigranten besser schützen soll. Dieser wird bislang aber nicht ausreichend implementiert, um in der Praxis tatsächlich für eine Verbesserung der Situation von (Transit-)Migranten in Mexiko zu sorgen. Sie riskieren immer noch Leib und Leben auf dem Weg durch Mexiko in Richtung USA, wo sie sich eine bessere Zukunft versprechen als die, die sie in ihren Herkunftsländern erwartet. Erst eine Stabilisierung der gesamten Region könnte zu einem Rückgang der Transitmigration führen. Ein Ende des Drogenkriegs ist bislang allerdings nicht in Sicht.
Melanie Nayeli Wieschalla studiert den Master of Science Geographie mit der Vertiefungsrichtung Stadt– und Regionalentwicklungsmanagement an der Ruhr Universität Bochum und schreibt ihre Masterarbeit über lokale integrationspolitische Ansätze von Mexiko-Stadt, insbesondere über den Ansatz der interkulturellen Stadt. Das Masterarbeitsthema hat sie im Rahmen eines Studienaufenthaltes an der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM) entwickelt.
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