2015 leben 161 Millionen Menschen in Bangladesch. Zweidrittel der Bevölkerung leben in ländlichen Regionen; ein Drittel in städtischen Gebieten (siehe Tabelle 6). Aufgrund anhaltender Armut und Ernährungsunsicherheit in einigen Teilen des Landes, regelmäßiger, existenzbedrohender Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen und Überschwemmungen, besserer wirtschaftlicher Möglichkeiten in den Städten, zentralistischer Bildungsstrukturen und verbesserter Transportnetzwerke ist eine zunehmende Zahl von Bangladeschern innerhalb des Landes mobil. Die Volkszählung aus dem Jahr 2011 ergab, dass 13,5 Millionen Menschen nicht mehr in dem Verwaltungsbezirk lebten, in dem sie geboren worden waren, was zehn Prozent der Bevölkerung entspricht. Die weitaus meisten dieser Bewegungen finden innerhalb des Landes statt. 44 Prozent dieser 13,5 Millionen Binnenmigranten sind vom Land in die Stadt gezogen, weitere 43 Prozent aus einer ländlichen Region in eine andere ländliche Region, neun Prozent von einer Stadt in eine andere Stadt und nur vier Prozent aus der Stadt aufs Land
Verstädterung, Migrationssysteme in Bangladesch und translokale soziale Räume
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Mobilität prägt den Alltag vieler Menschen in Bangladesch. Sie ist eine der Strategien zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Jährlich gehen hunderttausende Bangladescher zum Arbeiten ins Ausland, aber auch die Binnenmigration hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Dazu hat vor allem das Wachstum der Bekleidungsindustrie beigetragen.
Das Wachstum der Bekleidungsindustrie hat zum Anstieg der Binnenmigration in Bangladesch beigetragen. Die Produktion und der Export von Textilien begannen in den 1980er Jahren und haben seitdem die Rolle Bangladeschs in der globalen Wirtschaft fundamental verändert. Während 1985 etwa 120.000 Menschen in 380 Textilfabriken beschäftigt waren, waren es im Jahr 2000 bereits 1,6 Millionen Arbeitskräfte in 3.200 Fabriken und 2014 sogar vier Millionen Arbeitskräfte, die in 4.200 Textilfabriken angestellt waren
Tabelle 6: Bevölkerungs- und Stadtentwicklung in Bangladesch (in tausend)
1950 | 1960 | 1970 | 1980 | 1990 | 2000 | 2010 | 2020 | |
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Bangladesch (Gesamtbevölkerung) | 37.895 | 49.537 | 66.309 | 82.498 | 107.386 | 132.383 | 151.152 | 169.566 |
Städtische Bevölkerung | 1.623 | 2.544 | 5.035 | 12.252 | 21.275 | 31.230 | 46.035 | 64.480 |
% der Gesamtbevölkerung | 4% | 5% | 8% | 15% | 20% | 24% | 31% | 38% |
Dhaka | 336 | 508 | 1.374 | 3.266 | 6.621 | 10.285 | 14.731 | 20.989 |
% der Gesamtbevölkerung | 1% | 1% | 2% | 4% | 6% | 8% | 10% | 12% |
% der städtischen Bevölkerung | 21% | 20% | 27% | 27% | 31% | 33% | 32% | 33% |
Chittagong | 289 | 360 | 723 | 1.340 | 2.023 | 3.308 | 4.106 | 5.155 |
% der städtischen Bevölkerung | 18% | 14% | 14% | 11% | 10% | 11% | 9% | 8% |
Khulna | 61 | 123 | 310 | 627 | 985 | 1.247 | 1.098 | 1.039 |
% der städtischen Bevölkerung | 4% | 5% | 6% | 5% | 5% | 4% | 2% | 2% |
Rajshahi | 39 | 56 | 105 | 238 | 521 | 678 | 786 | 943 |
% der städtischen Bevölkerung | 2% | 2% | 2% | 2% | 2% | 2% | 2% | 2% |
Quelle: UN (2014): World Urbanization Prospects, the 2014 Revision. New York: United Nations Department of Economic and Social Affairs, Population Division,
Externer Link: http://esa.un.org/unpd/wup/ (Zugriff: 4.2.2015).
Die Gründe für einen Anstieg der Binnenwanderungen innerhalb von Bangladesch sind vielfältig: Menschen sind mobil, um zusätzliches Geld zu verdienen, das sie für die Deckung des Tagesbedarfs ihrer Familien benötigen. Sie versuchen durch die Aufnahme einer Arbeit an anderen Orten existenzbedrohende Krisen wie Hunger in der Zeit vor der Reisernte ("Monga") zu überwinden, Risiken besser zu streuen und Schocks wie Ernteausfälle abzufedern. Und durch eine bessere Bildung oder einen besseren Arbeitsplatz in der Stadt investieren Menschen in ihre eigene Zukunft. Verschiedene Migrationssysteme existieren daher nebeneinander: dauerhafte Land-Stadt- und Stadt-Stadt-Migration, zeitlich begrenzte Migration in die Städte des Landes und saisonale Arbeitswanderungen in landwirtschaftlich geprägte Regionen. Der Zugang zu Migrationsmöglichkeiten und die Zielortwahl spiegeln dabei Muster gesellschaftlicher Ungleichheit wider: Mitglieder aus wohlhabenden Haushalten ziehen wegen sicherer Arbeitsstellen in formellen Wirtschaftssektoren oder einem Hochschulstudium in städtische Gebiete. Die ländliche "Mittelschicht" und "Unterschicht" zieht entweder nach Dhaka, um dort in der Bekleidungsindustrie, im Baugewerbe oder informellen Wirtschaftssektoren zu arbeiten, oder zieht temporär in andere ländliche Regionen, um dort als Erntehelfer tätig zu werden. Die ärmsten Menschen in Bangladesch können sich oftmals die anfänglichen Investitionen, die für die Migration erforderlich sind, nicht leisten. Zudem haben sie keinen Zugang zu den entsprechenden Netzwerken und in manchen Fällen sind sie sogar nicht einmal in der körperlichen Verfassung für einen Umzug innerhalb des Landes. Sie bleiben aufgrund dieser regionalen Gebundenheit in der Armut "gefangen"
Bangladeschische Familien, die Migranten unter ihren Mitgliedern haben, organisieren ihre Existenzen heutzutage dynamisch über verschiedene Orte hinweg. Ihr Leben ist charakterisiert durch ihre Migrationserfahrung, ihre sozialen Netzwerke, die sich zwischen verschiedenen Orten aufspannen, und ihr "gleichzeitiges Eingebundensein" in diese verschiedenen Orte. Sie leben in "translokalen sozialen Räumen". Diejenigen, die in andere Länder migriert sind, haben sich sogar ein transnationales Leben aufgebaut
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Dr. Benjamin Etzold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Bonn. Er hat über den Straßenhandel in der Megastadt Dhaka promoviert und war an einem Forschungsprojekt zu Klimawandel, Hunger und Migration in Bangladesch beteiligt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die geographische Migrations- und Entwicklungsforschung mit Fokus auf soziale Verwundbarkeit und Arbeitsverhältnisse. E-Mail: E-Mail Link: etzold@giub.uni-bonn.de
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