Historische Entwicklungen der Ein- und Auswanderung | Niederlande | bpb.de
Historische Entwicklungen der Ein- und Auswanderung
Evelyn Ersanilli
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Das vergleichsweise hohe Maß an Freiheit und Wohlstand in den Niederlanden hat seit Jahrhunderten eine erhebliche Zahl von Einwanderern angezogen.
Viele Hugenotten – Protestanten aus Frankreich – und Juden aus Süd- und Osteuropa flohen in die Niederlande. Zwischen 1590 und 1800 betrug der geschätzte Anteil im Ausland Geborener nie weniger als fünf Prozent. Im 19. Jahrhundert nahm dieser Anteil ab und fiel bis 1880 auf etwa zwei Prozent. Seit 1870 verließen mehr Menschen das Land als neue hinzuzogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg förderte die Regierung die Auswanderung, da sie befürchtete, dass die hohen Geburtenraten zu hoher Arbeitslosigkeit führen könnten. Während der 1950er Jahre wanderten etwa 350.000 Niederländer aus. Die beliebtesten Ziele waren Kanada und Australien, gefolgt von den USA, Südafrika und Neuseeland.
In den 1960er Jahren überstieg die Einwanderung dann wieder die Auswanderung wobei Menschen aus den (ehemaligen) Kolonien und "Gastarbeiter" den größten Anteil dieser Einwanderung der Nachkriegszeit ausmachten. Als die niederländische Kolonie Indonesien 1945 die Unabhängigkeit ausrief, kamen zwei Gruppen von Migranten in die Niederlande: etwa 300.000 niederländisch-indonesische Rückwanderer und 12.500 Molukker. 1975 erlangte auch Surinam, ein kleines Land nördlich von Brasilien, die Unabhängigkeit. Bis zur Einführung von Visa für Surinamer im Jahr 1980 war bereits fast die Hälfte der Bevölkerung in die Niederlande migriert.
Die Niederländischen Antillen, eine Gruppe kleiner karibischer Inseln, die immer noch Teil des Königreichs der Niederlande sind, bilden einen weiteren bedeutenden Herkunftsraum von Einwanderern. Das Studium in den Niederlanden hat sowohl bei wohlhabenden Surinamern als auch bei wohlhabenden Einwohnern der Antillen lange Tradition. Als sich jedoch in den 1990er Jahren die wirtschaftliche Lage auf den Niederländischen Antillen immer mehr anspannte, entschlossen sich zunehmend auch Menschen aus benachteiligten sozialen Milieus, in das "Mutterland" einzuwandern. Da viele dieser weniger qualifizierten Migranten in den Niederlanden nicht Fuß fassen konnten, hat es in den letzten Jahren eine zunehmende Rückwanderung auf die Inseln gegeben.
Nachkriegsmigration
Wie andere westeuropäische Länder, warben auch die Niederlande in den 1960er und 1970er Jahren ausländische Arbeitskräfte ("Gastarbeiter") an. Die Niederlande unterzeichneten Abkommen mit Interner Link: Italien (1960), Interner Link: Spanien (1961), Portugal (1963), der Interner Link: Türkei (1964), Interner Link: Griechenland (1967), Interner Link: Marokko (1969), Jugoslawien (1970) und Tunesien (1971). Dabei waren die Türkei, Marokko und Spanien die wichtigsten Herkunftsländer. Die meisten südeuropäischen "Gastarbeiter" kehrten in ihre Herkunftsländer zurück – vor allem, nachdem Spanien und Portugal der EU beigetreten waren. Rückkehrmigration in die Türkei und nach Marokko war dagegen seltener, da die wirtschaftliche und politische Situation in diesen Ländern schwierig blieb und die Wiedereinreise in die Niederlande oder andere EU-Staaten für Drittstaatsangehörige erschwert wurde. Nach dem Anwerbestopp von 1975 holten viele der ausländischen Arbeitskräfte ihre Familien nach. Die Familienzusammenführung erreichte 1980 ihren Höhepunkt. Diese Entwicklung stieß seitens der niederländischen Regierung und Gesellschaft auf Widerstand, nicht zuletzt aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes in den Niederlanden. Dennoch wurden zu Beginn der 1980er Jahre die Bestimmungen zum Familiennachzug gelockert. Seit dem Ende der Anwerbung ist die marokko- und türkeistämmige Bevölkerung infolge von Familienzusammenführung, Familiengründung und Geburten stark gewachsen. Zwischen 1975 und 2014 stieg die Zahl der in den Niederlanden lebenden Türkeistämmigen von 55.639 auf 396.414 und die Zahl der Marokkostämmigen von 30.481 auf 374.996.
Jüngere Entwicklungen der Ein- und Auswanderung
Abbildung 1: Ein- und Auswanderung 1960 – 2013 (bpb)
Abbildung 1: Ein- und Auswanderung 1960 – 2013 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 1: Ein- und Auswanderung 1960 – 2013 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Zwischen 1960 und 2003 überstieg die Zahl der Einwanderer die der Auswanderer. Zwischen 2003 und 2007 bedingte ein Rückgang der Einwanderung bei gleichzeitigem Anstieg der Abwanderung einen negativen Wanderungssaldo (vgl. Abbildung 1). Seit 2003 verlassen jährlich mehr als 100.000 Menschen die Niederlande, von denen etwa ein Drittel in den Niederlanden geboren ist. Gebürtige Niederländer ziehen vor allem in die Nachbarländer Deutschland und Belgien sowie in andere europäische Staaten. Der starke Rückgang der Einwanderungszahlen nach 2003 ist vor allem auf sinkende Asylsuchenden- und Familienzusammenführungszahlen zurückzuführen. Der erneute Anstieg seit 2007 ist hingegen das Ergebnis zunehmender Arbeitsmigration. Seit 2010 sind jährlich mehr als 150.000 Menschen in die Niederlande gezogen.
Bis 2007 war Familienmigration mit einem Anteil von beinahe 40 Prozent die dominierende Einwanderungsform. Seit 2007 bilden Arbeitsmigranten die größte Einwanderergruppe. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Einwanderung aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, die in den Jahren 2004 und 2007 der Europäischen Union beigetreten sind. Die Niederlande öffneten ihren Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus den Beitrittsstaaten von 2004 im Jahr 2007. Da Einwanderer aus den EU-Staaten keine Aufenthaltsgenehmigung benötigen und viele von ihnen ihren neuen Wohnsitz in den Niederlanden nicht anmelden - teilweise, weil sie als Saisonarbeiter in der Land- oder Bauwirtschaft arbeiten - ist ihre exakte Zahl nur schwer zu bestimmen. Schätzungen der niederländischen Statistikbehörde CBS zufolge, stieg die Zahl der Migranten aus den neuen Mitgliedsländern von unter 100.000 im Jahr 2007 auf etwa 250.000 im Jahr 2012. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Migranten aus den alten Mitgliedstaaten von 335.000 auf 350.000. Polen bilden mit etwa 70 Prozent der Staatsangehörigen der 2004 beigetretenen Staaten die größte Gruppe. Angesichts dieses großen Zuzugs aus den 2004 beigetretenen Staaten erweiterte die niederländische Regierung die Frist zur Gewährung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren auf das Maximum von sieben Jahren. Obwohl diese Einschränkung der Freizügigkeit erst 2014 auslief, schätzt die niederländische Statistikbehörde, dass Ende 2012 bereits mehr als 30.000 Menschen aus den beiden Ländern in den Niederlanden lebten.
Dr. Evelyn Ersanilli ist Dozentin am Fachbereich Migrationsstudien am Internationalen Migrationsinstitut (IMI) der Universität Oxford. E-Mail: E-Mail Link: evelyn.ersanilli@qeh.ox.ac.uk
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