Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Staatsbürgerschaft | Kroatien | bpb.de

Kroatien Hintergrund Historische Entwicklung Migrationspolitik Die Zuwandererbevölkerung Staatsbürgerschaft Integration und Integrationspolitik Flucht und Asyl Irreguläre Migration Aktuelle Entwicklungen und künftige Herausforderungen Literatur

Staatsbürgerschaft

Pascal Goeke

/ 3 Minuten zu lesen

Die heutige Rolle und Form des kroatischen Staatsbürgerschaftsrechts ist das Ergebnis von staatsbürgerschaftsrechtlichen Sondersituationen im ehemaligen Jugoslawien, einer ethnisch-nationalen Politik zur Bestimmung des Kroatentums in den 1990er Jahren und einer Liberalisierung und EU-Harmonisierung seit dem Jahr 2000. Aus dieser Konstellation leiten sich zum Teil nur schwer verständliche, aber sehr folgenreiche Bestimmungen und Rechte ab.

Der Kern des aktuellen Staatsbürgerschaftsrechts verweist auf die kroatische Verfassung vom 21.12.1990 und das Staatsbürgerschaftsgesetz vom 6.10.1991. Beide, Verfassung und Staatsbürgerschaftsgesetz, wurden zwar seitdem mehrfach modifiziert oder ergänzt, doch ihre gemeinsame und grundsätzliche Intention ist gleich geblieben. Die Republik Kroatien, so heißt es in der Präambel der kroatischen Verfassung, konstituiert sich als Nationalstaat des kroatischen Volkes und als Staat der Angehörigen der nationalen Minderheiten. Diese Setzung degradierte insbesondere die in Kroatien lebenden Serben, denn in der Verfassung der Sozialistischen Republik Kroatien von 1974 hieß es noch, dass Kroatien der Nationalstaat des kroatischen Volkes und des serbischen Volkes in Kroatien sowie anderer Nationalitäten auf kroatischem Territorium sei – jetzt aber galten auch die Serben nur noch als eine nationale Minderheit. Ein anderer Effekt der Setzung war und ist, dass alle kroatischstämmigen Personen unabhängig von ihrem aktuellen Wohnsitz als selbstverständlicher Teil des kroatischen Nationalstaats gelten. Entsprechend können Personen, die sich als kroatischstämmig verstehen, über den Nachweis ihrer kroatischen Abstammung oder mittels einer schriftlichen Verbindungserklärung zu Kroatien bis heute relativ einfach die kroatische Staatsbürgerschaft erhalten. Damit stand vor allem für die in Bosnien-Herzegowina lebenden Kroaten, aber auch für Nachkommen der Anwerbemigration in der ganzen Welt die Tür zur kroatischen Staatsangehörigkeit offen. In Kroatien lebende Serben mussten hingegen einen aufwendigen und nur selten transparenten Einbürgerungsprozess durchlaufen.

Internationaler Druck, von Kroatien unterzeichnete internationale Verträge, Selbsteinsicht in die verfahrene Lage beim Umgang mit unterschiedlichen Statusgruppen, eine allgemeine Demokratisierung Kroatiens und das anstehende Ziel der EU-Mitgliedschaft seit dem Jahr 2000 haben für deutliche Liberalisierungen gesorgt. Es wurde nach pragmatischen Lösungen für die Minderheiten gesucht und es wurden ihnen neue Rechte gewährt. Heute ist, wie erwähnt, das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1991 samt Ergänzungen maßgeblich. Es bevorzugt weiterhin ethnische Kroaten und ihre Nachkommen (Artikel 3 und 11), sieht aber Regelverfahren für die Einbürgerung von ausländischen, nicht-kroatischstämmigen Staatsangehörigen vor (Artikel 8). Hervorzuheben ist auch der Artikel 16, der es im Ausland lebenden Personen kroatischer Abstammung erlaubt, die kroatische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Dies ist auch deshalb relevant, weil auf diesem Weg und mit der EU-Mitgliedschaft Kroatiens im Jahr 2013 etwa 500.000 Personen zu EU-Bürgern werden, die nicht auf kroatischem Territorium leben. Dies betrifft nicht allein Kroaten in Bosnien-Herzegowina und in anderen Teilen der Welt, sondern auch rund 200.000 aus Kroatien geflohene oder emigrierte Serbinnen und Serben, die ihre kroatische Staatsbürgerschaft behalten haben.

Die Daten zur Vergabe der kroatischen Staatsbürgerschaft belegen deutlich, dass auch dieser Prozess ethnonational geprägt ist und relativ wenig mit internationalen Migrationen oder einer staats- und sozialrechtlichen Integration zu tun hat. So zählte das Innenministerium Kroatiens seit der Staatsgründung 1991 bis 2010 insgesamt 1.111.705 Einbürgerungen. 834.732 Bewerber um die kroatische Staatsangehörigkeit gaben Bosnien-Herzegowina als Geburtsland an. 678.918 Personen waren zum Zeitpunkt der Bewerbung im Besitz der Staatsbürgerschaft Bosnien-Herzegowinas, die sie, wenn sie die Staatsbürgerschaft als ethnische Kroaten erhielten, auch nicht abgeben mussten (so wie alle ethnischen Kroaten nicht zur Aufgabe der alten Staatsbürgerschaft aufgefordert werden). 80.512 Bewerberinnen und Bewerber besaßen die serbische Staatsbürgerschaft und 12.688 die mazedonische.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zu jugoslawischen Zeiten besaß man zwei ›Bürgerschaften‹: Eine jugoslawische ›Bundes-Bürgerschaft‹ und eine Bürgerschaft in einer der jugoslawischen Republiken. Die republikanische Mitgliedschaft war im ehemaligen Jugoslawien allerdings zuletzt weitgehend bedeutungslos geworden, wurde aber im Moment der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens zu der zentralen Mitgliedschaftskategorie. Bei dieser Reaktivierung ging es auch darum, bestimmte Personengruppen von der neu etablierten nationalen Staatsbürgerschaft auszuschließen – etwa die Serben in Kroatien. Eine ausführliche Darstellung der Staatsbürgerschaftsregelung fi ndet sich bei Ragazzi/Štiks (2009). Weitere Erörterungen sind bei Vidak (1998); Ragazzi/Štiks (2010); Štiks (2010a, 2010b) und Koska (2011) zu finden.

  2. Externer Link: http://eudo-citizenship.eu/country-profiles/?country=Croatia

  3. Als nationale Minderheiten gelten laut Gesetz Gruppen kroatischer Bürgerinnen und Bürger, die traditionell auf kroatischem Territorium leben und die ethnische, linguistische, kulturelle und/ oder religiöse Besonderheiten aufweisen, die sie von anderen Bürgerinnen und Bürgern unterscheiden und die sie auch bewahren wollen. Aktuell gibt es 22 nationale Minderheiten (vgl. Tabelle 4). Vgl. Tatalović (2006).

  4. Vgl. Štiks (2010a); Koska (2011).

  5. Koska (2011), S. 32; vgl. weitere und ähnliche Schätzungen bei: Ragazzi/Štiks (2010), S. 13.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Pascal Goeke für bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und des/der Autors/-in teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Weitere Inhalte

Dr. Pascal Goeke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Zürich.
E-Mail: E-Mail Link: pascal.goeke@geo.uzh.ch