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Historische Entwicklung der Migration | Kroatien | bpb.de

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Historische Entwicklung der Migration

Pascal Goeke

/ 6 Minuten zu lesen

Auswanderung im 19. und frühen 20. Jahrhundert

Im 19. und vollends im 20. Jahrhundert entwickelte sich Südosteuropa und damit auch Kroatien von einer Einwanderungsregion zu einer Region mit einem deutlichen Auswanderungsüberschuss. Damit schloss sich Kroatien der europäischen Auswanderung nach Übersee an. Schätzungen zufolge wanderten allein zwischen 1880 und 1914 etwa 300.000 Personen aus dem Königreich Kroatien und Slawonien, 90.000 Personen aus Dalmatien und 30.000 Personen aus Istrien aus. In den 1920er Jahren waren Frankreich, Belgien, die Niederlande und später Deutschland wichtige Zielländer und ersetzten zunehmend die überseeischen Ziele. Auch hatten sich bis 1940 Gebiete – vor allem die Save-Banschaft (Savska banovina) und die Küstenbanschaft (Primorska banovina) – mit einer deutlichen Auswanderungstradition herausgebildet, »in denen es praktisch keinen Haushalt mehr gab, aus dem nicht schon jemand nach Übersee ausgewandert war«.

Auswanderung nach der Gründung der Föderativen Republik Jugoslawien

Die Tradition der primär ökonomisch motivierten Auswanderung erfuhr durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges eine scharfe Zäsur. Zum einen migrierten zunehmend mehr Menschen aus dezidiert politischen Gründen, zum anderen wurden die Migrationen nun verstärkt politisch beobachtet, bewertet und instrumentalisiert. Speziell die Staatsgründung der Föderativen Republik Jugoslawien (des sogenannten ›Zweiten Jugoslawiens‹, einem Nationalitätenstaat mit sechs Ländern und zwei autonomen Provinzen) änderte 1945 die Situation für aktuelle und potenzielle Migrantinnen und Migranten. Die kroatischen Migrationszahlen sind nicht genau zu rekonstruieren. Nejašmić notiert für die Zeit von 1940 bis 1948 allein 250.000 Emigranten aus Kroatien, rechnet dabei aber auch Italiener, Deutsche, Tschechen, Ungarn und Polen hinzu, die das Land verließen. Der neue jugoslawische Staat betrachtete die Auswandernden zunächst als Verräter an der jugoslawischen Sache. Erst als in den 1960er Jahren geburtenstarke Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängten und Wirtschaftsreformen zur Freisetzung von Arbeitskräften führten, begannen die Behörden ab 1964 zögerlich mit ausländischen Arbeitgebern zu kooperieren.

Tabelle 1: Anzahl der jugoslawischen Arbeitsmigrantinnen und -migranten in den wichtigsten Zielländern Ende 1973

* Die Zahlen orientieren sich an jugoslawischen Statistiken und sind Schätzungen. In den Zielländern liegen die Zahlen im Durchschnitt um 15 Prozent höher, weil alle Personen mit einem jugoslawischen Pass erfasst wurden. Aufgrund unterschiedlicher Erfassungsregeln sind die Statistiken der Zielländer aber kaum aufeinander zu beziehen.
Zielland Anzahl*Anteil an allen Personen, die der jugoslawische Zensus Ende 1973 als »vorübergehend im Ausland beschäftigt« klassifizierte
Bundesrepublik Deutschland469.00050,1%
Österreich 197.00019,9%
Frankreich 54.0005,5%
Schweiz 28.0002,8%
Schweden 25.0002,5%
Benelux-Staaten 14.0001,4%
andere europäische Staaten16.0001,6%
Überseestaaten160.00016,2%

Quelle: Baučić (1973), S. 62

Parallel dazu kam es beim Bund der Kommunisten Jugoslawiens und damit bei der Regierung zu einem ideologischen Umdenken was die Wahrnehmung der Migration betraft. Jugoslawien wurde zum einzigen sozialistischen Land, das offiziell Teil der Anwerbemigration war. 1965 trat der erste Anwerbevertrag mit Österreich in Kraft. Es folgten Abkommen mit Frankreich (1966), Schweden (1967), der Bundesrepublik Deutschland (1968) und Luxemburg (1969) sowie mit Australien, Belgien und den Niederlanden (1970). Die Schweiz schloss zwar keinen speziellen Vertrag mit Jugoslawien ab, wurde aber dennoch zu einem wichtigen Zielland. Ab 1970 endete die Anwerbung sukzessive. In den Zielländern kam es zu Anwerbestopps und Jugoslawien selbst verabschiedete 1973 das Gesetz zum Schutz der im Ausland beschäftigten Arbeitskräfte, das die Vermittlung von Erwerbspersonen auf Arbeitslose und ausgewählte Berufsgruppen beschränkte. Das Ergebnis der kurzen Anwerbungszeit ist in Tabelle 1 dokumentiert. Dabei ist, wie bei allen anderen Zahlen der kroatischen Migration zu jugoslawischen Zeiten, zu beachten, dass der jugoslawische Zensus zwischen Auswanderern und ›vorübergehend im Ausland beschäftigten Personen‹ unterschied. Weil aber im Moment der Zählung unmöglich entschieden werden konnte, ob die betreffenden Personen wieder nach Kroatien zurückkehren würden oder nicht, oblag es der jeweils zählenden Person darüber zu entscheiden. Tendenziell wurden die sogenannten Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die nach Nord und Westeuropa gegangen waren, als vorübergehend im Ausland beschäftigt klassifiziert, während nach Übersee ausgewanderte Personen als dauerhaft abwesend galten. Die Zuverlässigkeit der Daten ist damit immer fraglich.

Die Zahl der Personen, die Kroatien zwischen 1948 und 1991 dauerhaft verließen, wird auf etwa 370.000 Personen geschätzt. Allerdings gab es im Zeitraum 1948-1981 eine Zuwanderung von 151.800 Personen aus anderen Teilen Jugoslawiens, so dass die Emigration teilweise kompensiert wurde.

Migration während der Jugoslawienkriege

Wäre es in Jugoslawien Ende der 1980er Jahre nicht zu einer Krise gekommen, welche in die Auflösungskriege mündete, so hätte sich die in den 1980ern einsetzende Beruhigung des Migrationsgeschehens vermutlich fortgesetzt.

Tabelle 2: Auswanderung vom Gebiet des heutigen Kroatiens 1880-1991

*1) nur permanente Auswanderer, die de facto nicht mehr zurückkamen oder vermutlich nicht mehr zurückkommen werden. Die Zahlen bleiben angesichts der Sonderkategorie "vorübergehend im Ausland beschäftigt" Schätzungen.
Zeitraum Zahl der Auswanderer1)
Gesamtzahl
Zahl der Auswanderer1)
Durchschnitt pro Jahr
1880-190090.0004.500
1900-1910166.00016.600
1910-191474.00022.650
1914-1921150.00021.400
1921-1940110.0006.900
1940-1948250.00031.250
1948-1961160.00012.300
1961-1981165.0008.250
1981-199145.0004.500
1880-19911.210.00010.900

Quelle: Nejašmić (1995), S. 350

So jedoch setzte mit den Jugoslawienkriegen (10-Tage- Krieg in Slowenien 1991, Kroatienkrieg 1991-1995, Bosnienkrieg 1992-1995 und Kosovokrieg 1999) eine in ganz Europa lange unbekannte Flucht- und Migrationsdynamik ein. Im Zeitraum von 1991 bis 1997 migrierten von den 4,5 Millionen in Kroatien lebenden Menschen etwa 950.000 Personen mindestens einmal oder wurden mindestens einmal vertrieben. Weiteren Schätzungen zufolge, die mitunter stark variieren, befanden sich darunter 550.000 Kroatinnen und Kroaten bzw. kroatische Staatsbürger und 400.000 Serbinnen und Serben. Zu diesen Zahlen kommen etwa 400.000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina hinzu, die in Kroatien Zuflucht fanden. Die zentralen Territorien des Konflikts in Kroatien waren die sogenannte Republik Serbische Krajina und Ostslawonien. Hier hatten zunächst die Serben Gebiete erobert und Kroaten vertrieben. 1995 wurden die Gebiete zurückerobert, Serben vertrieben und Kroaten von der kroatischen Regierung zur Ansiedlung animiert. Die international angemahnte Rückkehr der vertriebenen Serben in diese Gebiete gestaltete sich außerordentlich schwierig und ist, trotz deutlich verbesserter Rahmenbedingungen und beginnender Kooperation zwischen Serbien und Kroatien, bis heute nicht abgeschlossen. Bis 2003 kehrten von den insgesamt 350.000 aus Kroatien geflohenen Serbinnen und Serben weniger als 100.000 zurück, 2010 lag die Zahl bei über 130.000.

Auswirkungen der Kriegsjahre

Ein zentrales Ergebnis der Kriegsjahre ist der stark gesunkene Anteil der serbischen Bevölkerung in Kroatien. Wurden in der Volkszählung von 1991 noch 581.663 Serben gezählt (12,16 Prozent), so sank die Zahl bis 2011 auf 186.633 Personen (4,36 Prozent). Dabei handelt es sich zumeist um ältere Menschen, sodass davon auszugehen ist, dass die serbische Bevölkerung in Kroatien in Zukunft noch kleiner werden wird. Flucht, Vertreibung und eventuelle Rückkehr prägten die 1990er Jahre. Eine Bilanzierung der regulären Migration ist daher nicht möglich. Auf der Emigrationsseite stehen die vertriebenen Serben, Personen, die im Rahmen einer beschleunigten Familienzusammenführung Kroatien verließen, oder solche, die aufgrund der schlechten Wirtschaftssituation in den Kriegsjahren dem Land den Rücken kehrten. Auf der Immigrationsseite stehen Flüchtlinge und Zuwanderer aus Bosnien-Herzegowina, Personen, die im Rahmen einer unterstützten Remigration ins unabhängige Kroatien zogen (z. B. Nachkommen kroatischer Arbeitsmigranten, deren ›Rückkehr‹ mit einem Studienstipendium gefördert wurde) oder Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die am Ende ihres Arbeitslebens nach Kroatien zurückkehrten. Mit dem Tod des kroatischen Staatspräsidenten Franjo Tuđman im Jahr 1999 und der nachfolgenden Liberalisierung des Landes kam es zu einem erneuten Wandel der Migrationssituation, auf die im Folgenden eingegangen wird.

Aktuelle Entwicklung der Migration

Bei den aktuellen Migrationsbewegungen sind zwei Aspekte herauszustellen. Erstens hat sich Kroatien wieder zu einem Land mit einem negativen Migrationssaldo entwickelt, die Abwanderung übersteigt also die Zuwanderung. Zweitens fällt bei den Zuwanderungen die Dominanz von kroatischen Staatsangehörigen oder kroatischstämmigen Personen auf. So besaßen von den 8.534 Immigranten im Jahr 2011 4.720 Personen die kroatische Staatsbürgerschaft (55,3 Prozent). Bei den Auswandernden lag der Anteil von Personen mit kroatischer Staatsbürgerschaft bei 75 Prozent (9.518 von 12.699 Personen). 31,7 Prozent der Emigranten zogen nach Bosnien-Herzegowina und 26 Prozent nach Serbien.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Nejašmić (1995), S. 345.

  2. Vgl. Sundhaussen (1999), S. 143; Baučić (1973).

  3. Nejašmić (1995), S. 347; vgl. auch Baučić (1973), S. 56.

  4. Zum Eigennamen: 1945 hieß es zunächst Demokratisches Föderatives Jugoslawien (Demokratska Federativna Jugoslavija), 1946 dann Föderative Volksrepublik Jugoslawien (Federativna Narodna Republika Jugoslavija) und von 1963 bis 1992 Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (Socijalistička Federativna Republika Jugoslavija/SFRJ).

  5. Nejašmić (1995), S. 348.

  6. Vgl. Vernant (1953), S. 100.

  7. Novinšćak (2012), S. 136f.

  8. Roux (1995), S. 42.

  9. Nejašmić (1995), S. 349.

  10. Die Grenze zwischen ›migrieren‹ und ›vertrieben werden‹ ist nicht eindeutig zu ziehen und genau deshalb Quell für andauernde Streitigkeiten bei der Bestimmung des genauen Umfangs von Flucht und Vertreibung.

  11. Vgl. UNHCR (2011), S. 23; vgl. auch: Human Rights Watch (2003), S. 3.

  12. Vgl. UNHCR (2011), S. 26.

  13. Gemeint sind hier jene Personen, respektive Familien, die vor dem Krieg in den unterschiedlichsten Konstellationen sowohl in Kroatien als auch im Ausland gelebt haben (z. B. Eltern arbeiten in Schweden oder Deutschland und die Kinder leben bei Verwandten in Kroatien).

  14. Vgl. für den Fall von im Gesundheitssektor tätigen Personen und dem damit verbundenen Verlust an Humankapital Wiskow (2006), S. 92ff.

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Dr. Pascal Goeke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Zürich.
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