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Hip-Hop und B-Boying – ein kurzer Überblick | Neukölln Unlimited | bpb.de

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Hip-Hop und B-Boying – ein kurzer Überblick

Gabriele Klein

/ 5 Minuten zu lesen

Im Alltag der Protagonisten von „Neukölln Unlimited“ geben Tanz und Musik den Takt an. Damit verbunden werden Selbstbewusstsein, Hoffnungen und Protest. Dieser Artikel gibt einen Überblick zur Geschichte und Bedeutung dieser Jugendkultur. Was haben Breakdance-Battle mit Respekt und Toleranz zu tun?

Junge Männer der Breakdance-Crew "Flying-Steps" trainieren in Berlin für einen Wettkampf. (© picture-alliance/dpa, Stephanie Pilick)

Interner Link: Hip-Hop ist eine Sammelbezeichnung für eine jugend- und popkulturelle Praxis, die sich aus vier verschiedenen ästhetischen Medien zusammensetzt: Rap (Text), DJing (Musik), B-Boying (Tanz, medial bekannt als Breakdance) und Graffiti (Bild). Ähnlich wie andere "schwarze Kulturpraktiken" (z.B. Capoeira, Salsa), aber anders als alle Popkulturen zuvor, hat Hip-Hop Text, Musik, Tanz und Bild miteinander vereint. Historischer Ausgangspunkt des Hip-Hop sind die urban dance parties der 1970er Jahre, bei denen DJs über ihre herkömmliche Rolle als Plattenaufleger hinauswachsen und selbst Musik produzieren, indem sie Platten manuell bewegen und mit Hilfe mehrerer Plattenspieler verschiedene Sounds ineinander mixen. Auf diese Weise gelingt es ihnen, die Musik zu verfremden, die instrumentalen Phasen der Stücke zu verlängern und der Musik die individuelle Note des DJ zu verleihen. Die neuen DJ-Techniken des scratching und mixing provozieren mit B-Boying einen spezifischen Tanzstil, der gekennzeichnet ist durch den permanenten Wechsel von simultanen und sukzessiven Bewegungen. Die Tanztechniken des locking (übertriebene Bewegungen und Gesten, sog. Locks, die an Bewegungen von Marionetten oder Comicfiguren erinnern) und popping (kurze und impulsive Bewegungen, sog. Pops, die den Tanz mechanisch erscheinen lassen) und die power moves (akrobatische Bewegungsfiguren, wie Headspins) machen den Tanz zu einem sportiven und rasanten Spiel mit Körperzentren und -achsen. DJs und Breakdancer (B-Boys) sind schon in diesen Anfängen nicht nur Afroamerikaner, sondern auch US-Einwanderer aus Lateinamerika. Zu ihnen gesellt sich der MC (Master of Ceremony), der die Tänzer über Sprecheinlagen zum Weitermachen motiviert. Als Rap entwickelt sich diese Animationstechnik zu einer eigenständigen kulturellen Praxis.

B-Boying Bilderstrecke

(© picture-alliance, (Mary Evans Picture Library) ) (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library) (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library 2009) (© picture-alliance, Dieter Klar) (© picture-alliance, Peter Steffen) (© Indi Film GmbH, Standbild aus "Neukölln Unlimited") (© picture-alliance/dpa, Stephanie Pilick) (© Indi Film GmbH) (© Indi Film GmbH)

Das rapping selbstgereimter Verse steht in der Tradition des für westafrikanische Kulturen charakteristischen Umgangs mit Rhythmen und Tonsprachen, die in den schwarzen Ghettos Nordamerikas eine eigene Grammatik gefunden haben und von der performance-orientierten Poesie des black arts movement der 1960er und 1970er Jahre ästhetisiert worden sind. Rap ist ein Sprachspiel voller ironischer Übertreibungen, Wortspiele und Slang-Fragmente, bei dem nicht nur rhythmisch gesprochen, sondern auch mit Tempo, Tonhöhe und Klangfarbe gespielt wird. Rapping findet zunächst nur auf der Straße statt, wird dort aber bald akustisch verstärkt durch tragbare Kassettenrecorder, die boombox. Zu diesen informellen, spontanen öffentlichen Darbietungen gesellt sich der Breakdancer, der das rhythmische Sprachspiel des Rappers auf den Körper überträgt.

Etwa zeitgleich mit den neuen Sprach-, Musik- und Tanztechniken entsteht, ebenfalls ausgehend von New York City, die Bildtechnik des Graffiti. Mit der illegalen Kulturpraxis beginnen die jugendlichen Writer sich den öffentlichen Raum symbolisch anzueignen. Aus der anfänglichen Beschriftung mit Namenszeichen (Tags) entwickeln sich dreidimensional gestaltete Schriftzüge und Bilder, die sog. Pieces, die Anfang der 1980er Jahre Eingang in den avantgardistischen Kunstdiskurs und mittlerweile auch als legitimierte Kunstpraxis in Museen und (außer)schulische Bildungskonzepte gefunden haben. Für Jugendliche ist Graffiti als Maltechnik vor allem an – zumeist nächtliche – illegale Aktionen gebunden, in denen sie ihr Dasein innerhalb anonymisierter Stadtlandschaften sichtbar machen. Sie verstehen Graffiti als szenespezifischen Sprachcode, der wie ein Kommunikationsnetz die Stadt durchzieht.

Zur Geschichte des Hip-Hop

Die Interner Link: Anfänge des Hip-Hop liegen zu Beginn der 1970er Jahre in der New Yorker Bronx, als musikalische Vorläufer gelten Ska, Reggae, Gospel und Soul. Hip-Hop verbreitete sich zunächst an der Ost- und Westküste der USA, fand aber seit Mitte der 1980er Jahre durch die Popmusikindustrie eine schnelle Verbreitung vor allem in Europa, Asien und Lateinamerika und konnte sich über diese Kommerzialisierung der Rap-Musik zu einer der stärksten und langlebigsten Popkulturen entwickeln. Trotz der weltweiten Vermarktung der Musik, der Mode und eines bestimmten Lebensstilmusters blieb Hip-Hop aber immer auch eine Subkultur, die sich in den Nischen urbaner Räume herausbildete.

Mit seiner globalen Verbreitung seit den 1980er Jahren erfuhr Hip-Hop eine Anzahl von Dekontextualisierungsschüben und lokale Übersetzungen: der schwarze Hip-Hop US-Amerikas etablierte sich in Europa zunächst als Kopie US-amerikanischer Stile, verankerte sich aber auch hier vor allem in ethnischen Minderheitenkulturen (so bei algerischen Jugendlichen in Paris oder bei türkischen Jugendlichen in Berlin), allerdings auch in mittelständisch-akademischen Milieus (z.B. Hamburg-Eimsbüttel). Die Rap-Texte veränderten sich entsprechend der sozialen Situation und passten sich auch hinsichtlich des sprachlichen Gestus den jeweiligen kulturellen Kontexten an. Wurden beispielsweise in Deutschland zunächst US-amerikanische Rapstile kopiert und die Texte in englischer Sprache vorgetragen, so wird in Deutschland mittlerweile fast nur noch in deutscher oder auch in türkischer Sprache "gerappt". Ähnlich veränderten sich im Zuge neuer kultureller Kontexte die Bildästhetik des Graffiti und die Tanzfiguren des Breakdance. Hip-Hop lässt sich heute als eine Jugend- und Popkultur charakterisieren, die sich im Spannungsfeld von Globalität und Lokalität entfaltet. Der durch Kulturindustrien bedingten Globalisierung und Kommerzialisierung von Popkultur steht die Bildung kleiner voneinander unterscheidbarer lokaler Einheiten und lokaler Identitäten gegenüber. Aber wie diese symbolisiert auch Hip-Hop die für die Konstitution von Popkulturen seit den 1960er Jahren so typische Kommerzialisierung, die sich über eine Absorbierung schwarzer Musik- und Tanzstile durch kulturindustrielle Vermarktungsstrategien vollzieht. Hip-Hop ist von daher auch ein Beispiel für eine hybride Kulturpraxis, bei der sich US-amerikanische mit anderen kulturellen Traditionen vermischen, Elemente von schwarzen und weißen Kulturen auftreten und in verschiedenen lokalen Räumen eine sehr spezifische Ausformung gefunden haben.

Die kulturelle Praxis des Hip-Hop

Hip-Hop ist eine urbane Kultur, die in städtischen Metropolen entstanden ist und sich weltweit auch hier etabliert hat. Die ästhetischen Impulse und die Arten der Körperverwendung sind eine Antwort auf die Erfahrungen urbanen Lebens in postindustriellen Gesellschaften. Zugleich thematisiert und inszeniert Hip-Hop wie keine andere zeitgenössische Jugendkultur Ethnizität als einen zentralen Bestandteil kultureller Praxis. Hip-Hop ist zwar mittlerweile die weltweit stärkste Popkultur, aber sie ist in ihren jeweiligen lokalen Kontexten vor allem eine Jugend- und Popkultur von Migrantinnen und Migranten – und hierin unterscheidet sie sich wesentlich z.B. von der Techno-Szene der 1990er Jahre. Hip-Hop ist der Prototyp einer wertkonservativen, männlich strukturierten, heteronormativen, traditionellen Vergemeinschaftung. Respekt vor Tradition und Autoritäten, Leistung, Fairness und Männlichkeit prägen den Wertekanon des Hip-Hop. Es gibt zwar einige Frauen, die im Hip-Hop erfolgreich sind und "Respekt" und "Fame" haben, aber grundsätzlich ändert dies an der patriarchal geprägten Kultur wenig: Frauen sind vor allem "chicks" und wenige sind "queens". Hip-Hop ist eine theatrale Kultur, sie wird aufgeführt: Begrüßungen, Respektbekundungen, Interaktionsrituale oder das verabredete gemeinsame Nichts-Tun, das Chillen, werden inszeniert. In den Aufführungen aktualisiert sich die Weltsicht der Szenemitglieder, nach der "echter" Hip-Hop nicht kategorial beschrieben, sondern nur gefühlt werden könne. Die Aufführungen dienen der Essenzialisierung des Lebensgefühls Hip-Hop.

Life-Performances bei Jams und Battles (Vortragen eines Rap-Stückes, eine Tanzeinlage oder das Djing) sind die zentrale theatrale Inszenierungsform des Hip-Hop: Hier setzen sich Hip-Hop-Aktivistinnen und -Aktivisten in Szene, ist doch, anders als bei anderen Popkulturen, ihr sozialer Status das Ergebnis ihrer szenespezifischen Aktivitäten und "Leistungen". Hip-Hop ist "real", wenn er gelebt wird – und das heißt in der Hip-Hop-Szene auch immer, etwas in den Feldern des Hip-Hop (Graffiti, Breakdance, Rap, Djing) zu tun. In einem permanenten Wettbewerb gilt es, durch einen individuellen Stil (Style) und ein hohes Niveau (Skills) Anerkennung zu erhalten. Im Unterschied zur medialen Performance der Videoclips wird in der Life-Performance körperlich-sinnlich erfahrbar, was Hip-Hop ist: Eine Kultur, die sich im Spannungsfeld von Globalisierung und Lokalisierung, von Kommerz und Subkultur, von Mainstream und Avantgarde erfolgreich immer wieder aktualisiert hat.

Der Text ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung der Publikation in: Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 12, Hanf-Hurr: Leipzig 2006, S. 492-493.

ist Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg und Autorin des Buches „Is this real? Die Kultur des HipHop, 4. Aufl. 2011, Suhrkamp-Verlag (mit Malte Friedrich)