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Migrationspolitik – Mai 2024 | Migrationspolitik – Monatsrückblick | bpb.de

Migrationspolitik – Monatsrückblick Juni 2024 Migrationspolitik – Mai 2024

Migrationspolitik – Mai 2024

Vera Hanewinkel

/ 8 Minuten zu lesen

Im Gazastreifen sind weiterhin hunderttausende Menschen auf der Flucht. Weltweit gibt es immer mehr Binnenvertriebene. Die Zahl der Einbürgerungen in Deutschland hat 2023 ein Rekordhoch erreicht.

Palästinensische Familien, die in einem Lagerhaus des UNRWA untergebracht waren, fliehen nach einem Angriff auf die Region al-Mawasi in Rafah in andere Gebiete (29.05.2024). (© picture-alliance, Anadolu | Ashraf Amra)

Das behalten wir im Blick: Flucht und Vertreibung im Gazastreifen

Im Gazastreifen gibt es weiterhin rund 1,7 Millionen Binnenvertriebene aufgrund des Interner Link: Krieges zwischen Israels Armee und der radikalislamischen Terrormiliz Hamas. Das entspricht 75 Prozent der Bevölkerung des Küstenstreifens. Zentrum des Fluchtgeschehens ist derzeit das Gebiet rund um die Stadt Rafah nahe der ägyptischen Grenze. Von dort sollen bis Anfang Juni mehr als eine Million Menschen geflohen sein, die dort ursprünglich Schutz vor den Kämpfen gesucht hatten. Israel rückt seit Anfang Mai am Boden und aus der Luft auf Rafah vor, wo es die letzten verbliebenen Bataillone der Terrormiliz Hamas vermutet. Die Hamas feuerte Ende Mai erneut Raketen auf Tel Aviv.

Die vor der israelischen Bodenoffensive aus Rafah geflüchteten Menschen suchen nun in anderen Gebieten im südlichen Gazastreifen Schutz, etwa in dem von Israel als „humanitäre Zone“ ausgewiesenen Gebiet rund um das am Mittelmeer gelegene Dorf Al-Mawasi. Diese Gebiete sind aber, wie etwa die Stadt Chan Junis, weitgehend zerstört. Über den Grenzübergang Rafah, der für die humanitäre Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wichtig ist, gelangten im Mai aufgrund der Kämpfe kaum noch Hilfslieferungen in das Kriegsgebiet. Das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hat Anfang Juni die Lebensmittelverteilung und Gesundheitsversorgung in Rafah eingestellt und den Schwerpunkt seiner Aktivitäten nach Chan Junis und in den zentralen Gazastreifen verlagert. Die Vereinten Nationen schätzen, Externer Link: dass im Gazastreifen 1,1 Millionen Menschen von katastrophaler Ernährungsunsicherheit betroffen sind.

Wegen der Angriffe auf Rafah steht Israel international in der Kritik, weil die halbwegs intakte Stadt als einer der letzten Zufluchtsorte für hunderttausende Menschen im Gazastreifen galt. Im Mai hat der Chefankläger des Interner Link: Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag, Karim Khan, Externer Link: Haftbefehle sowohl gegen drei Hamas-Führer – Yahya Sinwar, Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri und Ismail Haniyeh – als auch gegen Israels Premierminister Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt. Den Hamas-Führern werden insbesondere Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen, Folter und Ausrottung vorgeworfen. Netanyahu und Gallant wirft der Chefankläger unter anderem gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung und den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe vor. Der IStGH ermittelt ausschließlich gegen Einzelpersonen, nicht gegen Staaten. Israel erkennt den Gerichtshof nicht an, ebenso wie die USA, Russland und China.

In der letzten Maiwoche gab der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag einem Eilantrag Südafrikas teilweise statt und Externer Link: forderte Israel auf, die Militäroffensive auf Rafah unverzüglich einzustellen, bei der den Palästinenser:innen im Gazastreifen „Lebensbedingungen auferlegt werden könnten, die ihre physische Zerstörung ganz oder teilweise herbeiführen könnten“. Die Entscheidung des Gerichts steht im Zusammenhang mit der Klage Südafrikas vom Interner Link: Dezember 2023 und dem darin erhobenen Vorwurf, Israel verstoße gegen die UN-Völkermordkonvention. Zwar sind die Entscheidungen des IGH bindend, die Richter:innen des Weltgerichts können eine Umsetzung aber nicht erzwingen. Israel weist die Vorwürfe zurück und hält auch an der Offensive in Rafah fest. Am 10. Juni 2024 Externer Link: verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die auf eine umfassende Waffenruhe abzielt.

Bislang sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen Externer Link: mehr als 37.000 Palästinenser:innen getötet und über 85.000 verletzt worden (Stand 19. Juni 2024). Israels Behörden meldeten seit Beginn der Bodenoffensive im Gazastreifen 310 getötete und mehr als 1.900 verletzte Soldat:innen. Zudem befänden sich weiterhin 120 Geiseln in der Gewalt der Hamas. Bei dem am 7. Oktober 2023 verübten Interner Link: Massaker der Hamas in Israel wurden mehr als 1.200 Menschen getötet und mehr als 240 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.

Zahl der Einbürgerungen erreicht neuen Höchststand

2023 haben sich in Deutschland rund 200.100 ausländische Staatsangehörige einbürgern lassen. Das ist die größte Zahl seit der Jahrtausendwende, Externer Link: wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Mehr als ein Drittel der Einbürgerungen (38 Prozent) gingen dabei auf vormals syrische Staatsangehörige zurück. Bereits seit einigen Jahren steigt die Zahl der Syrer:innen, die sich in Deutschland einbürgern lassen, weil immer mehr der 2014 bis 2016 nach Deutschland geflüchteten Menschen aus Syrien die Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erfüllen. Weitere große Gruppen Neueingebürgerter waren 2023 Eingewanderte aus der Türkei, Irak, Rumänien und Afghanistan. Staatsangehörige dieser fünf Länder machten zusammen mehr als die Hälfte (56 Prozent) aller Einbürgerungen aus. Die Eingebürgerten waren mit durchschnittlich 29,3 Jahren deutlich jünger als die Gesamtbevölkerung (44,6 Jahre). 55 Prozent der Eingebürgerten waren männlich. Die durchschnittliche Aufenthaltszeit in Deutschland belief sich auf 10,9 Jahre. Da die Einbürgerungen vor der Interner Link: Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die zum 27. Juni 2024 in Kraft tritt, stattfanden, war in vielen Fällen die Abgabe der alten Staatsangehörigkeit Voraussetzung für den deutschen Pass. Dabei bestand in 80,9 Prozent der Fälle die alte Staatsangehörigkeit fort, etwa, weil das Herkunftsland nicht aus der Staatsangehörigkeit entlässt.

Weltweit immer mehr Binnenvertriebene

Die Zahl der Menschen, die innerhalb ihrer Länder auf der Flucht sind, ist 2023 auf einen neuen Höchstwert gestiegen. Das Externer Link: teilte die internationale Beobachtungsstelle für Binnenvertreibungen (International Displacement Monitoring Center, IDMC) mit. Demnach gab es Ende 2023 weltweit 75,9 Millionen Interner Link: Binnenvertriebene (51 Prozent mehr als noch Ende 2019). Davon waren 68,3 Millionen aufgrund von Konflikten und Gewalt vertrieben worden, 7,7 Millionen waren vor Naturkatastrophen geflohen. Die meisten aufgrund von Gewalt vertriebenen Binnenflüchtlinge gab es im Interner Link: Sudan (9,1 Millionen), in Interner Link: Syrien (7,2 Millionen) und in der Interner Link: Demokratischen Republik Kongo (6,7 Millionen). Die meisten Katastrophenvertriebenen zählte IDMC in Afghanistan (1,5 Millionen), Pakistan (1,2 Millionen) und Äthiopien (881.000). Insgesamt gab es weltweit in 116 Ländern Binnenvertriebene. Von Vertreibungen infolge von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder Waldbränden sind dabei auch reiche Länder betroffen – etwa die USA, wo über das vergangene Jahr 202.000 katastrophenbedingte Vertreibungen erfasst wurden. Im Unterschied zu konfliktbedingten Vertreibungssituationen kehren viele Menschen, die vor Naturkatastrophen ausweichen, schnell wieder an ihre Wohnorte zurück.

EU beschließt umfassende Unterstützung für den Libanon im Gegenzug für Migrationskontrolle

Die Europäische Union (EU) und der Libanon haben Anfang Mai eine engere Zusammenarbeit Externer Link: vereinbart, die auch den Bereich der Migration umfasst. Bis 2027 hat die EU eine Milliarde Euro an Finanzhilfen zugesagt, darunter insbesondere Investitionen zur Stärkung der sozio-ökonomischen Stabilität (etwa für Bildung, Gesundheit, Banken- und Finanzwesen). Zugleich wurde vereinbart, dass der Libanonmehr gegen die Weiterreise von Menschen in Richtung Europa unternehmen soll. Im Gegenzug sagte die EU dem Land unter anderem Unterstützung bei der Rückführung von Geflüchteten und Migrant:innen in ihre Herkunftsländer zu und versprach, legale Wege nach Europa offen zu halten und einige der im Libanon lebende Flüchtlinge in die EU umzusiedeln.

Kein anderer souveräner Staat hat gemessen an seiner Bevölkerungszahl so viele Schutzsuchende aufgenommen wie der Interner Link: Libanon. Mitte 2023 Externer Link: war eine von sieben im Libanon lebenden Personen ein Flüchtling. Die meisten Flüchtlinge kommen aus dem Bürgerkriegsland Syrien, das an den Libanon grenzt. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk waren Ende Mai 2024 Externer Link: knapp 780.000 syrische Flüchtlinge im Libanon registriert. Hinzu kommen geflüchtete Syrer:innen, die illegal im Land leben, Externer Link: weil sie keinen Zugang zu einem legalen Aufenthaltsstatus haben. Die libanesische Regierung Externer Link: schätzt die Gesamtzahl der im Land lebenden Syrer:innen auf 1,5 Millionen. Die meisten von ihnen leben in extremer Armut. Regelmäßig gibt es Berichte über massenhafte Festnahmen und Abschiebungen von Syrer:innen, Externer Link: obwohl ihnen in Syrien zum Teil schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen.

Geldüberweisungen in Herkunftsländer steigen weltweit an

In ihrem Externer Link: Weltmigrationsbericht 2024 hat die Interner Link: Internationale Organisation für Migration (IOM) einen starken Anstieg der internationalen Rücküberweisungen festgestellt. Damit sind Gelder gemeint, die Migrant:innen an im Herkunftsland verbliebene Familienangehörige und Bekannte schicken. Die Summe der Rücküberweisungen ist von 128 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 831 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 angestiegen. Davon flossen 647 Milliarden US-Dollar in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, wo sie einen erheblichen Teil des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachen können. Die Höhe der Rücküberweisungen übertrifft das Volumen ausländischer Direktinvestitionen in diesen Ländern ebenso wie die internationale Entwicklungshilfe. Der Bericht unterstreicht, dass internationale Migration eine treibende Kraft für das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern darstellt.

Der Weltmigrationsbericht zeigt auch: Mobilitätsmöglichkeiten sind ungleich verteilt. Menschen aus reicheren Ländern haben leichteren Zugang zu Visa – und damit legaler Migration – als Menschen aus ärmeren Ländern. Damit sind sie auch stärker vor Ausbeutung, Verhaftung und Abschiebung geschützt. 16 der 20 Hauptherkunftsländer internationaler Migrant:innen waren 2020 Länder mit hohem oder sehr hohem Interner Link: Human Development Index (HDI). Insgesamt stammten 76 Millionen Migrant:innen weltweit aus Ländern mit sehr hohem HDI und weitere 86 Millionen aus Ländern mit hohem HDI. Damit kamen weltweit fast vier von fünf internationalen Migrant:innen aus Staaten mit hoher bzw. sehr hoher menschlicher Entwicklung. Insgesamt hat die Migration aus Ländern mit hohem und sehr hohem HDI seit 1995 signifikant zugenommen. Die Mobilitätsmöglichkeiten für Menschen aus Staaten mit niedrigem HDI haben hingegen seither immer weiter abgenommen.

Was vom Monat übrig blieb…

Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland ist gestiegen. Das geht aus einer Externer Link: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Gruppe Die Linke im Bundestag hervor. Demnach wurden im ersten Quartal 2024 insgesamt 4.791 Abschiebungen vollzogen – rund 34 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, als 3.566 ausländische Staatsangehörige abgeschoben worden waren. Im Gesamtjahr 2023 wurden 16.430 Menschen aus Deutschland abgeschoben (2022: 12.945, 2021: 11.982).

Weniger Kommunen als noch im Herbst sehen sich von der Aufnahme von Schutzsuchenden überlastet. Das hat eine Externer Link: Studie der Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim und des Mediendienstes Integration ergeben. Von knapp 800 befragten Kommunen gaben 22,9 Prozent an, überlastet zu sein – im Oktober 2023 lag dieser Anteil noch bei 40,4 Prozent. 71,2 Prozent schätzten ihre Situation als „herausfordernd, aber (noch) machbar ein“, 5,9 Prozent gaben an, die Flüchtlingsaufnahme ohne größere Schwierigkeiten zu bewältigen. Zur Verbesserung der Situation hätten nachlassende Zuzüge von Asylsuchenden und der Ausbau der Aufnahmekapazitäten beigetragen, so die Forscher:innen. Neben der Unterbringung nennen die Kommunen vor allem die Ausländerbehörden und die Kindertagesstätten als stark ausgelastete Bereiche.

Die Bevölkerung der EU wird auch bei anhaltender Nettozuwanderung auf dem jetzigen Niveau von jährlich 1,2 Millionen Menschen bis 2070 um fast 20 Millionen auf 432,2 Millionen Menschen sinken. Dies geht aus Externer Link: Vorausberechnungen auf Grundlage von Daten des europäischen Statistikamtes Eurostat hervor. Vom Bevölkerungsrückgang sind den Projektionen zufolge vor allem die ost- und südeuropäischen Mitgliedstaaten betroffen. Die Bevölkerung in Deutschland würde den Berechnungen zufolge nur leicht um 0,4 Prozent sinken.

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Vera Hanewinkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.