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Migrationspolitik - Juli 2023 | Migrationspolitik – Monatsrückblick | bpb.de

Migrationspolitik – Monatsrückblick Juni 2024 Migrationspolitik – Mai 2024

Migrationspolitik - Juli 2023

Vera Hanewinkel

/ 11 Minuten zu lesen

Die Zahl der Asylanträge in Deutschland steigt. Eine Studie beleuchtet die Integration ukrainischer Kriegsflüchtlinge. Die EU und Tunesien wollen in Migrationsfragen enger zusammenarbeiten.

Mehr Geld für weniger Migration: Bei einem Besuch am 16. Juli 2023 in Tunis besiegeln (von links) der niederländische Premierminister Mark Rutte, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der tunesische Präsident Kais Saied und die italienische Premierministerin Giorgia Meloni ein Abkommen, das neben wirtschaftlicher Unterstützung für Tunesien die Verringerung illegaler Migration in die EU vorsieht. (© picture-alliance, ANP)

Weniger Fluchtzuwanderung nach Deutschland – trotz steigender Asylantragszahlen

In den ersten sieben Monaten des Jahres sind weniger Schutzsuchenden nach Deutschland gekommen als im Vorjahreszeitraum. Dies liegt insbesondere an einer niedrigeren Zahl von neuankommenden Interner Link: Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Die Zahl der Asylanträge von Menschen, die aus anderen Staaten vor Krieg, Gewalt und Verfolgung nach Deutschland geflüchtet sind, ist hingegen gestiegen.

So wurden in Deutschland im Zeitraum Januar bis Juli 2023 Externer Link: 175.272 Erstanträge auf Asyl gestellt – 78,1 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum (Januar bis Juli 2022: 98.395). In dieser Zahl enthalten sind 13.808 Asylanträge von in Deutschland geborenen Kindern im Alter von unter einem Jahr. Unter den Erstantragstellenden dominierten junge männliche Personen: 71,5 Prozent der Asylantragstellenden waren jünger als 30 Jahre, 71,4 Prozent waren männlich. Die meisten Erstantragstellenden kamen aus Interner Link: Syrien, Interner Link: Afghanistan und der Interner Link: Türkei. Neben den Erstanträgen wurden in den ersten sieben Monaten des laufenden Jahres 13.695 Folgeanträge auf Asyl gestellt und damit etwas weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (Januar bis Juli 2023: 14.776).

Im laufenden Jahr hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 153.912 Entscheidungen über Asylanträge getroffen. In 79.503 Fällen gewährte die Asylbehörde einen Interner Link: Schutzstatus. Damit belief sich die Gesamtschutzquote auf 51,7 Prozent und lag etwas niedriger als im Vorjahreszeitraum (54,5 Prozent). Ende Juli 2023 waren 182.992 Asylverfahren anhängig: eine Entscheidung über die entsprechenden Anträge auf Asyl stand noch aus. Die Zahl der anhängigen Asylverfahren ist gegenüber dem Vorjahresmonat deutlich gestiegen (Juli 2022: 101.452).

Geflüchtete aus der Ukraine müssen in Deutschland kein Asylverfahren durchlaufen, um einen Schutzstatus zu erhalten. Stattdessen gewährt ihnen die EU-Richtlinie für temporären Schutz (Interner Link: sogenannte Massenzustromrichtlinie) vergleichsweise unbürokratisch ein befristetes Aufenthaltsrecht, welches auch den Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Bildungs- und Gesundheitssystem sowie zum Interner Link: Bürgergeld beinhaltet. War die Zahl der nach Deutschland geflohenen Menschen aus der Ukraine in den ersten Monaten nach Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022 stark gestiegen, nahm sie ab Sommer 2022 nur noch leicht zu. So lebten im Juli 2022 laut Ausländerzentralregister rund 941.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland, zum Jahresende 2022 gut 1.045.000 und im Juli 2023 1.082.000.

Studie zur Integration ukrainischer Kriegsflüchtlinge

Immer mehr nach Deutschland geflohene Ukrainer:innen leben in privaten Wohnverhältnissen und besuchen Sprach- und Integrationskurse. Die Integration in den Arbeitsmarkt schreitet nur langsam voran. Zu Externer Link: diesen Ergebnissen kommt die zweite Erhebungswelle der Externer Link: Studie „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland“, die zwischen Januar und März 2023 vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), dem Forschungszentrum des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) durchgeführt wurde.

Die Wohnverhältnisse haben sich im Vergleich zur ersten Befragung zwischen August und Oktober 2022 verbessert: So stieg Anfang 2023 der Anteil der ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die in privaten Wohnungen oder Häusern leben statt in Gemeinschaftsunterkünften oder Unterkünften wie Hotels und Pensionen auf 79 Prozent (vorher: 74 Prozent).

Der Anteil von erwerbfähigen Geflüchteten ist zwischen den beiden Erhebungswellen nur geringfügig gestiegen. Waren es bei der ersten Befragung noch 17 Prozent gingen Anfang 2023 18 Prozent der erwerbsfähigen ukrainischen Kriegsflüchtlinge einer Erwerbstätigkeit nach. Davon arbeiteten 39 Prozent in Vollzeit, 36 Prozent in Teilzeit und 18 Prozent waren geringfügig beschäftigt. Der Anstieg der Erwerbstätigkeit geht vor allem auf geflüchtete Ukrainerinnen zurück: Der Anteil der erwerbstätigen Frauen stieg von 15 auf 17 Prozent, der Anteil der Männer lag erneut bei 22 Prozent. Der Externer Link: monatliche Verdienst der vollzeitbeschäftigten ukrainischen Geflüchteten lag mit 2.550 Euro fast 1.000 Euro unter dem durchschnittlichen Verdienst aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland. Viele Geflüchtete arbeiten in Berufen, für die sie formal überqualifiziert sind.

Ein Großteil der Geflüchteten besuchte zum Befragungszeitpunkt noch Sprach- und Integrationskurse und stand dem Arbeitsmarkt damit (noch) nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung. Insgesamt hatten drei Viertel der Befragten einen Sprachkurs besucht oder abgeschlossen und damit mehr als zum Zeitpunkt der ersten Befragung (51 Prozent). Gute bis sehr gute Deutschkenntnisse hatten nach eigener Einschätzung der Befragten nur wenige, auch wenn sich ihr Anteil im Vergleich zum Spätsommer 2023 auf acht Prozent verdoppelt hat. Knapp zwei von drei Befragten gaben an, „gar nicht“ oder „eher schlecht“ Deutsch zu sprechen – allerdings hat sich der Anteil derjenigen, die angaben, gar keine Deutschkenntnisse zu haben, mehr als halbiert (von 41 auf 18 Prozent). Eine Hürde für den Spracherwerb sind Kinderbetreuungspflichten. Zum Befragungszeitpunkt waren 58 Prozent der drei- bis sechsjährigen ukrainischen Flüchtlingskinder in einer Kindertagesbetreuung untergebracht.

44 Prozent der ukrainischen Kriegsflüchtlinge wollen längerfristig (für einige Jahre oder sogar für immer) in Deutschland bleiben. Ihr Anteil ist damit im Vergleich zur ersten Erhebung um fünf Prozentpunkte gestiegen. 38 Prozent beabsichtigen eine vollständige Rückkehr in die Ukraine. Insbesondere Geflüchtete, deren Partner:in nicht mit ihnen nach Deutschland gekommen ist, geben seltener an, für immer in Deutschland bleiben zu wollen. Hingegen erhöhen eine Erwerbstätigkeit oder Ausbildung, Deutschkenntnisse, Kontakte zu Deutschen sowie die Unterbringung in privaten Wohnungen oder Häusern (statt z.B. in Gemeinschaftsunterkünften) die Neigung, in Deutschland bleiben zu wollen.

An der als repräsentative Längsschnittstudie angelegten Befragung nahmen im Zeitraum Januar bis Anfang März 2023 6.754 nach Kriegsausbruch 2022 nach Deutschland geflüchtete Ukrainer:innen teil, von denen 6.581 zum Befragungszeitpunkt immer noch in Deutschland lebten. Etwas mehr als 80 Prozent davon waren Frauen; das Durchschnittsalter betrug knapp 40 Jahre.

Mehrheit der Inhaber einer Blauen Karte EU auch nach fünf Jahren noch in Deutschland

Der Großteil der ausländischen Fachkräfte, die zwischen 2012 und 2017 eine Interner Link: Blaue Karte EU erhalten haben, lebten auch fünf Jahre später noch in Deutschland. Externer Link: Das teilte das Statistische Bundesamt mit. Demnach hatten im genannten Zeitraum gut 68.900 Personen eine Blaue Karte EU erhalten, welche akademisch ausgebildeten Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten die Zuwanderung nach Deutschland ermöglicht. Fünf Jahre später hielten sich 83 Prozent von ihnen immer noch in Deutschland auf. Ihre Verbleibsquote war damit höher als die Interner Link: internationaler Studierender (55 Prozent). Die meisten Inhaber:innen der Blauen Karte waren fünf Jahre nach deren Erhalt im Besitz einer unbefristeten Niederlassungserlaubnis (59,9 Prozent); 11,3 Prozent hatten sich einbürgern lassen. Insgesamt erhielten in den zehn Jahren seit der Einführung der Blauen Karte 2012 fast 200.000 Personen einen solchen Aufenthaltstitel.

Im Zuge der Interner Link: im Juni 2023 durch den Bundestag beschlossenen Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wurde das Mindestgehalt, welches ausländische Fachkräfte erwirtschaften müssen, um in Deutschland eine Blaue Karte erhalten zu können, weiter abgesenkt. Die Bundesregierung hofft, durch solche Maßnahmen mehr qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland gewinnen zu können, um dem Interner Link: Fachkräftemangel in Deutschland entgegenwirken zu können. Wirtschaftsexpert:innen und Externer Link: dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge müssten jährlich netto 400.000 ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland kommen – und auch langfristig hier verbleiben –, um das Arbeitskräftepotenzial stabil halten zu können.

Studien wie die Externer Link: OECD Indicators of Talent Attractiveness zeigen jedoch, dass Deutschland für ausländische Fachkräfte – insbesondere solche mit Universitätsabschluss – nur mäßig attraktiv ist. Von Befragten werden die vergleichsweise hohe Steuerlast für Topverdiener:innen, Versäumnisse bei der Digitalisierung (u.a. in Visaverfahren), schlechte Zukunftsaussichten mit Blick auf die Möglichkeiten zur Einbürgerung, eine hohe Rate an ausländischen Arbeitskräften, denen es nicht gelingt, einen ihren Qualifikationen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, sowie die mangelnde Akzeptanz von Migrant:innen in der Gesellschaft als Gründe für die mäßige Attraktivität Deutschlands als Zielland angegeben. Angesichts des wachsenden Zuspruchs für die Interner Link: AfD, die Deutschland gegenüber vielen Formen von Migration abschotten will, dürfte nach Externer Link: Einschätzungen von Expert:innen wie Ulrike Malmendier, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“), die Attraktivität für ausländische Fachkräfte weiter abnehmen.

EU und Tunesien unterzeichnen Erklärung zur Kooperation in Migrationsfragen

Die EU und Tunesien wollen in Migrationsfragen enger kooperieren. Im Juli schlossen sie deshalb eine Externer Link: Vereinbarung (Memorandum of Understanding) für eine strategische und umfassende Partnerschaft. Diese sieht sowohl einen Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen vor als auch eine Zusammenarbeit zur Verringerung irregulärer Migration. Dabei stellt die EU mehr legale Migrationsmöglichkeiten für tunesische Staatsangehörige in Aussicht, beispielsweise durch Bildungs- und Ausbildungsprogramme für Jugendliche (z.B. Erasmus+), saisonale Arbeitsmigration, eine Talentpartnerschaft für (hoch-)qualifizierte Arbeitskräfte sowie Visaerleichterungen.

Im Gegenzug verspricht Tunesien, irreguläre Migration zu unterbinden – beispielsweise durch eine bessere Überwachung seiner Grenzen, die Bekämpfung von Schleusung und Menschenhandel, die Entwicklung eines Systems zur Identifizierung von Migrant:innen sowie zur Rückführung von Menschen, die sich unerlaubt in Tunesien aufhalten. Zudem sagt das Land die Rücknahme eigener Staatsangehöriger ohne Aufenthaltsrecht in der EU zu. Koordinierungsbemühungen soll es auch mit Blick auf Such- und Rettungsmissionen im Mittelmeer geben. Dazu will die EU die tunesische Küstenwache finanziell und technisch aufrüsten und ihre Ausbildung fördern – ähnlich, wie sie dies bereits im benachbarten Libyen praktiziert. Ebenso wie das Nachbarland ist Tunesien ein wichtiges Transitland für Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. Im Vorfeld des Memorandum of Understanding hatte die EU Tunesien Externer Link: rund 105 Millionen Euro für Maßnahmen zur Reduzierung von irregulärer Migration in Richtung EU in Aussicht gestellt.

Menschenrechtsorganisationen, Migrationsforschende, aber auch Abgeordnete im EU-Parlament und die Menschenrechtskommissarin des Europarates kritisierten die Vereinbarung mit Tunesien vor dem Hintergrund von Menschenrechtsverletzungen und rassistischer Gewalt gegen Migrant:innen im Land.

Wenige Tage vor der Unterzeichnung der Absichtserklärung war es im Kontext der Tötung eines 41-jährigen Tunesiers in der Hafenstadt Sfax zu Auseinandersetzungen zwischen Bewohner:innen und Migrant:innen gekommen. Hunderte Migrant:innen flohen daraufhin in die Wüste oder wurden dorthin vertrieben. Nahe der libyschen Grenze harrten sie fast eine Woche ohne Wasser und Nahrung aus, bis der tunesische Rote Halbmond die Erlaubnis erhielt, die Menschen zu versorgen. Fast 200 weitere Migrant:innen wurden von libyschen Behörden aus der Wüste gerettet, nach Libyen gebracht und von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) versorgt. Sie berichteten, von tunesischen Sicherheitskräften in die Wüste gebracht und dort ausgesetzt worden zu sein.

In der ersten Augustwoche wurden nach Angaben der libyschen Regierung zudem 27 Leichen von Migrant:innen aus dem tunesisch-libyschen Grenzgebiet geborgen. Gesicherte Informationen darüber, wie viele Menschen sich tatsächlich im Grenzgebiet aufgehalten haben, ob die bekannten Todesfälle zu den vertriebenen Migrant:innen gehören und ob es weitere Todesfälle gab, liegen nicht vor.

Tunesiens Innenminister Kamel Fekih bestätigte Anfang August zwar, dass kleinere Gruppen von Migrant:innen aus Subsahara Afrika in die Wüste zurückgedrängt worden seien, widersprach aber Externer Link: Vorwürfen der Vereinten Nationen, völkerrechtswidrige kollektive Abschiebungen ohne Prüfung des Einzelfalls durchzuführen. Tunesien und Libyen einigten sich zuletzt auf die Aufnahme und Versorgung von 276 Menschen aus Subsahara-Afrika, die im Grenzgebiet beider Länder gestrandet waren: Tunesien übernahm 126 Migrant:innen, Libyen 150.

In Tunesien ist die Gewalt gegen Migrant:innen aus Ländern südlich der Sahara seit Interner Link: rassistischen Äußerungen von Tunesiens Präsident Saied im Februar 2023 deutlich gestiegen. Im Kontext einer durch die Corona-Pandemie verstärkten Wirtschaftskrise hat sich das Land seit Sommer 2022 zum wichtigsten nordafrikanischen Transitland von Migrant:innen entwickelt, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 sind einer auf Behördenangaben beruhenden Externer Link: Statistik der Nichtregierungsorganisation Forum tunesien pour les droits économiques et sociaux (FTDES) zufolge mehr als 30.000 von ihnen von der tunesischen Küstenwache aufgegriffen worden. Im gleichen Zeitraum starben mehr als 900 Menschen vor der tunesischen Küste oder werden seitdem vermisst. Insgesamt sind Externer Link: laut IOM auf dem zentralen Mittelmeer 2023 bereits mehr als 1.800 Migrant:innen ums Leben gekommen oder werden vermisst (Stand: 7. August).

Keine Einigung auf weitere Schritte zur Reform der EU-Asylpolitik

Den EU-Innenminister:innen ist es im Juni nicht gelungen, sich auf weitere Schritte zur Interner Link: Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zu einigen. Ein Externer Link: Treffen im spanischen Logroño am 20. Juni blieb weitgehend ergebnislos. Beraten wurde unter anderem über die sogenannte Externer Link: Krisenmanagementverordnung. Sie ermöglicht es den EU-Mitgliedstaaten, im Falle eines tatsächlich oder potenziell auftretenden „Massenzustroms von irregulär in einem Mitgliedstaat eintreffenden Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen“ von den normalerweise geltenden Regelungen im Bereich des Asyl- und Migrationsmanagements abzuweichen. Beispielsweise erlaubt es die Verordnung, Fristen für die Registrierung von Asylsuchenden und die Durchführung von Asyl- und Rückführungsverfahren an den Grenzen zu verlängern. Dies soll auch in Situationen höherer Gewalt gelten – etwa die der Covid-19-Pandemie.

Ende Juni 2023 hatte die schwedische Ratspräsidentschaft zudem einen Externer Link: Kompromissvorschlag eingebracht, der nun auch auf Situationen der Instrumentalisierung von Migrant:innen eingeht. Demzufolge sollen die Mitgliedstaaten auch dann von Verfahrens- und Versorgungsstandards abweichen dürfen, wenn „ein Drittstaat oder ein nichtstaatlicher Akteur die Bewegung von Drittstaatsangehörigen an die Außengrenzen oder in einen Mitgliedstaat unterstützt oder erleichtert mit dem Ziel, die Union oder einen Mitgliedstaat zu destabilisieren“.

Im Dezember 2022 hatten sich die EU-Innenminister:innen nicht auf eine separate sogenannte Externer Link: Instrumentalisierungsverordnung einigen können, welche die EU-Kommission ein Jahr zuvor infolge eines Interner Link: hohen Migrationsaufkommens an Polens Grenze mit Belarus vorgeschlagen hatte. Der schwedische Kompromissvorschlag für eine Krisenmanagementverordnung greift zentrale Aspekte dieser Verordnung wieder auf und kommt damit Forderungen Polens und der baltischen Staaten entgegen. Sie wollen in Situationen einer Instrumentalisierung von Migration Asylsuchende ohne Prüfung des Einzelfalls nach Belarus zurückschieben sowie über längere Zeiträume inhaftieren dürfen.

Externer Link: Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren, dass die Verordnung dazu führe, den Flüchtlingsschutz noch weiter auszuhöhlen, als dies bereits durch die Interner Link: im Juni getroffenen Beschlüsse der EU-Innenminister:innen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geschehen sei: Die Zahl der Asylsuchenden, die den mit haftähnlichen Bedingungen verknüpften Grenzverfahren zugeführt werden dürfen, würde massiv ausgeweitet und Unterbringungsstandards würden weiter abgesenkt. Zudem steige die Interner Link: Gefahr massenhafter völkerrechtswidriger Pushbacks.

Auch die deutsche Bundesregierung hat Bedenken gegen die Krisenmanagementverordnung und dem Verordnungsentwurf insbesondere wegen der darin vorgesehenen Absenkung von Standards für die Aufnahme von Schutzsuchenden nicht zugestimmt. Zudem lehnt sie Forderungen der Mittelmeeranrainer Griechenland, Italien, Spanien, Malta und Zypern ab, im Falle einer „Migrationskrise“ Schutzsuchende ohne Prüfung ihres Asylantrags nach Nordeuropa weiterreisen lassen zu dürfen und ihre Interner Link: Rücküberüberstellung nach den Dublin-Regeln auszusetzen. Auch die Niederlande und die Slowakei enthielten sich bei einer Externer Link: Abstimmung über den Verordnungsentwurf in Brüssel. Polen, Ungarn, Tschechien und Österreich stimmten dagegen. Polen und Ungarn gehen die Vorschläge nicht weit genug. Die Verhandlungen sollen im September fortgesetzt werden.

Was vom Monat übrig blieb…

  • Die niederländische Regierung ist Anfang Juli 2023 an einem Streit über die Asylpolitik zerbrochen. Die vier Koalitionspartner um den langjährigen Ministerpräsident Mark Rutte konnten sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, um die Asylzuwanderung abzuschwächen. Im ersten Halbjahr 2023 wurden Externer Link: in den Niederlanden 20.122 Asylanträge gestellt. Im gesamten Externer Link: Jahr 2022 waren rund 37.000 Asylanträge eingegangen – ein Höchststand seit 2015 (ca. 45.000). Die Neuwahl findet voraussichtlich am 22. November 2023 statt.

  • Die EU-Staaten dürfen Flüchtlingen, die wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt werden und als erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit gelten, ihren Flüchtlingsstatus entziehen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in drei Fällen aus Belgien, Österreich und den Niederlanden entschieden (Urt. v. 06.07.2023, Az. Externer Link: C-8/22, Externer Link: C-663/21, Externer Link: C-402/22). Das bedeutet jedoch nicht, dass sie auch abgeschoben werden dürfen. Sofern ihnen in ihrem Herkunftsland schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter drohen, dürfen sie nicht dorthin zurückgeführt werden.

  • Die seit April 2023 Interner Link: anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen im Sudan haben bereits mehr als vier Millionen Menschen vertrieben. Seit deren Beginn sind Externer Link: rund 709.000 Menschen aus dem Land geflohen, zumeist nach Tschad und Ägypten. Rund 3,4 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Bereits vor Konfliktbeginn gab es im Sudan 3,7 Millionen Binnenvertriebene. Zudem beherbergte das Land 1,14 Millionen Asylsuchende und Flüchtlinge; viele von ihnen wurden nun erneut vertrieben. Im Sudan kämpfen Armeeeinheiten des Militärmachthabers Abdel Fattah al-Burhan und die von General Mohamed Hamdan Daglo angeführten Milizen der „Rapid Support Forces“ (RSF) um die Macht. Dabei geht es laut einer aktuellen Externer Link: Analyse der Heinrich-Böll-Stiftung auch um die Verteilung landwirtschaftlicher Flächen in einem Land, welches stark vom Klimawandel betroffen ist.

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Vera Hanewinkel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
E-Mail: E-Mail Link: vera.hanewinkel@uni-osnabrueck.de