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Migrationspolitik – Dezember 2022 | Migrationspolitik – Monatsrückblick | bpb.de

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Migrationspolitik – Dezember 2022

Vera Hanewinkel

/ 7 Minuten zu lesen

Der Bundesrat billigt neue Bleiberechtsregelungen für Geduldete. Die Zahl illegaler Einreisen in die EU ist gestiegen. Ein britisches Gericht erlaubt Abschiebungen nach Ruanda.

Migranten in Rettungswesten werden auf einem Schiff des britischen Grenzschutzes ("Border Force") nach Dover gebracht. Die britische Regierung will die Zuwanderung in das Vereinigte Königreich deutlich einschränken – insbesondere die irreguläre Migration über den Ärmelkanal. (© picture-alliance, EPA | STUART BROCK)

Bundesrat billigt Chancen-Aufenthaltsrecht und Beschleunigung von Asylverfahren

Der Bundesrat hat im Dezember sowohl neue Bleiberechtsregelungen für langjährig Geduldete als auch ein Gesetz zur Beschleunigung von Asylverfahren Externer Link: gebilligt. Mit dem sogenannten Externer Link: Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten Menschen, die über eine Interner Link: Duldung verfügen und zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit mindestens fünf Jahren geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gelebt haben, ein auf 18 Monate befristetes Aufenthaltsrecht. Diese Zeit sollen sie nutzen, um die nötigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht (nach §§ Externer Link: 25a, Externer Link: 25b AufenthG) zu erfüllen. Dazu zählen zum Beispiel der Nachweis von Deutschkenntnissen und die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts. Gelingt es ihnen nicht, innerhalb der vorgegebenen Frist die Bleiberechtsbedingungen zu erfüllen, fallen sie auf den Status der Duldung zurück, sofern sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Straftäter:innen sind vom Chancen-Aufenthaltsrecht ausgeschlossen. Ende 2021 gab es 242.029 Geduldete, von denen knapp 137.000 seit mehr als fünf Jahren in Deutschland lebten. Nach Ablauf von drei Jahren treten die Regelungen des Chancen-Aufenthaltsrechts wieder außer Kraft.

Der Bundesrat stimmte außerdem einem Externer Link: Gesetz zu, das Asylverfahren und Asylgerichtsverfahren Externer Link: beschleunigen soll, etwa durch die Möglichkeit, im Asylverfahren auf Video-Anhörungen zurückzugreifen. Zudem soll das Gesetz eine einheitlichere Rechtsprechung herbeiführen, indem die Entscheidungskompetenz des Bundesverwaltungsgerichts in Asylfragen ausgeweitet wird: Durfte das Bundesverwaltungsgericht in Revisionsverfahren die Entscheidungen aus Vorinstanzen bislang nur verfahrensrechtlich prüfen, darf es nun auch die zugrundeliegenden asyl- und abschiebungsrechtlichen Tatsachen abschließend bewerten. In der Vergangenheit hatten Gerichte in Deutschland immer wieder in Asylfragen unterschiedlich geurteilt, z. B. über den Interner Link: Flüchtlingsstatus von syrischen Kriegsdienstverweigerern.

Darüber hinaus soll das Gesetz das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entlasten, indem Verfahren zum Widerruf- bzw. zur Rücknahme eines Schutzstatus zukünftig nicht mehr regelmäßig, sondern nur noch anlassbezogen erfolgen. Die Qualität der Asylentscheidungen soll durch eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung verbessert werden. Unter anderem die vorgesehenen Video-Anhörungen waren im Vorhinein bei Flüchtlingshilfsorganisationen Externer Link: auf Kritik gestoßen. Sie fürchten, dass sich dadurch die Qualität der Anhörungen verschlechtere und Verfahrensrechte der Betroffenen beschnitten würden. Insgesamt sei durch das neue Gesetz keine Beschleunigung, sondern eine Verzögerung von Asylverfahren zu erwarten.

EU-Außengrenze: Schutzsuchende eingesperrt und misshandelt

Externer Link: Gemeinsamen Recherchen eines transnationalen Recherchekollektivs zufolge – dem auch das deutsche ARD-Magazin "Monitor" und das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" angehören – werden Schutzsuchende an den Außengrenzen der EU offenbar in inoffiziellen Einrichtungen festgehalten, bevor sie über die Grenze zurückgeschoben werden, ohne dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird einen Asylantrag zu stellen. Bereits seit Jahren gibt es regelmäßig Berichte über völkerrechtswidrige Interner Link: Pushbacks an den Außengrenzen der EU. Neu sind (Video- und Bild-)Belege dafür, dass insbesondere in Bulgarien, Ungarn und Kroatien Menschen in vergitterten Verschlägen, Lieferwagen oder Containern festgehalten werden, bevor sie zurück ins Nicht-EU-Ausland geschoben werden. Befragte Geflüchtete berichteten den Journalist:innen davon, misshandelt worden und mehrere Tage lang teilweise ohne Wasser und Essen eingesperrt gewesen zu sein, bevor sie gezwungen wurden, wieder in die Türkei oder nach Serbien zurückzukehren. Dabei soll es, etwa in Bulgarien, zu Pushbacks unter den Augen der Interner Link: Europäischen Grenzschutzagentur Frontex gekommen sein. In einigen Fällen seien Frontex-Kräfte in Sichtweite der inoffiziellen Hafteinrichtungen stationiert gewesen. Die Grenzschutzagentur weist die Vorwürfe zurück: Die beschriebenen Zustände seien bei Frontex nicht bekannt, alle Beamt:innen seien angehalten, die Grundrechte zu schützen und Grundrechtsverletzungen zu melden. Auch die Regierungen Ungarns, Bulgariens und Kroatiens wiesen die Vorwürfe der Journalist:innen zurück: Ihre Polizeibehörden würden sich an EU-Recht halten. Die EU-Kommission teilte mit, man nehme die Berichte über "Fehlverhalten" an den EU-Außengrenzen sehr ernst. Letztendlich seien aber die jeweiligen Mitgliedstaaten für die Aufklärung verantwortlich.

Frontex: Zahl illegaler Einreisen gestiegen

Die Zahl illegaler Einreisen in die Europäische Union ist 2022 (voraussichtlich) auf das höchste Niveau seit 2016 gestiegen. Das Externer Link: teilte die Interner Link: Europäische Grenzschutzbehörde Frontex mit. Demnach seien allein in den ersten elf Monaten des Jahres 2022 mehr als 308.000 irreguläre Einreiseversuche erfasst worden, 68 Prozent mehr als 2021. Vor allem auf den Migrations- und Fluchtrouten über den Westbalkan und über das zentrale Mittelmeer sei es zu irregulären Grenzübertritten gekommen. Die Zahl der irregulären Einreisen ist nicht mit der Zahl irregulär eingereister Personen gleichzusetzen. Wegen umfangreicher Grenzkontroll- und Grenzschutzmaßnahmen kommt es häufig zu mehreren Versuchen illegal in die EU einzureisen. Werden Personen dabei mehrfach aufgegriffen, werden sie in der Statistik zu illegalen Einreisen auch mehrfach gezählt.

Als Reaktion auf die gestiegene Zahl erfasster illegaler Einreisen hat die EU-Kommission bereits im Interner Link: November 2022 einen Externer Link: Aktionsplan gegen irreguläre Einreisen über das Mittelmeer vorgelegt. Im Dezember schob sie einen Interner Link: Aktionsplan zum Westbalkan nach. Er umfasst 20 Maßnahmen, die fünf Säulen zugeordnet werden:

  1. Die Stärkung des Grenzschutzes entlang der Migrations- und Fluchtrouten,

  2. die Beschleunigung der Asylverfahren und Unterstützung der Aufnahmekapazitäten,

  3. die Bekämpfung der Schleuserkriminalität,

  4. die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Westbalkan-Staaten bei der Rückübernahme und Rückführung von Migrant:innen sowie

  5. die Angleichung der Visapolitik der Westbalkan-Länder an die Vorgaben der EU.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson betonte, dass solche Aktionspläne wichtig seien, aber Migrationsfragen nicht "ohne die Umsetzung des gesamten Migrations- und Asylpakets" gelöst werden könnten. Dieses war 2020 von der EU-Kommission Interner Link: vorgestellt worden. Bislang herrscht bei den meisten Vorhaben Uneinigkeit zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten. Insbesondere die fünf Mittelmeeranrainer Italien, Malta, Griechenland, Spanien und Zypern fordern, dass die anderen EU-Länder ihnen mehr Asylsuchende abnehmen und sie mit der Verantwortung für die Aufnahme der über das Mittelmeer eingereisten Menschen nicht alleingelassen werden.

Derweil versuchen die EU-Mitgliedstaaten auch über bilaterale Vereinbarungen irreguläre Migration einzudämmen. So stellten etwa Österreich und Ungarn Serbien finanzielle Anreize in Aussicht, um illegal eingereiste Personen unmittelbar dorthin rückführen zu können. Im Dezember nannte Österreichs Regierung die zunehmende Zahl irregulärer Einreisen als Grund, um den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Schengenraum zu blockieren. Deutschland und die Schweiz einigten sich nur wenige Tage später auf einen Externer Link: Aktionsplan. So sollen u.a. die polizeilichen Kontrollen an der gemeinsamen Grenze im Schengenraum verstärkt werden. Auch drängen beide Länder auf eine bessere Umsetzung der Interner Link: Dublin-Regelungen, wonach dasjenige Mitgliedsland, in das ein Asylsuchender als erstes einreist, in der Regel für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist. Der neue Sonderbeauftragte für Migration der deutschen Bundesregierung, Joachim Stamp (FDP), soll zudem über neue Vereinbarungen mit Herkunfts- und Transitländern verhandeln, die die Rückführung von Migrant:innen ohne Aufenthaltserlaubnis erleichtern und irregulärer Migration nach Deutschland entgegenwirken.

Vereinigtes Königreich: Gericht erlaubt Abschiebungen nach Ruanda

Ein britisches Obergericht, der High Court of Justice in London, hat das Externer Link: umstrittene Asylabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und Ruanda für rechtmäßig erklärt. Dieses sieht vor, dass illegal nach Großbritannien eingereiste Asylsuchende nach Ruanda abgeschoben werden, um dort ihr Interner Link: Asylverfahren zu durchlaufen. Auch nach einem positiven Asylentscheid sollen sie in Ruanda verbleiben und dort Zugang unter anderem zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung erhalten. Die Regelung zielt vor allem auf alleinstehende junge Männer, die Interner Link: illegal über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelangen. 2022 wurde über diese Route ein neuer Höchststand erreicht: Mehr als 40.000 Menschen unternahmen die gefährliche Reise über eine der am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt. Die britische Regierung hat versprochen, die illegale Migration deutlich zu reduzieren. Dazu soll auch eine Mitte Dezember mit Albanien getroffene Externer Link: Vereinbarung beitragen, die das Land als "sicheres Herkunftsland" einstuft und Rückführungen dorthin erleichtern soll.

Der High Court erklärte, dass das Migrationsabkommen mit Ruanda weder gegen Großbritanniens Verpflichtungen unter dem 1998 erlassenen Human Rights Act zur Umsetzung der Interner Link: Europäischen Menschenrechtskonvention im Vereinigten Königreich verstoße, noch gegen die Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Allerdings mahnte es an, dass die Umstände jedes und jeder einzelnen Klagenden angemessen berücksichtigt werden müssten. Gegen die Entscheidung kann noch Berufung eingelegt werden. Solange das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, ruht die Umsetzung des Migrationsabkommens.

Ein erster Abschiebeflug nach Ruanda war im Juni 2022 kurzfristig vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gestoppt worden. Anschließend war die Rechtmäßigkeit der Abschiebe-Strategie vor dem Londoner High Court angefochten worden.

Was vom Monat übrig blieb...

Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz gewinnt Migration im rechten Spektrum wieder als Protest-Thema an Bedeutung. Hintergründe seien unter anderem die gestiegene Zahl an Asylanträgen, die umfangreiche Flucht vor dem Interner Link: Krieg gegen die Ukraine sowie die damit verbundenen Debatten um Aufnahmekapazitäten. Laut einer aktuellen Externer Link: Studie des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) schreibt eine Mehrheit der Befragten in Europa dem Thema Migration aktuell das stärkste gesellschaftliche Konflikt- und Spaltungspotenzial zu.

Mehr als ein Drittel der Geflüchteten aus der Ukraine möchte längerfristig in Deutschland bleiben. Das ist ein zentrales Ergebnis einer Externer Link: Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Befragt wurden zwischen August und Oktober 2022 11.225 geflüchtete Ukrainer:innen. Demnach möchten 37 Prozent für immer oder mehrere Jahre in Deutschland bleiben, 34 Prozent bis Kriegsende, 27 Prozent sind noch unentschieden und zwei Prozent wollen Deutschland innerhalb eines Jahres wieder verlassen.

Die neue Interner Link: konservative Regierung in Schweden will die Einwanderung durch restriktivere Regelungen Externer Link: reduzieren. So soll z. B. die Zahl der jährlich über Interner Link: Resettlement aufgenommenen Flüchtlinge von 6.400 im Jahr 2021 auf 900 reduziert werden. Außerdem sollen zukünftig höhere Hürden für den Nachzug von Familienangehörigen zu Interner Link: subsidiär Schutzberechtigten bestehen. Jahrelang galt die Asylpolitik Schwedens als liberalste in ganz Europa. Mit dem umfangreichen Zuzug von Schutzsuchenden Interner Link: 2015 und dem wachsenden Einfluss der rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die auch die aktuelle Regierung stützen, hat sich dies Interner Link: geändert.

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Vera Hanewinkel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
E-Mail: E-Mail Link: vera.hanewinkel@uni-osnabrueck.de