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Geschichte der Migration nach und aus Deutschland

Jochen Oltmer Vera Hanewinkel

/ 7 Minuten zu lesen

Ein Blick auf Wanderungsbewegungen seit dem 17. Jahrhundert zeigt, dass die Migrationsgeschichte Deutschlands nicht erst mit der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte in den 1950er und 1960er Jahren begann.

Griechische Gastarbeiter verfolgen im Dezember 1967 im Haus der griechischen Gemeinde in Hannover am Radio die neuesten Nachrichten aus ihrem Heimatland. (© picture alliance / Wolfgang Weihs )

Wanderungsbewegungen im 17., 18. und 19. Jahrhundert

Der Interner Link: Dreißigjährige Krieg (1618-1648) führte in vielen Gebieten des deutschsprachigen Mitteleuropas zu starken Zerstörungen und zu einem erheblichen Bevölkerungsrückgang: Ein Verwüstungskorridor zog sich von Nordosten nach Südwesten – von Pommern und Mecklenburg über Brandenburg, Thüringen, Hessen, Franken, die Pfalz, Württemberg und Schwaben bis in das Elsass. Die jeweiligen Landesherren warben vor diesem Hintergrund erwerbsfähige und steuerzahlende Personen aus anderen, z.T. übervölkerten Regionen an, die sich in den kriegszerstörten Gebieten niederlassen sollten (sogenannte "Peuplierungspolitik"). Diese wurden so zu zentralen mitteleuropäischen Zuwanderungsregionen. Auch Menschen aus anderen Teilen Europas, die einen anderen Glauben als ihre jeweilige Obrigkeit hatten und deswegen fliehen mussten oder vertrieben wurden, zog es ins frühneuzeitliche Deutschland. Die umfangreichste sowie wirtschaftlich, kulturell und politisch bedeutendste Zuwanderergruppe waren die mehrheitlich reformierten "Réfugiés" aus Frankreich, die später unter dem Namen „Hugenotten“ bekannt wurden. Nach dem Widerruf des 1598 vom französischen König verkündeten Edikts von Nantes im Jahr 1685 wanderten wahrscheinlich 30.000-40.000 von ihnen in deutsche Territorien vorwiegend nördlich des Mains ein (v.a. nach Brandenburg-Preußen, Hessen-Kassel, in die welfischen Herzogtümer und in die Hansestädte).

Nach diesen Bewegungen im Kontext von Peuplierung sowie konfessionell bedingten Austreibungen und Fluchtbewegungen, die bis Mitte des 18. Jahrhunderts anhielten, dominierte bis in die 1830er Jahre die kontinentale Abwanderung. Sie richtete sich zunächst vor allem auf Ost- und Südosteuropa. Bis zum späten 19. Jahrhundert stand dann die transatlantische Abwanderung im Vordergrund, die vornehmlich auf die USA zielte. Von den 1680er Jahren bis 1800 wanderten rund 740.000 Menschen aus dem Interner Link: deutschsprachigen Raum nach Ost-, Ostmittel- und Südeuropa. Zwischen 1816 und 1914 zogen dann rund 5,5 Millionen Deutsche in die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort stellte die in Deutschland geborene Bevölkerung 1820-1860 mit rund 30 Prozent nach den aus Irland stammenden Menschen die zweitgrößte, 1861-1890 sogar die größte Eingewandertengruppe. Die erhebliche Ausweitung wirtschaftlicher Chancen aufgrund von Hochindustrialisierung und Agrarmodernisierung in Deutschland sowie die Wirtschaftskrise in den USA führten Ende des 19. Jahrhunderts schließlich zu einem deutlichen Rückgang der transatlantischen Migrationsbewegungen.

Flucht und Zwangsarbeit in und zwischen den Kriegen

Mit und nach dem Ersten Weltkrieg begann das "Jahrhundert der Flüchtlinge". Die Interner Link: Weimarer Republik wurde zum Ziel Hunderttausender Schutzsuchender, die vor den Folgen der russischen Interner Link: Oktoberrevolution 1917, dem anschließenden Bürgerkrieg und der Durchsetzung des Sowjetsystems auswichen. Hinzu traten Zehntausende osteuropäische Jüdinnen und Juden, die vor Pogromen und antisemitischen Strömungen in vielen Teilen Ostmittel-, Südost- und Osteuropas Schutz suchten. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete auch asylpolitisch einen grundlegenden Wandel: Deutschland war nun nicht mehr Ziel, sondern Ausgangsraum von Fluchtbewegungen. Die neuen Machthaber vertrieben rund eine halbe Million Menschen. Das betraf politische Gegner des Regimes, solche, die das Regime dafür hielt und vor allem jene, die aufgrund der Interner Link: rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus in Deutschland rechtlich, ökonomisch und sozial marginalisiert, zunehmend verfolgt und schließlich ermordet wurden. Dazu zählten vor allem Jüdinnen und Juden, von denen wohl 280.000 bis 330.000 zwischen 1933 und 1940 das Reich verließen. Etwa 195.000 jüdische Deutsche, die nicht (mehr) fliehen konnten, wurden bis Kriegsende 1945 ermordet, nur rund 15.000 bis 20.000 überlebten die Lager oder versteckt im Reichsgebiet. Für die aus Deutschland zwischen 1933 und 1939/40 Fliehenden gewährten weltweit mehr als 80 Staaten Aufnahme, nicht selten – und im Laufe der 1930er Jahre zunehmend – widerwillig und zögerlich, unter anderem auch deshalb, weil die Schutzsuchenden aus Deutschland vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise als Belastung für Ökonomie und Sozialsysteme galten.

In den beiden Weltkriegen (Interner Link: 1914-1918 und Interner Link: 1939-1945) führte der Arbeitskräftebedarf (v.a. in der Rüstungsindustrie) zu einem starken Zuzug von Arbeitskräften aus anderen Staaten. Dieser erfolgte jedoch in der Regel nicht freiwillig: Zwangsarbeit prägte die Ausländerbeschäftigung in den Kriegsjahren. Die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich waren von Vertreibung und Fluchtbewegungen dominiert. Rund 14 Millionen "Reichsdeutsche" und "Volksdeutsche" (Angehörige deutscher Minderheiten ohne deutsche Staatsangehörigkeit) flohen aus Ost-, Ostmittel- und Südeuropa in Richtung Westen. Interner Link: Im kriegszerstörten Deutschland waren sie nicht willkommen. Allerdings erleichterte die Hochkonjunktur der 1950er und 1960er Jahre fundamental die wirtschaftliche und soziale Teilhabe der Flüchtlinge und Vertriebenen in der Bundesrepublik. Gleichzeitig bildeten sie ein qualifiziertes und hochmobiles Arbeitskräftepotenzial, das den wirtschaftlichen Wiederaufstieg in erheblichem Maße mittrug.

"Gastarbeiteranwerbung", Anwerbestopp und Familiennachzug

In den 1950er und 1960er Jahren erlebte die noch junge Bundesrepublik Deutschland einen Wirtschaftsboom, der mit einer enormen Expansion des Arbeitsmarktes einherging. Unter anderem weil das inländische Arbeitskräftepotenzial nicht ausreichte, um die Nachfrage zu decken, schloss die Bundesrepublik 1955 mit Italien und 1960 mit Griechenland und Spanien erste Vereinbarungen zur Anwerbung von Arbeitskräften aus diesen Ländern ab. Es folgten entsprechende bilaterale Interner Link: Abkommen mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und schließlich Jugoslawien (1968). Die Arbeitsmigrant:innen übernahmen in der Regel un- und angelernte Tätigkeiten in der industriellen Produktion mit hoher körperlicher Beanspruchung, gesundheitlicher Belastung und Lohnbedingungen, die viele Einheimische nicht (mehr) akzeptieren wollten. Die Anwerbung der sogenannten "Gastarbeiter:innen" wurde 1973 mit dem sogenannten Anwerbestopp beendet. Hintergrund dieser Entscheidung war vor allem, dass sich die angeworbenen Arbeitnehmer:innen zunehmend in Deutschland niederließen, was im selbsterklärten "Nichteinwanderungsland" BRD kritisch beobachtet wurde und mit Hilfe des "Anwerbestopps" begrenzt werden sollte.

Vom Ende der 1950er Jahre bis zum "Interner Link: Anwerbestopp" 1973 kamen rund 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland, von denen etwa 11 Millionen nur temporär im Land verblieben und wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. Die anderen blieben und zogen ihre Familien nach. So kam es, dass die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen zwar nach dem Ende der Anwerbephase sank – von 2,6 Millionen 1973 auf 1,6 Millionen 1989 – die ausländische Wohnbevölkerung aber im selben Zeitraum von 3,97 Millionen auf 4,9 Millionen wuchs.

Und in der DDR?

Auch in der DDR gab es einen Arbeitskräftemangel, der vor allem auf die massive Abwanderung in den Westen zurückzuführen war: Von 1949 bis zum Mauerbau 1961 waren mindestens 2,7 Millionen Menschen in die Bundesrepublik gegangen, während der Umfang der Bewegung aus Westdeutschland in die DDR in diesem Zeitraum nur bei rund 500.000 lag. Die durch die Abwanderung vor allem junger und gut qualifizierter Menschen entstandene Lücke sollte zumindest teilweise durch ausländische Arbeitskräfte geschlossen werden. Dazu wurden Abkommen mit sozialistischen "Bruderländern" geschlossen. 1968 trafen die ersten der sogenannten Interner Link: Vertragsarbeiter:innen aus Ungarn ein. Es folgten Arbeitskräfte aus Algerien, Angola, Polen, Mosambik und Kuba. Die größte Gruppe stammte aus Vietnam. Die Vertragsarbeiter:innen durften nur für eine befristete Zeit in der DDR bleiben. Da private Kontakte zu Einheimischen unerwünscht waren, lebten sie isoliert in Wohnheimen. Zur Wende 1989 hielten sich rund 94.000 Vertragsarbeiter:innen in der DDR auf, darunter ca. 60.000 aus Vietnam. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 verließen viele von ihnen das Land – in der Regel, weil ihnen wegen des Auslaufens der Aufenthaltsgenehmigungen keine Alternative blieb.

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Zuwanderung im vereinigten Deutschland: Asylmigration und Aussiedlerzuwanderung in den 1980er und 1990er Jahren

Mit der Öffnung des "Eisernen Vorhangs", dem Wandel der politischen und ökonomischen Systeme in den ehemaligen Staaten des "Ostblocks" sowie dem Ende der DDR 1989/90 veränderten sich die Migrationsmuster in Europa. In Deutschland stieg die Zahl der Asylanträge vor allem aus Ost-, Ostmittel- und Südeuropa deutlich an. 1988 überschritt sie die Marke von 100.000, kletterte im Jahr der europäischen Revolutionen 1989 auf etwa 120.000, erreichte im vereinigten Deutschland 1990 rund 190.000 und 1992 schließlich fast 440.000.

Neben der Zuwanderung von Asylsuchenden stieg Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre besonders die Zahl der Interner Link: Aussiedler:innen in der Bundesrepublik Deutschland stark an. Die Bezeichnung "Aussiedler" stammt aus den frühen 1950er Jahren. Nach dem Ende von Interner Link: Flucht und Vertreibung in der Folge des Zweiten Weltkriegs lebten 1950 nach Behördenangaben noch rund vier Millionen Deutsche in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa. Ihnen sicherte das Bundesvertriebenengesetz von 1953 die Aufnahme als deutsche Staatsangehörige zu. Von 1950-1975 passierten insgesamt rund 800.000, von 1976-1987 weitere etwa 616.000 Aussiedler:innen die westdeutschen Grenzdurchgangslager, bis mit der Öffnung des "Eisernen Vorhangs" deren Massenzuwanderung begann: Von 1987 an gingen die Zahlen vor dem Hintergrund von Interner Link: "Glasnost" und "Perestrojka" in der UdSSR rasch nach oben und erreichten 1990 mit rund 397.000 Zugewanderten ihren Höhepunkt. Seitdem sind die Zuzugszahlen stark gesunken. Insgesamt wanderten im Zeitraum 1990-2021 rund 2,5 Millionen (Spät-)Aussiedler:innen zu.

Entwicklung der Zu- und Abwanderung seit 1990

Ein Blick auf das Wanderungsgeschehen seit der Wiedervereinigung 1990 zeigt, dass der Umfang der Zu- und Fortzüge im Zeitverlauf deutlichen Schwankungen unterliegt (vgl. Abbildung 1). Einen ersten Höhepunkt erreichte die Zuwanderung im vereinigten Deutschland 1992, unter anderem vor dem Hintergrund einer hohen Zahl an Asylsuchenden. In jenem Jahr wanderten mehr als 1,5 Millionen Menschen in die Bundesrepublik ein, rund 720.000 verließen das Land. Damit belief sich der Wanderungssaldo auf etwa 782.000 Personen. In den darauffolgenden Jahren sank die Zuwanderung nach Deutschland deutlich. 2008 und 2009 war Deutschland statistisch sogar Auswanderungsland: Es verließen mehr Menschen das Land als aus dem Ausland zuzogen. Seit 2010 überwiegt wieder die Zuwanderung, der Wanderungssaldo ist also positiv. 2015 erreichte er den höchsten Wert in der Geschichte der Bundesrepublik (vgl. Abbildung 1).

Insgesamt zogen in jenem Jahr rund 2,14 Millionen Menschen nach Deutschland, etwa 998.000 verließen das Land. Daraus ergibt sich ein Wanderungsüberschuss in Höhe von rund 1,14 Millionen Personen. Seitdem ist die Nettozuwanderung wieder gesunken. 2019 belief sie sich auf 327.000 Personen und war damit so niedrig wie zuletzt 2011.

Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist die Nettozuwanderung 2020 noch weiter gesunken, da die seit dem Frühjahr 2020 unternommenen Versuche, die Interner Link: Corona-Pandemie einzudämmen, grenzüberschreitende Mobilität verringert haben. Demnach zogen 2020 rund 220.250 Personen mehr nach Deutschland zu als im selben Zeitraum das Land verließen.

Wanderungen über die Grenzen Deutschlands 1991–2020 (Interner Link: Grafik zum Download) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

In den vergangenen Jahren kamen die meisten Migrant:innen aus Europa, vor allem aus Mitgliedsländern der EU. Eine Ausnahme bildet das Interner Link: Jahr 2015. Aufgrund der hohen Fluchtmigration aus Ländern außerhalb Europas lag der Anteil der Unionsbürger:innen an allen Zugewanderten bei nur rund 40 Prozent. Interner Link: Syrien war in jenem Jahr das Hauptherkunftsland von Neuzugewanderten, vor den EU-Staaten Rumänien und Polen. Die beiden genannten EU-Staaten zählen regelmäßig zu den Hauptherkunftsländern von Neuzuwanderer:innen. 2019 führten sie die Liste der Hauptherkunftsländer von Eingewanderten an, vor Bulgarien, Italien und der Türkei. Insgesamt kamen 2019 51,1 aller Zuwanderer:innen aus EU-Mitgliedsländern.

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Dr. phil. habil., geb. 1965, ist Apl. Professor für Neueste Geschichte und Mitglied des Vorstands des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
E-Mail: E-Mail Link: joltmer@uni-osnabrueck.de

Vera Hanewinkel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.
E-Mail: E-Mail Link: vera.hanewinkel@uni-osnabrueck.de