Das Thema doppelte Staatsangehörigkeit ist seit einiger Zeit wieder auf die Agenda der deutschen Innenpolitik gelangt. Bereits im August 2016 haben die Innenminister und -senatoren
Zahl und Herkunft der Doppelstaatler in Deutschland
Die Gesamtzahl der Doppelstaatler in Deutschland ist nicht genau bekannt. Während der
Entgegen dem Eindruck, der vielfach in der öffentlichen Debatte entsteht, handelt es sich bei Doppelstaatlern in Deutschland nicht vorrangig um Menschen mit türkischen Wurzeln. Sowohl bei den Angaben aus dem Mikrozensus als auch aus dem Zensus (Tabelle 1) ergibt sich, dass diese Gruppe nur 12 bis 13 Prozent aller Doppelstaatler ausmacht. Wichtige Herkunftsländer sind daneben die Russische Föderation, Kasachstan, Polen und Rumänien, aus denen in den letzten Jahrzehnten viele
Tabelle 1: Vergleich der Doppelstaatler-Zahlen aus dem Zensus 2011 und dem Mikrozensus 2011 1
Gesamt und Top 10 Herkunftsstaaten
Herkunftsland / zweite Staatsangehörigkeit2 | Zensus 2011 | Mikrozensus 2011 |
---|---|---|
Alle Länder | 4.260.000 | 1.398.000 |
darunter: | ||
Russische Föderation/Sowjetunion3 | 712.073 | 280.000 |
Polen | 686.777 | 191.000 |
Türkei | 530.596 | 184.000 |
Kasachstan | 479.275 | 37.000 |
Rumänien | 185.555 | 58.000 |
Italien | 154.470 | 96.000 |
Serbien und Montenegro3 | 92.193 | 12.000 |
Marokko | 86.456 | 18.000 |
Iran | 84.622 | 35.000 |
USA | 69.211 | 62.000 |
Fußnote: 1 Aus Gründen der Vergleichbarkeit zu den Zensuszahlen sind hier die Daten des Mikrozensus 2011 dargestellt, obwohl aus dieser Quelle schon neuere Daten vorliegen. Im Jahr 2016 waren im Mikrozensus 1.870.000 Menschen mit deutscher und ausländischer Staatsangehörigkeit verzeichnet.
Fußnote: 2 Aufgenommen wurden die zehn Länder mit der höchsten Anzahl von Doppelstaatlern gemäß Zensus 2011.
Fußnote: 3 Bei diesen Herkunftsländern ist aufgrund unterschiedlicher Benennungen in den Quellen nicht auszuschließen, dass sich die Angaben auf unterschiedliche Gebietseinheiten bzw. Gebietsstände beziehen.
Quellen: Deutscher Bundestag /2016), S. 3 (Zensus 2011), Statistisches Bundesamt (2012), S. 156 (Mikrozensus 2011).
Durch die umfangreiche Zuwanderung von Schutzsuchenden nach Deutschland während der vergangenen Jahre wird es wahrscheinlich zu einem weiteren Anstieg der Zahl der Doppelstaatler kommen, wenn auch mit einer gewissen Zeitverzögerung. Aus Studien geht hervor, dass Flüchtlinge eine verhältnismäßig starke starke Einbürgerungsneigung haben.
Entstehungsmechanismen doppelter Staatsangehörigkeit
Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht will Mehrstaatigkeit im Grundsatz vermeiden bzw. nur in Ausnahmefällen zulassen. De facto entsteht diese allerdings auf verschiedenen Wegen, die vom deutschen Gesetzgeber nicht exklusiv steuerbar sind, sondern nur im Zusammenspiel mit dem Recht des jeweils anderen Staates. Im Wesentlichen entsteht doppelte Staatsangehörigkeit auf zwei Wegen: bei der Geburt von Kindern und bei Einbürgerungen, beides sowohl in Deutschland als auch im Ausland.
a) Doppelte Staatsangehörigkeit bei Geburt
Hier gibt es drei Untergruppen:
Kinder mit einem deutschen und einem ausländischen Elternteil bei Geburt in Deutschland. Im Regelfall erhalten diese Kinder über das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) beide Staatsangehörigkeiten, sofern auch das Recht des anderen Staates dies vorsieht (d.h. die Staatsangehörigkeit bei Auslandsgeburten weitergegeben wird und kein Verbot von Mehrstaatigkeit besteht). Eine Entscheidungspflicht zwischen den beiden Pässen hat es für diese Personengruppe in Deutschland nie gegeben. Zwischen 2000 und 2015 sind jährlich zwischen 71.380 und 88.194 Geburten in Deutschland in diese Kategorie gefallen.
. Kinder mit zwei ausländischen Elternteilen, die über das Geburtsortprinzip (ius soli) seit 2000 mit Geburt in Deutschland auch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, zusätzlich zu derjenigen der Eltern (§ 4 Abs. 3 StAG). Es gab zudem temporär eine Übergangsregelung, nach der auch Kinder, die schon zwischen 1990 und 1999 geboren wurden, Deutsche werden konnten (§ 40b StAG). Bis Ende 2014 galt für diesen Personenkreis die Optionspflicht: Sobald die Kinder volljährig waren, mussten sie sich für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden.
Seit der Gesetzesänderung müssen sie dies nur noch tun, wenn sie nicht in Deutschland aufgewachsen sind. Es gibt ungefähr 50.000 Menschen in Deutschland, die "unechte" ius soli-Kinder nach § 40b des Staatsangehörigkeitsgesetzes sind. Hinzu kommen seit dem Jahr 2000 jährlich zwischen 28.977 und 41.257 "echte" ius soli-Geburten. Damit summiert sich die Gesamtzahl dieser Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf derzeit rund 601.000 Personen bundesweit. Schätzungsweise 95 Prozent von ihnen haben (noch) zwei Staatsangehörigkeiten. Kinder deutscher Eltern bzw. mindestens eines deutschen Elternteils bei Geburt im Ausland, sofern der Aufenthaltsstaat ein Geburtsortprinzip (ius soli) kennt. Bei einer Rückkehr nach Deutschland sind diese Kinder ebenfalls zur Gruppe der Doppelstaatler zu rechnen. Ihre Gesamtzahl ist unbekannt. Der deutsche Gesetzgeber hat allerdings bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zum 1. Januar 2000 einen "Generationenschnitt" eingeführt, der bei Auslandsgeburten eine unbegrenzte Weitergabe der deutschen Staatsangehörigkeit unterbindet. Momentan wird ein solches Modell auch im Hinblick auf Kinder von Migranten in Deutschland diskutiert.
Durch die Einführung des ius soli, aber auch durch die Kinder aus binationalen Partnerschaften sind die Doppelstaatler in Deutschland eine insgesamt junge Bevölkerungsgruppe. Mehr als zwei Fünftel (42,4 Prozent) waren im Jahr 2016 unter 25 Jahre alt.
b) Doppelte Staatsangehörigkeit bei Einbürgerung
Bei der in Deutschland häufigsten Form der Einbürgerung, der "Anspruchseinbürgerung" nach acht Jahren Aufenthalt, ist die Aufgabe bzw. der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit vorgeschrieben (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG). Das Gesetz sieht allerdings eine Reihe von Ausnahmen vor. So müssen beispielsweise EU-Bürger und Bürger der Schweiz generell nicht ihren bisherigen Pass aufgeben. Auch bei Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen wird darauf verzichtet, eine Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit zu verlangen, ebenso bei Bürgern aus Staaten wie Iran oder Marokko, deren Recht eine solche Entlassung gar nicht vorsieht oder wo sie in der Praxis an unzumutbare Bedingungen geknüpft wird. Im Resultat aller Ausnahmeregelungen liegt seit dem Jahr 2000 die "Beibehaltungsquote" bei den Einbürgerungen in Deutschland im Durchschnitt bei 49,1 Prozent, d.h. fast die Hälfte der Eingebürgerten konnte die bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten (Tabelle 2). Abbildung 1 zeigt für das Jahr 2016, dass es dabei beträchtliche Unterschiede je nach Herkunftsland gibt.
Tabelle 2: Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit bei Einbürgerungen 2000-2016
Jahr | Einbürgerungen gesamt | Davon: mit Beibehaltung | Anteil in % |
---|---|---|---|
2000 | 186.688 | 83.856 | 44,9 |
2001 | 178.098 | 85.995 | 48,3 |
2002 | 154.547 | 64.117 | 41,5 |
2003 | 140.731 | 57.285 | 40,7 |
2004 | 127.153 | 55.331 | 43,5 |
2005 | 117.241 | 55.319 | 47,2 |
2006 | 124.566 | 63.568 | 51,0 |
2007 | 113.030 | 59.241 | 52,4 |
2008 | 94.470 | 49.937 | 52,9 |
2009 | 96.122 | 51.603 | 53,7 |
2010 | 101.570 | 53.930 | 53,1 |
2011 | 106.897 | 53.902 | 50,4 |
2012 | 112.353 | 56.214 | 50,0 |
2013 | 112.353 | 55.804 | 49,7 |
2014 | 108.422 | 58.145 | 53,6 |
2015 | 107.181 | 58.094 | 54,2 |
2016 | 110.383 | 63.753 | 57,8 |
Summe | 2.091.800 | 1.026.094 | 49,1 |
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 1 Reihe 2.1 (Einbürgerungen), verschiedene Jahrgänge.
Deutlich sichtbar ist in Abbildung 1 die Differenz zwischen den EU-Ländern Polen, Rumänien, Italien, Griechenland, Kroatien und (noch) Großbritannien, die durchgehend Beibehaltungsquoten von 100 Prozent oder geringfügig darunter haben, und den übrigen Staaten. Auch beim Irak, einem wichtigen Herkunftsland von Flüchtlingen in Deutschland, konnte 2016 die Mehrheit der Eingebürgerten den bisherigen Pass behalten. Eine deutlich unterdurchschnittliche Quote weisen hingegen die Türkei, die Ukraine und der Kosovo auf. Dieses Muster erklärt auch, warum die türkeistämmigen Migranten nicht die höchste Zahl an Doppelstaatlern in Deutschland bilden, trotz ihrer seit vielen Jahren führenden Position bei der absoluten Zahl von Einbürgerungen.
Analog zu den Geburten ist auch bei den Einbürgerungen darauf hinzuweisen, dass Deutsche ohne Migrationshintergrund durch die Annahme einer weiteren Staatsangehörigkeit – beispielsweise im Rahmen eines längeren Auslandsaufenthaltes – ebenfalls zu Doppelstaatlern werden können. Handelt es sich um die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Landes oder der Schweiz, ist dies problemlos möglich (§ 25 Abs. 1 StAG), bei anderen Staatsangehörigkeiten kann der deutsche Pass durch einen Antrag auf Beibehaltungsgenehmigung erhalten bleiben (§ 25 Abs. 2 StAG). Bei Antragstellern mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland sind dazu fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft zu machen.
Pro und contra doppelte Staatsangehörigkeit
Kontroversen über doppelte Staatsangehörigkeit gibt es schon sehr lange, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten. Nicht näher eingegangen werden soll an dieser Stelle auf völkerrechtliche, rechtstechnische und demokratietheoretische Aspekte. Dabei geht es unter anderem um Fragen der Wehrpflicht und der Besteuerung von Doppelstaatlern, um den zuständigen Gerichtsstand bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten, die diplomatische und konsularische Vertretung und das "doppelte" Wahlrecht in zwei Staaten.
Daneben spielen in der Debatte über den "Doppelpass" auch Argumente bezüglich der Auswirkungen auf die Integration von Migranten eine wichtige Rolle. So wird argumentiert, dass doppelte Staatsangehörigkeit der Integration schade, weil sie verhindere, dass sich Zuwanderer und ihre Nachkommen ganz auf das Aufnahmeland sowie dessen Kultur und Werte einließen. Unterstellt werden Loyalitätskonflikte ("niemand kann zwei Herren gleichzeitig dienen") und die Instrumentalisierung von Doppelstaatlern durch die jeweiligen ausländischen Regierungen. Auch sei das Niveau der politischen Partizipation im Aufnahmeland geringer als bei Personen mit nur einer Staatsangehörigkeit. Abgelehnt wird ebenfalls die Hinnahme von Mehrstaatigkeit, um Einbürgerungen zu fördern, weil die Bedeutung der deutschen Staatsangehörigkeit für Integration generell überschätzt werde.
Die Befürworter des "Doppelpasses" sehen dies genau umgekehrt: Er gilt ihnen als rechtlicher Ausdruck der Anerkennung von Mehrfachbindungen, damit als integrationsfördernd und als Mittel, die seit 2000 zurückgehende bzw. stagnierende Zahl von Einbürgerungen in Deutschland zu steigern.
Über den Zusammenhang von doppelter Staatsangehörigkeit und Integration gibt es in Deutschland bisher keine auf diese Frage fokussierten empirischen Studien. Mithin lässt sich weder die positive noch die negative Sichtweise momentan hinreichend belegen. Die vorhandenen Untersuchungen, die dieses Thema (mit) behandeln, unterstützen allerdings die Auffassung, dass der "Doppelpass" jedenfalls keine schädlichen Auswirkungen hat. So kam eine Studie unter türkeistämmigen Migranten in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland zu dem Ergebnis, es gäbe keinerlei Hinweis, dass sich doppelte Staatsangehörigkeit negativ auf die sozio-kulturelle Integration auswirke, insbesondere im Vergleich zwischen den Untersuchungspersonen in Frankreich und Deutschland unter den jeweils dort herrschenden, unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen.
Einstellungen in der Bevölkerung
Ein ebenfalls häufig vorgebrachtes Argument gegen doppelte Staatsangehörigkeit ist, dass die deutsche Bevölkerung diese mehrheitlich ablehne. Eine Analyse mit Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) aus den Jahren 1996, 2006 und 2016
Abbildung 2: Mittelwertvergleich zwischen gebürtigen Deutschen, Ausländern und Eingebürgerten bezüglich der Akzeptanz des "Doppelpasses" bei Einbürgerung 1996-2016 (Interner Link: Grafik zum Download)
Abbildung 2: Mittelwertvergleich zwischen gebürtigen Deutschen, Ausländern und Eingebürgerten bezüglich der Akzeptanz des "Doppelpasses" bei Einbürgerung 1996-2016 (Interner Link: Grafik zum Download)
Neben den ALLBUS-Studien gibt es punktuell weitere Umfragedaten zur Akzeptanz doppelter Staatsangehörigkeit in der Bevölkerung. Diese Daten werden oft in zeitlichem Zusammenhang mit aktuellen politischen Debatten oder Ereignissen erhoben und zeigen somit auch entsprechende Schwankungen im Meinungsbild. Eine entsprechende, bundesweit gestellte Frage des FORSA-Instituts im Frühsommer 2013 im Auftrag des damaligen baden-württembergischen Integrationsministeriums
Somit zeigt sich, dass die Haltung zum "Doppelpass" in der Bevölkerung Deutschlands relativ polarisiert ist und zwischen (knapper) Ablehnung und (knapper) Zustimmung changiert, je nach konkretem Befragungszeitpunkt. Dabei gibt es – wenig überraschend – konstant mehr Zustimmung bei Personen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu solchen ohne. Bei letzteren sind zudem in Ostdeutschland lebende Menschen nochmals skeptischer als diejenigen in Westdeutschland.
Fazit
In jüngster Zeit wird – vor allem im Zusammenhang mit türkeistämmigen Migranten und mit der Optionspflicht – oft darüber debattiert, ob der Doppelpass (wieder) "abgeschafft" werden solle oder nicht. Wie in diesem Beitrag gezeigt wurde, geht das Phänomen der doppelten Staatsangehörigkeit jedoch weit über die genannten Gruppen hinaus. Die Zahl der Doppelstaatler in Deutschland liegt bereits heute im siebenstelligen Bereich und umfasst viele junge Menschen. Wie viele und welche Personen mit mehr als einer Staatsangehörigkeit es gibt, hängt auch von den rechtlichen Regelungen anderer Länder ab und kann durch Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers nur begrenzt beeinflusst werden. Dies gilt im Übrigen auch und gerade für den momentan als Lösung der Optionsfrage propagierten Generationenschnitt, dessen Erfolg davon abhängt, dass andere Staaten ihre gesetzlichen Regelungen entsprechend gestalten.